Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Erfolgsprojekt. Er beträgt seit Anfang 2020 9,35 € und wird bis Mitte 2022 auf 10,45 € erhöht werden. Das ist Beschluss der Mindestlohnkommission. Diese Erhöhung begrüßen wir selbstverständlich. Nur ist das leider immer noch wenig Lohn, um einen wirklichen Beitrag zu einer gerechteren gesellschaftlichen Teilhabe und zum Schutz vor Armut zu leisten.
Wenn Arbeit in Vollzeit in Deutschland nicht ausreicht, um auch in Städten mit hohen Mieten - davon haben wir inzwischen auch in Schleswig-Holstein immer mehr - beispielsweise ohne zusätzliche Hilfen durch ALG II auszukommen, dann ist etwas nicht richtig. Das ist nicht gerecht.
Dass das auch zu vielen anderen positiven Effekten führt, haben wir heute schon ausführlich gehört; das muss ich nicht noch ausführen. Aber entscheidend ist: Menschen müssen von ihrer Arbeit gut leben können, und das nicht nur während der Berufstätigkeit, sondern auch im Rentenalter. Niedrige Löhne haben niedrige Renten zur Folge. Altersarmut ist bereits jetzt eine weit verbreitete Tatsache. Das trifft in besonderem Maße übrigens Frauen, die nach wie vor tradiert schlechter bezahlte Arbeitsverhältnisse haben als Männer.
Daher ist die grüne Forderung, den Mindestlohn innerhalb von zwei Jahren schrittweise auf 12 € zu erhöhen.
Nur so ist aus unserer Sicht ein sicherer Schutz vor Armut gewährleistet. Außerdem muss nicht nur der Mindestlohn steigen, sondern auch die Kontrolle und die konsequente Durchsetzung müssen selbstverständlich gewährleistet bleiben. Schlupflöcher und Ausnahmen darf es nicht geben. In den letzten
Monaten haben wir oft und lange über prekäre Arbeitsverhältnisse gesprochen und feststellen müssen, dass der Mindestlohn in vielen Sektoren bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern letztlich nicht ankommt. Deshalb ist auch die Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs so wichtig.
Die Coronapandemie fordert aber in diesem Jahr unsere Unternehmen über Gebühr. Diese besondere Stresssituation werden wir in den kommenden Jahren noch weiter spüren. Es ist natürlich ein berechtigter Hinweis, dass höhere Löhne eine weitere Kraftanstrengung für Unternehmen, beispielsweise in der Gastronomie, bedeuten würden, und zwar besonders jetzt, da diese Branche zum zweiten Mal in diesem Jahr ihre Betriebe dichtmachen muss. Die Forderung nach einer zusätzlichen unmittelbaren Erhöhung kann deshalb auch als falsches Signal gedeutet werden.
Wir sehen das nur bedingt so. Zum einen darf die Pandemie nicht dafür herhalten, fällige Maßnahmen nicht zu ergreifen. Zum anderen ist es gerade in diesen von Mindereinnahmen bedrohten Zeiten besonders wichtig, dass Löhne für alle auskömmlich sind. Inwieweit der Mindestlohn beispielsweise auch für Jugendliche gelten soll, wurde ebenfalls bereits in verschiedenen Ausschüssen diskutiert. Diesen Antrag, werte Kolleginnen und Kollegen vom SSW, hattet ihr ja bereits im letzten Jahr gestellt. Auch für diese Forderung haben die Grünen Sympathien.
Ich erkenne allerdings an, dass es auch Gründe gibt, nicht dafür zu stimmen. Ich persönlich und meine Fraktion sehen das anders. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist, wohlgemerkt wie vieles, was ich hier vorgetragen habe, grüne Position und nicht zwingend die Haltung der Koalition. Es gibt immer wieder unterschiedliche Haltungen in Jamaika, keine Frage. Aber das macht diese Koalition aus und sorgt für inhaltlich intensiven Austausch und die Möglichkeit, auch in der Zukunft einen Wettstreit um die besten Ideen zu haben. In diesem Punkt ist eben noch viel Differenzierungspotenzial.
Gestatten Sie mir den Hinweis, meine Damen und Herren, dass der Grundlärmpegel nicht gerade niedrig ist. - Bitte, Herr Abgeordneter.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus der Bundestagswahl 2009 kann man in der Nachschau viele interessante Dinge lernen. FDP, Linkspartei und Grüne hatten jeweils die besten Ergebnisse in ihrer Parteigeschichte, die SPD erreichte genauso viele Prozentpunkte wie Linkspartei und Grüne zusammen. Mir persönlich ist ein Plakat der Linkspartei in Erinnerung geblieben: „Reichtum für alle“, ergänzt durch den Slogan „Reichtum höher besteuern“.
Und 2009 haben wir den ersten Wettbewerb verschiedener Parteien darum erlebt, wer den höchsten Mindestlohn fordert. Die SPD machte den Aufschlag und forderte 7,50 € die Stunde. Die Grünen zogen schnell gleich und forderten ebenfalls 7,50 € die Stunde. Die Linkspartei hat das Ganze mit 8,82 € übertrumpft.
Das sind natürlich viele tolle Forderungen. Dabei ist das Verfahren, wie die Höhe des Mindestlohns festgelegt wird, klug geregelt - und zwar übrigens von der Großen Koalition -, klug deshalb, weil die Höhe des Mindestlohns von einer Kommission festgelegt wird und nicht auf dem Basar der folgenlosen Versprechungen auf Kosten Dritter austariert wird. In dieser Kommission sind sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer vertreten, also genau die Parteien, um die es geht und die nachher die Ergebnisse tragen und auch ertragen müssen. Das entspricht dem bewährten Prinzip der Tarifautonomie. Das ist übrigens eine der wesentlichen Grundlagen des Wohlstands in unserem Land.
Nun konfrontiert uns der SSW mit seiner Forderung nach einem Mindestlohn von 13 € pro Zeitstunde. Er begründet das damit, dass Arbeitsminister Heil
ja 12,63 € gefordert habe. Um es deutlich zu sagen: Ich finde es bedenklich, wenn Politiker für den Effekt in unabhängige Gremien hineinregieren wollen, egal, ob es der SSW hier oder Herr Heil in Berlin ist.
Was mich einmal interessiert hätte: Sie fordern ja auch, dass die Ausnahmen nach § 22 Mindestlohngesetz für Jugendliche und Langzeitarbeitslose gestrichen werden. Leider begründen Sie diese Forderung nicht. In Bezug auf Jugendliche kann ich unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen, die wir alle besprochen haben, Ihre Theorie ja nachvollziehen. Das haben Kollege Knuth und ich selbst schon öfter von dieser Stelle aus gesagt. Aber warum denn Langzeitarbeitslose? Was wollen Sie denn damit erreichen?
Ist Ihnen denn gar nicht bewusst, dass einige Menschen nur so eine kleine Chance darauf haben, in den Arbeitsmarkt wieder eingegliedert zu werden und so an der Gesellschaft teilzuhaben?
Ich kann Ihrem Antrag aus nachvollziehbaren Gründen natürlich nicht zustimmen. Aber auch ich finde nicht alles richtig, was auf dem Arbeitsmarkt passiert. Ich möchte jetzt nicht in das generelle Bashing gegen das Aufstocken einstimmen, wie viele das tun. Es gibt nämlich Familiensituationen, in denen das zusätzliche Geld vom Amt richtig ausgegeben ist. Aber wenn ich höre, dass sich Geschäftsmodelle auf der ergänzenden Grundsicherung abstützen, dann muss ich sagen, das geht gar nicht. Wer ganztags arbeitet, muss auch ohne Stütze davon leben können.
Jetzt gibt es natürlich zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Die eine ist Lamentieren und Reglementieren, und der Antrag stammt erkennbar aus dieser Denkschule.
dass Sie zwei Sätze nacheinander formulieren, die sich wechselseitig ausschließen. Wenn Sie einerseits sagen, man müsse von seiner Arbeit leben können, zum anderen aber sagen, Langzeitarbeitslose sollten für einen Betrag arbeiten, der unterhalb dessen liege, dann passt das nicht zusammen. Wissen Sie, das Problem liegt darin: Man muss der Sache zustimmen, dass Arbeit es wert ist, dass man sie so bezahlt, dass man davon leben kann. Wenn man diese Grundprämisse nicht teilt, dann landet man bei solchen Sätzen, wie Sie sie nacheinander formuliert haben. Das ist das Problem.
- Ich glaube eher, man landet bei solchen Sätzen, wenn man sich tatsächlich mit dem Problem auseinandergesetzt hat. Das haben Sie erkennbar nicht getan; denn es gibt tatsächlich Menschen, die nicht in der Lage sind, einen Arbeitsplatz voll auszufüllen. Sie sind nicht genug qualifiziert oder auch aufgrund ihrer persönlichen Situation dazu nicht in der Lage. Die Ausnahmen im Mindestlohngesetz gelten explizit nur für solche Leute, die an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Sobald sie herangeführt sind, gelten diese Ausnahmeregelungen ja nicht mehr, und sie unterliegen voll den Mindestlohnregelungen.
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch zwei Fakten zumute. Erstens war die These damals, wenn man dafür sorgt, dass Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt kommen, muss man die Bedingungen für die Arbeitgeber günstiger machen; das ist eine Brücke in den Arbeitsmarkt. Was haben wir de facto erlebt? Reguläre Arbeit ist durch prekäre ersetzt worden. Das war eine Brücke aus dem Arbeitsmarkt heraus. Das ist das Problem.
Als Sie vorhin über den Wettbewerb zwischen den Parteien betreffend den Mindestlohn sprachen, haben Sie vergessen, die Position der FDP hinzuzufügen. Die lautete damals nämlich, wir sind gegen Mindestlohn, mit dem Argument übrigens, das würde tausende von Arbeitsplätzen vernichten. Das Gegenteil war richtig. Das heißt, die Fakten sprechen gegen Sie. Das ist der Punkt, das will ich hier noch einmal ausdrücklich sagen.
Also sagen Sie mir nicht, ich hätte mich nicht mit den Fakten auseinandergesetzt. Erkennbar sind Sie es gewesen, der sich nicht mit den Fakten auseinandergesetzt hat; denn das ist die Geschichte der letzten Jahre.