Protocol of the Session on February 19, 2020

In der Koalition haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, Freiräume für neue Vorhaben und Ideen zu schaffen, und im Koalitionsvertrag finden wir diesen Passus ganz besonders deutlich beim Kapitel ländlicher Raum. Klar, Innovationen kommen häufig aus dem ländlichen Raum.

Die Experimentierklausel soll Möglichkeiten schaffen, künftig bei innovativen Vorhaben - der Minister hat das iPhone genannt -, aber auch im Bereich Energiewende, Digitalisierung, Siedlungsentwick

(Kirsten Eickhoff-Weber)

lung, Daseinsvorsorge, Mobilität und Klimaschutz räumlich und zeitlich oder zeitlich begrenzt von den Zielen der Raumordnung abweichen zu können.

Von den Zielen abzuweichen bedeutet, von festen, verbindlichen Vorgaben abzuweichen; es handelt sich also um ein ziemlich weitgehendes Instrument. Weil das aufgrund der Experimentierklausel erfolgt, schafft es keinen Präzedenzfall, auf dessen Basis andere diese Regelung sofort auch einfordern können.

Man wird immer wieder gefragt, was genau damit passieren soll. Klar, es ist ein Stück Kaffeesatzleserei, da konkrete Beispiele zu nennen. Mit Sicherheit wird es viel im Bereich der Erneuerbaren stattfinden, im Bereich des Einsatzes der erneuerbaren Energien im Land. Wir haben die Wirtschaftspotenziale hier oft genug diskutiert. Es wird mit Sicherheit im Bereich Mobilität etwas geben; es werden neue Ideen aufzugreifen sein, um in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Gewerbe wieder zusammenrücken zu können.

Um ein kleines Beispiel zu nennen: Wenn die TinyHouse-Community Schwierigkeiten hat, Boden zu finden, wird man gucken müssen, ob hier ein Experiment - räumlich, zeitlich begrenzt - möglich sein kann.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Oliver Kumbartzky [FDP])

Das Ganze funktioniert über den Abschluss eines raumordnerischen Vertrags zwischen der Landesplanungsbehörde und den kommunalen Trägern. Um den Experimenten einen sinnvollen, konstruktiven Rahmen zu geben, damit es keine Entscheidungen nach Gutsherrenart oder - um zu gendern Gutsfrauenart gibt, war uns Grünen ganz besonders wichtig, dass wir zeitnah eine fachliche Evaluierung vornehmen, um dann zu fragen: Können wir es in die gesamte Raumplanung übertragen, oder bleibt es ein zeitlich und räumlich begrenztes Instrument?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Interkommunale Maßnahmen - Sie wissen es - werden in der neuen Landesplanung besonders hochgehangen. Der Landesentwicklungsplan hat sich insgesamt zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden zu stärken. Um es ganz klar zu sagen: Es ist selbstverständlich, dass die ÅrhusKonvention, Umwelt- und Naturschutzrecht, Baurecht, Immissionsrecht eingehalten werden. Aber wir haben hier ein Instrument, um Dinge zügig anzugehen und nicht Jahrzehnte verstaubt auf einem

Plan herumzugurken und Initiativen nicht aufzugreifen, die von Bürgerinnen, Bürgern oder der Wirtschaft kommen.

Ein letztes Wort: Flexibilisierung der Beteiligungsfristen. Natürlich wird diese Frage häufig diskutiert. Gerade in Zeiten der Digitalisierung und der digitalen Möglichkeiten ist es gut und richtig, was wir hier aufgeschrieben haben. Wir werden es im Ausschuss ja noch beraten. Es gibt in der Landesplanung immer wieder Tatbestände, die zügig rechtssicher gemacht werden müssen und bei denen es klug ist, weil sie begrenzt sind, auch vom Inhalt her, die Beteiligungsfrist bis zu einem Monat herunterzufahren. Daher glaube ich, dass klug und richtig ist, was wir hier eingebracht haben. Ich bin auf die Beratung im Ausschuss gespannt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Oliver Kumbartzky das Wort.

Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Normsetzung ist oft eine langwierige Angelegenheit, die Landesplanung ist es gleich zweifach, denn bereits die Aufstellung des Landesentwicklungsplanes ist ein Kraftakt, der enorme personelle und zeitliche Ressourcen verschlingt. Ist der Plan einmal fertig und rechtskräftig, wird er die gesamte untergeordnete Planung über Jahre beeinflussen.

Aus liberaler Sicht ist das natürlich ein zweischneidiges Schwert, denn Pläne können Innovation und Fortschrift nicht nur fördern, sondern unter Umständen auch behindern. Das passiert nicht mit böser Absicht, sondern ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass bestimmte Entwicklungen nicht vorherzusehen sind, auf die wir uns deswegen nicht vorbereiten können. Ich denke da an den rasanten technischen Fortschritt, aber auch an andere Entwicklungen. Die Wohnungssituation war vor zehn Jahren oder 15 Jahren noch eine ganz andere. Auch die Prognosen waren übrigens ganz anders, als es sich dann tatsächlich entwickelt hat.

Natürlich ist ein Plan von den Erkenntnissen und Vorstellungen seiner jeweiligen Zeit geprägt. Deswegen braucht es Raum für Flexibilität und Innovation, weil wir mit einem Landesentwicklungsplan

(Bernd Voß)

nicht alles vorhersehen können, Frau Eickhoff-Weber.

(Beifall FDP und CDU)

Die Zukunft kann man nicht voraussehen, sondern möglich machen - ich finde, es gibt kein treffenderes Motto für eine Landesplanung als dieses, frei nach dem Motto des Autors Antoine de Saint-Exupéry: Eine Landesplanung muss der Zukunft Raum geben. Es muss möglich sein, von Entwicklungen und Neuerungen überrascht zu werden, die wir heute noch nicht für nötig halten. Wir brauchen daher entsprechende Instrumente, Neues ausprobieren zu können. Die jetzt im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehene Experimentierklausel ist ein solches Instrument. Sie schafft Raum für neues Denken und ist daher zweifelsohne das Herzstück der hier vorgelegten Novelle. Sie wird von uns außerordentlich begrüßt.

(Beifall FDP und CDU)

- Danke. - Auch die weiteren Vorschläge der Landesregierung scheinen sehr sinnvoll. Dass dasjenige Mitglied der Landesregierung, das für die Landesplanung verantwortlich ist, den Vorsitz des Landesplanungsrates innehat, ist doch logisch. Nun sagen Sie, wir hätten den Ministerpräsidenten beiseitegeschoben. Es ist keine Neuigkeit, dass die Landesplanung im Geschäftsbereich des Innenministeriums liegt. Das war von 2009 bis 2012 unter Innenminister Klaus Schlie genauso.

(Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Ja, das war immer so! Trotzdem hat es dringestanden, darum geht es doch!)

- Frau Eickhoff-Weber, deswegen ist diese Änderung genau richtig, genauso wie die Änderung sehr pragmatisch und einleuchtend ist, dass wir das Internet für die Bekanntmachung der Pläne verstärkt nutzen wollen.

Die Flexibilisierung der Beteiligungsfristen ist ebenfalls sehr sinnvoll und notwendig, weil es nichts nützt, über überlange Verfahrensdauern in Deutschland nur zu jammern, wie es die neue Spitze der SPD tut. Man muss auch etwas dagegen tun und dafür sorgen, dass man Planungen verkürzt und verschlankt. Frei nach Daniel Günther sage ich einmal: Jamaika packt genau dieses Thema jetzt an, während andere das Wort Planungsbeschleunigung gerade erst lernen.

(Beifall FDP und Katja Rathje-Hoffmann [CDU])

Meine Damen und Herren, wir werden im Ausschuss genug Zeit haben, die einzelnen Regelungen näher zu diskutieren und zu beleuchten. Darauf freue ich mich. Lassen Sie uns dabei auch darüber im Gespräch bleiben, wie man noch mehr Freiräume nutzbar machen kann, um das Potenzial unseres schönen Landes noch besser auszuschöpfen. Machen wir die Zukunft gemeinsam möglich mit einem modernen und flexiblen Landesplanungsgesetz. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Landesplanungsgesetzes will die Landesregierung im Raumordnungsrecht die Möglichkeit stärken, flexible Anpassungen vorzunehmen, insbesondere durch eine Neuregelung zur Erprobung von Entwicklungsmaßnahmen im neuen § 13 a. Schon jetzt enthält das Landesplanungsgesetz in § 13 a eine aus dem Raumordnungsgesetz des Bundes abgeleitete Regelung zu sogenannten Zielabweichungsverfahren. Ein solches Verfahren bietet auch heute schon die Möglichkeit, nach dem Erlass eines Raumordnungsplanes von Zielen der Raumordnung abzuweichen. Deren grundsätzliche Zielfestsetzungen und normative Bindungswirkung soll dabei nicht infrage gestellt werden. Beim Zielabweichungsverfahren handelt es sich deshalb nicht um ein eigenständiges Planungsverfahren. Vielmehr ist es auf konkrete Sachverhalte bezogen und soll in Konfliktfällen eine Abweichung von Planungszielen ermöglichen.

Nun ist im neuen § 13 a des Entwurfes von der Erprobung von Entwicklungsmaßnahmen die Rede. Es geht der Landesregierung hier offenbar um etwas ganz Neues. Das Landesplanungsgesetz soll für die von ihr als neue Megatrends ausgerufenen Ziele geöffnet werden. Die Abkehr von der bisherigen Gesetzessystematik wird auch daraus ersichtlich, dass die Erprobung der neuen Entwicklungsmaßnahmen im Rahmen eines raumordnerischen Vertrages erfolgt. Ein solcher Vertrag kann eine Abweichungsvereinbarung nicht nur vorbereiten, sondern diese nach dem vorliegenden Entwurf sogar ersetzen. Von einer bloßen Ergänzung oder Konkretisierung der bisherigen Regelung zur Zielabweichung,

(Oliver Kumbartzky)

wie es eben geheißen hat, kann daher keine Rede sein.

Auch die inhaltliche Begründung für diese geplante Neuausrichtung des Landesplanungsrechtes überzeugt uns nicht. Von globalen und regionalen Trends ist in der Begründung die Rede. Hier wird alles hineingepackt, was in aktuellen politischen Debatten eine Rolle spielt. Sicher, der demografische Wandel, der Wandel von Stadt und Land und der Wandel der Arbeitswelt sind Herausforderungen, denen sich die Landesplanung immer wieder neu zu stellen hat. Andere in der Begründung formulierte Trends wie zum Beispiel Internationalisierung, Innovation und Wertewandel fallen dagegen sehr vage und allgemein aus. Die inhaltliche Substanz der hier angeführten sogenannten Trends ist sehr unterschiedlich. Da reicht es nicht, wenn diese Begriffe zu Megatrends deklariert werden.

Statt der zunächst beabsichtigten Konkretisierung und Ergänzung bisheriger Regelungen heißt es in der Begründung jetzt, dass es der Landesregierung nicht mehr um Modellvorhaben, sondern auch um Experimente gehe. Sie kündigt Entwicklungen an, die derzeit noch nicht gedacht oder für möglich gehalten werden. Das klingt spannend, aber auch sehr ungenau. Wir halten dies im Moment für einen sehr problematischen Ansatz. Was bedeutet es denn, wenn es heißt, die planerische Grundstruktur dürfe nicht erheblich beeinträchtigt werden? Wo liegt hier die Grenze? Was ist „erheblich“? Ist es nicht sogar das Ziel dieses Gesetzentwurfes, landesplanerische Grenzen auszutesten? - Dafür ist das rechtliche Instrument einer Zielabweichung, wie sie bisher besteht, allerdings nicht geschaffen worden.

Wir meinen daher, der vorliegende Gesetzentwurf zielt über das hinaus, was zur Ergänzung oder Konkretisierung von landesplanerischen Zielabweichungsverfahren notwendig und zulässig ist. Das Landesplanungsrecht als Experimentierfeld für noch nicht gedachte oder für möglich gehaltene Entwicklungen sehen wir im Moment noch sehr skeptisch. Hier sind grundsätzliche Bedenken angebracht, die wir in den Ausschussberatungen auch zur Sprache bringen werden. Wir sind gespannt, wie uns der Herr Minister diese Fragen beantworten wird. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entgegen der Problemschilderung der Landesregierung auf den ersten Seiten des Gesetzentwurfes beeinflussen bereits jetzt globale Trends unser Land. Dazu gehören vor allem die Digitalisierung und der demografische Wandel, die die Politik vor große Herausforderungen stellen. Wir sind als Landtag angehalten, dafür zu sorgen, dass das Land nicht den Anschluss verliert. Das bedeutet, dass wir einerseits für Rahmenbedingungen sorgen müssen, die flexibel genug sind, um mit den Veränderungen Schritt halten zu können, und andererseits dürfen wir gute Standards nicht einfach so preisgeben nur, weil globale Player das so wollen. Das Motto lautet also: Das Gute bewahren und sich für das Neue öffnen.

Aus diesem Grund ist die Experimentierklausel des Planungsrechtes ausdrücklich zu begrüßen. Wenn Kommunen in der Kooperation neue Wege einschlagen wollen, sollte die Landespolitik dies ausdrücklich unterstützen.

(Beifall Claus Christian Claussen [CDU])

Demokratische Barrieren und Bedenken von oben verbieten sich geradezu. Die Kommunen wollen und sollen nicht gegängelt werden.

Die wissenschaftliche Unterstützung, die die Landesregierung im Rahmen eines Evaluationsverfahrens anbietet, würde ich mir auch für andere Bereiche wünschen. Kommunen probieren etwas aus, lassen die Wirksamkeit untersuchen und können dann Wissen an andere Kommunen weitergeben. Nicht das Rad ständig neu erfinden zu müssen, ist bereits eine erhebliche Erleichterung.

Denkmalschutzrecht, Naturschutz und Baurecht sind ausdrücklich von diesen Experimentierklauseln ausgenommen. Damit soll offenbar verhindert werden, dass die Raumordnungsziele hinterrücks aufgeweicht werden.

Gerade diese explizite Ausführung macht misstrauisch. Während die Ziele der Raumordnung, die schließlich erst nach sorgfältigen Erwägungen und unter Beteiligung der kommunalen Akteure zustande kommen, durchaus infrage gestellt werden können, soll das bei anderen rechtlichen Bereichen nicht der Fall sein. Vom Grundsatz her können wir zwar erst einmal damit leben, aber eigentlich sollten wir abwarten, wie sich das neue Instrument entwickelt. Von rechtlichen Vorschriften und Standards kann man glücklicherweise im Denkmalschutz- und Naturschutzrecht ohnehin nicht abweichen. Aber

(Volker Schnurrbusch)

wenn es um Kompromisse bei der Umsetzung geht, sollte schon etwas Flexibilität gelten. Wenn also die Experimentierklausel gut wirkt, sollte man auch versuchen, diese auf die bisher nicht berücksichtigten Bereiche auszuweiten.

Ich möchte aber noch auf einen zweiten Punkt eingehen: die Zugänglichkeit von Planungspapieren für die Bürgerinnen und Bürger. Ausdrücklich ist die Zugänglichkeit der Unterlagen im Internet zu begrüßen. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht mehr auf Öffnungszeiten der Ämter angewiesen und können die Unterlagen elektronisch nach bestimmten Worten durchsuchen. Sie müssen nicht mehr ins Rathaus oder ins Amt, sondern haben bequem von zu Hause aus einen Zugang. Diese Modernisierung der Bürgerbeteiligung ist gerade im Planungsgeschehen ein echter Fortschritt.

Einschränkungen gibt es natürlich auch: Umfangreiche Planungsunterlagen und ein schlechter Internetzugang passen nicht zusammen. Wer Zeile für Zeile auf den Aufbau einer Internetseite warten muss, kann diesen neuen Service gar nicht nutzen. Hier zeigt sich einmal mehr: Eine gut ausgebaute Internetinfrastruktur ist das Nadelöhr der Modernisierung unseres Landes. Ohne leistungsfähiges Internet bleiben bestimmte Orte und Regionen von der modernen Bürgerbeteiligung abgeschnitten. Darum bleibt - bisher jedenfalls - die Auslegung der Unterlage in Papierform absolut nötig.