Wie kam es dazu? Es gibt eine Richtlinie der Europäischen Union, die nicht automatisch - das ist wichtig an der Stelle - als Gesetz gilt, sondern erst von den Nationalstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Auch hier muss man wissen, dass schon das Zustandekommen dieser Richtlinie sehr fragwürdig ist, da man den Weg gewählt hat, eine Richtlinie zum Binnenmarkt zu nutzen, die nicht einstimmig beschlossen werden musste.
In der Bundesrepublik wurde diese Richtlinie mit Wirkung zum 01.01.2008 in nationales Recht umgesetzt mit einer Übergangsfrist bis zum 01.01.2009 für Internetdienstleister, um diese umzusetzen. Doch lange Bestand hatte die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zum Glück nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits am 02. März 2010 die deutsche Umsetzung als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar bewertet und damit die Regelung für nichtig erklärt.
Der Hintergrund ist, dass Grundrechtseingriffe aus gutem Grund hohen Hürden unterliegen. Sie müssen nützlich sein, sie müssen notwendig sein und sie müssen vor allem verhältnismäßig sein. Die Nützlichkeit der Vorratsdatenspeicherung ist nicht gegeben. Aktuell wird diese Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Bisher ist es keinem der dafür sprechenden Länder gelungen nachzuweisen, dass Ermittlungserfolge nur aufgrund der Vorratsdatenspeicherung möglich waren, vor allem nicht im Bereich besonders schwerer oder schwerster Straftaten, für die sie ursprünglich gedacht war. Die einzigen Punkte, die von Italien angeführt werden konnten, sind kleinere Betrugsdelikte auf Online-Plattformen. Doch dafür lohnt es sich wahrlich nicht, die Daten aller Bürger zu speichern und die Grundrechte mit Füßen zu treten.
Dann stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit. Natürlich kam die Idee für die Vorratsdatenspeicherung auch im Zuge der Aufarbeitung der Terroranschläge vom 11. September in den USA zustande. Aber wenn wir uns die Situation anschauen, ist seit 2010 weder in Deutschland noch in anderen Ländern ohne Vorratsdatenspeicherung ein niedrigeres Sicherheitsniveau oder ein höheres Kriminalitätsniveau statistisch nachweisbar. Die Notwendigkeit für die Vorratsdatenspeicherung ist damit nicht gegeben.
Kämen wir zum Punkt der Verhältnismäßigkeit. Die Verkehrsdaten einer einzelnen Person - ich habe vorhin aufgeführt, was es alles sein kann - enthüllen
alle sozialen Kontakte, die diese Person in der Zeit der Speicherung pflegt. Es lässt sich daraus ableiten, welche Beziehungsintensität besteht. Das kann aus dem geschäftlichen Bereich sein, zum Beispiel, welche Geschäftspartner sich zu welchen Themen austauschen. Es können aber auch ganz private Dinge sein. Beispielsweise ist denkbar, dass jemand regelmäßig gegen Ende seiner Bürozeit mit zuhause telefoniert, danach eine andere Nummer anruft und sich in der gleichen Funkzelle mit der anderen Nummer trifft. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Das Missbrauchspotenzial ist kaum zu übersehen.
Kommen wir schließlich zum Punkt der Verhältnismäßigkeit. Besonders gefährlich an solchen Gesetzen, die in diesem Maße in die Grundrechte eingreifen, ist der sogenannte Chilling-Effekt. Dieser Effekt bezeichnet den Nichtgebrauch von Freiheitsrechten. Das heißt, ich bin als Bürger eines freiheitlichen Rechtsstaates mit gewissen Freiheitsrechten ausgestattet, nutze sie aber von mir aus nicht. Im Fall der Vorratsdatenspeicherung nutze ich die nicht, weil ich eben dieses Wissen um die Speicherung aller meiner Verkehrsdaten habe. Ich habe inzwischen auch das Wissen über die Analysemöglichkeiten, die sich dadurch ergeben.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil hat dies sehr anschaulich geäußert. Ich möchte das an der Stelle hervorheben. Zur Vorratsdatenspeicherung stellt es fest, dass diese geeignet ist, „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“ Der Überwachte beginnt, sein Verhalten und letzten Endes sich selbst zu überwachen - als Reaktion auf die Überwachung oder Angst vor etwaigen Negativfolgen in der Zukunft. Das ist eine sehr gefährliche Sache für eine freiheitliche Ordnung.
Die Unverhältnismäßigkeit auch der Größe der Datensammlung ergibt sich, wenn man sich vorstellt, dass tatsächlich alle Daten aller Bürger über Monate gespeichert werden, wobei nur ein verschwindend geringer Teil der Aufklärung von Straftaten dient. Dies ist völlig unverhältnismäßig und in dieser Form nicht zu akzeptieren.
Es geht um das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Das ist klar. Es geht darum, dass die Privatsphäre ausgehöhlt wird. Der Bundesdatenschützer Peter Schaar hat das sehr eindringlich formuliert. Er hat gesagt, die Privatsphäre ist eben nicht nur ein Raum des individuellen Rückzugs - alleine das wäre schon besonders schützenswert -, sondern auch eine unverzichtbare Voraussetzung einer freien Meinungsbildung. Die freie Meinungsbil
dung - das muss ich Ihnen nicht erläutern - ist die Voraussetzung für eine freie Öffentlichkeit und damit ein elementarer Bestandteil jeder funktionierenden Demokratie.
Es lässt sich ein einfaches Fazit ziehen. Wir brauchen keine Vorratsdatenspeicherung, sondern den Erhalt der Freiheit vor der Vorratsdatenspeicherung. Darum möchte ich Sie bitten, diesen Antrag anzunehmen, um damit ein starkes Zeichen nach Berlin zu senden. So können wir zeigen, dass sich das Saarland im Interesse seiner Mitbürger für die Grundrechte und gegen einen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung einsetzt. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Thema Vorratsdatenspeicherung bewegen wir uns in einem der wohl wichtigsten und herausforderndsten Regelungsbereiche unserer Zeit, nämlich im Spannungsfeld zwischen innerer und äußerer Sicherheit einerseits und dem Schutz unserer persönlichen Daten andererseits. Beides sind Fragen der Bürger- und Persönlichkeitsrechte, die grundgesetzlichen Schutz genießen und die unsere Bürger und unseren Staat existenziell betreffen können. Deshalb fordern sie uns heraus, Rechtsgüter sorgsam abzuwägen und politische Entscheidungen in diesem Zusammenhang besonders sorgfältig zu prüfen. Die rasante Fortentwicklung der Informationstechnik - das wissen wir - hat in der Folge in allen Bereichen unseres Alltages neue IT-Anwendungen und in diesem Zusammenhang immer neue Sicherheitslücken zur Folge. Allerdings liegen die größten dieser Sicherheitslücken - darin sind wir uns wohl einig - nicht im Regelungsbereich unseres nationalen Rechts, sondern in den Clouds und auf den Routern und Servern dieser Welt, die oft weit außerhalb von Europa liegen. Das möchte ich an den Anfang der Betrachtung stellen.
Dass sich gleichzeitig auch die allgemeine Sicherheitslage erheblich verändert hat und dass Globalisierung und Technisierung neben neuen Chancen auch erhebliche neue Bedrohungen und Kriminalitätsfelder eröffnen, ist uns allen wohl bewusst. Herr Hilberer, ich meine hier nicht in erster Linie terroristische Angriffe oder etwa den jüngsten Abhörskandal. Ich meine vielmehr die Tatsache, dass von Betrug über Diebstahl und Wirtschaftskriminalität bis hin zu Gewaltdelikten und Kindesmissbrauch heute fast alle Straftaten unseres Strafgesetzbuches im Internet stattfinden beziehungsweise via Mobilfunk, E-Mail
Ich zitiere aus der polizeilichen Kriminalstatistik des Saarlandes von 2012. „Etwa jede vierte Betrugsstraftat (23,6 Prozent) und jede sechste Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (15,8 Prozent) hat sich im vergangenen Jahr im Internet ereignet. Der prozentuale Anteil einiger Sexual- und Betrugsdelikte mit Internetbezug am Gesamtaufkommen dieser Straftaten beträgt sogar deutlich über 50 Prozent.“ Zu Recht haben wir deshalb bei der saarländischen Polizei den Bereich Cybercrime ausgebaut und zu Recht muss es deshalb gesetzliche Regelungen geben, die unseren Sicherheitsbehörden unter klar definierten Voraussetzungen und auf klar definierten Wegen Ermittlungen in Vermittlungsdaten der Telekommunikations- und Verkehrsdaten des Internets ermöglichen.
Was ich Ihnen von den Fraktionen der PIRATEN, der GRÜNEN und auch der LINKEN als Vertreter von Internetromantik und eines falsch verstandenen Liberalismus vorwerfe, ist, dass Sie genau diese sorgfältige Güterabwägung eben nicht vornehmen und dass Sie mit einseitigen Horrorszenarien und mit Ihren grundlegenden Bedenken gegen Organe unseres Rechtsstaats die Bevölkerung in die Irre führen. So tragen Sie letztlich zu einer Gefährdung der von Ihnen zu Recht geforderten Freiheit und Unbefangenheit des Informations- und Meinungsaustauschs bei.
Wenn ich mit diesen und meinen folgenden Äußerungen einen Shitstorm an Beleidigungen in den eingangs zitierten Medien oder auch hier auslösen sollte, dann ist das gerade ein Teil Ihrer höchst einseitigen Freiheitsdenke, meine Damen und Herren der Opposition. Sie führen in die Irre oder Sie sind irregeleitet. Das zeigen schon die Formulierungen in Ihrem Antrag.
Die Vorratsdatenspeicherung ist nämlich gerade keine Überwachungsinfrastruktur, die - wie Sie es nennen - installiert wurde, um die Sammlung und Analyse individueller Lebenssituationen zu ermöglichen. Sie setzen damit die transparente Sicherheitsarchitektur eines demokratischen Rechtsstaats gleich mit den Überwachungs- und Unterdrückungsstrukturen zentralistischer Diktaturen und Unrechtsstaaten. Ich finde das empörend.
Das haben Sie ja nun gemacht. Aber damit ist es nicht getan. - Zur Klarstellung will ich ein paar Zusammenhänge darlegen. Die Daten werden auf der Basis der von Ihnen genannten EU-Richtlinie gespeichert. Es stellt sich aber die Frage, wann und wie man darauf zugreifen kann. Das wurde im Telekommunikationsgesetz auf Bundesebene geregelt. Im Übrigen gab es dieses Telekommunikationsgesetz schon lange, bevor es überhaupt den Begriff der Vorratsdaten gab - und darin den § 113, noch ohne a und b. Auch vor Inkrafttreten der EU-Richtlinie war es den Ermittlungsbehörden möglich, Abfragen zu machen. Jedoch erst im Falle eines Anfangsverdachts - der natürlich belegt werden musste - und erst über Richtervorbehalt und Staatsanwaltschaft kann diese Abfrage zur Ausführung kommen. Sie erwecken fälschlicherweise den Eindruck, dass man alle Bürger willkürlich und permanent überwacht. Das ist falsch! Das ist nie passiert.
Es handelt sich vielmehr um ein geregeltes Verfahren, das die Polizei nutzen konnte, auf dem Boden des Rechts und zu unserem Schutz, und das ihr jetzt nicht mehr zur Verfügung steht. Hier werden eben nicht Bürgerinnen und Bürger systematisch kontrolliert, sondern mit Strafbefehl gesuchte Verbrecher. Wir bewegen uns, ganz im Gegenteil zu Stasi und NSA, eben nicht im Bereich von Unrecht und Willkür.
Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht - Sie haben es ja erwähnt - die §§ 113a und b im Telekommunikationsgesetz 2010 für nicht mit dem Postund Briefgeheimnis konform erklärt. Dabei fordert das Bundesverfassungsgericht aber lediglich eine Neuregelung und keine Abschaffung der in Rede stehenden Paragrafen und es moniert auch nicht die sechsmonatige Speicherfrist per se. Das Gericht hat in seinem Urteil vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung ist. Das Bundesverfassungsgericht moniert lediglich, dass aufgrund der Brisanz der Daten besonders hohe Anforderungen an die Datensicherheit genauso wie an die Datenverwendung zu stellen sind. Das Gericht wünscht insbesondere einen abschließenden Straftatenkatalog und mehr Transparenz bei der Datenübermittlung. Wenn wir diese Nachbesserung auf Bundesebene endlich tätigen, sind die Ermittlungsbehörden auch nicht mehr so erheblich in ihrer Arbeit behindert, wie sie es seit dem Urteil sind, das ja leider keine Übergangsregelungen beinhalte
te. Daher sind wir von den sechs Monaten, die gegolten haben, auf nun null bis sieben Tage zurückgefallen, das ist die Frist, die ein Unternehmen die Daten in der Regel für interne Zwecke speichert.
Das nicht, aber ich würde gerne alle rechtmäßigen Möglichkeiten der Strafverfolgung nutzen und dadurch die Sicherheit verbessern. Ich werde Ihnen das auch gleich an ein paar Fällen verdeutlichen. Neben den Folgen bei der Verbrechensaufklärung, auf die ich gleich noch eingehe, hat die Aussetzung des Telekommunikationsgesetzes in §§ 113a und b übrigens ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof nach sich gezogen. Das ist nicht das Hauptproblem, aber es sei erwähnt: Seitdem wird seitens der Bundesrepublik ein tägliches Zwangsgeld von 1.000 Euro gezahlt, weil unser Recht der Richtlinie nicht mehr entspricht.
Wesentlicher sind mir aber die Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit der Polizei: Da sind die Kenntnisse aus den Telekommunikations- und Verkehrsdaten ganz entscheidend, wenn beispielsweise eine Zielfahndung vorliegt. Nehmen wir den Fall einer Erpressung oder einer Entführung. Zu welcher Zeit hat sich der Verdächtige wo aufgehalten? Wie verlief der Fluchtweg? Gab es voraussichtlich Komplizen? Solche Ermittlungen sind zur Verfolgung von Straftaten entscheidend. Bei Serienverbrechen ist es ganz wichtig zu fragen, ob es eventuell ein einziges Gerät gibt, das jeweils zur Tatzeit in Tatortnähe war. Solche Informationen erhält die Polizei nur aus diesen Telekommunikationsdaten, die sie über den Richtervorbehalt, also über Staatsanwaltschaft und Amtsgericht - das Vorgehen ist in unserem saarländischen Polizeigesetz geregelt - erhalten kann. Nicht willkürlich, sondern immer nur nachdem diese Instanzen alles Notwendige geprüft haben. Das ist der entscheidende Punkt.
Diese Verkehrsdaten sind oft der erste Ermittlungsansatz für weitere Maßnahmen oder für die Beweisführung gegen einen oder durchaus auch zugunsten eines Beschuldigten. Auch für die Aufklärung von Strukturen organisierter Kriminalität - wer hat Kontakt mit wem in diesen komplexen Vernetzungen ist in der Vergangenheit die Auswertung des Kommunikationsverhaltens Verdächtiger von hoher Bedeutung gewesen.
Durch den ersatzlosen Wegfall dieses Auskunftsverfahrens hat sich die polizeiliche Arbeit seit dem 02.03.2010, also mit dem Verfassungsgerichtsurteil,
nachweislich verschlechtert, und es sind erhebliche Schutzlücken und Ermittlungsdefizite entstanden. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Bei Internettauschbörsen für Kinderpornografie ist die IP-Adresse regelmäßig der einzige Ermittlungsansatz, der für die Ermittler besteht. Und: Sowohl den Autobahnschützen als auch den Gullydeckelwerfer hätten wir vielleicht längst ermittelt, wenn wir Zugriff auf die TKDaten hätten und abgleichen könnten, ob zu diesen Tatzeitpunkten jemand in diesen Funkzellen mit dem jeweils gleichen Gerät angemeldet war.
Mein Fazit lautet insofern: Es ist Eile geboten, die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachbesserungen ins Telekommunikationsgesetz einzubauen. Die Nachbesserungen sind ja nachvollziehbar und gerechtfertigt. Selbstverständlich sind höchste Anforderungen an die Datenhaltung, -übermittlung und auch an die Löschung dieser Daten zu stellen. Ich will aber betonen, dass wir die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform anerkannte Frist von sechs Monaten für angemessen und unerlässlich halten. Genau dieses Signal möchte ich heute gerne nach Berlin schicken.
Wer dagegen Ihrem Antrag folgt, enthebt den Staat der Möglichkeit, potenzielle Opfer schützen zu können, und überlässt den Tätern ein zunehmend unüberschaubares Betätigungsfeld ohne jegliche Kontrollmöglichkeit. Wir wollen nicht, dass im Internet eine Parallelwelt entsteht, die gegen jeden Zugriff unserer Sicherheitsbehörden abgeschottet ist. Das ist nicht unser Verständnis von Freiheit, für mich ist das Verkehrte Welt. Und damit, denke ich, habe ich ausreichend begründet, warum die CDU-Fraktion Ihren Antrag ablehnt.