Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Start-ups sind ein wichtiger Zukunftsfaktor und können Innovationen und Digitalisierung weiter voranbringen. Ja, das ist richtig. Es ist auch richtig, den Gründergeist auf die politische und wirtschaftsbezogene Tagesordnung zu setzen. Was zu bedauern ist, ist, dass die Jamaika-Koalition diese Thematik anscheinend ausschließlich bei den Hochschulen im Land zu verorten weiß. Der vorliegende Antrag bezieht sich beinahe ausschließlich auf universitätsnahe Forderungen und Projekte. Das ist wirklich schade. Dabei ist der Gründergeist doch so viel mehr.
Jede oder jeder, die oder der ein Unternehmen gründet, ist nicht nur Firmengründerin oder Firmengründer, sondern kann sich im Prinzip als Start-up bezeichnen. Dazu muss man nicht unbedingt studiert haben. Dazu muss man auch nicht unbedingt im Co-Working-Space arbeiten oder ein Influencer sein. Gründer sind viel mehr als das.
Das kann der neue Friseur um die Ecke sein, der neue Pizzalieferant oder der neue Pflegedienst im Viertel. Selbst Zahnarztpraxen und landwirtschaftliche Betriebe können Start-ups sein. All diese Vielfalt ist bereits gelebte Realität.
Warum also nicht gleich allen eine Hilfestellung bieten? Diese Frage haben sich meine beiden Kollegen und ich uns auch schon bei ähnlichen Vorhaben der Koalition gestellt - wie etwa bei der Konzeption einer Meistergründungsprämie, welche gleich zu Anfang der neuen Legislaturperiode auf den Weg
gebracht wurde. Unser Ansinnen, auch Firmengründer abseits vom Meisterabschluss zu unterstützen, wurde leider abgelehnt. Da zeigt es sich wieder einmal: Die Jamaika-Koalition hat ein großes Herz für Gründer, immer wieder setzt sich die Koalition von CDU, Grünen und FDP für Firmengründer ein - bedauerlicherweise jedoch nur für ganz bestimmte.
All diejenigen, die keinen Meistertitel haben oder sich nicht in Universitätsnähe befinden, haben in Schleswig-Holstein anscheinend das Nachsehen. Dabei hat unser Land doch Potenzial für deutlich mehr. Mir fallen dabei vor allem die vielen Geflüchteten in unserem Land ein, die tatsächlich echte Vorreiter sind, was die Motivation und Umsetzung in Bezug auf Gründungen angeht.
Sie betreiben Marktrecherche, finden Verbündete und machen ihr eigenes Unternehmen auf. Einfach so. Und das meistens ohne Prämien und Starterkitchens und Entrepreneurship Education. Das ist doch wirklich bemerkenswert. Auch sie sollten die gleiche Unterstützung erfahren wie der Bäckermeister oder die Gründerin einer neuen App. So viel steht jetzt also schon einmal fest: Nicht alle potenziellen Unternehmensgründer werden von den regierungstragenden Fraktionen bedacht.
Abschließend möchte ich noch einmal zu dem kommen, was sehr wohl auch im Antrag steht. Es soll eine regelrechte Start-up-Kultur an den Hochschulstandorten entstehen. Das ist natürlich eine gute Sache.
Vielen Dank, werte Kollegin Waldinger-Thiering. - Nur ein kleiner Hinweis: Der vorliegende Antrag, über den wir heute sprechen, befasst sich überwiegend mit dem Hochschulteil. Ich kann aus unseren Achtpunkteplan nicht herauslesen, dass Geflüchtete, die sich beispielsweise an einer Universität befinden, hiervon nicht profitieren sollen. Es geht in diesem Antrag primär um diejenigen, die an Hochschulen gründen und ausgründen wollen. Es gibt natürlich noch andere Initiativen, die für Personen sind, die sich nicht an Hochschulen befinden.
Könnten Sie noch einmal ausführen, wo in diesem Plan steht, dass Geflüchtete an Hochschulen nicht davon profitieren können?
- Ich habe nicht über Geflüchtete an Hochschulen gesprochen, ich habe von Geflüchteten gesprochen, die etwas gründen konnten, ohne dass sie an einer Hochschule waren. Darum geht es in meiner Rede. Als hochschulpolitische Sprecherin meiner Fraktion habe ich immer gesagt, dass - damit rechnen wir; das müsste eigentlich so sein - jeder, der an einer Hochschule gewesen ist, hingeht und einen neuen Betrieb, ein neues Start-up gründet, um zusätzliche neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist mir sehr wohl bewusst. Ich hätte gern, dass auch dafür eine Gründerszene und Kapazitäten geschaffen werden.
Mir geht es aber genauso darum, dass der Geflüchtete, der nicht zur Universität oder Hochschule gegangen ist, auch eine Hilfe bekommt - genauso wie jemand, der keinen Meisterbrief hat, auch eine Hilfe bekommt.
Mir stellt sich jedoch die Frage, wie die Umsetzung in der Praxis vonstattengehen soll. An den Hochschulen sollen neue Gründungszonen eingerichtet werden. Frauen sollen vermehrt bei der Gründung unterstützt werden. Berufstätige sollen besser über die Möglichkeiten einer Firmengründung informiert werden. Ja, sehr gerne. Ich frage mich allerdings, wie die Landesregierung das bewerkstelligen will. Woher die Räumlichkeiten für die Gründungszonen nehmen? Welche Ansprechpartnerinnen sollen die Frauen erhalten? Wie genau will man Berufstätige in Zukunft erreichen? Woher kommt die Expertise, und wie soll sie finanziell und personell eingesetzt werden?
Ich bin sehr gespannt darauf, wie die konkrete Umsetzung aussehen soll und welche finanziellen Mittel Koalition und Landesregierung hierfür eingeplant haben. Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf die Beratung im zuständigen Ausschuss. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Landesregierung hat die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien, das Wort.
Ich freue mich, dass ich meine Rede halten darf. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte schon einmal begonnen, die Geschichte von Ugur Sahin zu erzählen,
der, als er vier Jahre alt war - und, na, Herr Habersaat? -, als Sohn eines Fabrikarbeiters aus der Türkei nach Deutschland kam, als Kind Fußball liebte, gerne Bücher las, und zwar aus der Kirchenbibliothek. Irgendwie ist in dieser Zeit sein Forschergeist geweckt worden. Seine spätere Ehefrau Özlem Türeci hat ihren Vater, einen Arzt, der in Niedersachsen in einem Krankenhaus arbeitete, häufig begleitet. Beide hatten, bevor sie sich kennenlernten, gemeinsam, dass sie anderen Menschen helfen wollten.
Als Wissenschaftler forschten und forschen bis heute beide an innovativen Krebstherapien. Darüber hinaus - das ist der Grund, aus dem ich das erzähle - waren sie von Anfang an der Auffassung, dass sie auch unternehmerisch tätig werden sollten. Sie haben eine Firma gegründet, um ihre Forschungsergebnisse zu einem Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Sie gründeten im Jahr 2001 ein erstes Unternehmen, GANYMED, das 2016 für 400 Millionen € an eine japanische Pharmafirma verkauft worden ist.
2008 gründeten sie BioNTech, spezialisiert auf individuelle Immuntherapien gegen Krebs. Wie wir alle wissen, begann das Unternehmen im Jahr 2020 von heute auf morgen, an der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus zu arbeiten. Die ganze Welt kennt spätestens seit Anfang letzter Woche diese Erfolgsgeschichte made in Germany. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie Gründergeist unsere Gesellschaft nach vorn bringt und wie dieser Gründergeist hilft, die großen Menschheitsherausforderungen zu lösen.
Die beiden zeigen uns, dass es darauf ankommt, schon in der Kindheit Fähigkeiten wie Kreativität, Selbstständigkeit, Innovationsgeist und Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Diese Eigenschaften sind bedeutend für die Gründung eines Start-ups, für die Forschung, aber auch für die Gestaltung einer nachhaltigen und demokratischen Gesellschaft.
Leben, eine Gesellschaftskultur. Es geht darum, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, sich aktiv einzusetzen, Verantwortung zu übernehmen, politisch wie unternehmerisch, sein Umfeld zu gestalten und Veränderungen als Inspiration und Chance zu begreifen. Aus dieser Haltung heraus können die unterschiedlichsten Initiativen entstehen: ehrenamtliches Engagement, ein politisches Mandat oder eben auch ein innovatives Start-up.
Beispiele sind genannt worden. Ich will noch einmal das Netzwerk StartUp SH e.V. nennen, das Zentrum für Entrepreneurship an der Universität Kiel, das Dr. Werner Jackstädt-Zentrum für Unternehmertum und Mittelstand Flensburg, den GründerCube - Frau Röttger hat darüber gesprochen und den BioMedTec Campus in Lübeck oder den Muthesius Transferpark an der Muthesius Kunsthochschule.
Erwähnen möchte ich auch die Akademie für Social Entrepreneurship an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, die kürzlich an den Start gegangen ist. Die Akademie steht nicht nur Studierenden offen, sondern allen Interessierten - das will ich ausdrücklich sagen, Frau Waldinger-Thiering -, die nachhaltige, gemeinwohlorientierte und sozialunternehmerische Projekte und Start-ups ins Leben rufen möchten. Der Initiator der Akademie, Professor Christoph Corves, erhielt jüngst den Ars legendiPreis für die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements von Studierenden.
Und auch ganz aktuell: die Eröffnung des neuen Gründungszentrums der FH Kiel am 26. Oktober 2020. Das Land fördert das Vorhaben mit insgesamt knapp 500.000 €. Damit kann die Hochschule künftig Gründungsteams einen Co-Working-Space, Büros und einen Laborbereich bieten.
Auch in Studium und Lehre ist das Thema Gründungen mit eigenen Lehrstühlen in Schleswig-Holstein fest verankert. Nicht zuletzt verfügen unsere Förderinstitutionen über langjährige Erfahrungen in der Gründungsberatung und -finanzierung und arbeiten eng mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammen.
Meine Damen und Herren, wir haben also eine gute Ausgangsbasis, um die Gründungskultur und den Unternehmergeist in Schleswig-Holstein noch weiter auszubauen. Wichtig ist mir dabei, dass wir nicht erst in den Hochschulen beginnen, den Gründergeist und diese Kultur zu fördern, sondern bereits in den Schulen ansetzen. Deshalb ist uns unser
Landeskonzept zu Entrepreneurship Education an Schulen so wichtig, und es ist auch wichtig, diese Aktivitäten mit denen an den Hochschulen zu verknüpfen. Deshalb begrüße ich den Antrag, der hier heute beraten wird, ausdrücklich.
Ein weiteres Element, Gründungskultur und Gründergeist zu fördern, ist die Hochschulgesetznovelle. Wir wollen mit dieser Novelle im Bereich des Wissens- und Technologietransfers auch die Rolle von sozialen und gesellschaftlichen Innovationen herausstellen, und wir wollen geeignete Rahmenbedingungen schaffen, um den Studierenden ein Gründungssemester zu ermöglichen und die Hochschulen in die Lage zu versetzen, mehr Räumlichkeiten oder Gründungszonen zu attraktiven Konditionen anbieten zu können.
Wir sind überzeugt, dass wir mit diesen Maßnahmen die Gründungskultur verbessern und mehr Menschen in Schleswig-Holstein dazu motivieren, ihre Träume zu verwirklichen und ihr Leben in die Hand zu nehmen. - Ich freue mich auf die Debatte dazu im Ausschuss.
(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, Dr. Frank Brodehl [fraktionslos] und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [frakti- onslos])
Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksacke 19/2509 dem Wirtschaftsausschuss und dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Der Wirtschaftsausschuss soll federführend sein?
Geldleistung gemäß § 10 i. V. m. § 6 Fraktionsgesetz an den Zusammenschluss der fraktionslosen AfD-Abgeordneten Nobis, Schaffer und Schnurrbusch