Protocol of the Session on September 22, 2023

Bund, Land und Kommunen müssen mit vereinten Kräften daran arbeiten, den Antragsstau in den Ausländer- und Zuwanderungsbehörden endlich abzubauen. Denn Menschen warten monatelang auf die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Dann ist natürlich der Arbeits- oder Ausbildungsplatz weg.

Um Bürokratie abzubauen, müssen Arbeitsverbote bundesgesetzlich endlich abgeschafft werden und für alle Personen uneingeschränkt ein Sprachkurszugang geschaffen werden, und zwar ohne Zustimmungserfordernis der Behörden, denn die sind damit völlig überlastet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Anhörung zum Integrations- und Teilhabegesetz im Innen- und Rechtsausschuss bei uns vor drei Wochen haben die Sachverständigen dies mit überzeugender Mehrheit bestätigt. Wir können die Unterbringungsfrage nicht isoliert betrachten. Sie hängt unmittelbar damit zusammen, ob wir Schutzsuchenden volle Integrationszugänge gewähren oder nicht. Menschen, die sich qualifizieren, die ihr eigenes Geld verdienen, können sich auch eine eigene Wohnung mieten und aus kommunalen Unterkünften rausgehen.

Solange Deutschland lieber darüber spricht, wie Menschen an den Grenzen aufgehalten werden, oder – wie die FDP gestern – in einer Sprachkursdebatte lieber darüber spricht, wie Menschen zwischen europäischen Ländern hin- und hergeschoben werden, solange werden wir die grundsätzlichen Probleme, die wir haben, nicht ändern. Wir werden so weder etwas an der Unterbringungsfrage noch an dem Arbeits- und Fachkräftemangel ändern. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Buchholz [FDP]: Es wäre schön, wenn Sie sich den Problemen stellten und nicht in Ihrer eigenen Traumwelt blieben!)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Touré, ich habe Ihre Rede sehr aufmerksam ver

folgt. Um ehrlich zu sein, hat den Großteil davon schon der Ministerpräsident hier vorgetragen.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe nicht nur heute Ihre Rede sehr aufmerksam verfolgt, sondern ich habe sie tatsächlich schon im Februar sehr aufmerksam verfolgt. Für all diejenigen, die das auch getan haben: Fast die Hälfte von dem, was Sie uns im Februar vorgetragen haben, haben Sie gerade auch vorgetragen.

Das ist sehr spannend und sehr interessant. Damals gab es noch einen Zehn-Punkte-Plan, jetzt, Herr Kollege Dr. Buchholz, sind nur noch vier Punkte von den Ankündigungen übriggeblieben.

Das heißt, ich muss tatsächlich noch einmal in genau die gleiche Kerbe schlagen: Sie machen wahnsinnig viele Ankündigungen, Sie machen wahnsinnig viele Versprechen, aber Sie kommen Ihren Versprechen und Ihren Ankündigungen nicht hinterher.

(Beifall SPD und vereinzelt FDP)

Das ist unglaublich bedauerlich, weil das nämlich die Probleme vor Ort noch einmal deutlich verschärft.

Ich gehe hier darauf ein, weil man manchmal denkt: Man lebt – wie soll ich sagen? – fast in einer Scheinwelt. Sich hier hinzustellen und zu loben, was jetzt im Finanzausschuss endlich auf den Weg gebracht worden ist, weil die Kommunen sich total darüber freuen – ganz ehrlich, bei dem Brandbrief, der vorausgegangen ist!

(Annabell Krämer [FDP]: Das stimmt!)

Sie haben den Kommunen im März 2023 etwas versprochen, was sie bis heute nicht eingelöst haben –

(Beifall SPD und FDP)

daraufhin dieser Brandbrief –, dann ganz schnell in den Ausschuss.

Die Richtlinie für die Herrichtung der Unterkünfte ist übrigens schon seit Mai 2023 abgelaufen. In Ihrem Vermerk, den Sie dem Sozialausschuss zugeleitet haben, steht: Richtlinie ist noch in Arbeit und muss noch abgestimmt werden. – Das ist bitter.

Ich sage einmal ganz deutlich – Herr Buchholtz, das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Die Überlas tungsanzeige der Kommunen, die jetzt die gesamte kommunale Familie gestellt hat, hat etwas damit zu tun, dass sich die Ministerin nicht an die Verabredung gehalten hat. Die Kommunen haben nicht gesagt, sie seien nicht bereit, weiter ihrer humanitären Verpflichtung nachzukommen, sondern sie sagen:

(Catharina Johanna Nies)

Es reicht! Diese Landesregierung und vor allem die Ministerin müssen endlich ihren Job machen, denn die Kommunen warten darauf.

(Beifall SPD und FDP)

Daraufhin – wahrscheinlich auch, um den Druck zu erhöhen – kam die Überlastungsanzeige.

Ich weiß gar nicht, ob Ihnen das eigentlich bewusst ist, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wie großartig vor allem die Kommunen sind, die eine Landesunterkunft bereitstellen. Um die Herausforderungen wissen wir alle und kennen die Debatten um Boostedt. Sich dann hier hinzustellen und zu sagen: „Am dankbarsten sind wir den Standortgemeinden, die eine Landesunterkunft vor Ort akzeptieren wollen und mitmachen“, und wie wichtig es sei, hier transparent zu sein, die Bürgerinnen und Bürger vor Ort mitzunehmen, weil die Großartiges leisteten! – Den größten Dank haben Sie gerade diesen Kommunen ausgesprochen. Dann aber lese ich, dass der Bürgermeister aus Glückstadt sagt: Sie haben das Montagmorgen erfahren, teilweise aus der Presse, im Hauptausschuss – schnell, schnell, schnell –, und heute ist erst die Veranstaltung, mit der Sie noch einmal die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen. Ich zitiere gern einmal:

„Bürgermeister Rolf Apfeld kritisierte nach Bekanntwerden der Pläne das überhastete Handeln der Landesregierung und die kurzfristige Ankündigung. Er sagte: ‚Die Bürger wollen mitgenommen werden, sonst geht Vertrauen ganz schnell verloren.‘“

Ministerin Touré, was Sie hier sagen, hat mit Ihrem Handeln im Land leider überhaupt nichts zu tun.

(Beifall SPD und FDP)

Ich kann Ihnen dauerhaft meine Unterstützung in Berlin zusagen, so wie das auch die Kollegen von der FDP getan haben. Wir können auch gerne dauerhaft über alles andere sprechen, auch über europäische Politik – sehr gerne. Wenn ich das tue, hat es damit nichts zu tun; wenn Sie es tun, muss es auf europäischer Ebene gelöst werden.

Aber ganz ehrlich, wir müssen unsere Hausaufgaben hier im Land machen, und vor allem – wissen Sie, was das Gute daran ist? –: Wir haben es schon einmal geschafft, wir wissen also, wie es geht. Wir können es alle gemeinsam. Das liegt tatsächlich an den Strukturen, die wir vor Ort haben, an dem Willen und der großen Bereitschaft der Menschen, das zu tun.

Aber, noch einmal: Einfach so darüber hinwegzuwischen, dass jetzt die Ankündigungsfrist von Ihnen, ohne vorher mit den kommunalen Landesverbänden gesprochen zu haben, einfach mal reduziert wird, und dann hinterher zu sagen: „Wir bitten um Verständnis“! – Ja, Sie können gern den Kopf schütteln, verehrte Frau Ministerin! Aber soll ich der kommunalen Familie glauben – das sind immerhin Städtetag, Gemeindetag und Landkreistag – oder dem, dass Sie einfach nur den Kopf schütteln? – Das geht nicht.

Sie haben sich im März 2023 hier hingestellt und gesagt: Es ist so großartig, dass wir jetzt die Ankündigungsfrist verlängern, damit die Kommunen mehr Zeit haben. Jetzt sammeln Sie das Anfang September 2023 ganz schnell wieder ein, und die Kommunen sagen: Was soll das denn? – Die müssen sich darauf verlassen können, dass das, was Sie ankündigen, was Sie verabreden, auch sofort, transparent und schnell geschieht. Das passiert gerade im Land nicht.

Das ist Doing, das ist Handwerk, das ist nichts, bei dem Sie nach Berlin oder Europa oder sonst wohin zeigen müssen. Vielmehr müssen Sie dafür sorgen, dass die Unterbringung, die Verteilung und die Aufnahme vor Ort in diesem Land funktionieren.

Es wird ja immer geschimpft: „Kommen Sie doch mit Lösungen!“. Ja, es ist ein hehres Ziel, dass die Menschen, die hierbleiben werden – davon gehen wir, die allermeisten, ja aus –, schnell integriert werden, dass sie schnell Wohnraum bekommen. Aber wenn die Menschen vor Krieg und Verfolgung flüchten, ist es mir lieber, sie bleiben länger in einer Landesunterkunft, weil wir vor Ort die Voraussetzungen für all das noch nicht geschaffen haben, als die Menschen in die Kommunen zu schieben und zu sagen: Denn man to! Seht mal, wie ihr damit klarkommt!

Meine Unterstützung dafür hätten Sie, zu sagen, dass die Menschen – bevor wir vor Ort in den Kommunen Sporthallen eröffnen, bevor wir irgendwelche Zelte aufbauen – länger in den Landesunterkünften bleiben können. Ganz ehrlich: Dann fahren wir die Kapazitäten wieder auf 15.000 hoch. Auch das haben wir bereits 2015 und 2016 gemacht. Das wäre auch etwas – nicht nur immer zu warten, bis es so weit ist, sondern sich tatsächlich vorausschauend hinzustellen und diese Aufgaben gemeinsam zu erledigen.

So wie es im Moment läuft, mit einem Brandbrief der kommunalen Landesverbände, habe ich im Bereich Unterbringung Geflüchteter tatsächlich seit

(Serpil Midyatli)

Jahren nicht erlebt. Dabei wissen wir, dass die Bereitschaft vor Ort weiterhin groß ist; Das schreiben sie sehr deutlich.

Frau Ministerin, was soll ich Ihnen sagen? – Ich bin enttäuscht. Ich bin enttäuscht, weil man den gesamten Sommer hat verstreichen lassen, obwohl alle wussten, dass sich nach der Coronapandemie wieder mehr Menschen auf die Flucht machen würden. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Vor allem hatten wir die große Unterstützung – das große Glück, muss man ja schon fast sagen –, dass die al lermeisten ukrainischen Geflüchteten privat untergekommen sind. Das ist ja ein großes Glück, das hinzugekommen ist.

Also, nutzen Sie die Bereitschaft im Land, die Bereitschaft der Kommunen! Nutzen Sie den weiteren Unterstützungswillen der Menschen im Land, auch der Initiativen, um tatsächlich wieder Vorbild in Sachen Unterbringung zu werden und diesen Weg vor allem mit Transparenz und Dialog mit den Kommunen weiter zu gehen! Denn das haben wir in der Vergangenheit wirklich besser gemacht als das, was die Landesregierung im Moment hier vorlebt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD)

Für die Fraktion des SSW hat jetzt der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast unbemerkt hat sich über den Sommer hinweg ein Riesenproblem entwickelt. Die Unterbringung geflüchteter Menschen, die nach Schleswig-Holstein kommen, kann in absehbarer Zeit nicht mehr gewährleistet werden. 100 neue Geflüchtete kommen jeden Tag nach Schleswig-Holstein, und diese Zahlen werden bleiben.

Dabei ist das Wort Unterbringung selbst ein Problem. Es geht nämlich nicht um ein Bett, ausreichende Mahlzeiten und Sanitäranlagen allein, sondern Unterbringung bedeutet auch, dass die Menschen medizinische und psychologische Unterstützung, Beratung, Integrationsangebote und Schulunterricht erhalten.

Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, dass wir es beim Unterbringungsproblem nicht nur mit einem administrativen Akt zu tun haben, dem durch Optimierung oder Beschleunigung der Prozesse beizukommen wäre. Das ist nicht der Fall. Die Landes

regierung sollte auch nicht so tun, als könnte das Drehen an ein paar Stellschrauben die Probleme aus der Welt schaffen. Die Einhaltung der vierwöchigen Informationszeit für die Kommunen und die Vermeidung doppelter Registrierungen sollten schon längst dauerhafter Standard sein.

Das Hauptproblem bleiben mangelnde Kapazitäten, und das auf vielfältige Weise. Schleswig-Holstein hat keine freien Wohnungen mehr, die Beratungsangebote sind überlaufen, und Kitaplätze sind Mangelware. Keiner dieser Engpässe wird sich im Laufe dieses Jahres beheben lassen. Ansätze zur flächendeckenden Lösung erkenne ich allerdings nicht.

Dabei hatte die Ministerin zu Dienstantritt versprochen, dass das eigenständige Leben mit einem Zugang zu Arbeit und Schule für Geflüchtete an erster Stelle stehen sollte. Tatsächlich steigt die Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen von Tag zu Tag. Ein eigenständiges Leben rückt für Geflüchtete damit in weite Ferne. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.

Aber damit nicht genug. Bereits jetzt kommt Schleswig-Holstein sogar bei Bett und Mahlzeit für Geflüchtete an seine Grenzen. Turnhallen sind Notunterkünfte, sie sind keine Lösungen.

Ohne gemeinsame Anstrengungen werden wir sehr schnell in eine unmenschliche Situation hineinrutschen. Schon jetzt ist es nicht dauerhaft gewährleistet, dass Familien mit kleinen Kindern in geschützten Bereichen Aufnahme finden. Das ist gerade für traumatisierte Kinder eine weitere Belastung.