Protocol of the Session on July 13, 2016

Vielen Dank. - Das Wort hat nun die Abgeordnete Petra Berg von der SPD-Landtagsfraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegen, der Minister hat es ausgeführt, zur Beratung in Erster Lesung zwei Gesetzesentwürfe, die eine Reform der saarländischen Gerichtsbarkeit vorsehen, eine Reform der ordentlichen Gerichtsbarkeit und eine Reform der Arbeitsgerichtsbarkeit. Das, was wir dazu heute schon vonseiten der Opposition hören mussten, lässt mir die Haare zu Berge stehen.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Uns ja auch! Das ist ja das Problem!)

Denn eine Gerichtsstrukturreform kann man nicht allein aus eigener Anschauung durchführen, aus der eigenen Erfahrung als Bürgerin oder Bürger vor Gericht. Man muss vielmehr die Anliegen aller Betroffenen betrachten. Das hat Ihre Seite, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, mitnichten getan. Wir werden diesen Gesetzesentwürfen zustimmen, weil sie gut sind. Die mit der Reform verfolgten Ziele und die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen werden dazu führen, dass es im Saarland ein zukunftsfestes Justizwesen gibt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Gerichten haben die Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht gerne etwas zu tun. In der Bevölkerung ha

ben Gerichte eher etwas Distanzierendes. Das weiß ich auch aus meiner langjährigen Anwaltstätigkeit zu berichten: Es ist schwierig, Menschen auf Gerichte zu begleiten.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Das wird aber nicht besser, wenn man auch noch weit fahren muss!)

Dazu, Herr Ulrich, werde ich gleich noch etwas sagen. - Strukturveränderungen müssen daher immer dazu führen, dass für die Menschen in unserem Land Verbesserungen erreicht werden, sowohl für die Richterinnen und Richter als auch für das nichtrichterliche Personal, für die Anwältinnen und Anwälte, insbesondere aber auch für die Bürgerinnen und Bürger.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Die sehen das aber alle nicht so!)

Das ist nicht so. Auch die saarländische Anwaltschaft sieht das so. Denn schon heute sind hierzulande die Wege, verglichen mit den Wegen in anderen Bundesländern, sehr kurz.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Dann kenne ich die falschen Anwälte.)

Und auch heute schon, Herr Ulrich, muss ein Anwalt, wenn er ein Verfahren vor einem Gericht anhängig macht, in jedem Fall und immer die Zuständigkeit prüfen. Das ist Standard, das sind Basics in der anwaltlichen Tätigkeit.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) : Darauf wurde doch im Ausschuss verwiesen!)

Das geschieht jeden Tag, vor jedem Verfahren. Es ist völliger Unsinn, wenn behauptet wird, man müsste nun plötzlich auch noch die Zuständigkeit prüfen.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) : Das ist doch im Ausschuss gesagt worden!)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ausgangslage hinsichtlich der Strukturreformen ist, dass die Gerichtsorganisation im Saarland zuletzt 1974, also vor 40 Jahren, reformiert worden ist. Aber auch die Justiz unterliegt einem Wandel und sich ändernden äußeren Faktoren. Sie muss zukunftsfest bleiben, und deshalb besteht dieser Reformbedarf. Die demografische Entwicklung und der Strukturwandel haben in unserem Land insgesamt zu einem deutlichen Rückgang im Geschäftsanfall der Gerichte geführt. Das Internet und soziale Netzwerke prägen unsere modernen Gewohnheiten, das beschert den Gerichten neue und bisweilen komplexe Fragestellungen in den Bereichen Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht, Datenschutzrecht, Medienrecht. Aber auch viele klassische Rechtsgebiete wie zum Beispiel das Versicherungsrecht haben sich zwischenzeitlich zu einer Spezialmaterie entwickelt. Das bedingt erhöhte Anforderungen an Spezialkenntnisse der Gerichte. Es geht dabei um Spezialwissen, das

(Abg. Huonker (DIE LINKE) )

nicht jedes Amtsgericht, das nicht jedes Mischdezernat ohne Weiteres vorhalten kann. Meine Damen und Herren, als Rechtsanwältin konnte ich mir schon vor zehn Jahren Spezialwissen in Fachanwaltschaften aneignen. Diese Möglichkeit besteht für Richterinnen und Richter bis zum heutigen Tage nicht. Ein geringes Fallaufkommen pro Gericht führt dazu, dass die regelmäßige Fortbildung und Anwendung in diesen Spezialgebieten für alle Beteiligten einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeutet.

Dieser Gesamtkontext beschreibt die Ausgangslage der nun anstehenden Strukturreform. Ziel der Reform ist es, zukunftsfeste Strukturen zu gewährleisten, und zwar unter Beibehaltung von Bürgernähe, von Effizienz und der hohen Qualität der Rechtsprechung. Dafür sind drei Faktoren maßgeblich: die Akzeptanz der Justiz in der Bevölkerung, die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine zukunftsorientierte Fortentwicklung der Justiz als dritter Gewalt im Staate.

Für die Akzeptanz in der Bevölkerung sind insbesondere zwei Dinge wichtig: Erstens der Erhalt der Justiz in der Fläche und damit der kurzen Wege. Das ist im Saarland heute der Fall und das wird nach der Reform weiterhin gegeben sein. Zweitens die zügige Bearbeitung der Verfahren. Beide Aspekte hat der uns vorliegende Reformentwurf im Blick. Es werden keine Gerichtsstandorte geschlossen. Rechtsmaterien, die in besonderem Maße den Bürgerkontakt erfordern, werden auch weiterhin an allen Amtsgerichten vorgehalten. Das gilt für die Abteilung für Nachlasssachen, die im Erbfall der Anlaufpunkt für die häufig selbst schon hochbetagten Erben ist, zum Beispiel für den Ehegatten des Erblassers. Entsprechendes gilt für die Abteilung für Betreuungssachen. Bei der Abteilung für Vereinsregistersachen beim Amtsgericht können Vorstände für Vereine vorsprechen. Aber auch eine Grundbucheinsichtsstelle wird vorgehalten. Dadurch wird die Bürgernähe in der Justiz gesichert.

Zum eben von Frau Huonker angeführten Beispiel der Bußgeldsachen: Meine Damen und Herren, wer schon einmal einen Bußgeldbescheid erhalten hat, weiß, dass das ein förmliches Verfahren ist. Man zahlt das Bußgeld oder man zahlt nicht. Zahlt man es nicht, geht man sowieso vor Gericht. Das ist aber ein förmliches Verfahren, und es ist sinnvoll, dieses dort anzusetzen, wo sich das Landesverwaltungsamt befindet.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) : Es ging um das Aufzeigen des Verschiebebahnhofs!)

Sowohl Ortsnähe als auch Leistungsfähigkeit sind entscheidende Kriterien. Die Ortsnähe allein nützt nichts, Herr Ulrich!

Nur für spezielle Rechtsmaterien werden landesweite oder regionale Spezialzuständigkeiten und Ko

operationen vorgeschlagen. Die Schaffung von Spezialzuständigkeiten führt dazu, dass sich Richterinnen und Richter auch in selten anfallenden Rechtsgebieten vertiefte Kenntnisse aneignen und sich gegenseitig bei Krankheit oder Urlaub vertreten können. Mit der Strukturreform schaffen wir in allen Kernbereichen der Amtsgerichte hinreichend große und leistungsfähige Arbeitseinheiten. Diese bieten die Gewähr für eine effiziente, zügige Arbeitsweise, für eine fachkompetente Bearbeitung auch im Vertretungsfall und für die Vorhaltung von Spezialkenntnissen auch in komplexen Materien.

Auch für die Zufriedenheit der in der Justiz Beschäftigten ergeben sich Vorteile: Die Amtsgerichte werden nicht mehr sporadisch durch materiell komplexe, seltene Fachgebiete belastet. Die Richterinnen und Richter und auch das nichtrichterliche Personal können sich sachgerecht in die entsprechenden Themen einarbeiten und vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Übrigens gehört, Herr Ulrich, heutzutage auch das Familienrecht schon zu den Spezialmaterien. Jeder, der schon mal damit zu tun hatte, weiß, wie viele Fortbildungen eine Richterin oder ein Richter absolvieren muss, um bei dieser Materie immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben und dieses Rechtsgebiet in Gänze bearbeiten zu können. Fachfremde Vertretungen, wie sie heute an der Tagesordnung sind, verzögern nicht nur die Abläufe, sondern können auch zu erheblichen Mehrbelastungen für das Personal führen.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenbemerkung zu?

Ja, gerne.

Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) mit einer Zwischenfrage: Frau Abgeordnete, wenn das alles so toll und so rund ist, dann erklären Sie mir doch mal bitte, warum der Richterbund diese Reform ablehnt! Dafür muss es doch Gründe geben! Das sind doch die zuständigen Leute, die müssten doch eigentlich wissen, wovon sie reden.

Also mir ist das neu. Wir haben die Anhörung ja noch nicht durchgeführt. Gewiss gibt es einzelne Stimmen, die etwas Kritik äußern. Aber der Großteil derjenigen, die sich bislang geäußert haben, hat diese Reform begrüßt, Herr Ulrich. Das muss man wirklich sagen.

(Zuruf der Abgeordneten Huonker (DIE LINKE).)

(Abg. Berg (SPD) )

Wir können ja die Anhörung abwarten und uns danach in der Diskussion mit den dort vorgebrachten Argumenten auseinandersetzen.

Der Minister hat auch deutlich darauf hingewiesen, dass diese Reform nicht darauf zielt, durch Personalabbau Kosten zu sparen. Das will diese Reform ausdrücklich nicht! Wir wollen, dass durch die Schaffung neuer und die Straffung bestehender Zuständigkeiten die Effizienz der Justiz gesteigert wird. Die Verankerung der Justiz in der Bevölkerung, nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern, mit zufriedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter Berücksichtigung der Chancen und Herausforderungen, die veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit sich bringen - das sind die Ziele, deren Erreichung unsere Justiz zukunftsfest macht.

Es gilt, auch die Reformen der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit strukturell zukunftsfest zu machen. Reformen sind wegen zurückgehender Fallzahlen, einer komplexen Rechtsmaterie im Individual- und im Kollektivarbeitsrecht und zunehmenden Schwierigkeiten bei Vertretungsbedarf notwendig. Deshalb wird auch das Arbeitsrecht zukünftig zentralisiert werden. Die im Gesetzentwurf dargelegten Kriterien, nach denen der Standort Saarbrücken vorgeschlagen wird und die im Gesamtkontext der Gerichtsreformen zu bewerten sind, sind durchaus vertretbar. Die Reform ist in ein Gesamtmaßnahmenpaket eingebettet, das eine optimierte Unterbringung von Landesdienststellen ermöglicht.

Hinzu kommt, meine Damen und Herren: Die Häufigkeit, mit der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Leben durchschnittlich mit Streitigkeiten vor Arbeitsgerichten konfrontiert sind, und bereits der zuvor erwähnte Aspekt, dass im Saarland vergleichsweise alle Wege eher kurz sind, auch im Vergleich zu allen anderen Bundesländern, machen diese Reformen nachvollziehbar und auch notwendig. Es muss auch erwähnt werden, dass hier vielleicht der Irrtum aufgekommen ist, dass in Arbeitsgerichtssachen der Wohnsitz der Partei für die Zuständigkeit ausschlaggebend ist. Das ist nicht der Fall. Zuständig ist das Gericht am Sitz des Unternehmens. Auch dort können sich Veränderungen ergeben. Es macht durchaus Sinn, die Arbeitsgerichtsbarkeit an einem Standort mit einer geballten Kompetenz zusammenzuziehen. Das ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land eine ganz wichtige Reform.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegen zwei solide und auf die Zukunft gerichtete Reformentwürfe für die saarländische Gerichtsbarkeit, ein weiterer Baustein für die Zukunftsfestigkeit unseres Landes. Ich werbe ausdrücklich um Ihre Zustimmung, damit wir die Entwürfe im Ausschuss beraten und Anhörungen durchführen können. Dann wird sich zeigen, dass diese Reform nicht nur notwendig ist, sondern

dass sie gut ist, um unser Saarland zukunftsfest zu machen. - Vielen Dank.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Vielen Dank. - Das Wort hat nun der Fraktionsvorsitzende der PIRATEN Michael Hilberer.

Vielen lieben Dank, Frau Präsidentin. - Oh, ich habe 17 Minuten Redezeit! Das ist im Wahlkampf ja fast wie eine geladene Waffe. Aber lassen wir das mal außen vor, es geht ja ums Thema und nicht um Wahlkampf.

Es geht um die Reform unserer Justiz. Man muss schon feststellen, dass de facto ein Stück Bürgernähe verloren geht, wenn man die Justiz spezialisiert zusammenzieht und Standorte für gewisse Dinge aufgibt. Da stellt sich dann für den ein oder anderen vielleicht tatsächlich die Frage, ob es sich unter Berücksichtigung der Entfernung zum Gerichtsstandort noch lohnt, eine Sache zu vertreten. Das muss man einfach im Auge behalten.

Dieses Minus an direkter Bürgernähe, das durch den Rückzug aus der Fläche entsteht, muss man natürlich irgendwie kompensieren; die Rechtskultur, der Justizgewährungsanspruch muss gewahrt werden. Das darf so wenig wie möglich durch eine Gerichtsreform beeinträchtigt werden. Ich hoffe, da sind wir uns einig.

Ich sehe ein prinzipielles Problem. Nicht, dass man das nicht machen könnte. Der Minister hat ja durchaus gute Argumente vorgebracht, warum eine Spezialisierung Sinn macht, auch was die Zukunftsfähigkeit angeht. Ich bin auch froh, dass Frau Berg sich noch zu Wort gemeldet hat, ich dachte schon, es gebe gar keine Fürsprecher für die Reform. Das hätte mich schon ein bisschen gewundert. Sie hat klargemacht, was Sie sich von der Reform erhoffen. Allerdings bleibt für mich ein ganz grundsätzliches Problem, da muss ich leider noch mal an die Debatte von vorhin anknüpfen: Wir haben es bisher noch nicht geschafft, den Saarländerinnen und Saarländern die Mobilität zu geben, die sie brauchen, um die Gerichtsstandorte zu erreichen! Dann kann man tatsächlich eine Spezialisierung angehen, dann kann man, wenn es sein muss, auch noch mehr in Saarbrücken zusammenziehen, wenn man sagen kann, das ist unser Verkehrsknotenpunkt, hier kommt jeder gut hin. Das ist aber eben nicht der Fall.

(Zuruf.)

Deshalb, Herr Kollege Roth, habe ich eben in meinem Zwischenruf gefragt: Haben wir denn wirklich die Zeit zu warten, bis sich das alles entwickelt? Nein, wir müssen eben eine ÖPNV-Reform auch

(Abg. Berg (SPD) )

durchboxen, damit so was hier möglich ist, damit wir ermöglichen können, Strukturen zusammenzuziehen. Das geht wie gesagt nur, wenn man den Leuten ermöglicht, überall hinzukommen. Das ist bisher nicht erfolgt.

Vor dem Hintergrund müssen wir leider auch dieses Gesetz ablehnen, weil wir momentan die Grundlage nicht gegeben sehen, Gerichtsstandorte so zusammenzuziehen, wie es mit der Reform geplant ist. Wir können ja im weiteren parlamentarischen Verfahren in dieser Legislaturperiode ein besseres ÖPNV-Gesetz verabschieden, das kriegen wir hin. Dann kann man darüber noch mal reden. - Vielen Dank.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Vielen Dank. - Das Wort hat nun die Abgeordnete der CDU-Fraktion Dagmar Heib.