Protocol of the Session on June 29, 2017

(Wolfgang Kubicki)

straßen zu investieren, damit wir den über 27 Jahre angestauten Sanierungsbedarf möglichst innerhalb eines Jahrzehnts wieder vollständig auflösen können.

Dies geht selbstverständlich nicht, wenn wir keine Ingenieure haben, die diese Projekte sauber durchplanen können. Der Landesrechnungshof hat in seinen letzten Bemerkungen richtigerweise erklärt:

„Die Landesregierung muss den Ingenieuren und Technikern bessere Anreize und Perspektiven bieten und neue Ingenieure einstellen.“

Ich bin Monika Heinold außerordentlich dankbar, dass in den gemeinsamen Gesprächen genau für diese Maßnahme ebenfalls Geld zur Verfügung gestellt worden ist.

Diese Forderung haben wir uns zu eigen gemacht. Im Rahmen der Aufgabenübertragung an den Bund werden wir den Landesbetrieb Straßenbau außerdem neu ordnen und bei Wegfall der Aufgaben des Betriebes die Stellen übertragen.

Schleswig-Holstein leidet darunter, dass die Wachstumsquoten des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu den anderen westdeutschen Flächenländern seit Jahren unterdurchschnittlich sind. Dies hat selbstverständlich fatale Konsequenzen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, für die Zukunftsperspektiven junger Menschen, für die Wertschöpfungsketten im Land und damit auch für die politischen Möglichkeiten einer Landesregierung.

Ich kann mich noch an eine Rede der von mir sehr geschätzten - von einem Mitglied der SPD zu Fall gebrachten - Ministerpräsidentin Heide Simonis in diesem Landtag erinnern, in der sie ihrer Freude Ausdruck gab, dass Schleswig-Holstein mehr Transferleistungen aus Mitteln der Europäischen Union erhalten würde. Die Ministerpräsidentin erwartete Lob dafür, dass Schleswig-Holstein damals so hilfsbedürftig war, dass noch Mittel aus dem Sozialfonds, noch mehr Transferzahlungen, der Europäischen Union notwendig waren. Das ist ein erstaunliches Beispiel sozialdemokratisch vorgelebter Solidarität: Bleib selbst so schwach, damit andere dir aus Solidarität helfen müssen.

Ich habe nie verstanden, wie man sich darüber freuen kann, dass andere für einen einspringen müssen. Als Bundesland mit selbstbewussten Menschen muss es doch vielmehr unser Bestreben sein, selbst alles dafür zu tun, dass wir langfristig stärker als der Durchschnitt werden, um schließlich anderen helfen zu können. Seien wir doch als Land lieber

selbst solidarisch gegenüber anderen, als dass wir Solidarität immer nur von anderen einfordern müssen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um dies zu erreichen, ist es unabdingbar, dass wir unsere Wirtschaft von unnötigem bürokratischem Ballast befreien. Wir werden den Rückstand beim Bruttoinlandsprodukt niemals aufholen, wenn unserem Mittelstand mehr Auflagen erteilt werden, als dies in anderen Bundesländern getan wird. Und wir werden es auch nicht schaffen, wenn Wirtschaften nicht endlich in der Gesellschaft eine deutlich positivere Einstellung gewinnt.

Das Tariftreue- und Vergabegesetz war leider so gut gemeint, dass sich kleinere Unternehmen gar nicht mehr getraut haben, sich überhaupt für öffentliche Aufträge zu bewerben, weil sie die hohen bürokratischen Hürden nicht mehr nehmen konnten.

Ich erinnere an einen Beitrag des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Kiel, Herr Dr. Kämpfer, der, wie ich finde, zu Recht gesagt hat, diese Hürden müssten beseitigt werden, weil sonst unsere Unternehmen vor Ort von allen Ausschreibungen ausgeschlossen seien, bei denen öffentliche Gelder eingesetzt werden. Das kann doch keine sinnvolle Politik sein.

(Beifall FDP, CDU und Aminata Touré [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Um wieder neue Dynamik zu entfachen, werden wir dort alle vergabefremden Kriterien abschaffen. Wir müssen uns außerdem dafür einsetzen, die völlig überzogenen Dokumentationspflichten beim Mindestlohn deutlich zu reduzieren.

(Widerspruch SPD)

- Nicht den Mindestlohn zu reduzieren, sondern die Dokumentationspflichten zu reduzieren. - Wir werden den Landesmindestlohn auf dem jetzigen Niveau einfrieren und ihn mit der weiteren Anhebung des Bundesmindestlohnes auslaufen lassen, was in Hamburg - übrigens rot-grün regiert - bereits geschehen ist.

Wir müssen den Anspruch haben, besser zu werden und nicht im unteren Mittelfeld zu verweilen. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass Schleswig-Holstein das mittelstandsfreundlichste Bundesland wird. Wir stehen hier auch im Wettbewerb zu anderen Ländern. Ich höre Gleiches aus Rheinland-Pfalz - SPD-Regierung mit FDP-Beteiligung -, ich höre Gleiches gerade aus Nordrhein-Westfalen. Wir

(Wolfgang Kubicki)

werden uns also anstrengen müssen, um diesen Ansatz im Wettbewerb auch wirklich umzusetzen zu können.

Niemand soll sich in unserem Land dafür schämen müssen, dass er erfolgreich ist. Wir wollen Menschen, vor allen Dingen junge Menschen, dazu bewegen, ihr Unternehmen in unserem Land zu gründen und nicht das Land zu verlassen; denn davon werden wir künftig leben.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um dies zu erreichen, brauchen wir deutlich mehr Anstrengungen beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wir werden erleben, dass die Digitalisierung in den kommenden Jahren einen Strukturwandel verursacht, den wir in dieser Breite und Geschwindigkeit noch nie zuvor gesehen haben. Dieser Wandel wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Das gilt für die Arbeitswelt, für die Gesundheitswirtschaft, für die Verkehrspolitik, für die Bauwirtschaft, ja sogar für den Journalismus. Kein Lebensbereich wird hiervon nicht berührt sein, und dies wird für viele Menschen einen sehr hohen Anpassungsdruck erzeugen.

Deshalb bin ich froh darüber, dass sich die Koalitionsfraktionen darauf verständigt haben, sich im Rahmen einer Zukunftswerkstatt mit der Frage zu beschäftigen, wie man im Rahmen des Strukturwandels und der Digitalisierung mit den sozialen Folgen auf dem Arbeitsmarkt für viele Menschen fertig werden kann, ohne dass das Gefühl entsteht, die Menschen würden dauerhaft aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch dies ist ein Modellprojekt, das wir uns eigentlich auf Bundesebene gewünscht hätten. Ich wundere mich, dass sich bisher weder die SPD, diese fortschrittlichen Sozialdemokraten, noch die Union, bei der ich das vielleicht gar nicht erwartet hätte, intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die FDP, werden das möglicherweise nach der nächsten Bundestagswahl gemeinsam nachholen.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatschen weder die einen noch die anderen! - Heiterkeit SSW)

- Ich habe gesagt: möglicherweise. Die Sozialdemokratie wird nicht so stark werden, lieber Rasmus, dass die Überlegung, dass die SPD, die Grünen und wir gemeinsam etwas machen, nicht einmal ansatz

weise in eine nennenswerte Größenordnung gelangen kann. Das wird nicht an euch oder an uns, sondern an der SPD liegen. Ich glaube nicht, dass sie mit der Wahlkampfplanung, die sie haben, aus dem Tal des Jammers herauskommen werden.

Wir haben heute die Wahl: Wir können dabei mitwirken und unsere Ideen in diesen Prozess einbringen, oder wir können uns entscheiden, nichts zu tun und hinzunehmen, dass andere diesen Prozess gestalten und uns dabei uneinholbar enteilen. Die Koalitionspartner haben sich entschieden, diesen Prozess mitzugestalten, und werden dafür sorgen, dass 50 Millionen € in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investiert werden, damit sozusagen das Netz bei uns spätestens im Jahr 2025 steht und wir nicht bis 2030 warten müssen und damit dies vor allen Dingen mit einer Kapazität geschieht, die der zukünftigen Entwicklung angepasst ist und sich nicht an gestern orientiert.

Es muss unser Anspruch sein, Schleswig-Holstein zur digitalen Vorzeigeregion in Europa zu machen. - Was denn sonst? Wir können es uns nicht leisten, in dieser wichtigen Zukunftsfrage auf Platz zu spielen. Ich bin froh, dass wir ein Digitalisierungskabinett gegründet haben - übrigens eine Idee, die die Sozialdemokraten gemeinsam mit Grünen und Freien Demokraten in Rheinland-Pfalz entwickelt haben, weil sich herausgestellt hat, dass digitale Agenda eine Querschnittsaufgabe ist. In allen Bereichen müssen wir uns darauf einstellen. Es kann nicht nur bei einem Ministerium ressortieren.

Ich bin froh, dass Minister Habeck und Minister Buchholz in dieser Frage eine gemeinsame Initiative und Lösung starten werden. Wir haben sie verpflichtet, hier zusammenzuarbeiten, damit es von vorn herein keinen Dissens zwischen unseren Koalitionspartnern gibt.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben weiter mitgedacht, wie wir auch Strukturen schaffen, die es ermöglichen, unseren Erfolgsprozess bei den Koalitionsverhandlungen und auch in der praktischen Politik fortzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die Zukunftsfähigkeit unseres Landes in vielen anderen Bereichen erhöhen. Wir wollen, dass sich mehr junge Familien in unserem Land ansiedeln. Wir werden deshalb dafür sorgen, dass der Ersterwerb einer eigengenutzten Wohnimmobilie durch natürliche Personen bei der Grunderwerbsteuer privilegiert beziehungsweise unterstützt wird. Wir werden das sehr schnell erreichen. Wir brauchen dazu die Än

(Wolfgang Kubicki)

derung des Grunderwerbsteuergesetzes auf Bundesebene. Es wird Initiativen aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dazu geben. Aber ich habe mit Freude vernommen - ich bin immer wieder überrascht, wie flexibel die CDU in vielen Bereichen ist -, dass im Bundestagswahlprogramm der CDU jetzt genau diese Forderung der Privilegierung des Ersterwerbs bei der Grunderwerbsteuer aufgenommen wird.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Da haben wir uns durchgesetzt!)

- Ihr habt sozusagen der Kanzlerin erklärt: Jamaika wirkt, und sie wäre gut beraten, wenn sie sich darauf einstellt.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Genau!)

Ich bin froh, dass ihr das jetzt aufgenommen habt, denn das ermöglicht es, auch relativ schnell das Gesetz auf Bundesebene zu ändern - die Voraussetzung dafür, dass wir das auch im Land machen können.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen das Wohnen in Schleswig-Holstein grundsätzlich attraktiver machen. Wir werden die Straßenausbaubeiträge spätestens 2020 durch die Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs vollständig abschaffen. Unabhängig davon werden wir es schnellstens - und zwar noch in diesem Herbst - gesetzlich ermöglichen, dass die Kommunen die Ausbaubeiträge nicht mehr erheben müssen, um dadurch sonstige Nachteile zu vermeiden. Wir geben das wieder zurück in die Hand der Kommunen, und später statten wir die Kommunen so aus, dass die Ausbaubeiträge entfallen können. Aber das geht nur im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Ich wiederhole: Ich habe so viel darüber gelesen, was die Koalition von heute auf morgen umsetzen müsse. Ich wiederhole: Auch Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen und nicht an einem Tag, obwohl er es gekonnt hätte. Er hat sich dafür auch ein bisschen Zeit genommen. Die Koalition wird sich für die entsprechenden Maßnahmen auch die entsprechende Zeit nehmen.

(Zuruf SPD)

Wir werden noch in diesem Jahr dafür sorgen, dass das Reiterland Schleswig-Holstein weiterhin attraktiv für den Pferdesport bleibt. Deshalb werden wir den Bestrebungen der SPD, auf kommunaler Ebene eine Pferdesteuer einzuführen, auf gesetzlichem Weg ein Stoppschild entgegenstellen. Was ist sonst das Verfassungsziel wert, den Sport zu fördern?

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN - Thomas Rother [SPD]: Das zentrale Thema!)

Die flächendeckende Versorgung mit hochqualitativen ambulanten und stationären Leistungen in Schleswig-Holstein ist für uns eine zentrale Aufgabe der Daseinsvorsorge. Um in Zukunft versorgungspolitisch sinnvolle und politisch gewollte stationäre Angebote, zum Beispiel im Bereich der Kinderheilkunde und der Geburtshilfe, aufrechterhalten zu können, werden wir einen sogenannten Demografiefonds errichten. Dieser Fonds soll in Fällen, in denen versorgungspolitisch sinnvolle und politisch gewollte Versorgungsangebote nicht durch Sicherstellungszuschläge der gesetzlichen Krankenversicherung aufrechterhalten werden können, die notwendigen ergänzenden Zahlungen tätigen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Mit einem solchen Demografiefonds stärken wir auch ganz gezielt die Attraktivität des ländlichen Raumes. Frau Midyatli ist leider nicht im Raum.

(Serpil Midyatli [SPD]: Sie ist da!)