Protocol of the Session on December 10, 2020

Zunächst zur Justiz. Hier stellten sich im Zuge des ersten Herunterfahrens des öffentlichen Lebens schwierigste Fragen, zum Beispiel: Wie weit kann man einschränken, ohne dass der Rechtsstaat Schaden nimmt? Unser oberstes Ziel war bei Einschränkungen immer, den Rechtsgewährungsanspruch unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren.

Zeitgleich zu den ersten Maßnahmen des Gesundheitsministeriums haben wir ab 15. März 2020 Sonderregelungen für unsere Justiz erlassen. Im ersten Schritt hieß das, den physischen Zugang zu Gerichten und Staatsanwaltschaften auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken. Dem Ministerium waren zwei Maximen in dieser Phase wichtig. Erstens: Eilverfahren müssen abgearbeitet werden; auch in Krisenzeiten muss die Justiz handlungsfähig bleiben. Zweitens: Die Ausgestaltung der Sonderregelungen für die Justiz trifft jede Behördenleitung für sich vor Ort selbst.

Ab Mai steigerten wir den Präsenzbetrieb unter Einhaltung von Hygienevorschriften und -konzepten von einem regelhaften Ausnahmebetrieb zu einem eingeschränkten Regelbetrieb. Hier bewährte sich die dezentrale Ausgestaltung unserer Sonderregelungen. Vor Ort wurde entschieden, ob und in welchem Verfahren zum Beispiel größere Säle angemietet werden mussten oder die Abstände und Plexiglaswände ausreichenden Schutz bieten konnten. Diesen eingeschränkten Regelbetrieb fahren wir bis heute.

Wie gut und warum die Justiz trotz dieser Einschränkungen funktioniert hat, möchte ich an drei Punkten deutlich machen: Digitalisierung, die Entwicklung der Verfahrensstände sowie die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Pandemiezeiten.

Dass wir bisher so gut durch die Krise gekommen sind, liegt zu einem großen Teil am hohen Grad der Digitalisierung in der schleswig-holsteinischen Justiz. Alle Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger - das sind insgesamt etwa 3.000 Personen in unserem Land - waren fast nahtlos in der Lage, aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten. Doch - das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen - all das wäre nicht möglich gewesen ohne die Flexibilität und Erreichbarkeit der Servicekräfte, die sich bereits vor Beginn der Pandemie an der Belastungsgrenze befanden. Insofern ihnen noch einmal ein ausdrücklicher, herzlicher Dank für ihren besonderen Einsatz!

(Vereinzelter Beifall)

Weitere Beispiele sind die Aufrüstung mit Videokonferenztechnik, die jetzt bei allen Gerichten zur Verfügung steht, oder die Ausbildung der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, die mittels digitaler Formate sichergestellt werden konnte.

Die Coronakrise hatte natürlich Auswirkungen auf die Eingangs- und Erledigungszahlen bei den Gerichten. In mehreren Bereichen war zunächst ein Rückgang der Eingangszahlen zu beobachten, nämlich in Zivil-, Familien- und Strafsachen am Amtsgericht. Bei den Strafsachen gab es auch Rückgänge bei den Erledigungen, was nicht verwunderlich ist, da weniger mündliche Verhandlungen durchgeführt werden konnten. Diese Rückstände werden derzeit aufgearbeitet.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch nicht abgesehen werden, wie sich Nachholeffekte entwickeln werden. Die Auswirkungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beispielsweise werden auf die Justiz erst noch zulaufen.

Ein ambivalentes Bild zeichnet sich bei den Fachgerichtsbarkeiten ab. Hier gab es zum Beispiel kurzfristig einen deutlichen Rückgang der Eingangszahlen in Asylsachen, während die Zahlen bei den Arbeitsgerichten gestiegen sind.

Insofern kann man nicht von einem Coronastau der Verfahren bei den Gerichten sprechen. Die Handlungsfähigkeit der Justiz zeigt sich insbesondere auch durch die Tätigkeit der Verwaltungsgerichte. Allein beim Verwaltungsgericht wurden seit Beginn der Pandemie 144 Eilverfahren mit Coronabezug und beim OVG 73 erstinstanzliche Normenkontrolleilverfahren entschieden. Die hierbei teils zu korrigierenden Entscheidungen zu einzelnen einschränkenden Coronamaßnahmen der Politik zeigen deut

lich, dass unser Rechtsstaat auch in Krisenzeiten funktioniert.

(Vereinzelter Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daneben bleibt zu bemerken, dass der Abbau der Asylverfahren beim Verwaltungsgericht planmäßig weiter voranschreitet.

Großen Herausforderungen stand auch der besonders sensible Bereich des Justizvollzugs gegenüber. Es wurde ein umfangreiches organisatorisches Maßnahmenkonzept für die Gefangenen und die Bediensteten entwickelt. In den Justizvollzugsanstalten in Lübeck und Neumünster sowie in Schleswig wurden Quarantänebereiche eingerichtet, der Vollstreckungsplan wurde geändert. Eine zentrale Krankenabteilung befindet sich nun in der JVA Neumünster. Zur besseren medizinischen Versorgung der Gefangenen wurde zudem innerhalb kurzer Zeit die Telemedizin eingeführt.

Auch der Personaleinsatz musste natürlich angepasst werden. Ende März wurde zunächst für drei Monate von einem Dreischicht- auf einen Zweischichtbetrieb umgestellt. Die Bediensteten wurden in festen Teams zusammengefasst. Bemerkenswert und erfreulich war die Entwicklung des Krankenstandes, der in den Monaten April bis Juni deutlich zurückgegangen ist. Auch hier zeigt sich deutlich die hohe Motivation der Mitarbeiter.

Aufgrund des steigenden Infektionsgeschehens arbeiten die Bediensteten seit November wieder in festen Kohorten. In Itzehoe und Flensburg gilt wieder ein Zweischichtbetrieb, in den übrigen Anstalten ein Dreischichtbetrieb.

Auch der Haftalltag ist nach wie vor von der Pandemie gekennzeichnet. Insgesamt kam es für Inhaftierte zu vorübergehenden Einschränkungen ihrer persönlichen Kontaktmöglichkeiten. Besucher erlauben wir seit Mitte Juni 2020 wieder in begrenztem Umfang und unter strengen Auflagen. Auch die Qualifizierung und die Arbeit der Gefangenen im Vollzug kamen weitgehend zum Stillstand. Seit Mitte Juni wurde der Betrieb in den Anstalten wieder angefahren, wenngleich mit einer beschränkten Anzahl an Beschäftigungs- und Qualifizierungsplätzen.

Sie sehen also: Auch der Justizvollzug hat schnell reagiert, und die ergriffenen Maßnahmen waren erfolgreich. Hierbei ist es insbesondere dem Engagement und der Flexibilität der Bediensteten zu verdanken, dass die Funktionsfähigkeit aufrechterhalten werden konnte.

(Beifall Barbara Ostmeier [CDU])

Meine Damen und Herren, als Fazit ist festzuhalten, dass sich die schleswig-holsteinische Justiz und der Justizvollzug den Anforderungen der Pandemie erfolgreich gestellt haben und weiter stellen werden. Deshalb sei an dieser Stelle abschließend noch einmal ausdrücklich betont: Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre hervorragenden Leistungen während der Coronakrise. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Christian Dirschauer [SSW])

Der Minister hat die vorgesehene Redezeit um 3 Minuten erweitert. Diese zusätzliche Redezeit steht nun auch allen Fraktion zu.

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Barbara Ostmeier das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Coronavirus hat Deutschland und die Bundesländer nach wie vor fest im Griff, und auch in Schleswig-Holstein verzeichnen wir aktuell einen Anstieg der Infektionszahlen. Umso mehr freue ich mich über den heutigen Bericht zur Lage der Justiz und des Justizvollzugs. Ich danke unserem Justizminister Claussen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für den Bericht und das problembewusste Engagement in Ihrem Haus.

(Vereinzelter Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aktueller und mehr am Puls der Zeit kann so ein Bericht gar nicht sein.

Die unabhängige Justiz ist bedeutsamer Teil der Staatsgewalt. Als Judikative ist sie im Sinne der Gewaltenteilung unverzichtbarer Bestandteil unseres demokratischen Rechtsstaates. Gerade in diesen Zeiten, in denen die zur Bekämpfung des Coronavirus getroffenen Maßnahmen mit intensiven Beschränkungen von Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger verbunden sind, kommt ihr ein besonderes Gewicht zu. Der Rechtsstaat muss sich in so einer Lage mit allen seinen Institutionen immer wieder mit der Frage beschäftigen, ob Maßnahmen richtig waren, ob sie verbessert werden können oder korrigiert werden müssen. Obwohl wir uns in Schleswig-Holstein in Regierung und Parlament ausführlich mit diesen Fragen auseinandersetzen

(Minister Claus Christian Claussen)

und im Vergleich wahrlich gut dastehen, gibt es Bürgerinnen und Bürger, die uns nicht vertrauen, Verordnungen hinterfragen und gar zu Demonstrationen aufrufen. Das ist ihr gutes Recht.

Nach der heutigen Berichterstattung können wir diesen Bedenken aber mit voller Überzeugung entgegenhalten: Die gerichtliche Kontrolle funktioniert. In unserem Rechtsstaat ist kein Raum für eine sogenannte Coronadiktatur. Es gibt sie hier schlicht nicht.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger können auch in diesen Krisenzeiten auf die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung als kontrollierende Instanz in unserem Rechtsstaat vertrauen.

Der Justizminister hat es dargelegt: Insbesondere im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben die Gerichte in 144 Eilverfahren mit Coronabezug und über 70 erstinstanzlichen Normenkontroll-Eilverfahren entschieden und dort, wo es nötig war, politische Entscheidungen korrigiert. Die Justiz hat Landtag und Landesregierung Grenzen aufgezeigt, wo es nötig war. So funktioniert Rechtsstaat.

Eine weitere gute Nachricht ist: Auch wenn unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften angesichts der Gesundheitsrisiken zahlreiche Termine verschieben mussten, so gelingt es der Justiz auch jetzt, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Konzepte zu Abstands- und Hygieneregeln sowie das Aufstellen von Plexiglaswänden gehören inzwischen zum Alltag. Dort, wo größere Säle erforderlich sind, werden praktikable Alternativen gesucht. Ein Beispiel in Itzehoe zeigt, dass es dabei keine Denkverbote gibt: Dass eine Strafkammer eines Landgerichts derzeit einen umfangreichen Fall von Bandenkriminalität in einer Diskothek verhandelt, ist innovativ und zur Einhaltung der Abstandsregeln auch richtig.

Der hohe Grad an Digitalisierung und die Aufrüstung von Sitzungssälen mit Videokonferenztechnik ist in Schleswig-Holstein ein weiterer elementar wichtiger Beitrag, um die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen und die Terminierung unaufschiebbarer Verhandlungen zu erleichtern. Etwaige Vorbehalte gegen den Umstieg auf die elektronische Akte oder gegen den Rückgriff auf die Videotechnik in geeigneten Zivilverfahren sind spätestens durch die Erfahrungen während der Pandemie sogar deutlich gesunken.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, der Rechtsgewährungsanspruch unserer Bürgerinnen und Bürger wird grundsätzlich gewahrt. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Erfolgreich sind all diese Maßnahmen nur deshalb, weil sich Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Justizmitarbeiterinnen und Justizmitarbeiter ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind. Trotz schon bestehender Belastungen haben insbesondere die Servicekräfte einen erheblichen Anteil an der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Justiz. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank übermitteln.

Einen ebenso herzlichen Dank möchte ich auch an alle Beschäftigten im Justizvollzug richten. Auch dort konnte durch umfangreiche organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Gefangenen und der Bediensteten ein verlässlicher Vollzug sichergestellt werden.

Der Justizvollzug ist ein besonders sensibler Bereich. Der Umgang mit den Gefangenen erfordert eine ganz besondere Verantwortung und ein hohes Maß an Kompetenz und Einsatzbereitschaft. Dass in dieser schwierigen Situation die Krankenstände gering sind, belegt, mit welch großem Verantwortungsbewusstsein und Engagement in unseren Justizvollzugsanstalten gearbeitet wird.

(Beifall CDU und Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] - Unruhe - Glocke Präsidentin)

Das ist so, obwohl die Personalsituation schon vor der Krise mehr als angespannt war. Die nach wie vor niedrigen Infektionszahlen zeigen, dass all diese Schutzmaßnahmen greifen.

Frau Abgeordnete, einen kleinen Moment bitte. Ich würde doch bitten, längere Gespräche nach draußen zu verlagern. - Besten Dank.

Dennoch dürfen wir uns auf diesen guten Botschaften nicht ausruhen. Auch die Justiz muss sich auf die erneut zugespitzte Lage einstellen. Wir müssen weiterhin gut im Blick haben, wo wir weiteren Handlungsbedarf sehen. Die Bewältigung der Coronakrise darf nicht in eine Krise für den Rechtsstaat münden. Deswegen freut es mich sehr, dass sich unser Justizminister einem Schreiben an den Bundegesundheitsminister angeschlossen hat, um die Impfkommission auf die Bedeutung der Justizbe

(Barbara Ostmeier)

diensteten hinzuweisen. Ich möchte das ausdrücklich unterstützen

(Beifall CDU und Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

und dabei insbesondere den Allgemeinen Vollzugsdienst, die Wachtmeisterei und die Serviceeinheiten in den Blick rücken. Sie alle sind unverzichtbar für das Funktionieren der Justiz und des Justizvollzugs.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Witt- genstein [fraktionslos])

Darüber hinaus müssen wir dafür Sorge tragen, dass der festgestellte Personalmangel bei Servicekräften und im Vollzug beseitigt wird. Deswegen richte ich abschließend eine Bitte an Ministerin Heinold. Sie ist leider nicht im Haus, aber vielleicht kann Herr Claussen meinen Wunsch weitergeben: Haben Sie ein offenes Ohr für unseren Justizminister, unterstützen Sie die gute Arbeit, und stellen Sie die dringend erforderlichen Mittel zur Verfügung! - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut! - Beifall CDU und SSW)