Protocol of the Session on July 5, 2018

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, Hans-Joachim Grote.

Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen: Es gibt Menschen, die sich trotz fehlenden Aufenthaltsrechts nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland intergiert haben und die wir gern hier haben, Schülerinnen und Schüler, Auszubildende beispielsweise, die gute Deutschkenntnisse haben, erfolgreich seit mindestens vier Jahren die Schule besuchen und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unserer Bundesrepublik bekennen, oder junge Erwachsene, die beispielsweise Kinder im schulpflichtigen Alter haben und

ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern. Meine Damen und Herren, es gibt noch eine ganze Reihe von Kriterien, die allesamt eine stabile und integrierte Lebensführung seit mehreren Jahren beschreiben.

Menschen, die potenziell diese Kriterien erfüllen, wollen wir dauerhaft hier bei uns aufnehmen. Wir wollen ihnen dauerhaft aufenthaltsrechtliche Perspektiven, eine sichere Perspektiven geben. Die bisherigen Regelungen sehen folgendermaßen aus: Seit dem 1. Juli 2011, also seit gut sieben Jahren, gibt es im Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit der Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende, wenn anzunehmen ist, dass sich Betreffende aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensführung in die deutsche Gesellschaft einfügen können. Erstmals seit 2011 rechtfertigen Integrationsleistungen also die Entscheidung, einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Es war also eine Innovation, diese Neuregelung einzuführen.

Auch wenn es nie eine Zielvorgabe für erteilte Aufenthaltserlaubnisse wegen erbrachter Integrationsleistungen gegeben hat, bewegten sich die Zahlen nach Auswertung des Ausländerzentralregisters auf einem wirklich absolut niedrigen Stand. Wir haben für Schleswig-Holstein seit Anfang 2015, bezogen auf das Aufenthaltsrecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende, zwar eine Steigerung um über 100 % zu verzeichnen, allerdings liegt die Anzahl der Anwendungsfälle gerade einmal bei 134, bundesweit gerade einmal bei etwas mehr als 4.444 Personen, die eine Erlaubnis nach § 25 a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz erhalten haben. Nach § 25 b Aufenthaltsgesetz sind die Zahlen noch niedriger, deutlich niedriger: 60 Aufenthaltserlaubnisse in Schleswig-Holstein und insgesamt 2.115 in ganz Deutschland im letzten Jahr. - Das ist der aktuelle Stand zum 31. Mai dieses Jahres.

Die Antwort auf die Frage, warum es so wenige Fälle sind, liegt auf der Hand; denn eigentlich kommen viele Menschen mit langjähriger Duldung infrage. Einige von ihnen konnten in den letzten Jahren über das Verfahren bei der Härtefallkommission in einen rechtmäßigen Aufenthalt hier bei uns gelangen. Doch das reicht, so finde ich, als Erklärung nicht aus. Denn auch aus meiner Sicht als Integrationsminister wäre es begrüßenswert, würden die Berechtigten hier zu ihrem Recht kommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Wir wollen deshalb prüfen, was von uns aus getan werden kann, indem wir die Rechtsgrundlagen und

(Lars Harms)

deren Anwendung in der aufenthaltsrechtlichen Praxis prüfen und verbessern und indem wir diesen Antrag, eine Gesetzesinitiative zu starten, engagiert annehmen und umsetzen. Denn es ist absolut richtig, das Bleiberecht junger Erwachsener, die 21, aber noch nicht 27 Jahre alt sind, verstärkt unter dem Blickwinkel einer Integrationsregelung zu betrachten. Ob wir das in die allgemeine Bleiberechtsregelung oder, wie in dem heute noch vorgelegten SPD-Antrag gefordert, in die Spezialnorm für junge integrierte Ausländerinnen und Ausländer einfügen, mag dabei im Rahmen der rechtlich-technischen Ausgestaltung entschieden werden. Ich freue mich aber - das ist wirklich wichtig -, dass wir inhaltlich an dieser Stelle alle gemeinsam in die gleiche Richtung gehen wollen.

Daneben werde ich mich aber auch dafür einsetzen, diese Rechte in der Praxis der Zuwanderungsbehörden stärker zu verankern. Wir sind mit den Ausländer- und Zuwanderungsbehörden hierzu bereits im Austausch und werden das Thema weiterverfolgen.

Mit dem zweiten Teil des Antrags müssen wir uns einem anderen Aspekt zuwenden. Die Zielsetzung, auch bei der Passersatzbeschaffung zu unterstützen, ist für mich durchaus nachvollziehbar. Daher nehme ich den Vorschlag gern zum Anlass, mich bei den Bundesländern und auch den anderen Partnern um eine mehrheitliche Unterstützung zu bemühen. Dennoch gebe ich Ihnen hierbei zwei Dinge zu bedenken.

Geht es um die Ausstellung eines deutschen - eines deutschen - Passersatzes, ist aus völkerrechtlichen Gründen zumindest eine gewisse Zurückhaltung geboten. Denn ein Reisepass ist ein amtliches Dokument, das der Identifizierung und Legitimation dient und zudem die Staatsangehörigkeit des Inhabers nachweist. Hieraus leitet sich das völkerrechtliche Prinzip der Passhoheit des Staates gegenüber seinen Staatsangehörigen ab. Bei der Ausstellung solcher Dokumente verzichten wir naturgemäß regelmäßig auf einen konkreten Identitäts- und Staatsangehörigkeitsnachweis. Unsere Kenntnisse über die Identität derer, denen wir solche Dokumente - mit all ihren völkerrechtlichen Folgen ausstellen, sind aber begrenzt, bisweilen sogar sehr begrenzt. In Zeiten steigender Sicherheitsanforderungen an die Arbeit der Zuwanderungsverwaltung wird dieser Aspekt sicherlich immer weiter an Bedeutung gewinnen und weiterer Erörterung bedürfen.

Meine Damen und Herren, unser Ziel ist es, wie auch im Koalitionsvertrag verankert, diejenigen, die nach § 25 a und b Aufenthaltsgesetz die Vorausset

zungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen, zu unterstützen. Dieser Antrag ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer gesetzlichen Änderung. Ich würde mich freuen, würden Sie diesen annehmen. Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 19/857, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktion der SPD und die Abgeordneten des SSW. Wer ist dagegen? - Das sind alle übrigen Fraktionen dieses Hauses. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich lasse nun über den Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/829, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das sind die Abgeordneten der Fraktion der AfD. Mit den Stimmen aller anderen Abgeordneten ist dieser Antrag angenommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Landesaufnahmeprogramm kommt

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/830

Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/850

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, wie ich sehe. - Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Wir Grüne haben in den Koalitionsverhandlungen den Vorschlag gemacht, 500 Personen in Schleswig-Holstein aufzunehmen. Ich sage es ganz ehrlich: Wir haben damit gerechnet, dass dieser Vorschlag bei den Verhandlungspartnern CDU und FDP auf massiven Widerstand

(Minister Hans-Joachim Grote)

stoßen wird. Wir waren ernsthaft positiv überrascht und damit gleichzeitig auch gewillt, als Verhandler und Verhandlerinnen des Flüchtlingsbereichs, dieser Koalition eine Chance zu geben und unserer Partei die Empfehlung zu geben, Ja zu diesem Bündnis zu sagen - weil wir schlicht und ergreifend nicht damit gerechnet haben, jetzt aber wissen, wir können 500 Personen helfen, und das auf legalem Weg. Das ist der entscheidende Punkt.

Was wir derzeit in der bundes-, aber auch europapolitischen Debatte beobachten, ist, dass man sich mit Händen und Füßen gegen jegliche Migration wehrt und die illegale Migration verteufelt. Das Problem ist aber, dass es so gut wie keine legalen Wege gibt. Würde man ehrlich sein, dann würde man nicht nur mit rechter Rhetorik um sich werfen, sondern einen Vorschlag machen. Der kann nur lauten: Wir schaffen legale Wege. Dann kann man gleichzeitig darüber diskutieren, wie man illegale Migration und Schlepper verhindern kann.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Auch ein Einwanderungsgesetz wäre eine krasse Entlastung.

Es ist ja auch nicht so, als wäre es für die Menschen selbst ein Geschenk, auf einem Gummiboot im Mittelmeer zu sein. Inzwischen macht man sich nicht einmal mehr die Mühe, zwischen Seenotrettung und Schleppertum zu unterscheiden. Dies ist eine bewusste Entgleisung, die maximal von rechts gesteuert ist.

Gestern habe ich in der Debatte nichts gesagt, als Herr Nobis von der AfD unseren Flüchtlingsbeauftragten verunglimpft und ihm vorgeworfen hat, ein Schlepper zu sein. Aber es ist einfach schäbig, unseren vom Landtag gewählten Beauftragten, der als Kapitän Menschen vor dem Sterben gerettet hat, so in Verruf zu bringen.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich für meinen Teil bin froh, dass es Menschen wie Herrn Schmidt und zivile Seenotrettungs-NGO gibt, die eingesprungen sind, um Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten, während die Europäische Union an der Stelle mehr auf den Grenzschutz durch Frontex als auf das Retten von Menschenleben gesetzt hat. Ich frage mich wirklich, wo wir angekommen sind, dass wir so übereinander als Menschen sprechen.

Ich mag noch zu klein gewesen sein, als meine Eltern hierhergekommen sind. Ich denke dieser Tage

jedes Mal: Gott sei Dank warst du noch nicht aufnahmefähig. Denn die älteren Generationen erzählen, dass die Debatte heute genauso stattfindet wie damals in den 90er-Jahren. Ich habe wirklich einen Heidenrespekt vor Menschen wie meiner Mutter, die sich nicht von den Anfeindungen hat demotivieren lassen, die nichts anderes sagen als: Sieh zu, dass du wegkommst oder gar nicht erst herkommst! Sie hat trotz Abitur und Hochschulstudium, das ihr in Deutschland nie anerkannt wurde, als Reinigungskraft, als Pflegehelferin, als alles Mögliche gearbeitet, auf eigene Faust Deutsch gelernt, um ihre Kinder durchzubringen, sie hat dieses Land lieben gelernt hat, ein Vertrauen in diesen Staat entwickelt, ihren Beitrag zu dieser Gesellschaft geleistet und dieses Land mitgestaltet. Und es gibt viele dieser Geschichten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Dieser Antrag und die Einigung der Koalition darüber, wie wir dieses Programm umsetzen wollen, kommen zur richtigen Zeit. Circa 68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Diese Zahl muss man sich in der aktuellen Abschottungsdebatte immer wieder vergegenwärtigen. Davon wurden übrigens in diesem Jahr bis April knapp 179.000 Asylanträge in Europa gestellt. Das passt nicht ganz zur „Alle-sind-in-Europa-Story“, die so gern erzählt wird. Fakt ist nämlich, dass die meisten in den Nachbarländern, in den Krisenländern, sind.

Wir in Schleswig-Holstein leisten im Vergleich zu der weltweiten Fluchtbewegung einen minimalen Beitrag, aber wir leisten einen, und das ist für jeden Einzelnen und jede Einzelne der 500 Personen lebensentscheidend. Bei dem humanitären Aufnahmeprogramm haben wir als Land die Möglichkeit zu sagen, wir nehmen auf - immer im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium und nach § 23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz.

Unsere Aufgabe hier im Land besteht nun darin, die Vorüberlegungen, die wir geleistet haben, umzusetzen, die Gespräche mit dem UNHCR fortzuführen, die besonders schutzbedürftigen Frauen und Kinder, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, in den nächsten vier Jahren hierherzuholen, diese hier zu versorgen und ihnen den Start in das neue Leben zu ermöglichen. Das Ganze geht aber nicht ohne die Zusammenarbeit mit den Kommunen. Die Menschen werden dort ankommen. Deshalb ist es uns auch wichtig, dass wir das gemeinsam mit den Kommunen, den Migrationsorganisationen und den Ehrenamtlichen organisieren.

(Aminata Touré)

Und abschließend: Ich muss sagen, ich freue mich wirklich auf den Moment, wenn wir die Menschen hier aufnehmen werden, die dann genau wie wir alle hier irgendwann Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sein werden. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Serpil Midyatli.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich von dem Antrag zu einem Landesaufnahmeprogramm in Ihrem Koalitionsvertrag gelesen habe, war ich wirklich sehr erstaunt, und ich habe mich sehr gefreut. Ich habe mich gefragt: Wie kann es möglich sein, dass man in einer Dreierkonstellation mit Kollegen von der CDU so etwas hinbekommt? Darauf können Sie wirklich sehr stolz sein. Ich finde, das ist ein Highlight des Integrationsteils Ihres Koalitionsvertrags. Selbstverständlich gibt es hier volle Unterstützung von der SPD-Fraktion.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich finde, diese Debatte kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, denn das ist eine Lösung für das Problem, das wir gerade im Mittelmeer erleben. Das ist keine dieser Scheinlösungen, das ist keine der Pushback-Lösungen, das ist auch keine Milliardenlösung, bei der wir Frontex sozusagen Geld in den Rachen kippen, sondern das ist wirklich eine richtig gute Lösung.

Wir haben mit den Resettlement-Programmen schon gute Erfahrungen gemacht. Lieber Herr Innenminister, es ist ja nicht das erste Mal, dass dieses Land Menschen durch ein Landesaufnahmeprogramm aufnimmt. 2009 haben wir 30 Irakerinnen und Iraker hier in Schleswig-Holstein aufgenommen. Sie werden sich noch alle an die Debatte erinnern. Diese mussten allerdings alle den christlichen Glauben haben, das war Innenminister Schäuble damals ganz besonders wichtig. Das war 2009. 2013 und 2014 haben wir weitere Geflüchtete aufgenommen. Da war der Krieg in Syrien bereits in vollem Gange. Auch damals hat sich Schleswig-Holstein sehr schnell zusammen mit Hamburg, Thüringen, Brandenburg und Bremen auf den Weg gemacht

und gesagt: Auch hier wird das Land SchleswigHolstein helfen, und wir nehmen Menschen auf.