Nun ist meine These: Niedriglohn ist für Sachsen kein Zukunftsfeld, bringt uns in Sachsen nicht weiter,
im Gegenteil, das will ich nachweisen: Bei genauerem Hinsehen sind nämlich gerade diese Forderungen zugleich, Herr Hähnel, Begründungen für die berechtigten Sorgen der sächsischen Wirtschaft, denn Sie wissen, 30 % der befragten Firmen sehen 2005 pessimistisch in die Zukunft.
Nun wollen wir, wie Sie sagten, die verarbeitende Industrie loben; ihre Steigerungsraten und die Erwartungen auch vom Ifo-Institut für 2005 prognostiziert, wird sie weiter hohe Zuwachsraten sichern. Wir haben also eine unvermindert hohe positive Entwicklung und letztlich – das soll nicht unerwähnt bleiben seitens der Opposition – werden Neuansiedlungen wie BMW im Jahr 2005 als Beitrag dazu einen richtigen Schub bringen.
Erwähnt werden muss, dass die boomende Weltwirtschaft abklingen wird. Hohe Rohstoffpreise sind ein Indiz dafür. Aufgrund der gewonnenen Außenhandelsverflechtung wird Sachsen davon natürlich auch betroffen sein. Das heißt nicht, Herr Hähnel, dass Sachsen seine Exportquote, insbesondere seine gute Stellung gegenüber den anderen, besonders ostdeutschen Ländern, verlieren wird. Hier muss ich noch etwas vorausschicken. Natürlich ist das kein Grund zum Ausruhen für die Tarifparteien. Grundsätzlich gehört es dahin, wo laut unserem Grundgesetz die Tarifparteien selbst über ihre Anteile am Erfolg verhandeln.
Nein, die Schwierigkeiten der Kammern und Probleme für 2005 sind klar benannt: Sie liegen im Baugewerbe, im Handel und bei den Verkehrsunternehmen.
Herr Hähnel, Sie haben ein Handelsunternehmen. Sie sind einer derer, die pessimistisch in die Zukunft schauen müssten. Aufgrund der anhaltenden Investitionszurückhaltung und schwacher Binnennachfrage bleiben gerade dort die Firmen pessimistisch, so die Aussage der Kammern.
Nach den Jahren der Flut ist im Bau ein deutlicher Nachfragerückgang begründbar und sicher nicht veränderbar. Die öffentliche Hand, wir, tragen trotz allem an den leeren Kassen der Kommunen einen beträchtlichen Anteil, wie Sie gestern durch meinen Fraktionsvorsitzenden hören konnten. Lassen Sie uns das also im Haushalt bereinigen.
Aber besonders prekär – so die Einschätzung auch des Ifo-Instituts – ist die zu erwartende Umsetzung und der Rückgang beim Handel aufgrund der Kaufkraftverluste durch Hartz IV – meine Damen und Herren, hier erspare ich mir nicht den Satz, mehrere Jahre hatte die PDSFraktion in diesem Saal gesagt, dass diese Kaufkraftverluste auf unsere Firmen niederschlagen werden, weil Nachfrage Arbeit schafft und nichts anderes – um geschätzte 500 Millionen Euro. Wir werden 2005 erleben,
wie hoch diese Kaufkraftverluste für Sachsen sein werden. Die Folgen dieses Preiskampfes, von Insolvenzen und Niedriglöhnen: Bei 41 % der Firmen hat sich die Ertragssituation in den letzten sechs Monaten verschlechtert.
Das Ifo-Institut prognostiziert für 2005 ein höheres Wachstum für Sachsen von 0,3 % – höher als alle anderen ostdeutschen Länder –, jedoch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 0,7 Prozentpunkte der Erwerbstätigkeit.
Der Grund: Der arbeitsintensive Handel wird in Sachsen überdurchschnittlich schrumpfen. Fazit: Wirtschaft, die den Abbau von Arbeitslosigkeit verspricht, kehrt sich ins Gegenteil um. Zitat Ifo-Institut: „Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen nur bei sinkenden Löhnen.“ Das ist eine völlig falsche, eine verkehrte Aussage, weil sie zur Falle und zum Jobkiller wird. Diese betriebswirtschaftliche Logik wird volkswirtschaftlich zur Falle, zum Jobkiller und führt zu einer schwachen Binnennachfrage. Das ist das Wirtschaftsproblem. Wir müssen die Binnennachfrage steigern, meine Damen und Herren!
Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. – Herr Nolle, sehen Sie es mir bitte nach, ich hätte Ihnen eigentlich vorher das Wort erteilen müssen. Aber in Ihrer übergroßen Güte werden Sie mir das nachsehen.
Herr Präsident, meine Familie ist schon so lange in der SPD, da hat es die PDS noch gar nicht gegeben.
Meine Damen und Herren der demokratischen Parteien, ganz normal für ein solches Werk wie den Konjunkturbericht der IHK ist, dass eine Vielzahl positiver Entwicklungen in Sachsen dokumentiert werden, aber auch einige Entwicklungen, die nachdenklich machen. Am Schluss der Arbeit wird jedoch meines Erachtens die sachliche, die auswertende, ja die politisch-neutrale Ebene verlassen. Es wird in den so genannten Schlussfolgerungen fleißig mit neoliberaler Ideologie hantiert, was ja nun gar nicht zum Gebot der politischen Neutralität der IHK gehört.
IHK-Mitglieder, meine Damen und Herren, sind nicht freiwillig einem Gesinnungsverein beigetreten, sondern – und ich halte das für einen Anachronismus – sie wurden Zwangsmitglieder.
Ich bin selber mit meinen drei Firmen IHK-Mitglied, habe aber zu keiner Zeit meine Zustimmung zu neoliberalen ideologischen Thesen gegeben. Hier schießen die IHK-Verantwortlichen weit über das Neutralitätsgebot
Meine Damen und Herren! „Aufgabe unserer Politik ist es, künftig stärker den Weg zu mehr Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu gehen,“, sagte ich an dieser Stelle vor drei Monaten, „den Weg zu einem dynamischen Bestandswachstum, zu einer Wirtschaft, die durch Entwicklung und Bestandssicherung gekennzeichnet ist, in der der Klassenerhalt ebenso wichtig ist wie der begehrte Aufstieg“. Es muss ein Weg sein zu einer Gesellschaft, in der es einen ständigen Austausch von Alt und Neu gibt, in der die nachhaltige Konsolidierung und die Stabilität unserer Unternehmen und damit die Sicherheit der sozialen Lebensumstände unserer Menschen zu einem Wesensmerkmal wird. Diese Sicherheit ist ein entscheidender Produktivitätsfaktor. Sie ist für die Zukunft nicht gewährleistet, sie wird durch solche Thesen der IHK, wie sie uns auf Seite 20 des Konjunkturberichtes teilweise präsentiert werden, infrage gestellt.
Damit infrage gestellt sind wesentliche Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft, meine Damen und Herren. Norbert Blüm kommentierte das einmal so: „Das als neoliberales Programm getarnte Trommelfeuer auf den Sozialstaat ist von ergreifender Banalität. Sein Credo lässt auf Dogmen reduzieren, die selbst ein Papagei verkünden kann, wenn er nur zwei Wörter auswendig kann, nämlich Kostensenkung und Deregulierung.“ Solche Dogmen, meine Damen und Herren, wie Blüm sie nannte, feiern in den IHK-Thesen fröhliche Urständ: „Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitstarife und des Kündigungsschutzrechtes sind zentrale Voraussetzungen für die Entlastung des Arbeitsmarkts … Deutschland braucht einen zügigen Umbau der sozialen Sicherungssysteme …“
Ich halte es für eine eklatante Fehldiagnose, unseren Sozialstaat ausschließlich als Kostenfaktor und Wachstumsbremse und nicht als wichtigen Produktivitätsfaktor zu erkennen.
Ich wiederhole noch einmal: Garant für den inneren Frieden in diesem Land war bis heute der Sozialstaat. Er war das Fundament der Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte, er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg, er hatte eine Erfolgsgeschichte hinter sich. Seine Sicherheit für die Menschen war ein zentraler Produktivitätsfaktor.
Der Sozialstaat, meine Damen und Herren, braucht neue Kraft, das ist wahr. Er braucht eine Therapie, das ist wahr, vielleicht eine Generalüberholung, aber auf jeden Fall Stärkung, nicht Abwicklung. Unsere Gesellschaft wird von mehr zusammengehalten als nur von der Summe der Betriebswirtschaften, so wichtig auch die Betriebswirtschaften sind.
„Kern jeder Wirtschaft und jeder Gesellschaft bleibt der Mensch. Ökonomie und Wachstum sind nicht alles.
Marktregeln sind von Menschen gemacht und nach gesellschaftlichen Maßstäben zu beurteilen.“ So kann es beim führenden Vertreter der christlichen Soziallehre Prof. Wilhelm Hengsbach nachgelesen werden. Bloße Wachstumsträumerei, meine Damen und Herren – glauben Sie mir, ich weiß wovon ich rede –, greift zu kurz. Schnelles Jubeln über auch durch Fluthilfe und Transferleistungen geschenktes Wachstum bringt uns überhaupt nicht weiter. Das hat mit Wahrhaftigkeit nichts zu tun.
Es gibt auch keinen Automatismus: steigende Erwerbstätigkeit bei steigendem Wirtschaftswachstum, wie wir wissen sollten. Vielleicht ist es für die Beurteilung der Prosperität einer Volkswirtschaft eines Tages wichtiger, nicht durch Wachstumsraten zu vergleichen, sondern durch die Entwicklung der durchschnittlichen Familieneinkommen in einem Land, die Verteilung von Wohlstand.
Geht die Schere zwischen Arm und Reich zusammen oder geht sie auseinander? Wie sieht es mit der Entwicklung der Kinderarmut bei uns aus?
Herr Nolle, welche Volkswirtschaften sind Ihnen bekannt, die bei schrumpfendem Wachstum Arbeitsplätze generieren?
Welche Volkswirtschaft ist Ihnen bekannt, die bei steigendem Wachstum die Arbeitslosigkeit beseitigt?
Das müssten Sie doch eigentlich wissen. Wir haben fünf bis acht Millionen Arbeitslose und haben eine Politik für Wachstum gemacht.
Meine Damen und Herren, ich bin im Moment am Ende meiner Rede. Ich werde aber nachher noch in einem zweiten Beitrag fortsetzen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der aktuelle Konjunkturbericht gibt bei genauer Betrachtung Anlass zur Sorge. Darüber können auch einzeln aufgeführte Strohfeuer nicht hinwegtäuschen. Auch wenn Industrie und Dienstleistungsunternehmen als die wirtschaftlichen Stützen Sachsens genannt werden, so muss man sich dennoch klarmachen, dass trotz deren Wachstumsdynamik ein
negativer Saldo in deren Personalplanung zu verzeichnen ist. Weiter ist bei der Lektüre des Berichts auffällig, dass selbst dort, wo positive Lageeinschätzungen vorliegen, dennoch eine zurückhaltende Erwartungshaltung festzustellen ist. Ebenso bedenklich ist die Lagebeurteilung im Fahrzeugbau, wo entgegen dem Trend früherer Berichte diesmal ein Negativsaldo von zehn Prozentpunkten zu verzeichnen ist. Leider gibt es bei den in der Industriebranche traditionell schwächelnden Bereichen keine Trendwende, wie zum Beispiel im Textil- und Bekleidungsgewerbe, wo besonders der gravierende Personalabbau zu beklagen ist. Das Stichwort Lautex dürfte den meisten hier bekannt sein.
Selbst der zweite Stützpfeiler, sofern er überhaupt als solcher tauglich ist, das Dienstleistungsgewerbe, weist eine himmelschreiende Diskrepanz zwischen Gegenwartseinschätzung und Zukunftsprognose auf. Hier sticht dem aufmerksamen Betrachter ins Auge, dass die Investitionstätigkeiten der Konjunkturlokomotive zu wünschen übrig lassen und insbesondere die Finanzdienstleister trotz einer verbesserten Lage eine ungünstige Personalplanung erwarten lassen.
Was Handel, Bau- und Verkehrsgewerbe betrifft, stellen sich diese in Sachsen fast mit Traditionsgewissheit als eine Art kollektive Bankrotterklärung dar. Angesichts deutschlandweiter Konsumzurückhaltung findet der Handel durch das zusätzliche unterdurchschnittliche Kaufkraftniveau in Sachsen denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Stabilisierung, geschweige denn einen Aufschwung. Die zirka 175 000 Langzeitarbeitslosen dürften alles andere als in einen Kaufrausch verfallen. Das Verkehrsgewerbe bedankt sich für die Mautgebühr und den dadurch verschärften Wettbewerb mit den osteuropäischen Anbietern und das Baugewerbe lehrt uns, so traurig es ist, dass ein Konjunkturtief immer noch tiefer geraten kann.
Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen heute deutlich: Meine Fraktion geht nicht davon aus, dass die derzeitigen Zustände die Mehrzahl in diesem Haus wirklich interessieren oder gar stören, denn wer wie wir noch einmal die letzten und auch die vorletzten Berichte zur Hand nimmt und mit meinen Ausführungen vergleicht, der kann nur vermuten, dass zumindest den Verantwortlichen in der Staatsregierung dieser Zustand willkommen ist. Dies unterstelle ich deshalb, weil bereits seit mehreren Berichten die Ursachen für die herrschenden Probleme bekannt sind. Unverständlicherweise wurden stets aufs Neue die gleichen Ursachen angeführt, so dass davon ausgegangen werden muss, hier wird bewusst nicht gehandelt oder aus Unvermögen versagt.