Die Frage, die sich uns eigentlich stellen muss, ist: Wie wird jemand zum Reichsbürger, was sind die Zugänge zu dieser Ideologie? Was sind die Grundlagen, die die meisten Reichsbürgerinnen und Reichsbürger einen? Da gibt es natürlich unterschiedliche Ausprägungen. Was sie eint, ist, dass sie der Meinung sind, dass das Reich in den Grenzen von 1871, von 1918 oder 1933 fortbestünde. Sie alle sagen, die Bundesrepublik Deutschland habe keinen völkerrechtlich anerkannten Status und sei ein unsouveränes Staatskonstrukt der Alliierten und vielmehr eine Firma. Daher kommt immer wieder der Begriff „BRD GmbH“, der gern ins Lächerliche gezogen wird. Aber die meinen das wirklich ernst.
Wie kommen die eigentlich auf die Idee? Ich versuche einmal, das an einem Beispiel klarzumachen. Grundlage für die Reichsbürgerideologie ist schlichtweg eine Verschwörungsideologie. Man geht davon aus, dass es eine Verschwörung gegen die Mehrheitsbevölkerung gibt und nur ganz wenige die Wahrheit für sich gepachtet haben.
wickeln kann? Wie schaffen sie es, flächendeckend zu wirken? Da nenne ich einmal folgendes Beispiel. Ich wollte neulich Zimtschnecken machen - das sagt jetzt viel über mich aus -, und ich wusste nicht, wie man Zuckerguss macht.
Ich habe mich entschieden, einmal bei YouTube zu gucken, wie man Zuckerguss macht. Erschütternd ist zum einen, dass ich mir diese Frage gestellt habe, zum anderen, dass es zahlreiche Videos gibt, die mir erklären, wie ich Zuckerguss mache, mit sehr hohen Klickzahlen.
Das ist eine Herangehensweise, die nicht nur junge Menschen, sondern auch ältere Menschen nicht nur bei Zimtschnecken, sondern auch bei Politik haben. Wenn man eine Frage hat, gibt man die bei YouTube ein und guckt, ob schon einmal jemand etwas Kluges dazu gesagt hat.
Gestern Abend habe ich die Frage eingegeben: Muss ich GEZ bezahlen? Dazu gibt es ganz viele Videos, die sagen: Ne, musst du eigentlich gar nicht. Wenn man sich da durchklickt, gründen sich die meisten dieser Videos auf eine Reichsbürgerideologie, dass Steuern grundsätzlich unrechtmäßig seien und niemand das Recht habe, Geld von anderen anzunehmen. Wenn man ein oder zwei Klicks weitergeht, geht es darum, ob die Polizei nicht eigentlich eine Firma ist, denn die haben ja Dienstausweise und keine Beamtenausweise. So kommt man immer weiter in diesen Zirkel rein, und genau das macht die Gefahr aus.
Die Leute kommen in Notsituationen und sagen: Die GEZ belastet mich zu sehr; ich finde das ungerecht, denn ich gucke „3sat“ sowieso nicht. Dann stoßen sie am Ende des Tages auf so eine Ideologie. So sind die Reichsbürger in der Lage, Stück für Stück in andere Bereiche hineinzuwirken.
YouTube ist der Weg für viele Verschwörungstheorien. Mit Sicherheit ist die Reichsbürgerideologie aber nicht nur durch YouTube entstanden, sondern auch durch analoge Wege. Nehmen wir zum Beispiel die Universität Greifswald. An der Universität Greifswald gab es einen Professor, der vornehmlich dadurch aufgefallen ist, dass er mit Thor-SteinarKlamotten in die Vorlesung gegangen ist, woraufhin die Hausordnung geändert wurde. Thor Steinar ist ganz klar eine Neonazi-Marke.
Dieser Professor für Bürgerliches Recht hat den Gastvortrag eines Reichsbürgers organisiert, der die Anwesenden dazu aufrief, die Personalausweise zu zerstören und sich schnellstmöglich Ausweispapie
re des Staates Preußen zu holen. Das war ein Professor für Bürgerliches Recht; heute ist er Abgeordneter der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.
- Das ist auch nicht besser, aber das zeigt, dass es da die eine oder andere Nähe gibt, auf die Herr Schaffer gleich bestimmt eingeht. Ich könnte zahlreiche solcher Vorfälle nennen, zum Beispiel Oberbürgermeisterkandidaten der AfD, die in einem Brief an die Verwaltung gesagt haben, das sei alles völlig illegitim. Oder - viel schlimmer - es gibt gewaltsame Drohungen.
Da können Sie natürlich sagen: Wir haben versucht, die Leute auszuschließen. - Bei dem Professor in Mecklenburg-Vorpommern war das nicht der Fall; der hat eine Rüge bekommen, und irgendwie hält man es aus, dass der dieser Meinung ist.
Andere Parteien haben solche Konflikte überhaupt nicht. Wenn wir Grüne unser Grundsatzprogramm beschließen, wie wir es zurzeit machen, gibt es nicht Änderungsanträge wie bei Ihnen, in denen es heißt: Na ja, Deutschland ist überhaupt kein souveräner Staat, das Grundgesetz ist gar keine Verfassung, sondern irgendetwas anderes. Sie sind ein Magnet für Verschwörungstheorien, und Sie sind Teil der Reproduzenten von Verschwörungstheorien.
Ich tue mir immer mal wieder den Livestream Ihrer Parteitage an. Wenn ich da - wie beim letzten Mal sehe, dass dort Vorträge gehalten werden, in denen über eine Weltregierung gesprochen wird, ist das ganz klar eine Verschwörungstheorie.
Frau von Sayn-Wittgenstein, Parteivorsitzende der AfD, ich weiß, dass Sie nicht gern möchten, dass ich das anspreche. Das entnehme ich zumindest Ihrer Post, die Sie mir schicken: eine Unterlassungserklärung und Androhung weiterer Klagen. Nichtsdestotrotz werde ich nicht müde, die Frage zu stellen, was Sie damals gedacht haben, was sich hinter dem Verein „Die Deutschen“ verbirgt, was Sie gedacht haben, als sie von echter und unechter Verfassung sprachen, und was Sie gedacht haben, als Sie auf Herrn Soyka, einen offenen Faschisten, mit irgendwelchen Publikationen in der Vertriebenenszene aufmerksam gemacht haben. All diese Fragen haben Sie nie beantwortet, dazu haben Sie sich nie eindeutig verhalten.
nen. Das ist offenbar der Rubikon, der nicht überschritten werden darf. Das kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Aber warum ist keine der Organisationen, die aus der Großen Anfrage hervorgehen, keine der Reichsbürgerorganisationen, Teil Ihrer Unvereinbarkeitsliste? Ist das alles mit der AfD vereinbar? Sie nehmen ja alles in die Unvereinbarkeitsliste auf, selbst linksradikale Gruppierungen. Ich glaube, die Überschneidung wäre da gering, aber Sie gehen auf Nummer sicher; wer weiß, was passiert. Aber bei Reichsbürgern scheint es nicht so schlimm zu sein. Sie sagen, die Ahamadiyya-Gemeinde sei ein Problem, aber die Reichsbürger seien kein Problem. Das ist ein Statement Ihrer Partei. Stattdessen gibt es Relativierungen. Wenn Ihr Parteichef Gauland die Reichsbürger weiter als harmlose Irre bezeichnet, ist das eine relativierende Äußerung.
Wenn wir uns angucken, was in der Vergangenheit bei Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern passiert ist, muss man sagen, das sind nicht mehr einfach nur Leute, die in ihren eigenen vier Wänden leben und sagen: Das ist mein eigenes Reich, hier gelten meine eigene Regeln. - Das ist schon schräg genug. Es besteht eine Gefahr aus dieser Szene. Diese Gefahr bestand nicht nur in dem einen Fall in München, der uns allen bekannt ist, wo ein Polizist gestorben ist, sondern diese Gefahr besteht immer wieder bei anderen Übergriffen gegenüber der Verwaltung, aber auch in der puren Bedrohung.
In Handewitt bei Flensburg hatten wir die Situation, dass ein älteres Ehepaar die Waffen nicht abgegeben hat und das SEK vor der Tür stand. Als sie die Personen endlich erreicht haben, haben sie die Waffen ohne großen Widerstand überreicht. Aber die Bedrohungsszenarien bestehen, weil man die Szene nicht einschätzen kann.
Wenn ich auf die Eingangsfrage, wie gefährlich die Reichsbürgerszene ist, eingehe, stelle ich fest, es ist ihre Unberechenbarkeit. Wenn wir dort eine Ideologie haben, nach der jedes Recht nicht nur illegitim ist, sondern das Recht gilt, das ich mir selbst gemacht habe, das aus irgendeiner verschrobenen Vergangenheit und Verschwörung kommt, sind die Personen, die teilweise bewaffnet sind - es gibt eine starke Waffenaffinität, der Minister hat es angesprochen -, eine tatsächliche Gefahr für die Leute.
Ich unterstütze die Landesregierung sehr bei ihrer energischen Arbeit daran, die Szene zu entwaffnen. Mit Sicherheit sind noch nicht alle entwaffnet; das
geht aus der Anfrage hervor. 20 Reichsbürgerinnen und Reichsbürger haben immer noch waffenrechtliche Erlaubnisse. So etwas muss rechtssicher ablaufen, und da kann man sich keine Fehler erlauben. Das wird Stück für Stück passieren, man hat da schon einiges erreicht. Das ist der richtige Weg. Natürlich gibt es im Land nicht nur legale Waffen. Hier ist weiter Vorsicht angebracht.
Das bedeutet, wir haben eine akute Gefahr durch Reichsbürgerinnen und Reichsbürger, aber das ist nicht die einzige Gefahr. Wir haben im rechtsextremen Milieu viele Bedrohungsszenarien. Die Reichsbürgerinnen und Reichsbürger sind eine. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir immer wieder darauf gucken, dass wir uns ein Bild von der Szene machen, wie sie sich entwickelt, welche Strömungen sich durchsetzen. Aber sie sind nicht alle in Strömungen organisiert. - Vielen Dank für die Antwort und vielen Dank für die Debatte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Die sogenannten Reichsbürger sind in den letzten Jahren zu trauriger Berühmtheit gekommen, konkret 2016 - mein Kollege Petersdotter hat das gerade angesprochen - ein Mann, der in Bayern sein Land - wir nennen es sein Grundstück - gegen Angreifer - wir nennen das das Sondereinsatzkommando der Polizei - mit Waffengewalt verteidigen wollte und dabei einen Eindringling - wir nennen ihn einen Beamten - tödlich verletzte. Spätestens seitdem ist klar, dass es sich um Feinde unserer Demokratie handelt. Es sind alles andere als verwirrte Spinner.
Das sind Leute, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Sie erklären ihren Austritt aus diesem Staat und fallen mit rechtsextremen Positionen und Waffenbesitz auf. Sie nutzen selbstgebastelte Personalausweise, Reisepässe und andere Urkunden. Sie wurden viel zu lang kleingeredet, abgetan und waren gar nicht erst auf dem Schirm. Es zeigt sich immer wieder, dass sich die Behörden nicht sicher sind, wie sie auf die Aktionen und Tricksereien von Reichsbürgern reagieren sollen. Das hat diesen Leuten leider immer wieder Freiräume verschafft,
sich selbst als Opfer von ihrer Meinung nach sinnloser Schikane in Konflikten mit Behörden zu stilisieren.
Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage macht deutlich, dass diese Szene heute wesentlich besser durchleuchtet ist. Das ist schon einmal gut so. 2015 hat der Verfassungsschutz nur 24 Reichsbürger in Schleswig-Holstein registriert. Die Antwort geht jetzt von 288 aus, der Minister hat gerade ausgeführt, dass es 307 sind. Wenn man das so zur Kenntnis nimmt, dann ist das eine Verzwölffachung in nur drei Jahren - von dem, was auf dem Schirm ist. Niedrig finde ich die Zahl von zwölf Szenemitgliedern, denen man ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild nachweisen kann. Ich befürchte, die Dunkelziffer ist deutlich größer. In Verbindung mit der hohen Affinität zu Waffen braut sich hier eine ungemütliche braune Suppe zusammen.
Neben Verschwörungsideologen und Menschenfängern sind auch einige Abgehängte in der Szene unterwegs. Sie glauben, durch das Lahmlegen von Behörden Steuern zu sparen oder Strafverfolgung entgehen zu können. Ihr Glaube an das alte Deutsche Reich ist geschichtsvergessen, revisionistisch und autoritär. Staat und Gesellschaft müssen klarmachen: Niemand kann sich von der Einhaltung der Gesetze entbinden, egal ob sie ihm passen oder nicht. Jeder, der steuerpflichtig ist, muss auch Steuern bezahlen. Es gibt kein Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Polizei und Justiz.
(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Das Eindringen von reichsbürgerlichen Positionen in den gesellschaftlichen Diskurs beunruhigt mich aber noch mehr als die zersplitterten Reichsbürger in diesem Bundesland. Der Übertritt ins Reichsbürgermilieu ist meist der letzte Schritt einer Radikalisierung, die sich über viele Jahre hinzieht. Hier könnte eigentlich eine gute Prävention ansetzen; denn die Mechanismen und Abfolgen von Radikalisierungen sind bei allen neu-rechten Phänomenen ähnlich. Deswegen müssen wir uns jetzt einmal darüber Gedanken machen, wie wir die Präventionsarbeit in diesem Bereich stärken können. Das könnte eventuell auch eine Konsequenz aus der Großen Anfrage sein. Wir können hier eine Analyse auffahren und miteinander beschwören, wie schlimm das alles ist, aber wir müssen auch überlegen, was wir daraus machen können.
Ich danke deshalb auch meinem Kollegen Petersdotter für die Anfrage, auch wenn der Inhalt kaum über das hinausgeht, was wir aus dem Verfassungsschutzbericht bereits kennen. Ich finde, die Landesregierung darf hier nicht mit den Informationen haushalten, sondern sollte umfassend aufklären. Ich denke, dass wir da in den nächsten Monaten und Jahren auch noch mehr an Daten, Zahlen und Fakten auf den Tisch bekommen können.
Die SPD fordert, die Szene verstärkt durch Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft überwachen zu lassen. Die Reichsbürger müssen entwaffnet werden, diese Forderung wurde hier gerade noch einmal formuliert. Das unterstützen wir sehr gern. Da, wo es möglich ist, muss der Staat konsequent eingreifen. Verwaltungen vor Ort, Behörden und Justiz müssen noch mehr sensibilisiert werden, sodass der einfache Verwaltungsmitarbeiter oder die einfache Verwaltungsmitarbeiterin erkennen kann, wenn sich dort ein Reichsbürger vor ihm oder ihr aufbaut. Nicht zuletzt brauchen wir auch mehr politische Aufklärung und neue präventive Ansätze.
Wir Sozialdemokraten werden immer gegen diejenigen kämpfen, die sich gegen unsere Demokratie stellen. Wenn es um die Verteidigung unseres Staates, unserer Werte und letztendlich unserer Freiheit geht, stehen wir fest an der Seite aller aufrechten Demokratinnen und Demokraten in diesem Land. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten die Antwort der Regierung zu den sogenannten Reichsbürgern. Nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden handelt es sich dabei um Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf das Deutsche Reich bestreiten, deren Rechtssystem ablehnen und die Legitimation der gewählten Repräsentanten verneinen. Deshalb ist zu befürchten, dass sie bewusst und vorsätzlich gegen die von ihnen abgelehnte Rechtsordnung verstoßen.
gangen ist, ist über Jahrzehnte unterschiedlich diskutiert worden. Die alte, westdeutsche Bundesrepublik hat sich dabei auf eine Teilidentität berufen, die Hoheitsgewalt für Deutschland als Ganzes lag bei den vier alliierten Siegermächten, und das Ganze ist so auch vom Bundesverfassungsgericht vertreten worden.
Nach dem Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik und dem Abschluss des Zwei-plusVier-Vertrages ging die DDR als Völkerrechtssubjekt unter, die Bundesrepublik besteht weiter subjektidentisch mit dem Deutschen Reich. Aber diese staats- und verfassungs- beziehungsweise völkerrechtlichen Betrachtungen sind ja nicht das wesentliche Thema für die Personen, über die wir reden. Für sie ist die Ablehnung der staatlichen Gewalt das zentrale Anliegen, und das können wir uns und das können sich der Bund und die Länder nicht gefallen lassen.
(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Nun bin ich allerdings schon der Meinung, dass man die Leute als das bezeichnen kann, was sie wirklich sind: Aus meiner Sicht sind es nämlich echte Spinner.