Protocol of the Session on October 15, 2008

Meine Damen und Herren! Die Behauptung der Opposition, unser gegliedertes Schulsystem sei ein sozial selektives System, ist und bleibt ein Schauermärchen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Offenkundig wird das gerade dann, wenn internationale Vergleiche herhalten müssen, um das in Deutschland in Jahrzehnten erfolglose Gesamtschulsystem wiederzubeleben. Meine Damen und Herren! Nicht nur Finnland ist ein Gesamtschulland, sondern auch im südamerikanischen Bereich bzw. in Dänemark existieren solche Systeme – nur mit dem kleinen Unterschied, dass diese Länder beim internationalen PISA-Vergleich das Schlusslicht bilden. Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es zudem wohl kaum ein Land, in dem die Schüler so unzufrieden mit der Schule sind wie Finnland.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Dann waren Sie noch nicht da!)

Es gibt kaum ein Land – meine Damen und Herren, ich zitiere die Weltgesundheitsorganisation –, in dem die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist wie in Finnland. Gleiches gilt übrigens auch für die Suizidrate unter Jugendlichen. Natürlich – Ihre Reaktion hat es hervorragend gezeigt – passt das nicht in Ihr Argumentationsmuster, wenn es darum geht, über Gemeinschafts- bzw. Gesamtschulen bei uns zu diskutieren,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sie waren gar nicht dort!)

meine Damen und Herren, genauso wenig wie die Offenlegung der Akademikerquote, die gern für die Seligpreisung der Gesamtschule herangezogen wird, um damit scheinbare soziale Durchlässigkeit zu rechtfertigen. Ich will das an einem vielleicht schon bekannten Beispiel deutlich zum Ausdruck bringen.

Meine Damen und Herren! Wenn eine Tochter eines finnischen Hafenarbeiters Krankenschwester wird, dann gilt sie, ausgestattet mit einem Hochschulstempel auf dem Zeugnis, als Beleg für die soziale Durchlässigkeit des dortigen Gesamtschulsystems. Wenn demgegenüber aber in Sachsen eine Tochter eines VW-Arbeiters auf dem Zeugnis leider keinen Hochschulstempel verzeichnen kann, dann soll das als Beleg für die mangelnde soziale Durchlässigkeit des sächsischen Schulsystems herhalten.

Meine Damen und Herren! Allein dieses kleine Beispiel macht deutlich, wie unsachlich die Aussage von der Selektion in unserem Schulsystem ist.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Meine Damen und Herren! Wir setzen in Sachsen auf schulische Vielfalt statt auf integrierte Einfalt. Wir haben mit Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre überhaupt keinen Grund, unser Schulsystem infrage zu stellen. Das hat eine Reihe von nationalen und letztlich auch internationalen Vergleichen deutlich gemacht, auch wenn diese seitens der Opposition immer wieder hilflos infrage gestellt werden.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen wollen und sich von Ihren ideologischen und voreingenommenen Mustern nicht trennen können, nehmen Sie wenigstens zur Kenntnis, was die wissenschaftliche Analyse von Herrn Prof. Baumert, PISA-Forscher und Direktor des Max-Planck-Instituts, zum Ausdruck bringt. Ich zitiere: „Sachsen und Thüringen präsentieren das erfolgreiche Vorbild der Zweigliedrigkeit. Hier gibt es praktisch keine Schulen, die ein Risikomilieu darstellen. Eine Veränderung der Schulstruktur erreicht man niemals und schon gar nicht allein durch die Änderung der Schulstruktur. Eine solche Utopie produziert nur Enttäuschungen.“

Meine Damen und Herren! Auch die Probleme im Zusammenhang mit dem Schülerrückgang wurden in der Vergangenheit sehr einseitig negativ beleuchtet. Selbstverständlich war in diesem Zusammenhang eine Reduzierung des Schulnetzes mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten verbunden. Trotzdem ist es aber gelungen, ein vielgestaltiges und flächendeckendes Schulnetz in Sachsen zu erhalten. Meine Damen und Herren, das ist keine Schönrederei, sondern lässt sich ebenfalls anhand von konkreten Fakten und Daten im vorgelegten Bildungsbericht plastisch nachvollziehen. Ich verweise hier insbesondere auf die grafischen Darstellungen, die der Bericht dazu vorgibt.

Gleiches gilt auch für unsere Schul- und Klassengrößen. Es ist anhand der vorgelegten Daten nachvollziehbar, dass wir im Bereich der Grundschulen, der Gymnasien und Förderschulen deutlich geringere Schülerzahlen aufweisen, als das deutschlandweit – sogar in Bayern und Baden-Württemberg – der Fall ist. Aber es sind eben nicht nur die strukturellen Vorgaben, die sich bewährt haben. Auch eine Reihe inhaltlicher Angebote und durchgeführter Maßnahmen, Fragen des Lehrens und Lernens sowie die individuelle Förderung sollen analysiert, fortgeführt und weiterentwickelt werden.

Unser etabliertes Schulsystem ist so angelegt, dass die Bildung und Erziehung in allen Stufen der kindlichen Entwicklung realisiert wird und dem individuellen Leistungsvermögen sowie auch den Neigungen und Interessen von Schülerinnen und Schülern Rechnung getragen wird. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die in jüngerer Vergangenheit vollzogene Einführung des Bildungsplanes an unseren Kindertageseinrichtungen und die Verzahnung von Grundschulen und Kindergärten im vorschulischen Bereich. Dadurch sind gute Bedingungen

vorhanden, frühkindliche Entwicklungspotenziale individueller nutzbar zu machen.

Es ist eine erfreuliche Entwicklung im Schuljahr 2007/2008, dass die große Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler fristgemäß, also ohne Zurückstellung, in unsere Schulen eingeschult werden konnte. Kritisch muss man es meines Erachtens demgegenüber aber sehen, wenn Kinder offensichtlich noch zu undifferenziert vor dem Schuleintritt durch sonderpädagogische Feststellungsverfahren an Förderschulen eingewiesen werden.

Gerade die neu eingeführte Schuleingangsphase bietet durchaus Möglichkeiten, auch dieser Schülerklientel zunächst durch gezielte Förderung im allgemeinbildenden Bereich gerecht zu werden. Bedenklich erscheint zudem in diesem Zusammenhang, dass der relative Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Handlungsbedarf leicht ansteigt, zumindest aber konstant bleibt. Dies betrifft insbesondere den Förderschwerpunkt Lernen. Als Ursache benennt Prof. Hofsäss in seinem Bericht zur Situation der sonderpädagogischen Förderung in Sachsen – ich zitiere – „die Korrelation zwischen materieller Armut der Herkunftsfamilien und die damit erschwerten Lebens- und Entwicklungssituationen von Kindern und Jugendlichen“.

Meine Damen und Herren! Das mag Anlass sein, die ideologische Keule einer Strukturdebatte zu schwingen. Demgegenüber möchte ich aber davon ausgehen, dass gerade unser differenziertes Schulsystem sehr wohl in der Lage ist, individuelle Förderung gerade für diese Schülerklientel zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Colditz?

Ja, bitte.

Herr Colditz, wäre es Ihnen möglich, nach reiflicher Überlegung zu dem Zitat, das Sie eben bemüht haben, auch zu der Erkenntnis zu kommen, dass genau dies der Beleg für die soziale Auslese des Schulsystems ist?

Liebe Frau Günther-Schmidt, Sie haben offensichtlich leider nur mein Zitat zur Kenntnis genommen. Das, was ich danach gesagt habe – ich gebe es Ihnen gern noch einmal schriftlich –, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen. Ich bin genau auf dieses Zitat eingegangen und habe gesagt, dass das differenzierte Schulsystem in Sachsen sehr wohl in der Lage ist, gerade diesen besonderen Problemlagen individuell gerecht zu werden und insofern keine soziale Selektion stattfindet.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, wir sollten die Diskussion vielleicht in der Mittagspause fortsetzen. Sie haben ja auch noch Gelegenheit, sich hier entsprechend zu äußern.

Meine Damen und Herren! Diesbezügliche Möglichkeiten müssen aber stärker ausgebaut und noch besser genutzt werden. Ziel muss es daher insbesondere sein, den Ergänzungsbereich in allen Schularten auf- und auszubauen. Mit der möglichen Nutzung von Ganztagsangeboten zur individuellen Förderung an unseren Schulen sind wir dabei aber auf dem richtigen Weg. Mängel in der Prävention und Früherkennung von Entwicklungsstörungen insbesondere in Bezug auf die individuelle Frühförderung und die Förderung im vorschulischen Bereich bzw. im Eingangsbereich der Schulen müssen sicherlich anerkannt und noch wirksamer abgebaut werden. Ohne damit das bisherige Engagement zu diskreditieren, wird dennoch die Verlagerung der Zuständigkeit für den Bereich der Kindertageseinrichtungen in das Kultusministerium ab 1. Januar 2009 die Möglichkeit bieten, den Bildungsaspekt der Kindergärten ganzheitlicher zu beeinflussen und insgesamt zu stärken.

Meine Damen und Herren! In der Entwicklung unseres Schulsystems ist anzuerkennen, dass sich der programmatische Wechsel von der institutionell orientierten Sichtweise sonderpädagogischer Förderung und dem damit gut ausgestatteten differenzierten Förderschulsystem zur personenbezogenen, individualisierten und lernortunabhängigen sonderpädagogischen Förderung mit der erforderlichen flexiblen pädagogischen und sonderpädagogischen Unterstützung als gemeinsame Aufgabe von Schule und Förderschule vollzieht.

Das ist, meine Damen und Herren, ein Prozess, der stattfindet und bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Dies ist an all jene gerichtet, denen die bislang erreichte Integrationsquote von 11 % der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf noch nicht ausreicht. Die mittlerweile 3 300 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die integriert unterrichtet werden, sind ein gutes, ausbaufähiges Fundament bei der Weiterentwicklung unserer sonderpädagogischen Schulangebote.

In Förderbereichen wie Sehen, Hören, der Sprache oder körperlicher Behinderung liegt der Integrationsgrad an unseren Schulen sogar noch deutlich über dem deutschen Durchschnitt.

Meine Damen und Herren! Übrigens wissen Sie an dieser Stelle auch, dass es in Finnland besondere Einrichtungen für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche gibt und zudem 200 Schulen für Lernbehinderte und eine Vielzahl von Spezialklassen.

Meine Damen und Herren! Ich erkenne an, dass beim weiteren personellen Aufbau unserer Förderschulen besonderer Handlungsbedarf besteht. Dennoch kann keiner die positive Entwicklung dieses Bereichs nach 1990 und insbesondere im Vergleich zu den Verhältnissen vor 1990 leugnen. Unser sächsisches Schulsystem grenzt keinen von der Bildung aus,

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

weder aus ideologischen Gründen noch aus Gründen der persönlichen Behinderung. Beides, meine Damen und Herren, Herr Kollege Porsch, ist aber vor 1990 sehr wohl geschehen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Meine Tochter ist heute …)

Das sollten wir im Blick behalten in Bezug auf die in den letzten Jahren dort vollzogene Entwicklung, um damit auch den in relativ kurzer Zeit erreichten Stand anerkennen.

Meine Damen und Herren! Wenn ich eben den Bereich unserer Förderschulen etwas näher analysiert habe, dann deshalb, weil mit dem Ausbau und der Entwicklung dieses Bereichs exemplarisch deutlich wird, dass jedes Kind, jeder Jugendliche in diesem System eine Chance hat, egal welche individuellen Voraussetzungen er mitbringt.

So wie wir leistungsschwachen und behinderten Kindern mit unserem Schulsystem gerecht werden, tun wir das auch im Bereich der Begabtenförderung. Für besonders begabte Schüler bieten 22 öffentliche allgemeine Gymnasien vertiefte mathematisch-naturwissenschaftliche, musische und sportliche bzw. sprachliche Ausbildungsmöglichkeiten.

Die Teilnahme und der Erfolg der Schüler, die diese Einrichtung besuchen, werden in nationalen und internationalen Wettbewerben belegt, indem wir dort ein recht hohes Niveau mit Blick auf die Begabtenförderung dokumentieren können.

Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass Mittelschulen und Gymnasien bewährte und erfolgreiche Schularten in Sachsen sind. Sie vermitteln grundlegendes Wissen und Kompetenzen, die den gesellschaftlichen Voraussetzungen entsprechen, aber auch der Heterogenität unserer Schülerschaft gerecht werden. Die Durchlässigkeit zwischen beiden Schularten ist generell gewährleistet. Ich will an die jüngste Regelung zur Einführung der zweiten Fremdsprache erinnern, die auch den späteren Wechsel von der Mittelschule an das Gymnasium ermöglicht.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Auch die zwei Wege zum Abitur in Sachsen sind Ausdruck der schon benannten Durchlässigkeit. Etwa ein Drittel – 31,3 % genau – aller sächsischen Schulabgänger haben im Schuljahr 2006/2007 die allgemeine Hochschulreife erlangt. Damit ist die Zahl der Abiturienten in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gestiegen. Es mag sein, dass einem gesellschaftlichen Bedarf nach mehr Akademikern entsprochen werden kann. Gleichwohl sollten wir uns aber nicht von der Abiturientenquote allein leiten lassen. Der jetzt eingesetzte Anstieg des Übergangs ans Gymnasium ist wohl letztlich auch der Absenkung der Zugangsbedingungen geschuldet.

Diese Entwicklung sehen wir durchaus kritisch, zumal eine Absenkung des Niveaus der gymnasialen Ausbildung und der Ausbildung an der Mittelschule gleichermaßen zu befürchten ist.

Auf der Grundlage verlässlicher Daten werden wir diesen Prozess begleiten und analysieren. Ein Festhalten an einem Leistungsdurchschnitt von 2,5 als Zugangsberechtigung für das Gymnasium ist aber auf Dauer nicht tragbar.

(Beifall des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Meine Damen und Herren! Kernstück unserer sächsischen Schullandschaft ist und bleibt die Mittelschule. Sicherlich kann es nicht alleiniges Ziel schulischer Ausbildung sein, Erfordernissen der Wirtschaft zu entsprechen. Dennoch bietet eine praxisnahe, an der wirtschaftlichen Entwicklung orientierte schulische Bildung am ehesten die Chance, seinen Platz im Leben zu finden.

Eine leistungsfähige Wirtschaft braucht leistungsfähige und leistungsbereite Fachkräfte. Gerade die Mittelschule wird mit ihrer inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung gemeinsam mit unserem differenzierten beruflichen Schulsystem diesem Anspruch gerecht. Schulen sollen in ihren Kommunen als Lern- und Lebensort wahrgenommen werden. Hier liegt die besondere Chance auch für die Weiterentwicklung unser beruflichen Schulen, sowohl im Ausbau der Kooperation mit den Mittelschulen als auch in einer Beteiligung an der Entstehung regionaler Bildungslandschaften.

Die Berufsschulzentren sollen zu regionalen Zentren der Aus- und Weiterbildung weiterentwickelt werden. Für die anspruchsvollen Aufgaben auch innerhalb ihrer Eigenverantwortung sollen Schulleitungen in ihrer Management- und Führungsfunktion gestärkt werden, insbesondere durch zeitliche Freiräume und Angebote zur Weiterqualifizierung. Denn Eigenverantwortung von Schule bedeutet auch, dass zukünftige Zielvereinbarungen zwischen der einzelnen Schule und der Schulaufsicht abgeschlossen werden können.

Die Ergebnisse des Berichts aus der externen Evaluation bilden dafür die Grundlage. So ist es möglich, die Qualität von Schule vor Ort gezielt weiterzuentwickeln. Diese Zielvorgaben auch parlamentarisch zu unterstützen ist uns dabei ein wichtiges Anliegen.

Meine Damen und Herren! Nicht nur die Überarbeitung der Lehrpläne, sondern auch durch organisatorische Maßnahmen wie die Einführung des Berufswahlpasses oder die Unterstützung von regionalen Arbeitskreisen Schule/Wirtschaft durch eine Landesservicestelle wird die Praxisnähe und die Kooperation von Schulen, Unternehmen und Hochschulen unterstützt.

Ziel all dieser Bemühungen muss es zudem sein, –