Protocol of the Session on October 28, 2020

Der Einsatz von Wirtschaftsförderungen aus EUMitteln für faire Arbeitsbedingungen, Gleichstellung und Nachhaltigkeit leistet einen zentralen und essenziellen Beitrag für ein soziales Europa. CDU, FDP und leider auch die Grünen haben sich mit ihrem Beschluss von der Idee eines gemeinsamen sozialen Europas verabschiedet. Man muss es so sagen!

Die EU-Strukturfonds sollen nicht nur Strukturschwächen ausgleichen, sie sollen auch soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in den Regionen abbauen und den Zusammenhalt stärken. Dafür haben wir uns als SPD-Landtagsfraktion immer eingesetzt, und das werden wir auch in der Diskussion um die Ausrichtung der neuen EU-Förderperiode tun.

Ich würde mich freuen, wenn wir beide Anträge in den Europaausschuss überweisen. Ich beantrage die Überweisung dorthin. Dort können Sie Ihr Versprechen einlösen, einen offenen Dialog zu führen: mit den Kommunen, mit der Zivilgesellschaft, mit dem Landtag. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich das Wort.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: In der Sache! Hart- mut, in der Sache! - Martin Habersaat [SPD]: Da wird das von oben angesagt! - Weiterer Zuruf: Das ist gemein, dass Sie bei ihm sa- gen: „von oben!“ - Hans-Jörn Arp [CDU]: Wie sollte ich von oben kommen? - Martin Habersaat [SPD]: Wollte ich nicht so sagen!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schleswig-Holstein profitiert alljährlich in großem Umfang von unterschiedlichen Förderprogrammen

(Regina Poersch)

der Europäischen Union. In der auslaufenden Förderperiode 2013 bis 2020 waren dies insgesamt mehr als 800 Millionen €. In der landespolitischen Arbeit begegnen uns diese Förderprogramme in den verschiedenen Fachbereichen: EU-Mittel fließen insbesondere durch den Fonds der Gemeinsamen Agrarpolitik, GAP, bestehend aus Direktzahlungen und ELER-Mitteln et cetera, durch den Europäischen Regionalfonds EFRE, durch den Europäischen Sozialfonds ESF, den Fonds für Europäische Territoriale Zusammenarbeit ETZ inklusive INTERREG und durch den Europäischen Fischereifonds.

Seit Längerem laufen die Verhandlungen für einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen MFR von 2021 bis 2027 unter den widrigsten Rahmenbedingungen. Ich nenne die wichtigsten:

Das Vereinigte Königreich hat den Brexit wahr gemacht und ist aus der EU ausgeschieden. Dadurch fehlen uns von dem Nettozahler, der Großbritannien war, circa 12 Milliarden €. Alle Länder, insbesondere aber Italien und Spanien, leiden unter historischen Einbrüchen in der Wirtschaft und sind auf umfangreiche Hilfsprogramme angewiesen. Kaum ein EU-Mitgliedstaat ist bereit, den höheren Beitrag für die EU zu leisten. Die Aufgaben wachsen in vielen Bereichen, beispielsweise bei den Integrationsmaßnahmen, dem Klimaschutz, der Außengrenzsicherung und der Digitalisierung.

Die Mitgliedstaaten der EU haben ein in der Summe unvorstellbares Hilfspaket zur wirtschaftlichen Belebung von rund 750 Milliarden € verabschiedet. Auch die Mittel für die neue EU-Förderperiode werden auf circa 1,075 Billionen € erheblich erhöht.

Die bestehenden Fördertöpfe sollen grundsätzlich bleiben, aber es wird aus den genannten Gründen Verschiebungen geben. Auch die Förderkriterien werden in vielen Bereichen neu definiert. Entsprechende Vorstellungen der EU-Kommission liegen vor. Das EU-Parlament spielt hier bei der endgültigen Freigabe und Verwendung der Hilfsprogramme und des MFR eine wichtige Rolle. Ohne Zustimmung des Parlaments läuft nichts.

Deshalb arbeiten unsere Europaabgeordneten noch an Veränderungen, beispielsweise an einer besseren Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Handelns der Mitgliedsländer vor der Auszahlung von Fördergeldern. Die Verhandlungen laufen, mir ist aber auch bewusst, wie schwierig die Umsetzung da sein wird.

Wir wissen heute noch nicht, in welcher Höhe in welchem Programm Fördermittel zur Verfügung stehen. Es ist allerdings absehbar, dass sich zum einen erhebliche Veränderungen bei der Struktur der Vergabe der Agrarmittel abzeichnet. Die Länder werden weniger Einfluss haben, zudem werden insgesamt weniger Mittel zur Verfügung stehen.

Die SPD fordert in ihrem Antrag einen Ausgleich durch Landesmitteln für alle wegfallenden EU-Gelder.

(Birgit Herdejürgen [SPD]: Nein! - Weitere Zurufe SPD)

- Okay, das habe ich eben aus der Rede auch anders verstanden. Vielleicht verstehen Sie unseren Ansatz auch, denn wenn wir sagen: „grundsätzlich nicht“, gibt es auch Ausnahmen. Wenn wir von vornherein bereit sind zu sagen: „Wir übernehmen alle Zahlungen, die aus dem MFR herausfallen“, dann haben wir eine sehr schlechte Verhandlungsposition in Brüssel.

Wir wissen heute allerdings noch nicht, wie das weitergehen wird. Der MFR muss noch beschlossen werden. Das Parlament plant derzeit mit der Landesregierung einen Haushaltsplan, der alles bislang Dagewesene an Aufnahme von Schulden in den Schatten stellt, um die Folgen der Coronapandemie abzufedern. In dieser Situation ohne weitere Prüfungen einen Blankoscheck für weitere Schulden auszustellen, mag populär sein, ist aber unverantwortlich und mit uns als CDU nicht zu machen.

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])

Wichtig ist dagegen, dass wir überall dort, wo eine Kofinanzierung des Landes erforderlich ist, diese auch künftig sicherstellen, damit wir diese Förderprogramme weiter realisieren können. So lassen wir keine Fördermittel ungenutzt verfallen.

Die SPD fordert weiter, dass eine intensive Beteiligung im Rahmen der Planung der Vergabe von EUFördermitteln von Wirtschafts- und Sozialpartnern, Kommunen und Zivilgesellschaft erfolgen sollen. Dieses findet bereits heute statt. Dies ist oft auch ein eingespieltes und abgestimmtes Verfahren, weil die Zusammenarbeit mit Trägern von EU-geförderten Projekte für alle Beteiligten mehr als sinnvoll ist. Wo im Einzelnen noch Verbesserungen der Beteiligung möglich sind, kann man gern prüfen. Wir stehen dem offen gegenüber, wenn sie einen vernünftigen Mittelabfluss dienen. Dass der Landtag, zuvorderst der Europaausschuss, an der Neuausrichtung der neuen Förderperiode beteiligt wird und

(Hartmut Hamerich)

zudem regelmäßig über die Verwendung der Mittel informiert wird, ist für uns wie sicher für alle Fraktionen wichtig und selbstverständlich.

Vieles ist bei der Finanzplanung noch in der Schwebe und unsicher. Wir wollen im laufenden Verfahren das Beste für Schleswig-Holstein für eine nachhaltige, klimaschonende und die Wirtschaft stärkende Entwicklung des Landes erreichen. Dabei wollen wir auch eine verantwortungsvolle Politik der EU im Sinne unserer Grundwerte fortentwickeln.

Wir beantragen allerdings Abstimmung in der Sache, weil wir unseren Antrag für weiterführend und sinnvoll halten.

(Vereinzelter Beifall CDU, Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Oliver Kumbartzky [FDP])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Bei aller Kritik, die immer wieder aufkommt, sind Europa und die Europäische Union mehr als die Förderung und die Subventionen. Seit fast 70 Jahren ist sie Garantie für Frieden, Freiheit und gemeinsamer Entwicklung, offene Grenzen und eine Währung, Freizügigkeit zwischen den Ländern - all das ist inzwischen Selbstverständlichkeit. Eine ganze Generation kennt das nicht anders. Es geht um gemeinsame Werte, Rechtsetzung, Erasmus-Programm, das sehr viele junge Menschen in allen Berufs- und Ausbildungsgruppen geholfen hat, Europa kennenzulernen. Es geht auch darum, endlich die Flüchtlingsfrage zu klären und gemeinsame Regeln zu finden. Es geht um einen Wirtschaftsraum mit 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.

Europa ist auch mehr als die Fördersumme, die in die Regionen, Städte und Kommunen der EU fließt und deren Rahmen im siebenjährigen Finanzrahmen jedes Mal festgelegt wird. Da sind wir natürlich schon gespannt, was herauskommt. Die Entscheidungen werden bald gefällt werden müssen. Nach Schleswig-Holstein sind in der letzten Förderperiode circa 800 Millionen € an Mitteln der Regionalentwicklung geflossen, Geld, das für viele Projekte und viele Entwicklungen bei uns im Land unverzichtbar ist.

Neu bei der anstehenden Ausrichtung des mittelfristigen Finanzrahmens ist - das müssen wir uns auch nach der letzten Woche noch einmal vor Augen führen -: In der Vergangenheit waren unter anderem große Positionen wie der Agrarhaushalt - ein Drittel des Haushalts - nicht von den Zielen der aktuell amtierenden EU-Kommission unabhängig. Wir haben jetzt eine Kommission, die alle Fonds und politischen Aktivitäten - auch die Verwendung der Finanzmittel - für das Green-Deal-Konzept als europäische Wachstumsstrategie ausgerichtet haben will. Ja, um die neue Förderperiode und den MFR, den mittelfristigen Finanzrahmen der Europäischen Union, haben wir uns in den verschiedensten Gremien schon sehr viele Gedanken und Sorgen gemacht. Spätestens seitdem klar ist, dass der Brexit vor der Haustür steht, wird es noch schwieriger vorherzusagen, wo es genau hinlaufen wird. Sehr wahrscheinlich ist, dass erheblich weniger Mittel zur Verfügung stehen werden. Unklar ist nach wie vor, an welcher Stelle und bei welchen Förderbedingungen bei den neuen Fonds gespart wird.

Die Kollegen der SPD machen an dieser Stelle den Vorschlag, dass wir den sehr wichtigen Punkt im Koalitionsvertrag auflösen. Dort haben wir ja ganz klar gesagt, dass Mittel, die auf EU-Ebene wegfallen, nicht eins zu eins durch Landesmittel ersetzt werden können. Herr Hamerich hat vorhin schon sehr deutlich gesagt, warum so etwas einfach gar nicht anders als in der Deutlichkeit in einem Koalitionsvertrag stehen kann. Ich bitte trotz aller Dramatik, die die Kürzungen haben werden, nicht nahezulegen, dass all das wegrasiert wird, was an wichtigen und guten Projekten finanziert wird. Sie haben gerade aus dem Sozialfonds Beispiele genannt.

Dennoch ist es wie in der Vergangenheit selbstredend, dass wir uns trotz der offenen Fragen über die Verteilungsmodalitäten der zu erwartenden Fördergelder Gedanken machen, und die Prioritäten sind auch hier in Schleswig-Holstein klar: Wir haben bereits 2012 im Koalitionsvertrag gesagt: 40 % der Mittel für Energiewende und Klima. Die Prioritäten sind jenseits dessen klar: Klima, Umwelt, Wirtschaftsstrukturen, nachhaltige Nutzung der Ressourcen, Innovation, Forschung und - ganz oben an natürlich - Wettbewerbsfähigkeit. Zur Beteiligung der Wirtschafts- und Sozialpartner sowie der Kommunen schon ist einiges gesagt worden. Ähnliches gilt auch, was die Beteiligung des Parlaments in Schleswig-Holstein anbelangt, die Möglichkeit, über den Europabericht und andere Berichte der Landesregierung insbesondere in den Ausschüssen zu beraten und das Parlament zu beteiligen. Ich

(Hartmut Hamerich)

glaube, dass wir an dieser Stelle in Schleswig-Holstein ziemlich gut aufgestellt sind.

Die EU hat - zuletzt beschlossen vom Europäischen Rat - über den regulären mehrjährigen Finanzrahmen mit circa 1,07 Billionen € hinaus 750 Milliarden € für den Next-Generation-Fonds beschlossen, zu dem hoffentlich jetzt die Weichen gestellt werden. Die nächste Generation wird das abtragen, sie wird das bezahlen müssen. Die Hälfte davon ist als Zuschuss für besonders von Corona betroffene Länder gedacht.

Ich weise auf diesen Fonds noch einmal besonders hin, denn wir werden ziemlich genau schauen müssen, wohin die Mittel fließen und dass sie auch wirklich kohärent sind und es zusätzliche Maßnahmen mit dem Green Deal sind, dass damit nicht alte Haushaltslöcher in den nationalen Haushalten gestopft werden, dass damit keine Steuern gesenkt werden oder - wenn man nach Deutschland schaut -, dass man sehr genau schauen muss, dass nicht Altlasten wie bereits der eigentlich finanzierte Kohleausstieg darüber finanziert werden.

Wir als Landtag und die Landesregierung werden ziemlich genau darauf achten müssen, wo diese 750 Milliarden € in Deutschland verwendet werden und welche Möglichkeiten es dafür in SchleswigHolstein gibt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Stephan Holowaty.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das gemeinsame Europa ist ein Projekt für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Ja, es ist wahr, wir werden in der nächsten Förderperiode nicht damit rechnen können, dass uns wieder so viel Geld zur Verfügung steht wie in der vergangenen. Die Ursachen kennen Sie. Der Brexit steht obenan. Sie wissen, dass die Coronakrise erhebliche Anforderungen stellt. Das heißt auch, dass wir uns hier in Schleswig-Holstein sehr genau überlegen müssen, wofür wir das Geld einsetzen, wie wir das Geld einsetzen und wie wir mit der Situation umgehen.

Was wir in dieser Legislaturperiode erleben, ist mittlerweile der sechste Antrag der Sozialdemokraten zur Europapolitik mit im Grunde immer demselben Inhalt, der da lautet: Mehr Geld ausgeben.

(Zuruf FDP: Allerdings! - Zuruf SPD: Nein, mit diesem Antrag beteiligen wir uns!)

Dabei geht es bei den Sozialdemokraten keineswegs immer um dieselben Schwerpunkte. Es wäre ja okay, wenn man seine Agenda, seine Strategie hat, die man hier darstellt und sagt: Hierfür wollen wir mehr Geld ausgeben. - Dem ist aber leider nicht so.

Es ist sehr vieles drin, was gut gemeint ist, über das man sehr gut reden kann, aber es ist planlos. Es ist dann auch keine seriöse Politik mehr. Sie wollen sich immer wieder vom selben Kuchen bedienen und merken gar nicht, dass der Kuchen schon lange alle ist.

(Beifall FDP und CDU)

Man könnte sich jetzt natürlich überlegen, wie man den Kuchen größer macht, wie man die Wirtschaft so ankurbelt, dass wieder mehr verdient wird. Das ist aber irgendwie nicht so Ihr Ding. Stattdessen klappern Sie weiter mit dem Forderungsteller und wundern sich, dass es so nicht funktioniert.

Meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag Drucksache 19/152 fordern Sie mehr Geld für ein damals nicht konkretisiertes Investitionsprogramm, einen permanenten Jugendbeschäftigungsfonds und europäische Austausch- und Mobilitätsprogramme aufgrund von Fluchtursachen. Im Antrag 19/1368 waren es ausreichende Mittel für die Europäische Sozialunion. Ich gucke einmal in Richtung Sozialminister, der im Moment nicht da ist. Das sind Hunderte von Milliarden Euro - nur einmal am Rande.

(Birte Pauls [SPD]: Haben Sie eigene Vor- schläge?)

In der Drucksache 19/2052 waren es Klimaschutz, Minderheiten, Nordseekooperation, und weil es so schön ist, sollte es für die Ostseepolitik gleich noch etwas mitgeben. Europäisches Kurzarbeitergeld gab es übrigens auch noch obendrauf.

In Drucksache 19/2456 sind Sie wieder bei den Jugendlichen, bei dem übrigens ganz wichtigen Erasmus+-Programm, bei Austauschprogrammen und wieder beim ESF.