Nach mehr als einem Jahr bringen wir heute das Kinderschutzgesetz auf den Weg. Meine Damen und Herren, es ist ein wichtiger Meilenstein in unserem Land. Wir stimmen dem Gesetz in Erster Lesung zu und lehnen den Antrag der AfD
Vielen Dank, Frau Kollegin Holzner, für Ihren Redebeitrag. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Thielen.
Frau Kollegin Holzner, ich habe eine Rückfrage zu Ihrer Rede. Sie sprachen im Zusammenhang vom Fall Dillinger im gleichen Satz von der „Täterorganisation“. Meinen Sie damit die katholische Kirche? Dann würde ich Sie bitten, das noch einmal auszuführen. Ist es für Sie auch eine Täterorganisation, wenn es zum Beispiel um das UKS geht? Ich möchte Sie bitten, den Begriff zu klären.
Ja. - Ich meine damit, dass es eben nicht die Organisation des eigentlichen Täters sein soll, sondern eine neutrale Stelle, an die sich die Betroffenen wenden können, wenn sie das wollen. Das war wichtig, das haben wir auch im Ausschuss so besprochen. Ich glaube, es ist wichtig, dass sich Leute, die betroffen sind, eben nicht bei der Organisation, in der auch der Täter ist, melden können, sondern dass sie sich bei einer neutralen Stelle äußern können.
Vielen Dank, Frau Holzner. - Als nächster Redner hat nun von der CDU‑Landtagsfraktion Herr Alwin Theobald das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Frisch! Liebe Damen und Herren hier im Plenarsaal und draußen im Lande! Wenn wir heute im saarländischen Landtag erneut über einen Entwurf für ein Kinderschutzgesetz diskutieren, dann tun wir das als CDU in dem guten Wissen, dass wir bereits ein wirklich gutes, umfassendes Kinderschutzgesetz hier im Saarland haben könnten, ein Gesetz, das ein Meilenstein für den Schutz von Kindern und Jugendlichen gewesen wäre und das Maßstäbe für das Recht auf Beteiligung und Beratung für Kinder und Jugendliche
in Kinderschutzverfahren gesetzt hätte, ein Gesetz, das geholfen hätte, trotz sogenannten Ärztehoppings Fälle von Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch und anderer Kindeswohlgefährdung sichtbar zu machen und das Unsicherheiten bei der Kommunikation von Ärzten untereinander bei Verdacht auf Kindesmisshandlung beseitigt hätte, wie es in anderen Bundesländern längst gilt und wie es auch die Bundesärztekammer fordert. Wir hätten jetzt schon ein Gesetz, das fachliche Standards für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Verfahren zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung als Mindestmaßstab fest definiert und zementiert hätte, und auch ein Gesetz, das nicht zuletzt die örtlichen Jugendämter verpflichtet hätte, Netzwerke zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung zu bilden.
Wir hätten - und das ist nicht meine Aussage, sondern die Ansicht aus Fachkreisen - eines der stärksten Kinderschutzgesetze in unserer Republik haben können. Das alles haben die Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion im vergangenen Jahr abgelehnt. Sie waren nicht einmal bereit, im zuständigen Ausschuss im Sinne eines guten, vielleicht noch besseren Gesetzes weiter zu diskutieren und im Rahmen einer breiten Anhörung auch die Meinung von Experten und Fachverbänden zu unserem Entwurf einzuholen.
364 Tage, nachdem der zuständige Minister hier an diesem Pult verkündet hat, er werde einen eigenen Entwurf für ein saarländisches Kinderschutzgesetz vorlegen, können wir endlich auch über einen Entwurf der Landesregierung diskutieren und feststellen: Es ist leider bestenfalls ein Kinderschutzgesetz light und spiegelt noch nicht einmal ansatzweise wider, was in anderen Bundesländern längst Gesetzeslage ist. Es wundert mich ganz ehrlich, dass eine solche Vorlage überhaupt den Weg durch den Ministerrat und über die Staatskanzlei bis hierher in den Landtag finden konnte.
Herr Minister, Sie legen heute ein Gesetz vor, dessen Gesetzestext etwas mehr als zehn Seiten umfasst, das aber dann weitere 26 Seiten braucht, um zu erklären, was auf den zehn Seiten zuvor eigentlich gemeint ist, und in dem trotzdem wichtige Inhalte fehlen. Sie fokussieren und beschränken sich auf den bereits bestehenden Rechtsraum des SGB VIII, statt darüber hinauszugehen und wirklich einen großen Wurf für den Kinderschutz zu wagen oder wenigstens dorthin zu gelangen, wo andere Bundesländer längst sind.
Wo ist eine Regelung, die durch interkollegialen Ärzteaustausch Fälle von Kindesmisshandlung dann aufdecken kann, wenn es durch Ärztehopping verschleiert werden soll? Wo finden sich
in Ihrem Gesetz das Recht von Kindern und Jugendlichen und die Pflicht für die örtlichen Jugendämter auf wirkliche Beteiligung und Beratung vor Ort in Kinderschutzverfahren? Wo sind in Ihrem Gesetzentwurf die fachlichen Standards aufgezählt, die neben dem anderen als Mindestmaßstab des Schutzauftrags bei Verfahren bei Kindeswohlgefährdung zu gelten haben? Sie bleiben mit Ihrem Gesetzentwurf weit hinter dem zurück, was möglich gewesen wäre. Und das Schlimme ist, Sie bleiben auch hinter dem zurück, was nötig gewesen wäre. Ich kann hier nur zitieren: „Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“
Ich bin ja schon froh, dass Sie wenigstens unsere Forderung aufgenommen haben, dass die örtlichen Jugendämter verpflichtende Netzwerke zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung bilden müssen. Wenigstens haben Sie die so wichtigen Schutzkonzepte in den Einrichtungen vor Ort in Ihr Gesetz aufgenommen.
Vor wenigen Monaten haben Sie noch die Kinderschützer in diesem Land dadurch aufgeschreckt, dass Ihre Kollegin Bildungsministerin auf eine parlamentarische Anfrage hin noch nicht einmal wusste, ob, wie und welche Schulen, wie viele Schulen überhaupt über Schutzkonzepte verfügen. Sie, Herr Minister Jung, haben vor zehn Monaten an diesem Pult gesagt, Sie würden mit den Regelungen eines neuen Kinderschutzgesetzes deutlich über das hinausgehen, was in Nordrhein-Westfalen gilt. Doch heute sehen wir, das Gegenteil ist der Fall. Sie treten auf der Stelle, verweisen immer wieder auf andere Rechtsnormen, anstatt ein klares Gesetz mit klaren Regeln zu formulieren, und bleiben vielfach bei Kann- und Sollbestimmungen, wo eine klare Pflicht angebracht wäre.
Wirklich wichtig, und das sticht in diesem Gesetzentwurf in ganz besonderer Weise hervor, ist es Ihnen, neue Debattierklubs ins Leben zu rufen. Als Abklatsch des Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen wollen Sie einen saarländischen Rat für Kinderschutz, in dem sich doch nur diejenigen wiedersehen und treffen, die sich für Kinderschutz engagieren und sich deshalb ohnehin an verschiedenen Stellen immer wieder zusammensetzen und über Verbesserungen für den Kinderschutz in unserem Lande diskutieren. Sie wollen ein weiteres Parallelgremium neben den geplanten Netzwerken für Kinderschutz und dem Landesjugendhilfeausschuss schaffen, vergessen aber, vorhandene Strukturen zu stärken. Hieß es früher einmal in diesem Land „Großes entsteht immer im Kleinen“, so gilt bei Ihnen offenbar mehr denn je der Leitspruch „Hauptsach‘ drüwwer geschwätzt“.
Es ist für mich völlig unerklärlich, wie man ein Kinderschutzgesetz schreiben und vorlegen kann, in dem nicht an einer einzigen Stelle der überörtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe, das Landesjugendamt, in seiner wichtigen Rolle als Wächter erwähnt und in seinen Aufgaben gestärkt wird. Das kann für mich nur eines bedeuten. Sie formulieren ein wortreich begründetes Gesetz, hinter dessen blumigen Ausführungen bei genauem Hinschauen eines ganz deutlich wird: Sie wollen Verantwortung abdrücken und stehen damit meiner Meinung nach ganz klar im Widerspruch zum SGB VIII.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Beim ersten Lesen dieses Gesetzentwurfs war ich maßlos enttäuscht. Mit jedem weiteren Lesen stieg meine Verärgerung. Dieser Entwurf eines Kinderschutzgesetzes bleibt weit, sehr weit hinter dem Möglichen und leider auch weit hinter dem Nötigen zurück. Wir können nur hoffen, dass sich auch in diesem Falle das Struck'sche Gesetz bewahrheitet, wonach kein Gesetz so aus dem Parlament herauskommt, wie es eingebracht worden ist. Diese Vorlage erfüllt zum jetzigen Zeitpunkt nicht das, was wir als CDU als Mindeststandard von einem Kinderschutzgesetz erwarten. Der Gesetzentwurf ist für uns in dieser Form nicht zustimmungsfähig. Wir hoffen aber noch auf erhebliche Verbesserungen durch eine breite Anhörung und im Rahmen der Ausschussarbeit. Wir werden uns heute auf jeden Fall enthalten.
Danke, Herr Kollege Theobald, für die Ausführungen. Es gibt weitere Wortmeldungen. - Als nächster Redner hat nun der Kollege Christoph Schaufert das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollegen Abgeordnete! Eben hat es zu einer kleinen Verwicklung geführt, da wir nicht wussten, wer als Erster etwas sagen soll. Wir waren einfach so überrascht davon, dass sich hier im Haus ein gewisses Maß an Sachverstand durchgesetzt und man eingesehen hat, Tagesordnungspunkte wie Schulordnungsgesetz und Kinder- und Jugendschutz zusammenzufassen. Daher kam die Begründung für unseren Antrag zuerst von Josef Dörr. Jetzt möchte ich ein klein wenig zum Kinder- und Jugendschutzgesetz reden.
Kinder- und Jugendschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe; so steht es richtigerweise im ersten Satz Ihres Antrags. Daneben stehen wirklich zustimmungsfähige Einschätzungen darin wie: „Eltern obliegt das natürliche Recht zur Pflege
und Erziehung ihrer Kinder. Hierbei unterstützt und wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Oder: „Kinder bedürfen vor allem in den ersten Lebensjahren der Geborgenheit, der Förderung und der Sicherheit, um ihre Potenziale voll ausschöpfen zu können.“
Viele gute und warme Worte, an denen nichts auszusetzen ist. Natürlich kommen Sie auch nicht umhin, eine ordentliche Prise Ideologie einzustreuen wie: „Diese Rechtsposition ergibt sich primär aus dem Schutzbedürfnis der Kinder, die als Grundrechtsträger mit eigener Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit wahrzunehmen sind. Kinder sind also Menschen und haben Rechte.“ - So, so.
Aber ich stehe nicht hier vorne, um den Antrag klein-klein bis ins Detail zu analysieren. Dazu fehlt auch die Zeit. Vielmehr möchte ich ein wenig den Finger in die Wunde legen, nämlich, dass Sie auf der einen Seite den Kinder- und Jugendschutz vermeintlich in den Mittelpunkt staatlichen Handelns und staatlicher Fürsorge stellen möchten - wie eben erwähnt - mit manchen richtigen Worten und Ansätzen.
Allerdings lassen Sie ansonsten in Ihrer Politik, liebe SPD, in Bund und Ländern nichts unversucht, das, was Kindern über Jahrtausende Geborgenheit und Sicherheit gab, auf allen Ebenen anzugreifen und letztlich zu zerstören, nämlich die klassische Familie, das klassische Zusammenspiel von Mann, Frau und Kindern.
Die Fürsorge der klassischen Familie ist Ihnen ein Dorn im Auge. Das zeigte sich jüngst auch an dem Vorschlag, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Alleine schon die Gewissheit des Geschlechts lassen Sie schon nicht mehr gelten. Der beste Kinder- und Jugendschutz sind starke Familien, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, sowie dem Bekenntnis und der Fürsorge in dieser Gemeinschaft zueinander, in jeder Lebensphase, in jeder Lebenssituation, das ganze Leben lang.
Der Staat kann und muss dies fördern und dafür Sorge tragen, dass durch gute Arbeitsplätze, gute Löhne und so weiter die klassische Familie gestärkt wird und wieder die geschützte, sichere und stabile Keimzelle unserer Gesellschaft wird. Es ist wie mit der Ansiedlung von Störchen. Es nützt nichts, Storchennester in die Landschaft zu stellen. Nein, man muss dafür sorgen, dass der Storch das Biotop findet, in dem er leben kann. Dann kommt das Nest von ganz alleine. So ist es auch beim Kinder- und Jugendschutz. Stärken Sie die klassische Familie! Machen Sie diese zukunftssicher und der Kinder- und Jugendschutz wird größtenteils von selbst gewährt sein.
Wir lehnen Ihr Gesetz in Erster Lesung nicht ab, sondern werden uns enthalten und den weiteren Prozess eingehend beobachten. Wir hoffen, dass Ihnen tatsächlich die Sache am Herzen liegt und dass nicht nur weiterer Personalaufwuchs in der Kinder- und Jugendhilfe für Sie im Zentrum steht, wie bereits auf Seite 5 Ihres Antrags angekündigt. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Schaufert, danke für Ihren Redebeitrag. - Als nächste Rednerin hat nun die Kollegin Réka Klein von der SPD-Landtagsfraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Saarländer*innen! Liebe Kolleg*innen! Um ehrlich zu sein, hatte ich meine Rede so vorbereitet, dass ich sagen wollte, dass ich die Diskussion hier sehr lebendig und schön fand, weil ich mich genau darauf vorbereitet hatte. Was folgt, war eine Rede von jemandem, von dem ich mich frage, ob er dasselbe Gesetz gelesen hat wie ich. Es war eine Rede, die angeblich über Kinderschutz geht. Da frage ich mich: Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie viel Gewalt in Familien vorkommt, wo die größten Gewaltherde für Kinder und Jugendliche sind?
Aber worüber reden wir hier eigentlich? - Wieder einmal reden wir über Kinderschutz. Meine Vorrednerin Martina Holzner hat die Maßnahme im Saarländischen Kinderschutzgesetz schon sehr gut veranschaulicht. Auch in der Diskussion rundherum sieht man, wenn es um Kinderschutz geht, dann geht es um Emotionen. Uns alle eint nämlich eines: Wir waren alle einmal Kinder. In jedem und jeder Erwachsenen schlummern Erlebnisse und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit.
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne mit einer kleinen Geschichte beginnen, da sie die Grundthematik auf den Punkt bringt. „Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran. Aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selbst nach einem Stock zu suchen, den er dann ihr bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: Ich habe keinen Stock gefunden, aber hier hast du einen Stein, den kannst du nach mir werfen. Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben: Meine Mutter will mir wirklich wehtun und das kann sie auch mit
einem Stein. Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme und beide weinten eine Weile gemeinsam und dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, dass sie sich in dieser Stunde selbst gegeben hatte: Niemals Gewalt.“
Diese kleine Geschichte ist ein Auszug aus einer Rede von Astrid Lindgren, die sie im Jahre 1978 gehalten hat, als ihr der Börsenverein den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen hat. Ich habe uns heute einen solchen Stein mitgebracht, einen mahnenden Stein, der uns alle gesamtgesellschaftlich daran erinnern soll, dass es unsere Pflicht ist, Kinder und Jugendliche vor Gewalt zu schützen.
Ich kann es nicht anders ausdrücken. Es ist ein Armutszeugnis jedes und jeder Erwachsenenwelt, die Überlegenheit, vor allem die körperliche Überlegenheit, auszunutzen und Gewalt jeglicher Art an Kindern und Jugendlichen auszuüben. Das geschieht jedoch viel zu oft. Viel zu oft wird diese Gewalt nicht erkannt; den ausgelieferten Kindern und Jugendlichen wird nicht geholfen. Mein Appell an jeden Einzelnen und jede Einzelne: Das dürfen wir nicht hinnehmen. Es ist unsere Pflicht einzuschreiten.
Astrid Lindgren ging in ihrer Rede 1978 darauf ein, dass es sich lohnt, den Kindern ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen, da diejenigen, die jetzt Kinder sind, einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen werden, sofern dann noch etwas übrig von ihr ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Welt wir leben wollen.