Protocol of the Session on April 24, 2024

Und dann wundern Sie sich, dass sich immer weniger Leute selbstständig machen wollen. An dieser Stelle möchte ich, mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, Churchill zitieren; er sagte: Für manche ist ein Unternehmer ein räudiger Hund, den man totschlagen muss. Für andere ist er eine Kuh, die man ständig melken kann. Und nur wenige sehen in ihm das Pferd, das den Karren zieht.

(Beifall von der CDU.)

Die Wirtschaft gibt derzeit - mit steigender Tendenz - 41 Milliarden Euro für die Qualifizierung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Der Wert und die Notwendigkeit von Bildung werden doch von der Wirtschaft klar erkannt, und vor allem wird auch nach dieser Erkenntnis gehandelt. Die Erhöhung der Freistellung auf fünf Tage aber ist gerade für kleine und mittlere Betriebe, die sich in den vergangenen Jahren von Krise zu Krise gehangelt haben, eine Katastrophe.

In einer aktuellen Sonderumfrage der IHK Saarland wurden 381 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zu den größten Geschäftsrisiken befragt. Von ihnen wurde neben den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Arbeits- und Fachkräftemangel genannt. Ihr neues Gesetz bringt nun noch mehr Abwesenheit am Arbeitsplatz mit sich. Haben Sie einmal in letzter Zeit versucht, einen Termin bei einem Handwerksbetrieb zu ergattern? Ich kann Ihnen sagen, das wird zu einer echten Geduldsprobe, weil es in den Betrieben einfach nicht mehr genügend Personal gibt. Haben Sie auch einmal an die Mitarbeiter in kleinen Betrieben gedacht, die die Arbeit der abwesenden Kollegen jetzt zusätzlich mitmachen müssen und womöglich in eine Überlastung hineinlaufen?

Nach Aussage des Statistischen Bundesamtes gehört Deutschland heute in der EU zu den Ländern mit der niedrigsten Wochenarbeitszeit. Das schmälert unsere Produktivität Stück für Stück und vernichtet Wohlstand. Das Saarland wird

künftig mit zwölf Feiertagen und fünf Tagen Bildungsurlaub einen Platz an der Spitze der Länder hinsichtlich freier bezahlter Tage einnehmen. Das sind Zahlen, die sich auch Investoren genau anschauen.

Dazu ein aktuelles Beispiel: Gestern wurde in den Nachrichten mitgeteilt, dass die renommierte Firma Stihl den Plan zum Fabrikbau in Ludwigsburg aufgebe. Der Geschäftsführer gebe als Grund die schlechten Rahmenbedingungen an. Explizit wurde eine hohe Abwesenheit am Arbeitsplatz genannt.

Die Bildungsfreistellung wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aber nichts nutzen, wenn es immer weniger Firmen geben wird, die überhaupt Arbeitsplätze anbieten. Die Lage ist wirklich ernst. Leider kann ich aber nicht erkennen, dass der Ernst dieser Lage wirklich erkannt würde. Herr Minister Barke, Sie behaupten, durch dieses Gesetz würden Fachkräfte angezogen. Wir sehen in Bayern, dass es gesunde, expandierende Unternehmen mit Zukunftsperspektive sind, die Fachkräfte anziehen. In Bayern gibt es überhaupt keinen Bildungsurlaub, hingegen einen großen Zuzug von Arbeitskräften aus der ganzen Republik.

Auch mit Ihrem Änderungsantrag versuchen Sie, durch kleinteilige Vorgaben im Genehmigungsverfahren in die Unternehmen hineinzuregieren.

Ich fasse nochmal zusammen: Die Wirtschaft investiert 41 Milliarden Euro für die Bildung ihrer Mitarbeiter. Das Saarland wird künftig zu den Ländern mit der höchsten Zahl an freien bezahlten Tagen zählen. Sie verschärfen den Arbeitskräftemangel durch mehr Abwesenheit am Arbeitsplatz. Sie reduzieren die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Saarland für Investoren. - Es wird Sie deshalb nicht wundern, dass wir das Gesetz in Zweiter Lesung und auch Ihren Änderungsantrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU.)

Vielen Dank, Frau Mücklich-Heinrich, für Ihren Redebeitrag. - Als nächster Redner hat nun für die SPD-Landtagsfraktion Herr Timo Ahr das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Saarländerinnen und Saarländer! Im Gegensatz zu meiner Vorrednerin sage ich: Heute ist ein guter Tag. Es ist ein guter Tag, denn wir beschließen heute fünf Tage für mehr Bildung. Mit dem heutigen Tag novellieren wir das Saarländische Bildungsfreistellungsgesetz und schaffen endlich bessere Rah

(Abg. Mücklich-Heinrich (CDU) )

menbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall von der SPD.)

Ja, gib mir 5! Fünf Tage für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, fünf Tage mehr für berufliche Fortbildung, für persönliche Weiterentwicklung und fürs Ehrenamt; meine Kollegin Stephanie Meiser kommt später noch darauf zu sprechen. Halte ich mir vor Augen, wie gerade hier von der Bühne aus den Saarländerinnen und Saarländern verkauft wurde, warum dieses Bildungsprojekt denn so schlecht sei und was das alles mit unserer Wirtschaft machen würde, muss ich tatsächlich sagen: Bei der CDU hat man von Wirtschaftspolitik in diesem Land, aber auch von Wirtschaftspolitik international wenig bis gar keine Ahnung.

(Lachen bei der CDU.)

Dieses Gesetz zu beschreiben als etwas, das den Standort gefährde, Investoren abschrecke, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Witz! Diese Zuschreibung gehört an dieser Stelle klargestellt.

(Beifall von der SPD.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Sie von der CDU verkünden hier im Grunde, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien die Basis unserer Wirtschaft. Es sind ja die Menschen, die alle Erfolge der Wirtschaft erwirtschaftet haben. Das schafft ja nicht die Hülse der Unternehmen, es sind die Menschen, die das leisten. Der beste Invest in die Zukunft ist daher der Invest in Bildung und in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das lässt sich nicht leugnen, das müssen wir anerkennen, und wir müssen damit auch die Leistung der Menschen anerkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD.)

Ich bin stolz darauf, dass wir das als Fraktion nun umsetzen, dass das aber auch gemeinsam mit der SPD-geführten Regierung gemacht wird. Wir haben das eben nicht einfach nur als Wahlversprechen runtergeschrieben, sondern sind davon überzeugt, dass wir mit einem modernen, schlanken, aber auch zukunftsgerichteten Bildungsfreistellungsgesetz in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land investieren können. Wir halten also Wort, und ich bin stolz, dass wir das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der SPD.)

Wir beheben auch eben jenen historischen Fehler, den die CDU vielleicht belächeln mag, der aber für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Saarland, verglichen mit der Situation in anderen Bundesländern, auch einige Konsequenzen mit sich gebracht hat. Denn man hat bei uns eben weniger Bildungsangebote be

sucht; ich werde gleich auch noch darauf eingehen, weshalb das so ist. Die Sozialdemokratie geht jetzt also voran und ändert diese Lage; wir sorgen dafür, dass wir in Sachen Bildungsfreistellung den Anschluss finden.

Das bedeutet aber keineswegs - das will ich hier noch einmal klarstellen -, dass wir jedem Wirtschaftsunternehmen in diesem Land unfassbare Hürden und Kosten zumuten würden. Nein, wir sorgen für bessere Fachkräfte, für bessere Bildung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sorgen für tatsächliche wirtschaftliche Mehrwerte durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land.

(Beifall von der SPD.)

Wir rangieren damit auch nicht in der Pole-Position. Tatsächlich haben 13 von 16 Bundesländern diese fünf Tage vorgesehen. Und welch ein Wunder: In diesen Ländern ist nichts passiert! Die Wirtschaft ist deshalb nicht kollabiert, die Unternehmen haben nicht geschlossen. Nein, es geht in diesen Ländern normal weiter - und die Kolleginnen und Kollegen besuchen eben einige Seminare.

Ich glaube, dass die Wirtschaft, wie man auch in allen Debatten rund um das Thema Fachkräfte hört, Menschen haben will, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben will, sei es in der Produktion, sei es in den Ingenieursbüros, die Visionen haben, die eine Haltung haben, die Informationen suchen, die Seminare besuchen. Sie will aber auch Menschen haben, denen es gutgeht, die resilient sind, die die Wirtschaft voranbringen. Die Möglichkeit zum Erwerb von Befähigungen, die Möglichkeit, dass Menschen in diesem Land Weiterbildung genießen, darf nach der Ausbildung oder dem Studium nicht enden. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir sorgen!

(Beifall von der SPD.)

Und der Strukturwandel? Wir reden über ihn, aber wir müssen auch seine Auswirkung berücksichtigen. Er wird dafür sorgen, dass Menschen einen anderen Beruf brauchen, dass sie Qualifizierungen brauchen, dass sie sich verändern müssen. Hier ist schon oft gesagt worden, dass wir mehr politische Bildung brauchen. Ich könnte einige Zitate aus vergangenen Legislaturen auch von der CDU bringen, die das bestätigen. Dann brauchen wir eben auch Bildungsurlaub, und zwar nicht als Urlaub, in dem man irgendwo an der Algarve rumhängt - dazu werde ich gleich etwas sagen. Wir brauchen einen Bildungsurlaub, in dem man etwas lernt und von dem man etwas mitnimmt, auch für die politische Bildung, für unsere Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD.)

(Abg. Ahr (SPD) )

Wir brauchen politische Bildung, und politische Bildung hört nicht am Werkstor auf; auch Unternehmen haben eine sozialpolitische Verantwortung. Das sieht man zum Beispiel daran, dass der VSU mit dem DGB eine Erklärung dazu gemacht hat, der AfD und den Populisten in diesem Land keinen Platz einzuräumen, auch nicht in der Wirtschaft.

(Beifall von der SPD.)

Ich will mich an dieser Stelle für die Anhörung bedanken, die ergiebig war. Da gab es nicht nur Akteure, die gesagt haben, dass alles super ist. Es gab auch konstruktive Kritik, die wir nicht einfach wegwischen, sondern die wir mitnehmen werden.

(Zurufe von und Lachen bei der CDU.)

Es gab aber viele Punkte, von denen ich sage, dass sie wichtig sind. Die Bundesagentur für Arbeit, kein unrelevanter Player in diesem Land, sagt: Es ist absolut richtig, dass wir das jetzt tun, weil die Transformation große Herausforderung im Bildungsbereich bringt. - Die Arbeitskammer sagt: positiver Standortvorteil, Steigerung der Weiterbildungskultur in diesem Land.

(Zuruf des Abgeordneten Wegner (CDU).)

Die Handwerkskammer, lieber Bernd Wegner, sagt: Wir begrüßen es, dass Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Erweiterung des Begriffs der beruflichen Bildung mit reingenommen werden, und begrüßen ebenso, dass jetzt - das will ich auch sagen - ein elektronischer Antragsweg eingeführt wird. - Das sind doch Dinge, die schön sind. Darüber muss man auch mal reden, lieber Bernd Wegner.

(Beifall von der SPD.)

Dann will ich etwas zu dem sagen, was du, liebe Ute Mücklich-Heinrich, eben ausgemalt hast: Algarve und golfen. Ich habe das jetzt öfter gehört. Ich muss ehrlich sagen: Das ist ein Gesetz, das etwas für die Demokratie, für die Fachkräfte und für die Wirtschaft in diesem Land tut. Es so darzustellen, als ob jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin in diesem Land an die Algarve golfen geht und das auch selbst bezahlen kann, das ist ein Schmarrn, um es mal auf Bayerisch zu sagen, wie Sie das gerne tun. Ich kann Ihnen eines sagen: Sie kennen keinen Einzigen in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis, der über das Bildungsfreistellungsgesetz an die Algarve golfen gegangen ist, Sie verwenden es aber in Ihrer Rhetorik. Das ist Heuchelei und es ist eine Beschädigung von zigtausenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land!

(Beifall von der SPD.)

Das ist das Schlimme: Wenn Sie über Wirtschaft reden, dann reden Sie auch über die Menschen. Die Realität der Menschen sieht anders aus. Die

Realität ist die, dass man Schichten fährt, auch am Wochenende, dass man harte Wochen hat. Man hat Stress, psychische und physische Belastungen, man hat keine Zeit für Bildung. Und weder politisch noch beruflich hat man die Zeit, das eben auch mal umzusetzen und sich zu bilden. Es sind die Menschen, die die Unternehmen am Laufen halten. Das Folgende will ich auch sagen, weil es immer heißt: „Die können mal ein bisschen Urlaub abgeben“: Ohne Tarifvertrag hat man 24 Tage Urlaub, damit müssen diese Menschen ihr ganzes Leben organisieren, auch im Ehrenamt, lieber Roland Theis. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir jetzt ändern: Ehrenamt, berufliche Bildung und politische Bildung, dafür gibt es jetzt Sondertage.

(Beifall von der SPD.)

Ich bin auch froh, dass wir damit die berufliche Bildung gestärkt haben, dass wir das gemacht haben, denn bisher konnten Menschen, die beispielsweise eine Aufstiegsfortbildung bei der Handwerkskammer besucht haben, nicht für ihre Meisterprüfungen freigestellt werden. Da haben wir gesagt, wir entlasten sie. Das wird, lieber Bernd Wegner, und das weißt du auch, nicht dafür sorgen, dass alle Tage frei sind. Die fahren Schichten. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die die Fachkräfte der Zukunft sind, die Führungskräfte, die Unternehmensnachfolger, denen wir jetzt in der Aufstiegsfortbildung unter die Arme greifen. Ich bin stolz darauf, dass wir das getan haben.

(Beifall von der SPD.)

Ich will noch etwas sagen, weil dieser Bildungstourismus ja hier rauf und runter gepredigt wird. Wir hatten letzte Woche ein Arbeitsmarktforum, lieber Damhat Sisamci, mit vielen Bildungsträgern in diesem Land. Denen zu unterstellen, dass sie nur irgendwelche Seminare mit Häkeln und Golfen an der Algarve anbieten, das ist widersprüchlich ohne Ende. Die Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildungslandschaft in diesem Land machen alles dafür, den Strukturwandel mitzubegleiten, proaktiv, mit guten, modernen, neuen Seminaren und Konzepten. Darauf können wir stolz sein. Den Kolleginnen und Kollegen kann man nicht unterstellen, dass sie irgendwelche Spaßfahrten machen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der SPD.)