Protocol of the Session on November 15, 2017

(Lachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist aber angebracht, den politischen Willen zur Hilfe für diejenigen einzufordern, die unsere Hilfe dringend benötigen.

(Beifall AfD)

Nicht mehr und nicht weniger erwarten wir von der Landesregierung, meine Damen und Herren.

(Beifall AfD)

Sehr geehrter Herr Minister Garg, vor diesem Hintergrund fordere ich die Landesregierung auf, endlich zu handeln und ein Sofortkonzept zur Verbes

(Präsident Klaus Schlie)

serung der Situation der Wohnungslosen in Schleswig-Holstein zu erstellen.

Bevor Sie jetzt gleich alle wieder Argumente finden, warum unser Antrag doch überflüssig und populistisch sei und Ihre Alternativanträge, die eigentlich das Gleiche sagen, die besseren seien, möchte ich hinzufügen: Eine Überprüfung und Anpassung der Kapazitäten der Notunterkünfte und sonstigen Unterbringungseinrichtungen sind dringend geboten.

Während sich die Genossen noch mit vermeintlicher Nazisymbolik auf Kfz-Kennzeichen beschäftigen, können Sie als Landesregierung und als Regierungskoalition hier und heute beweisen, dass Sie Ihre Augen vor den wirklichen Problemen im Land nicht verschließen. Ich beantrage daher die Überweisung aller drei vorliegenden Anträge an den zuständigen Sozialausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall AfD - Birte Pauls [SPD]: Schämen Sie sich nicht?)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Wohnungslosigkeit betroffen zu sein, ist meist ein schweres persönliches Schicksal. Es ist ein genauso durchsichtiger wie eigentlich schäbiger Vorgang, davon zu sprechen, Not gegen Not hier nicht aufrechnen zu wollen, genau das Gleiche jedoch zu tun.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Mancher mag es wirklich wollen, auf der Platte zu leben, viele sind aber ungewollt in diese Situation geraten. Es werden leider immer mehr. Die soziale Wirklichkeit ist auch hier angekommen.

Wir haben in der Tat eine Steigerung der Zahl der Obdachlosen und der Wohnungslosen auf etwa 7.500 Menschen. Besonders bedrückend ist natürlich der Anstieg bei den 18- bis 25-Jährigen auf rund 2.300 in Schleswig-Holstein.

Vor etwa zehn Jahren ist durch die Anfrage von Frau Heinold bekannt geworden, dass es 4.900 Personen waren. Ich selbst habe 2001 eine Anfrage gestellt. Die vorliegenden Zahlen gingen damals von etwa 300 Personen im Jahr aus. Das mag daran gelegen haben, dass die Dichte der Hilfs- und der Ge

sprächsangebote noch nicht so groß war. Das ist aber eine Entwicklung, die uns natürlich mit großer Sorge erfüllt.

Ich will ein Beispiel aus der Diakonie Husum nennen: 2014 gab es 31 Kontakte und Gespräche, 2015 waren es 356 und 2016 237. Das zeigt, dass allein in so einer Stadt die Probleme deutlich größer werden.

Niemand muss bei uns unter der Brücke schlafen. Das ist der gesellschaftspolitische Konsens unserer Gesellschaft. Deswegen muss jeder ein Schlafplatzangebot bekommen, und das Gute ist: In Schleswig-Holstein bekommt auch jeder Obdachlose ein solches Angebot.

(Beifall CDU, FDP und SSW)

Ich möchte denjenigen, die diese nicht immer ganz einfache Arbeit leisten und dies ermöglichen, an dieser Stelle sehr herzlich Dankeschön sagen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir sind uns - so glaube ich - im Haus breit darin einig, dass das Land die Hilfen für Kommunen und Träger verstärken sollte, die es ermöglichen, diese Hilfs-, Beratungs- und Unterstützungsleistungen in Bezug auf das Wohnangebot vorzuhalten. Das gilt natürlich auch für die Träger.

Ich sehe den Antrag der SPD und des SSW. Ich will hier keine Schärfe reingeben, aber unter Punkt 2 heißt es: Die Landesregierung werde aufgefordert, die Landeszuschüsse für die Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Das hätte euch in den letzten fünf Jahren mal einfallen sollen!

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt AfD)

Meine Damen und Herren, bei der Wohnungsbaupolitik wird versucht, in diesem Bereich Wohnraum mit vorzuhalten. Das ist schon heute möglich. Hier brauchen wir eigentlich keine großen Neuerungen. Die Frage ist auf der anderen Seite: Wie können wir es schaffen, diejenigen Menschen, die es schwer haben, eine Wohnung zu finanzieren, die keine ausreichende Bonität haben, dennoch vor Obdachlosigkeit zu bewahren? Dies ist die Frage, über die wir im Bereich der sozialen Wohnungsbaupolitik sicherlich noch ein bisschen tiefer nachdenken müssen.

Wir müssen den Blick aber auch intensiv auf die betroffenen Menschen und deren Probleme richten, die die Ursache für die Situation sind. Das ist eine Mischung aus dem, was wir in der Gesellschaft ins

(Jörg Nobis)

gesamt manchmal haben: Jobverlust, Schulden, Alkohol, Sucht, Gesundheit, Behinderungen; dies ist ein ganzer Strauß an sozialen Problemen, der sich hier widerspiegelt. Das sind meist Menschen mit Handicaps, Menschen mit mehreren Problemen. Das ist nicht gerade untypisch für deren soziale Situation.

Es gibt übrigens auch heute schon eine Reihe an Hilfsangeboten, die genutzt werden. Auch dies möchte ich ganz deutlich sagen. Es ist nicht so, dass wir nicht ein umfassendes Hilfspaket im Bereich des Sozialgesetzbuchs hätten. Entscheidend ist, an die Menschen heranzukommen und die Angebote weitergeben zu können. Ich glaube, es ist hilfreich, wenn wir eine Untersuchung oder eine Statistik dazu bekämen, um entsprechend weitere Informationen zu bekommen. Vor allem wird das auch eine Chance dafür sein, Wege aus dieser Situation aufzuzeigen, denn darum muss es gehen, nämlich darum, dass jedem, der den Wunsch hat, aus dieser Situation herauszukommen, der Weg geebnet wird. Deswegen ist alles gut, wodurch wir Wege finden, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen.

Dies dient vielleicht auch dem menschlichen Miteinander und der menschlichen Wärme. Jeder, der vor Augen hat, wie Frank Zander in Berlin jedes Jahr sein Weihnachtsessen macht, der kann nur sagen: Hochachtung davor, wie hier ein Signal gesetzt und tatsächlich Hilfe geleistet wird!

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Armut zu ertragen ist schon schwer, obdachlos zu sein noch schwerer. Aber ich denke, dass es in diesem Haus ein breites Einvernehmen darüber gibt, dass die Menschen, die sich am wenigsten selbst einbringen können, in diesem Parlament eine Lobby haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Özlem Ünsal.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wenn die Rede von Wohnungslosigkeit ist, sprechen wir von einer ganz extremen Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung. Nicht nur, dass diese Personengruppen kein Dach über dem Kopf haben, sie erfahren zu

dem Ausgrenzung in vielen anderen Lebensbereichen. Sie sind stark betroffen von Langzeitarbeitslosigkeit, weisen gebrochene Bildungsbiografien auf, können zum Teil auch ihre Rechte auf Grundsicherungsleistungen oftmals selbst nicht geltend machen. Hinzu kommt, dass sie auch keinen geregelten Zugang zur medizinischen Versorgung haben.

Die dramatischen Folgen sind dann - auch das wird Sie nicht überraschen - Isolation, Diskriminierung und Gewalt im öffentlichen Raum. Wenn es nicht gelingt, die wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern, ist mit einem weiteren Anstieg der Wohnungslosigkeit im Land und im Bund zu rechnen. Das belegen auch die zuletzt am Dienstag aktuell veröffentlichten Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe, die, wie ich finde, noch einmal sehr eindringlich die Wohnraumsituation darstellen.

Im Jahre 2016 waren im Vergleich zum Jahre 2014 etwa 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Ich nenne das Jahr 2014 auch deshalb, weil Herr Kalinka eben fragte, warum das Problem denn jetzt auf einmal aufklappt. Dies belegen ja gerade die Zahlen, die jetzt noch aktueller sind als die vor einigen Jahren. Somit gibt es also einen Anstieg der Zahl der Wohnungslosen um fast 150 %. Zudem wird bis zum Jahre 2018 ein Anstieg auf 1,2 Millionen Menschen prognostiziert. Wenn das keinen Handlungsbedarf erkennen lässt, dann weiß auch ich nicht sonderlich viel dazu zu sagen.

Darin inbegriffen ist auch die Zahl der anerkannten wohnungslosen Flüchtlinge. Wir hörten ja schon die Verbindung. Dass die Zuwanderung die Gesamtsituation verschärft, trifft zwar grundsätzlich zu. Aber daraus abzuleiten, dass die Ursache der Wohnungsnot allein bei den Flüchtlingen liegt, weise ich entschieden zurück.

(Jörg Nobis [AfD]: Das habe ich nicht ge- sagt!)

- Das haben Sie sehr deutlich so gesagt.

Ich will die Zahlen nicht wiederholen; denn sie sind hier bereits mehrfach gefallen. Aber was die offizielle Statistik angeht, sehen wir den Bund in der Pflicht, eine einheitliche und vergleichbare Statistik einzuführen. Auf dieser Datenbasis können auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene präventive und nachhaltige Maßnahmen ausgestaltet werden. Dies ist für mich und für uns Voraussetzung, um insbesondere auf kommunaler Ebene wirksame Hilfepläne zu entwickeln und Kostenplanungen vorzunehmen. Diese Grundlage fehlt im Moment. Wir müssen Wohnen als Grundrecht für alle ermög

(Werner Kalinka)

lichen und damit Wohnungslosigkeit verhindern. Wir können diesen Menschen nicht jegliche Existenzgrundlage entziehen. Das ist weder mit unserem Humanitätsverständnis noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Recht auf Wohnen ist Voraussetzung menschenwürdiger Existenz, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD)

Hierzu ist es notwendig, mehrere Schritte anzugehen. Diese Punkte können Sie auch unserem Antrag entnehmen. Da geht es insbesondere um den Ausbau von Beratungsangeboten und um eine deutlich effektivere Kooperation und Vernetzung von Kommunen, freien Trägern und der Wohnungsunternehmen vor Ort. Es gibt also gute Ansätze; aber diese müssen wir vertiefen. Ich nenne beispielsweise die Wohnkontaktstelle, die ich persönlich sehr begrüße.

Darüber hinaus sehen wir die Notwendigkeit, die Landeszuschüsse für Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe an die neue Situation anzupassen. Wir haben jetzt nämlich eine neue Situation, und diese ist nicht mit der Situation von vor zwei Jahren vergleichbar. In der Tat, Träger wie zum Beispiel die Diakonie in Schleswig-Holstein belegen das ganz konkret für unser Bundesland mit Zahlen, und diese Träger sind auch sehr deutlich in ihrer Handlungsorientierung, wie man das Ganze entsprechend angehen könnte.

Wir fordern die Landesregierung zudem auf, sich auf Bundesebene für die ersatzlose Streichung der Sanktionsmöglichkeiten bei den Kosten von Unterkunft und Heizung nach dem SGB II - das wurde hier auch schon einmal erwähnt - einzusetzen und die Einführung einer bundeseinheitlichen Statistik zu forcieren.

Abschließend kann festgehalten werden, dass wesentliche Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit auch in einer nachholenden Wohnungsmarktpolitik in Deutschland zu verankern sind. Dieses ist auch an die Armutsentwicklung gekoppelt. Man kann dies nicht getrennt betrachten.