Protocol of the Session on September 25, 2020

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deshalb sage ich Ihnen das noch einmal: Wir können uns eine dem Menschen zugewandte Zuwanderungspolitik leisten, und es muss für uns eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir schutzbedürftigen und notleidenden Menschen tatsächlich helfen.

Da Sie das leider eh nicht verstehen - was Ihre Zwischenbemerkungen hier zeigen - und auch nicht begreifen wollen, komme ich hier zum Ende. Ich bin

(Jan Marcus Rossa)

froh, dass wir Ihre Große Anfrage erst einmal abgearbeitet haben. Wir werden uns mit Sicherheit erneut mit Ihnen auseinandersetzen müssen. Das ist aber kein Problem für Demokraten, umgekehrt vielleicht schon.

Bedauerlich ist nur, dass Sie Ihre fremdenfeindliche Neiddebatte jetzt noch verstärken werden, wo auch in Deutschland die Steuereinnahmen sinken, Sparprogramme aufgelegt und Notkredite aufgenommen werden müssen. Sie werden der Versuchung nicht widerstehen können - da bin ich mir sicher -, Ihre perfide Kampagne gegen die Verfolgten, gegen die Schutzsuchenden und gegen die Notleidenden in diesem Land fortzusetzen. Im Gegenteil, Sie werden weiterhin versuchen, Vorurteile zu befeuern und Ängste zu schüren. Ihre Botschaft wird lauten: Seht her, die Zugewanderten bedrohen unseren Wohlstand und nehmen uns Deutschen etwas weg.

Eine solche Behauptung ist völlig wahrheitswidrig, für Populisten aber noch nie ein Hinderungsgrund gewesen. Deswegen werden wir dem auch weiterhin entgegentreten. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Vorsitzende Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was, meine Herren von der AfD, wollen Sie mit dieser Anfrage suggerieren? Dass Geflüchtete den Staat am Anfang Geld kosten? Na, herzlichen Glückwunsch! Kinder kosten den Staat Geld. Straßen kosten den Staat Geld. Polizei, Bundeswehr und Lehrkräfte kosten den Staat Geld. Sozial schwache Menschen kosten den Staat Geld. Sogar die AfD-Fraktion kostet den Staat Geld. So ist das nun mal. Die große Frage, die sich an diese Große Anfrage unweigerlich anschließt, ist doch: Ist es das wert? Bei der AfD habe ich da mit dem Geld so meine Zweifel. Aber bei den Flüchtlingen, glaube ich, haben wir etwas Gutes hinbekommen.

Es ist eben so: Man bekommt immer auch ein bisschen die Antworten, nach denen man fragt. 67 Seiten Abfrage über den fiskalischen Nutzen der Zuwanderung gäben ein anderes Bild ab als die vorliegen 67 Seiten über die sogenannten fiskalischen Lasten. Das ist es auch, was das Auseinandersetzen mit Ihrer Fragestellung so anstrengend macht. Ihr Blick auf das Thema Migration und Flucht ist uns

klar. Da habe ich bei Ihren Fragen auch nicht mit einer großen Überraschung gerechnet. Aber die Art und Weise, wie Sie die Fragen stellen, ist einfach ermüdend. Zu oft müssen Sie korrigiert werden, zu oft müssen Ihre gruseligen Suggestivfragen geradegerückt werden. Deshalb möchte ich der Landesregierung ausdrücklich danken. Ich weiß nicht, es muss eine unmenschliche Leistung sein, nicht irgendwie völlig durchzudrehen, wenn man solche Fragen beantworten muss. Deswegen habe ich ganz großen Respekt davor, wie Sie das gemacht haben. Das ist wirklich hervorragend gelungen.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SPD)

Die AfD spricht - ich zitiere - von einem „Großteil Wirtschaftsflüchtlingen“ und muss dann dahin gehend korrigiert werden, dass die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, vielfältig sind, dass es Krieg und Terror sind, die Menschen dazu bringen, in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen. „Krieg, Vertreibung, Verfolgung, Hunger und Armut“, so steht es in der Antwort auf Ihre Frage.

Auf Seite 4 wird die Landesregierung noch deutlicher - ich zitiere -:

„Die Vorbemerkung der Fragesteller enthält Thesen, die die tatsächlichen Entwicklungen verzerren und zum Teil unrichtig wiedergeben.“

Also lügen tun Sie auch noch, wenn Sie fragen. Schämen würde ich mich an Ihrer Stelle, meine Herren!

Oder, da steigt etwas später die Frustration der Landesregierung dann doch verständlicherweise schon fast ins Unermessliche, als die AfD die Behauptung aufstellt, die finanziellen Gesamtlasten der Zuwanderungspolitik seien der Öffentlichkeit bisher nicht genannt worden. Die Landesregierung kommt nicht umhin zu erklären, wie sie in Kleinen Anfragen schon mehrfach versucht hat, der AfD begreiflich zu machen, dass bei einer Vielzahl von Titeln im Landeshaushalt Mittel für Maßnahmen veranschlagt sein können, die nicht ausschließlich Flüchtlingsbezug haben. Es steckt also keine Absicht dahinter, kein Vertuschen oder Verheimlichen. Eine Aufschlüsselung des Landeshaushaltes in dieser Form ist schlicht nicht möglich und vor allem auch nicht notwendig. Ob beispielsweise jemand als Deutscher oder als Mensch ohne deutschen Pass arbeitslos ist und Arbeitslosengeld bekommt, ist irgendwie völlig egal. Der Mensch ist arbeitslos und muss in Arbeit gebracht werden. Das ist das Entscheidende.

(Jan Marcus Rossa)

Für mich ist durch Ihre Anfrage wieder einmal wie so oft - deutlich geworden, wie anders Sie auf die Welt blicken als ich, besonders auch durch die nicht öffentliche Anlage 2, in der Sie akribisch aufgeschlüsselt haben wollen, wie sich die ausländische Bevölkerung Schleswig-Holsteins insgesamt zusammensetzt. Zighunderte, ach, tausende Seiten haben wir nun digital vorliegen, die man für wirklich gar nichts benutzen kann, außer man möchte in einem „wir“ und in einem „die anderen“ festhängen.

Da bleibt natürlich die Frage: Wie konstruieren sich diese Zuschreibungen eigentlich? Die mit Abstand größte Gruppe Ausländer im Grenzgebiet sind - wer hätte das gedacht? - dänische Staatsbürger. Wenn Sie jetzt auch daran etwas auszusetzen haben, wäre ich zumindest für einen kleinen Hinweis dankbar.

Wissen Sie, wenn wir auf die makroökonomischen Effekte von Zuwanderung schauen, dann geht die Diskussion mal ein bisschen in die eine und auch mal ein bisschen in die andere Richtung. Aber die Tendenz, dass sich Migration auf unsere Wirtschaft eher positiv auswirkt, ist doch mittlerweile wirklich unumstritten.

Deutschland ist, das stellt die Landesregierung in ihren Antworten ganz richtig fest, ein Einwanderungsland. Einwanderung nach Deutschland bedeutet für uns einen Wohlstandsgewinn. Der Ausgang dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, wie gut oder schlecht einer Gesellschaft Integration gelingt. Es ist von allergrößter Wichtigkeit, dass Geflüchtete, aber auch andere Menschen, die zu uns kommen, so schnell es geht aus den Sammelunterkünften herauskommen und in eigene Wohnungen ziehen können, Deutsch lernen, sich Arbeit suchen, ein soziales Umfeld aufbauen können.

Daher ist es zwingend erforderlich, dass auch Landesregierungen zusätzliche Mittel bereitstellen für Kitas und Schulen - auch für ausländische Mitbürger; es sind nicht nur deutsche Kinder -, für Sprachkurse, für Dolmetscherkosten, für pädagogische Kräfte oder gegebenenfalls auch für psychologische Betreuung. Trotzdem kommt die AfD zuverlässig bei den Haushaltberatungen angewackelt und möchte die Kosten für Integration streichen. Dieser Logikfehler schreit doch zum Himmel.

Auffallend ist ja auch, dass die AfD in ihren Fragen munter zwischen den Kategorien Flüchtling, Migrant oder auch generell irgendwie Ausländer hin und her hüpft. Aber zumindest die Zahlen für die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter hätten Ihnen vorgelegen. Es ist überraschenderweise doch schon

ein Jahr her, dass wir uns hier im Plenum über den Bericht zur Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Schleswig-Holstein ausgetauscht haben. Ich fand damals schon, dass das erfreuliche Zahlen waren, nämlich ein Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern um 49,9 % im Vergleich zum Vorjahr und auch bei den geringfügig Beschäftigten ein Anstieg um 14,4 %. Knapp 4.000 Geflüchtete in unserem Land waren zum damaligen Zeitpunkt in Integrationskursen, 1.769 explizit in Kursen mit berufsbezogener Sprachförderung.

Auch dieses Jahr lässt sich schon schlussfolgern, dass uns die Integration auf dem Arbeitsmarkt gut gelingt. So jedenfalls sieht es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. In den drei Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland haben schon über 43 % der Geflüchteten eine Beschäftigung gefunden. Fünf Jahre nach Ankunft - das ist jetzt unser Jahr - ist es laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schon fast jeder Zweite. Diese Geflüchteten, meine Damen und Herren, sind besser integriert, als es die Kolleginnen und Kollegen von der AfD je sein werden.

(Beifall SSW)

Wir wissen auch, woran das liegt: an der stärkeren Investition in Integrations- und Sprachkurse. Unsere Sicht als Minderheitenpartei ist da ganz eindeutig. Wir leben alle mit mehreren Sprachen und kulturellen Einflüssen, wie es übrigens - das vergessen einige - historisch gesehen auch üblich ist. Das ist der Normalfall, meine Damen und Herren. Mehrsprachigkeit ist normal. Verschiedene Kulturen in sich zu verspüren, ist völlig normal. Die Ausnahme ist, nur Deutsch zu sein. Einsprachigkeit ist ein Mythos. Diese Vorstellung haben wir noch dem Nachwirken der Nationalromantik und der Nationalbewegungen in Europa im 18. und 19. Jahrhundert zu verdanken, und da steckt die AfD offensichtlich heute noch fest. Die sind 200 Jahre zurück, meine Damen und Herren.

Die gesellschaftliche und in einigen Fällen auch individuelle Mehrsprachigkeit wird durch Migration wieder einen Aufschwung erleben. Was ist das alleine für unsere Sprachenkompetenz für ein Zugewinn? Es ist doch nicht schwer, sich vorzustellen, was das auch für einen Mehrwert für unsere Unternehmen bedeutet. Diese Menschen sind alle mehrsprachig und können perfekt Vermittlungsfunktionen in internationalen Geschäftsbeziehungen übernehmen. Sie bringen außerdem nicht nur Wissen über die Sprachen ihrer Herkunftsländer mit, sondern auch über Kultur, Bedarfe und Innovationen.

(Lars Harms)

Drolligerweise sagen wir in der Minderheitenpolitik, wenn es beispielsweise um die dänische Minderheit geht, immer: Wie toll, zwei Kulturen! Die können über die Grenze hinweg Brücken bauen. Ja, das kann ein Türke auch. Das kann auch ein Syrer, und das kann ein Belgier, und das kann auch ein Serbokroate. Die können das alle. Es ist doch klasse, dass wir das haben, dass die Leute extra zu uns kommen.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Sicherlich gibt es da noch einiges zu tun. Ich denke beispielsweise an die Anerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse oder auch die stärkere Einbindung geflüchteter Frauen. Aber ich habe keinerlei Zweifel daran, dass wir gesellschaftlich und wirtschaftlich sehr von den Menschen profitieren, die nach Deutschland gekommen sind.

Trotzdem hinterlassen diese Debatten für mich immer auch einen faden Beigeschmack; denn sie vermitteln irgendwie einen nüchternen, weil ökonomischen abwägenden Blick auf die Frage: Wem nützt Integration? Wem nützt die Gewährung eines Freiheitsrechtes? Wem nützt die Gewährung eines Asylrechts? Aber wir kommen nicht umhin, uns einmal auf diesen Gedanken einzulassen.

Immerhin, 2018 habe ich von einer Studie gelesen, in der der Verteilungsforscher Panu Poutvaara vom ifo Institut in München Daten über die Arbeitsmärkte von 20 Industrieländern analysiert hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in 19 von 20 Ländern die Einwanderung dazu führt, dass es der einheimischen Bevölkerung wirtschaftlich besser geht. Die wirtschaftlichen Gewinne waren sichtlich größer als die Kosten, die entstanden waren.

Der große Zugewinn, den unser Land tatsächlich von allen Menschen hat, die aus unterschiedlichen Gründen hierherkommen, lässt sich eigentlich kaum beziffern. Den wenigen Ausgaben in den Anfangsjahren, die wir gerade gehabt haben und die die AfD abgefragt hat, stehen immense Steuerzahlungen und ökonomische Gewinne in der Zukunft entgegen. Als ordentlicher Kaufmann sagt man dann: Das war eine gute Investition.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort hat die fraktionslose Abgeordnete Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst danke ich der Landesregierung für die Bearbeitung der Großen Anfrage und für deren Beantwortung.

Nun zur Sache. Ich kann nur dann Menschen in mein Haus einladen, wenn es bestellt ist. Erst vor zwei Tagen hat der Landtag einen Notkredit von bis zu 4,5 Milliarden € bewilligt.

(Tobias Koch [CDU]: Schon falsch! - Lars Harms [SSW]: Falsch! Haben wir noch nicht!)

Der Landesrechnungshof warnt und fordert Ausgabedisziplin. Trotzdem gibt es Forderungen hier im Hause, weiter Solidarität mit Migranten zu üben und noch mehr unserer Kultur fremde Menschen aufzunehmen.

(Lars Harms [SSW]: Sie sind hier kultur- fremd! - Weitere Zurufe)

Mit 5.400 offenen Asylverfahren sieht sich die Richterschaft im Lande an der Belastungsgrenze. Der Justiz fehlen insgesamt 200 Stellen. Nur jedes zweite Kind in Schleswig-Holstein besitzt den dringend erforderlichen Laptop. Es herrscht ein massiver Sanierungsrückstau an öffentlichen Gebäuden und an unseren Straßen. Corona wird mit geschätzten Fehleinnahmen von 3,6 Milliarden € für einen weiteren massiven Steuereinbruch sorgen. Im Landeshaushalt fehlen bereits jetzt 1,2 Milliarden €.

Die Große Anfrage hat es zutage gefördert: Die Zuwanderung ist mitnichten ein Gewinn oder gar eine Bereicherung für unser Land. Sie kommt den Staatshaushalt, aber auch die Kommunen teuer zu stehen, ganz zu schweigen von den sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Zuwanderung, die in Zukunft auf uns und unsere Kinder zukommen.

Es geht hier nicht darum, das Asylrecht auszuhöhlen. Asyl ist jedoch Schutz auf Zeit. Wie wäre es denn, wenn sich Schleswig-Holstein auf Bundesebene für Sanktionen gegen die Heimatländer der Wirtschaftsmigranten oder für Hilfe vor Ort für die Länder mit EU-Außengrenzen einsetzte?

Lassen Sie mich mit Erlaubnis der Präsidentin mit einem Zitat des FPÖ-Klubobmanns Kickl schließen: „Die einzige Solidarität, die für mich zählt …, ist jene mit der eigenen Bevölkerung“. - Vielen Dank.

(Lars Harms)

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist eine Kultur, die nicht zu uns passt! - Lars Harms [SSW]: Schlecht inte- griert!)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner.