Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne des SchleswigHolsteinischen Landtages Mitglieder des Bundesverbands Windenergie. - Seien Sie auf der Besuchertribüne uns herzlich willkommen!
Für die Berichterstattung erteile ich dem Berichterstatter des Sozialausschusses, dem Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe anwesende Teilnehmer des Symposiums, die wir hier gleichzeitig sehr herzlich willkommen heißen!
Meine Damen und Herren! Der Sozialausschuss hat sich intensiv mit der Aufarbeitung von Vorkommnissen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Behindertenhilfe in den Jahren 1949 bis 1975 befasst.
Von dem Symposium am 28. und 29. November 2018 hier im Plenarsaal des Landtages, zu dem Herr Sozialminister Dr. Heiner Garg und der Sozialausschuss gemeinsam eingeladen hatten, haben Betroffene über das schwere Leid berichtet, das sie erlitten haben. Dies hat uns tief betroffen gemacht.
Wir danken den Betroffenen, die auf dem Symposium gesprochen haben, für ihren Mut und die Offenheit, dies zu tun. Sie haben ihre Stimme auch für andere Betroffene erhoben.
Besonders für Menschen in der Obhut von Einrichtungen und in der direkten Verantwortung des Staates sind Schutz und Unterstützung von größter
Wichtigkeit. Der Staat muss Garant für die Menschenwürde sein. Insbesondere die geschilderten Erlebnisse, die Aufarbeitung durch die Beratungsstelle der Stiftung Anerkennung und Hilfe und das Symposium haben nachdrücklich deutlich gemacht, dass die Aufarbeitung nicht beendet werden darf.
Die Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und die Abgeordneten des SSW haben dazu gemeinsam im Sozialausschuss einen Beschluss gefasst, Drucksache 19/1174, und bitten den Landtag, diesen zu übernehmen und ihm zuzustimmen: Alle Möglichkeiten der Aufarbeitung müssen genutzt und fortgesetzt werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung von allen relevanten Aspekten wie den Medikamentenversuchen, aber auch insbesondere zu Erziehungsmethoden und Gewalt durch die damals Verantwortlichen ist zu unterstützen. Es sollten Wege gefunden werden, bei Alter, Pflege, Krankheit oder anderer Unterstützungsbedürftigkeit geeignete Hilfestellungen zu geben. Dies sind Schwerpunkte der Erklärung.
Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen. Wir wollen aber zuhören, das Gespräch führen und nach Wegen suchen, Versäumtes nachzuholen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zu dem Bericht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Ich eröffne hiermit die Aussprache. Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Werner Kalinka.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was in den 50er-Jahren bis Anfang der 70er-Jahre in Heimen in Schleswig-Holstein teilweise geschah, war menschenverachtend, ein Verstoß gegen Menschenwürde und gegen Menschenrechte: massive Gewalt, schwerste Misshandlungen, Elektroschocks, länger festgebunden in der Zwangsjacke, Vergewaltigungen, Medikamentenversuche ohne Kontrolle.
Was wir am 28. und 29. November 2018 während des Symposiums hörten, hat uns zutiefst betroffen gemacht. Ich zitiere aus einigen Beiträgen: „Warum behandelt man Kleinkinder wie Verbrecher?“ - „Ich wäre fast in der Badewanne ertränkt worden.“ - Die
Worte „Todeszelle“ und „Bunker“ sind gefallen und auch die Aussage, ein Kind sei zu Tode geprügelt worden. Eine Aussage, die besonders betroffen macht: „Ich hätte gewünscht, nicht mehr wach zu werden.“
Wenn man dies hört, kann man nicht schweigen, kann man nicht so tun, als hätte man dies nicht gehört. Dies gilt ganz besonders für uns Abgeordnete, für eine Regierung und für Verwaltungen.
Viele Jahre wurde öffentlich nichts oder nur wenig von dem bekannt, was viele Heimkinder erlitten. Erst viel später geschah dies, ab 2010 mit dem sogenannten Heimkinder-Fonds von Bund, Ländern und Kirchen, ab 2017 mit der Stiftung Anerkennung und Hilfe. 377 Anerkennungen zur Hilfe, insgesamt 4,05 Millionen € sind bis Ende 2018 in Schleswig-Holstein ausgezahlt worden. Ein besonderer Dank von dieser Stelle an Frau Christiansen und Frau Tölch, die diese Arbeit ganz ausgezeichnet und engagiert erledigen und begleiten.
(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
2018 war der Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung in Schleswig-Holstein. Ich möchte auch Dank dem NDR sagen, der das Thema unter dem Stichwort „Medikamentenversuche“ intensiv in die Aufarbeitung gebracht hat.
Ein besonderes Dankeschön gilt Herrn Sozialminister Dr. Heiner Garg. Er hat nach den Gesprächen die Initiative zum Symposium, zur weiteren Aufarbeitung hier in Schleswig-Holstein ergriffen. - Vielen Dank, Herr Minister.
Wir alle haben auf dem Symposium, das wir sorgfältig und sensibel vorbereitet haben, unsere Eindrücke gewonnen. Wir haben uns Gedanken gemacht und im Sozialausschuss im Januar einen Beschluss gefasst, der bekannt ist und vorliegt.
Ich kann nur wiederholen: Wir sind tief betroffen und erschüttert darüber, was geschehen ist. Es gab Verstöße gegen Menschenwürde, gegen Menschenrechte. Die Aufarbeitung muss weitergehen. Alle Archive, alle Akten, alle Informationen, die zur Verfügung stehen können, müssen zur Verfügung gestellt werden. Gegebenenfalls muss auch rechtlich aufgearbeitet werden.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung wird von uns voll unterstützt. Die Verlängerung der Antragsfristen ist vom Minister in die Wege geleitet.
Wir sprechen uns auch dafür aus, die Zeit nach 1975, wo notwendig, zu prüfen. Bei Alter, Krankheit und Pflege - mein Stellvertreter, der Kollege Wolfgang Baasch, hat diesen Punkt in besonderer Weise mit eingebracht - Wege für andere Unterstützungsmöglichkeiten zu finden, sollte für uns gleichfalls selbstverständlich sein.
Die Verletzung von Menschenrechten und der Vertrauensbruch, der seinerzeit geschehen ist, ist für die Betroffenen eine schwere Belastung für das ganze Leben. Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen. Wir wollen aber zuhören, das Gespräch führen und nach Wegen suchen, Versäumtes nachzuholen.
Herr Wulf, es war Ihr Wunsch und der der anderen Betroffenen, das Symposium hier im Plenarsaal durchzuführen, um in diesem Haus vorzutragen. Sie fragten auf dem Symposium: „Wer gibt uns unsere Würde zurück?“ - Seien Sie versichert, wir möchten dazu einen Beitrag leisten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem öffentlichen Symposium „Die Vergangenheit im Kopf - die Zukunft in der Hand“ am 28. und 29. November 2018 hat sich der Landtag einem schrecklichen Kapitel schleswig-holsteinischer Geschichte gestellt. Hier im Hohen Haus kamen erstmals die heute erwachsenen Opfer des Missbrauchs in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Behindertenhilfe in Schleswig-Holstein zu Wort. Es war erschreckend, von den Schmerzen, der Gewalt, der Gleichgültigkeit und der Herzenskälte zu hören, denen diese Menschen als Kinder und Jugendliche ausgesetzt waren, Kinder und Jugendliche, die für Medikamentenversuche missbraucht wurden und schlimmster, schwarzer Pädagogik wehrlos ausgesetzt waren. So etwas darf nie wieder vorkommen.
tung dieser Vorgänge beginnen. Lange wurde den ehemaligen Heimkindern nicht geglaubt. Obwohl ihre Erlebnisse lange bekannt sind, ist bisher wenig - viel zu wenig - passiert. Die Beratungsstelle der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Schleswig-Holstein unterstützt seit 2017 Betroffene durch Beratung und bei der Antragstellung um Entschädigungsleistungen. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle leisten hier eine vorbildliche und allseits anerkannte Arbeit. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung, die die Medikamentenversuche in Psychiatrien und Heimen in Schleswig-Holstein zwischen 1945 und 1975 untersucht, soll ihre Ergebnisse bis 2021 vorlegen. Das macht deutlich, wie spät und wie viel zu spät wir uns diesem dunklen Kapitel schleswig-holsteinischer Geschichte stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Symposium haben Betroffene, haben die Opfer Gehör im Landtag gefunden. Beeindruckend waren der Mut und die Klarheit, mit der ehemalige Heimkinder, heutige Erwachsene, die Leiden und Qualen, aber auch ihre Albträume und Ängste in aller Öffentlichkeit geschildert haben. Dafür gilt mein, gilt unser aller Respekt diesen mutigen, couragierten, manchmal aber auch bis an die psychische Belastungsgrenze gehenden Berichte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ist es auch an uns, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Aufarbeitung alle verfügbaren Informationen und Akten von Trägern, Kliniken, Heimen, Einrichtungen und der pharmazeutischen Unternehmen geöffnet und zur Verfügung gestellt werden. Mit unserem Handeln und unseren Möglichkeiten müssen wir die wissenschaftliche Aufarbeitung in all ihren Aspekten, auch der schwarzen Pädagogik und der brutalen Gewalt durch die damals Verantwortlichen, unterstützen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Betroffenen nicht durch bürokratische Hürden ein zweites Mal zu Opfern werden. Das gilt sowohl für Antragsfristen als auch für zu eng gefasste Regelungen im Entschädigungsrecht. Wir sollten dabei die Arbeit der Stiftung Anerkennung und Hilfe und die Ergebnisse der Beratungen im Beirat der Stiftung intensiv begleiten. Wir sollten darauf achten, dass Betroffene, die als Heimkinder schweres Leid in Schleswig- Holstein erlitten haben, im Alter, bei Krankheit oder im Pflegefall individuelle Unterstützungsleistungen und Hilfestellungen bekommen. Hierzu wurde im Symposium ein sehr beachtens
(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW, vereinzelt CDU und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])