Protocol of the Session on October 30, 2020

Ich finde es schwierig, wenn wir gemeinsam Dinge tragen, die wir in schweren Kompromissen entschieden haben, die Bürger aufzufordern, gegen das zu klagen, was wir gemeinsam entschieden haben. Das ist kein Beitrag dazu, der Handlungsfähigkeit des Staates zu vertrauen.

Die Gewaltenteilung funktioniert ja, die Gerichte entscheiden ja. Wir sollten uns das aber nicht wünschen und schon gar nicht die Leute dazu auffordern, das zu tun. Ich verstehe, dass Rechtsanwälte Aufträge brauchen, aber das ist wirklich nicht das, was wir uns wünschen sollten.

Parallel zu unserer Sitzung hat gestern der Deutsche Bundestag beraten und über die Maßnahmen diskutiert. Die Haltung, die von einer rechtsradikalen Partei vertreten wurde, genauso wie eben von dem fraktionslosen Abgeordneten, ernsthaft zu meinen, dass wir mehr Tote in Kauf nehmen sollten, geht überhaupt nicht! Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Was wir hier miteinander machen, ist nicht, irgendwelche Wünsche zu erfüllen oder Dinge umzusetzen, die wir eh schon immer mal machen wollten, sondern wir versuchen, miteinander einen Weg aus der Krise zu finden. Der Gesundheitsschutz und das Leben von Menschen haben für uns auf jeden Fall die allererste Priorität bei allem, was wir miteinan

(Dr. Ralf Stegner)

der machen. Die Wirtschaft dient den Menschen und nicht umgekehrt.

Deswegen, finde ich, darf man sich durchaus den Artikel 1 des Grundgesetzes noch einmal ins Gedächtnis rufen, denn auch für die Haushaltsdebatte und alles, was wir in Verbindung damit beschließen, gilt Artikel 1:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Das gilt für alle Menschen in Deutschland, und sie haben es verdient, dass wir uns in der Weise dem auch nähern, wenn wir solche Beschlüsse fassen.

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Kay Richert [FDP])

Das ist der Grund - Herr Kollege Koch, Sie haben es erwähnt -, warum die SPD-Fraktion auch der Resolution zustimmen wird. Wir hatten angeregt, eine kleine Änderung einzubringen, die sich darauf bezieht, dass wir uns bei den Bürgerinnen und Bürgern einerseits dafür bedanken, dass sie sich bisher soweit vorbildlich verhalten haben, dass wir andererseits aber noch einmal Verständnis dafür erbitten, dass man sich an die schmerzliche Einschränkung hinsichtlich der privaten Kontakte auch hält. Diesen Punkt haben wir in der Resolution ergänzt. Ich denke, dass das wichtig und notwendig ist, das zu tun, auch wenn wir unterschiedliche Regelungen in den Ländern, was den privaten Bereich betrifft, haben. Das ist zwar auch nicht immer gut, aber so ist es nun mal. Ich denke, das ist ein wichtiges Signal, und deswegen stimmen wir dem zu.

Lassen Sie mich noch etwas Drittes sagen. Wir machen jetzt etwas, von dem wir hoffen, dass es hilft, dass wir Ende des Monats November die Infektionsdynamik gebrochen haben. Es kann aber auch sein, dass das noch nicht das Ende war und dass wir noch mehr Anstrengungen brauchen und dass wir uns noch einmal zusammensetzen müssen, um mit einer Zweidrittelmehrheit weitere Maßnahmen zu beschließen. Es kann sein. Das wünschen wir uns nicht, es kann aber passieren. Deswegen ist es auch da wichtig, dass wir uns die Konsensfähigkeit erhalten, dass wir da streiten, wo gestritten werden muss, dass wir versuchen, wo wir vorbildlich sein können, ein gutes Beispiel zu geben, dass wir nicht selbst das Vertrauen erschüttern bei dem, was wir selbst den Bürgerinnen und Bürgern abverlangen. Ich habe viel Kritik gehört, auch aus den Medien, die das kritisch kommentiert haben.

Daher möchte ich eines sagen: Glücklich ist ein Land, was in der Lage ist, mit solchen Mitteln dieser Krise entgegenzutreten. Das können viele ande

re Länder nicht. Wir sind da bedeutend besser dran als andere. Ich finde, unsere Generation - meine jedenfalls -, die Jahrzehnte Frieden und Wohlstand hat erleben dürfen, ist in einer deutlich besseren Lage als Menschen in anderen Teilen der Welt oder in anderen Teilen Europas oder auch andere Generationen vor uns. Wir sollten darüber nicht klagen, sondern sollten dafür dankbar sein, dass wir diese Gestaltungschance haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Zuallererst, Frau Heinold, möchte auch ich mich im Namen meiner Fraktionen sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrem Haus ganz herzlich bedanken. Ich denke, dass es für uns alle gut ist, dass wir eine Finanzministerin haben, die uns in dieser schwierigen Zeit sicher durchs Fahrwasser fährt, und das gelingt Ihnen, Frau Ministerin, immer sehr gut. Das haben wir bereits bei der HSH-Krise gemerkt, und das ist auch jetzt in der Coronakrise wieder ein Pfund. Vielen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben hier heute wirklich über unglaubliche Summen gesprochen, über Summen, die man sich im Grunde genommen wenig vorstellen kann. Was bedeuten 4,5 Milliarden € mehr Schulden? Der Bund schlägt vor, 10 Milliarden € für den Ausgleich der fehlenden Umsätze zu zahlen. Eventuell fehlt da auch eine Null. Expertinnen und Experten sind sich noch nicht so ganz einig, ob es wirklich 10 Milliarden sind.

Eigentlich können sich die meisten Menschen überhaupt nicht vorstellen, was 4,5 Milliarden € sind. Ich auf jeden Fall kann mir das für meinen Alltag schwer vorstellen. Für viele Menschen macht es schon einen Unterschied, ob sie 50 € oder 100 € mehr Gehalt im Monat haben. Da sind diese Zahlen sehr abstrakt. Ich hätte jetzt auch diese 4,5 Milliarden € in Butter umrechnen können, dann hätten wir hier einen Butterberg, der so groß wäre, dass man

(Dr. Ralf Stegner)

ihn sich kaum vorstellen kann und vorstellen möchte.

Deshalb sage ich: Diese 4,5 Milliarden € sind mehr als ein Drittel eines Landeshaushaltes. Das ist dann schon etwas, was man sich vorstellen kann. Das würde rein theoretisch bedeuten, dass, wenn wir das jetzt nicht als Kredit aufnehmen würden, wir alles für ein Drittel des Jahres, also für vier Monate, stilllegen müssten. Es gäbe dann keine Schulen, keine Polizei, keine Mitarbeiter in der Verwaltung, keine Sozialleistungen, wir würden Gebäude verrotten lassen und so weiter - vier Monate kompletter Stillstand. Das ist das, was wir jetzt sozusagen an Schulden aufnehmen. Das ist die Theorie. Praktisch ist das natürlich Quatsch.

Selbstverständlich ist die Schuldenaufnahme dennoch richtig und wichtig. Das haben auch fast alle meine Vorredner betont, und dem schließe ich mich an. Aber seien wir ehrlich: Das, was wir heute an Schulden beschließen, ist eine Vorfestlegung für zukünftige Generationen, und zwar nicht nur, weil sie das tilgen müssen, sondern auch, weil 50 Millionen € zum Beispiel 1.000 Polizisten und Polizistinnen, 700 Lehrerinnen und Lehrer oder zum Beispiel das Volumen des Haushalts dieses Hauses, der eingespart werden muss, bedeuten.

Aber das ist nicht das einzige. Das andere ist, dass wir, wenn eine weitere Krise kommt - Herr Petersdotter hatte es ja bereits angesprochen - sehenden Auges vor der Klimakrise stehen. Wir sehen, dass sie uns einholen wird. Dieser Meinung sind auf jeden Fall fast alle hier im Hause. Dann muss unter Umständen noch einmal geprüft werden, inwiefern noch einmal eine Kreditaufnahme erfolgen kann, um diese Problematik zu lösen. Wir legen schon sehr viel für die zukünftigen Generationen, für unsere Kinder und Enkelkinder fest.

Generationengerechtigkeit bedeutet aber nicht nur ein schuldenfreier Haushalt, sondern Generationengerechtigkeit bedeutet vor allem auch, dass wir den folgenden Generationen ein intaktes und lebenswertes Leben hinterlassen, ein Land mit intakten Schulen und Kitas, mit einer intakten Wirtschaft, Verwaltung, Infrastruktur und natürlich auch einer intakten Umwelt. Ohne all das hat unser Land keine Zukunft. Generationengerechtigkeit erreichen wir nur, wenn wir unsere Investitionstätigkeit auch nach der Krise aufrechterhalten und nicht das Gemeinwohl kaputtsparen. Generationengerechtigkeit schaffen wir auch nur dann, wenn wir in eine CO2freie Zukunft investieren, also in den Klimaschutz.

Frau Krämer, Generationengerechtigkeit ist nicht nur eine Frage von Investitionen, sondern auch von konsumtiven Ausgaben. Ich denke, wir sind uns relativ einig, dass Investitionen in die Bildung unserer Kinder, in die Kita und in die Schule natürlich eine Zukunftsinvestition sind. Denn was nützt es den Kindern, denen wir jetzt diese Schulden auflasten, wenn sie in ihrer Kindheit nicht den Grundstein für eine gute Bildung bekommen, um genug Innovationen für die Zukunft entwickeln zu können? Das ist aus meiner Sicht dringend eine Ausgabe, die man unter dem Investitionsbegriff fassen und tätigen muss, und nicht nur Dinge, die man anfassen kann.

(Beifall Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Abgeordnete von Kalben, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Krämer?

Werte Kollegin, ich glaube, Sie haben mich missverstanden. Auch ich fasse den Investitionsbegriff weiter. Ich habe die Priorisierung auf konsumtive Ausgaben in der Vergangenheit kritisiert. Ausgaben für Bildung sind für mich ganz klare Investitionen in Humankapital. Insofern liegen wir da gar nicht auseinander. Selbstverständlich ist alles, was in Bildung geht, eine Art von Investition, die auch in der Zukunft einen Mehrwert generiert. Insofern liegen wir hier nicht auseinander.

(Beifall FDP)

- Ich möchte darauf noch antworten, Frau Krämer. Selbstverständlich kann man das politisch so beurteilen. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen. Aber trotzdem: Ihre Partei möchte auch immer gern eine Investitionsquote. Wir sind uns darin einig, dass im Haushalt investive Maßnahmen, also nach den Titelgruppen beginnend mit der 8, im Gegensatz zu konsumtiven Ausgaben stehen. Bei den konsumtiven Ausgaben stehen zum Beispiel Personalkosten auch als Ausgaben. Wenn Sie sagen, dass wir die konsumtiven Ausgaben kritisiert haben, dann frage ich: Welche sind denn das? Das können Investitionen in die Polizei sein - da bin ich mir aber auch nicht so sicher, ob das wirklich etwas ist, was Sie kritisieren - und andere Dinge, zum Beispiel Zuschüsse, auch Sozialausgaben, die zum ganz großen Teil auch in den Bildungsbereich ge

(Eka von Kalben)

hen. Ein Kind, das zum Beispiel vom Jugendamt keinen Schutz bekommt, kann unter Umständen auch keine Bildung in Anspruch nehmen. Insofern: Ich finde diese Unterscheidung sehr problematisch, weil sie den Eindruck erweckt, dass es unnötige Ausgaben gibt, die für die Zukunft weniger wichtig sind als der Bau von Straßen, Brücken, Krankenhäusern.

Danke, Frau Abgeordnete. - Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Krämer?

Ja, selbstverständlich.

Dann sind wir nun doch ein wenig weiter auseinander, als ich gehofft hatte. Mir fiele schon ein großer Katalog an konsumtiven Aufgaben ein, die nicht unbedingt als Investitionen in die Zukunft zu sehen sind. Wenn wir die Coronakrise und das Bundesprogramm betrachten, dann bin ich bei Ihnen, dass sämtliche Sachen wie die Digitalisierung, Homeschooling - ich hoffe, dass wir das vermeiden können -, sollte es noch einmal erforderlich sein, gestärkt werden, damit wir das Desaster vom ersten Halbjahr nicht wieder erleben müssen.

Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Dieses zusätzlich gezahlte Kindergeld, auch die Umsatzsteuerreduktion, sind für mich eher konsumtive Ausgaben. Ich bin der Meinung, dass wir das Geld zielführender ausgeben können.

- Genau. Deshalb, Frau Krämer, glaube ich, dass die Diskussion, was Investitionen in die Zukunft sind und was nicht, eine sehr schwierige, von politischen Prioritäten löszulösende ist.

(Zuruf SPD)

Ich glaube zum Beispiel, dass Sie den Straßenbau als eine wichtigere Investition in die Zukunft empfinden als zum Beispiel meine Partei. Während wir zum Beispiel Klimamaßnahmen als sehr wichtige Investitionen in die Zukunft ansehen, sind diese vielleicht bei Ihnen weniger wichtig.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Deshalb ist das eine Debatte, die man anders führen sollte und nicht über den sogenannten Investitionsbegriff, sondern man muss eine Aussage treffen, was die politischen Ideen für die Zukunft sind, die man gehen will. Das war mein Anliegen und ist in

sofern sehr relevant, weil wir für die Schuldenaufnahmen sehr häufig auf Investitionen begrenzen. Das ist eine schwierige Debatte, solange die Frage „Was ist eine Investition in die Zukunft?“ nicht eindeutig geklärt ist.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, der vorliegende Haushalt, Frau Heinold, zeigt, dass Sie und Ihr Ministerium auch in Krisenzeiten einen Gestaltungshaushalt vorlegen. Wir können aus voller Überzeugung sagen: Mit diesem Haushalt sind wir auf dem richtigen Weg. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Ich stelle fest, dass weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Ich schließe die Beratung.

Bevor wir in den Abstimmungsprozess eintreten, möchte ich daran erinnern, dass sich der Ältestenrat verständigt hat, Tagesordnungspunkt 37, der gestern im Rahmen der Regierungserklärung debattiert wurde, heute im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte abzustimmen. Ich lasse daher zunächst abstimmen über Tagesordnungspunkt 37 „Für Schleswig-Holstein in der Krise halten wir zusammen“, Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/2492, sowie Alternativantrag des Abgeordneten Jörg Nobis und der Abgeordneten der AfD, Drucksache 19/2534.