Protocol of the Session on January 24, 2020

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 19/1950 (neu) einstimmig angenommen.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Ministerpräsident Daniel Günther)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Expertenanhörung zum Thema „Mobbing und Gewalt an Schulen“

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/1936

Gewalt- und Mobbingprävention an Schulen weiter stärken

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1953 (neu)

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne somit die Aussprache. Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Gewalt und Mobbing an den Schulen nehmen zu. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall AfD)

Wir müssen uns also fragen: Wo liegen die Ursachen? Wie gehen die Lehrkräfte damit um? Und vor allem: Verfügen die Schulen über ausreichende Ressourcen, um auf ihre Situation abgestimmte Hilfsangebote zu entwickeln? Um diese Fragen genauer als bisher beantworten zu können, beantragen wir eine Expertenanhörung zum Thema Mobbing und Gewalt an Schulen.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Hierbei, meine Damen und Herren, darf es nicht nur um Gewalt unter Schülern gehen, sondern leider auch um Gewalt gegenüber Lehrkräften. Dass diese in den letzten Jahren zugenommen hat, das belegen die Statistiken: Bundesweit stieg etwa die Zahl der Straftaten gegenüber Lehrkräften von rund 1.700 im Jahr 2014 auf 2.255 im Jahr 2018. An jeder fünften Schule kommt es zu Cybermobbing, an jeder vierten Schule zu körperlichen Angriffen und an jeder zweiten Schule zu psychischer Gewalt.

Auch wir in Schleswig-Holstein bleiben von all dem nicht ganz verschont. An die Schlagzeilen in der Presse über Gewalt selbst an Grundschulen im Herbst vergangenen Jahres möchten wir uns alle nicht gewöhnen. Dabei blieben in der Presse gleich zwei Aspekte völlig ausgeklammert, nämlich erstens, dass es den allermeisten Schulen sehr wohl

gelingt, Mobbing und Gewalt erfolgreich zu verhindern, und zweitens blieben in der Berichterstattung all die Formen von Gewalt unerwähnt, die nicht so recht schlagzeilenträchtig sind, also Drohungen, Erpressungen, Ausgrenzungen, Cybermobbing und auch das Fehlen jeglichen Respekts gegenüber Mitschülern oder Lehrkräften. Es gilt also: nichts alarmierend hochspielen aber gleichzeitig auch nicht die Augen vor der negativen Entwicklung verschließen.

In Schleswig-Holstein werden Gewalttaten seit 2018 in der Datenbank Gewaltmonitoring an Schulen, GEMON, erfasst. Die ersten Ergebnisse werfen mehr Fragen auf als sie beantworten: Von den fast 600 Fällen waren rund die Hälfte Körperverletzungen, über 80 % der - in Anführungszeichen - Täter sind Jungen. Manche Schulformen sind deutlich stärker betroffen als andere. Die regionale Verteilung ist sehr unterschiedlich.

Dabei - das ist wichtig zu wissen - wurden in der Datenbank nur solche Fälle erfasst, die zur Folge hatten, dass der Täter der Schule oder der Klasse verwiesen worden ist, und zwar nach § 25 Schulgesetz. So schnell, meine Damen und Herren, passiert genau das nicht. GEMON erfasst also, abgesehen von Straftaten, die ohnehin polizeilich erfasst werden, nur die Spitze eines Eisberges. Diese Ergebnisse, die also nur einen Sektor von Mobbing und Gewalt an Schulen abbilden, will das Ministerium nun gemeinsam mit den Schulleitungen auswerten.

Hier sagen wir: Das reicht nicht. Die Daten liegen auf dem Tisch. Wenn wir wirklich Veränderung wollen, müssen wir endlich die Hintergründe und die Ursachen von Gewalt aufdecken.

Nur wenn wir darum wissen, dann können wir auch passgenaue Präventions- und Interventionsmaßnahmen entwickeln. Die Grundlage hierfür sollte im Austausch mit Experten unterschiedlichster Disziplinen erfolgen. Dafür schlagen wir eine Anhörung vor, dafür müssen wir uns jetzt Zeit nehmen.

Meine Damen und Herren, das heißt nicht, dass die GEMON-Erhebungen überflüssig wären, im Gegenteil, die Daten sind grundlegend. Das heißt auch nicht, dass nicht bereits heute schon gute Lehrerfortbildungsangebote bestehen. Das heißt erst recht nicht, dass nicht auch heute schon an vielen Schulen wirklich gute Präventionsarbeit von Lehrern und Schülern geleistet wird. Beides, die erschreckenden Ergebnisse von GEMON und die heute bestehenden Anti-Gewalt-Strategien, sollten auf Expertenebene analysiert werden.

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

Jamaika sieht das offenbar anders. Sie wollen - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis aus Ihrem Alternativantrag -, dass geprüft werden soll, „inwieweit eine wissenschaftliche Begleitung der statistischen Auswertung erfolgen“ müsse.

Ich sage Ihnen: Wir brauchen keine Prüfung. Wer hier und heute allen Ernstes sagt, dass wir prüfen sollten, dem sage ich: Gehen Sie einmal eine Woche in die Schule, erleben Sie einmal live mit, wie es ist, wenn sich ein Schüler drohend vor einer Lehrkraft aufstellt! Dann sagen Sie nicht mehr, wir sollten prüfen, sondern dann möchten Sie Taten haben. Dann erkennen Sie, wie komplex und differenziert dieses Thema zu behandeln ist. Einen Alternativantrag nach dem Motto „weiter so, wir prüfen“ hätten Sie sich sparen können. Dann stellen Sie in Zukunft besser gar keinen Antrag.

Meine Damen und Herren, die meisten Schüler auch Sie dort oben, hoffe ich - erleben ihre Schule als gewaltfreien und sicheren Ort. Genau das sollte für alle Schulen gelten. Deshalb sollte sich niemand der Tatsache verschließen, dass sich das Problem verschärft hat. Es gilt, Lehrer und Schüler in dieser Situation nicht alleinzulassen. Es gilt, rechtzeitig Experten aufzusuchen.

Stimmen Sie unserem Antrag für eine Expertenanhörung im Bildungsausschuss zu, und lassen Sie uns Schülern, Eltern und Lehrern ein Zeichen der Wertschätzung, ein Zeichen des Respekts geben: Die Politik nimmt die Situation ernst. Mobbing und Gewalt an schleswig-holsteinischen Schulen werden wir nicht akzeptieren. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von der Heide das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt und Mobbing in der Schule sind ein wichtiges Thema, dem wir uns intensiv widmen müssen. Das ist im Grunde auch ein Teil der Diskussion, die wir heute führen. Gewalterfahrungen können sich auf dem Lebensweg unserer Kinder erheblich auswirken. Das dürfen wir nicht verharmlosen.

Der Bericht über Gewalt an Schulen und die ersten Erfahrungen mit der Datenbank Gewaltmonitoring an Schulen zeigen den Umfang der Herausforderun

gen. Im Schuljahr 2018/19 gab es in der Datenbank 585 gültige Meldungen von insgesamt 149 von 795 Schulen; wir haben also an 150 Schulen das Problem. Das entspricht im Durchschnitt rund vier Einträgen je meldender Schule. Dabei fällt auf, dass die Verteilung sehr unterschiedlich ist: Vier Schulen haben jeweils über 20 Fälle gemeldet, 117 Schulen melden jeweils weniger als fünf Fälle. Bei diesem Thema muss man genau hingucken. Es gibt Schulen, die besonders betroffen sind, andere nicht.

Herr Brodehl, Sie haben eingangs gesagt, es gebe mehr Gewalt an Schulen. Sie suggerieren hier mit Ihrer Rede und Ihrem Antrag, dass das so sei. Da sage ich Ihnen sehr deutlich und bestimmt: Das stimmt nicht.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Dr. Brodehl?

Damit kann ich mir vielleicht Redezeit erschleichen, mal sehen.

Das ist nicht der Sinn einer Bemerkung. Dann würde ich Ihnen nicht das Wort dazu erteilen. Aber ich glaube, das haben Sie nicht ernst gemeint. - Herr Dr. Brodehl!

Selbstverständlich nicht, Herr Landtagspräsident.

Vielen Dank. Man kann natürlich viel darüber diskutieren, ob Gewalt nur gefühlt zugenommen hat und wir sensibler geworden sind. Genau deswegen brauchen wir eine Anhörung, um das herauszufinden.

Um den Ball einmal zurückzuspielen: Kriegen Sie nicht die Befragungen des VBE-Pädagogenverbands mit, bekommen Sie nicht die Befragungen des Bundeskriminalamts mit? Ich rede nicht von Hänseleien, sondern davon, dass sich das, was sich in der Gesellschaft leider abbildet, nämlich dass Gewalt und Respektlosigkeit zunehmen, natürlich auch in den Schulen zeigt. Das können Sie doch nicht in Abrede stellen oder so abtun,

(Dr. Frank Brodehl)

dass ich suggerierte, dass es mehr geworden sei, in Wirklichkeit sei es aber gar nicht so. Das kommt bei Ihrer Anmerkung für mich so rüber.

(Birte Pauls [SPD]: Hetze! Super! - Unruhe)

- Sie haben statistisch herausgearbeitet - und das war der Punkt, wo Sie in Ihrer Rede einmal etwas Richtiges gesagt haben -: Es gibt bestimmte Delikte, Gewalt an Lehrern oder Cybermobbing - da gibt es eine technologische Entwicklung -, wo wir in der Tat größere Probleme haben. Da hat sich Gewalt an Schule verändert. Aber es ist sachlich falsch, wenn Sie behaupten, dass es mehr Gewalt an Schule gebe. Das ist nicht richtig.

- Darüber müssen wir diskutieren.

Dann dürfen Sie jetzt in Ihrer Rede fortfahren, Herr Abgeordneter.

Ich muss hier jetzt einen Ausgleich finden. - Ich kann Ihnen das auch belegen. Es gibt keinen Grund zur Panikmache. Wenn man in den letzten Bericht der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention vom Deutschen Jugendinstitut von 2019 guckt, findet man den Satz:

„Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet die aktuelle Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik damit bei den absoluten Zahlen insgesamt einen Rückgang der Kriminalität im Kindes- und Jugendalter.“

Die aktuelle Entwicklung ist so - wir haben uns im Bildungsausschuss schon einmal damit beschäftigt -, dass es zwischen 2007 und 2016 einen Rückgang von 1.001 auf 631 Taten mit der Tatörtlichkeit Schule gegeben hat. Es gibt statistisch keinen Beweis für Ihre Behauptung, sondern im Gegenteil einen Hinweis darauf, dass Gewalt an Schulen weniger wird. Deswegen kritisiere ich Sie dafür, wie Sie Ihre Rede hier eben gehalten haben.

(Beifall Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Gleiche gilt für das Gewaltmonitoring. Da hat zum ersten Mal eine Erhebung stattgefunden. Sie haben erzählt, das Gewaltmonitoring zeige, dass es mehr Gewalt an Schulen gebe. Das kann gar nicht sein, weil wir das zum ersten Mal erhoben haben, Herr Brodehl.