Protocol of the Session on December 10, 2020

Ich bitte Sie, beiden Gesetzentwürfen Ihre Stimme zu geben. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SSW)

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Landesregierung der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung legt Ihnen heute zwei Gesetzentwürfe vor: den einen zum Maßregelvollzugsgesetz und den anderen zum Gesetz zur Hilfe und Unterbringung von Menschen mit Hilfebedarf infolge psychischer Störungen, das sogenannte PsychHG. Die Gesetzesnovellierungen sind insbesondere deswegen notwendig geworden, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Fixierung gerecht zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu 2018 ein wegweisendes Urteil gesprochen.

Die Fixierung stellt die intensivste Form der Freiheitsentziehung der untergebrachten Menschen in Einrichtungen des Maßregelvollzugs und in solchen für Menschen mit Hilfebedarf infolge psychischer Störungen dar. Eine Fixierung ist jetzt nur noch unter strengsten Bedingungen möglich. So ist ein Richtervorbehalt, also eine richterliche Entscheidung zur Fixierung, sowie eine kontinuierliche Eins-zu-eins-Betreuung durch hinreichend geschultes Personal erforderlich. Die Überwachung durch technisches Hilfsmittel, also beispielsweise Videokameras, bleibt im Rahmen der Eins-zu-eins-Betreuung weitgehend ausgeschlossen. Lediglich in Ausnahmefällen, also etwa wenn es dem Wunsch der Betroffenen entspricht oder dem Wunsch der Betroffenen folgt oder bei medizinischer und therapeutischer Notwendigkeit, können technische Hilfsmittel angewendet werden. Beide Gesetzentwürfe sind in diesem Punkt im Sinne einer einheitlichen Gesetzgebung identisch.

Zu beiden Gesetzentwürfen hat ein sehr umfangreiches schriftliches und mündliches Anhörungsverfahren stattgefunden. Akteure aus der Medizin, der Justiz und von den Verbänden psychisch erkrankter Menschen und deren Angehöriger wurden hierbei einbezogen. Beide Gesetzentwürfe enthalten neue Regelungen, die unter anderem aus langjährigen praktischen Erfahrungen heraus entstanden sind. Ich möchte zunächst kurz auf das Maßregelvollzugsgesetz eingehen.

Mit dem Gesetzentwurf wird ein größerer Fokus auf Nachsorge und auf Wiedereingliederung der untergebrachten Menschen gelegt. Es sind in verantwortbaren Fällen Vollzugslockerungen vorgesehen, damit die Menschen auf ein selbstständiges und straffreies Leben außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung vorbereitet werden. Die verfassungsrechtlich garantierten Rechte der untergebrachten Menschen werden dadurch gestärkt.

(Werner Kalinka)

Das Besuchsrecht wird von einer auf vier Stunden pro Monat ausgeweitet, weil wir überzeugt davon sind, dass ein gut vorbereitetes direktes soziales Umfeld zu einer gelingenden Entlassung beitragen wird. Zum Schutz schwächerer Patientinnen und Patienten wird das Geschäftsverbot zwischen untergebrachten Menschen untereinander sowie zwischen Untergebrachten und Beschäftigten gesetzlich klar normiert, wie es die Besuchskommission auch in ihrem letzten Jahresbericht eindeutig empfohlen hat.

Darüber hinaus sind die Sicherheitsanforderungen der untergebrachten Menschen zum Schutz der Allgemeinheit erweitert worden. Bei Durchsuchungen können zukünftig Detektoren eingesetzt werden. Auch kann die Einrichtungsleitung anordnen, dass neu aufgenommene oder zurückgekehrte Patientinnen und Patienten durchsucht werden können. Damit soll das Einschleusen gefährlicher Gegenstände oder auch von Drogen besser verhindert werden können.

Damit Organisationen wie die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ihre Aufgaben besser wahrnehmen können, wird ein gesetzliches Einsichtsrecht in die Patientenakten in Zukunft eingeführt.

Nun komme ich zum PsychHG, zu dem die Landesregierung ebenfalls einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Im Gegensatz zum Maßregelvollzug handelt es sich bei der Unterbringung von Menschen mit Hilfebedarf infolge psychischer Störungen nicht um eine Landesaufgabe. Dafür sind die Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Daher wurden diese in besonderem Maße in das gesamte Gesetzgebungsverfahren eingebunden.

Das neue PsychHG stärkt die Rechte der Patientinnen und Patienten und zielt auf eine moderne und offene psychiatrische Versorgung ab. Dies soll auch durch die neue Bezeichnung PsychHG bereits deutlich werden, indem der Hilfeaspekt in den Vordergrund gerückt wird. Zudem werden einige Unklarheiten des bisher geltenden PsychKG beseitigt, das seit 2009 in seinem Kernbereich nahezu unverändert geblieben ist.

Der Sozialpsychiatrische Dienst der Gesundheitsämter wird mit seinem konkreten Aufgabenbereich in einer gesonderten Vorschrift aufgenommen. Das ist wichtig, um seiner zentralen Rolle im Bereich der psychiatrischen Versorgung gerecht zu werden. Die Arbeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes kann zudem durch selbstbetroffene qualifizierte Peers unterstützt werden. Auch das ist neu im PsychHG.

(Unruhe)

- Es tut mir leid, es ist extrem laut! - Der Begriff der psychischen Erkrankung wird durch den heute gängigen Terminus psychische Störung ersetzt. Auch der Unterbringungsbegriff wird klarer definiert. Damit wird klargestellt, dass bei somatischen Erkrankungen die Unterbringung in einem dafür geeigneten Krankenhaus erfolgt.

Zur Stärkung des Rechtsschutzes der Betroffenen und als Instrument der Qualitätskontrolle wird eine Dokumentations- und Berichtspflicht aufgenommen. Das Land wird die Etablierung und Pflege eines landesweit einheitlichen Dokumentations- und Berichtswesens der Psychiatrien finanzieren und die Kreise und kreisfreien Städte bei ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützen. Damit verhindern wird Mehrbelastungen für die Kommunen.

Die Ziele der Hilfen und Hilfeformen werden konkretisiert, indem unter anderem die Kontaktaufnahme zu den Betroffenen flexibler gestaltet und das soziale Umfeld im Rahmen der Hilfemaßnahmen verstärkt einbezogen wird. Zudem sieht der Entwurf ein gesetzliches Betretungsrecht einer Wohnung für den Sozialpsychiatrischen Dienst bei Gefahr im Verzug vor.

Schließlich, meine Damen und Herren, stärken weitere Neuregelungen die Rechte der Patientinnen und Patienten, die wegen Eigen- oder Fremdgefährdung geschlossen untergebracht werden müssen. Sie erhalten mehr Möglichkeiten zum Aufenthalt im Freien und an sinnvoller Freizeitbeschäftigung. Auch hier werden ihre Besuchsmöglichkeiten ausgeweitet.

Die Krankenhäuser wie auch die Maßregelvollzugseinrichtungen werden zudem verpflichtet, Konzepte für Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zu entwickeln und diese der Fachaufsicht vorzulegen. Zugleich werden wir die Mittel aufwenden, um auf geschlossenen Stationen Kriseninterventionsräume zu errichten. Ziel ist, dass Fixierungen deutlich seltener zum Einsatz kommen und Zwangsmaßnahmen insgesamt vermieden werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat mit diesen Gesetzentwürfen die Anforderungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mit den Belangen der Praxis in Einklang gebracht. Mit beiden gesetzlichen Anpassungen stärken wir die Rechte von Menschen im Maßregelvollzug und ebenso derjenigen, die in psychiatrischen Kliniken des Landes untergebracht sind. Im neuen Maßregelvollzugsgesetz stellen wir die Weichen für eine bessere Vorbereitung auf ein straffrei

(Minister Dr. Heiner Garg)

es Leben und sorgen damit auch für mehr Sicherheit der Bevölkerung.

Ich würde mich daher über die Zustimmung zu beiden Gesetzentwürfen freuen. - Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Minister hat die im Ältestenrat verabredete Redezeit um 2 Minuten überzogen. Diese Redezeit steht jetzt allen Fraktionen zusätzlich zur Verfügung.

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hans Hinrich Neve das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Schutz von Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung ist eine sehr wichtige Aufgabe in einem großen Spannungsfeld, denn dieser Schutz bedeutet sehr häufig einen enormen Eingriff in die Rechte der Betroffenen.

Wenn wir auf die Historie der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zurückblicken, so können wir voller Erleichterung sagen, dass wir uns im Laufe der Jahre schon sehr stark entwickelt haben, und das ist auch gut so. Wenn wir uns Geschichten von älteren Mitarbeitern in Psychiatrien anhören, welche Situationen sie in ihrer Ausbildungszeit erlebt haben, so sind wir in der heutigen Zeit glücklicherweise weit davon entfernt. Es ist undenkbar, was damals alles so geschehen ist.

Diese beiden Gesetzentwürfe sind ein weiterer Schritt zu einer Verbesserung. Mit der Veränderung dieser Gesetze wollen wir die Rechte der Betroffenen stärken, diesen beispielsweise mehr Besuchszeit und Beschäftigungsmöglichkeiten einräumen, aber auch einen Schwerpunkt auf das Entlassmanagement setzen. Es soll frühzeitig damit begonnen werden, die Vorbereitungen für die Zeit nach der Entlassung zu treffen, damit kein Mensch im Anschluss an eine stationäre Behandlung alleingelassen wird.

(Beifall CDU, FDP und Christian Dirschauer [SSW])

Kernpunkt der beiden Gesetze ist zudem die Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts,

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

das über die Umstände von Fixierungsmaßnahmen zu entscheiden hatte. Dort die richtige gesetzliche Formulierung zu finden, war ein äußerst schwieriger Prozess; das möchte ich auch in diesem Raum nicht verschweigen. Hier galt es, neben dem uns wichtigen Schutz der Betroffenen auch die Mitarbeitenden mit ihren Erlebnissen und Schwierigkeiten im Alltag nicht aus dem Blick zu lassen. Wir sind zuversichtlich, dass uns eine Formulierung gelungen ist, die in der Praxis gut umsetzbar ist und die Rechte der betroffenen Menschen - sowohl der psychisch Erkrankten als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der stationären Einrichtungen - beachtet.

Während der Anhörungen im Sozialausschuss kristallisierte sich die Befürchtung heraus, dass es manchmal nicht genug Alternativen zu den besonderen Maßnahmen gebe. Daher finden wir es besonders erfreulich, dass das Gesetz nunmehr die Erstellung von Konzepten vorsieht, die alle Beteiligten gemeinsam erarbeiten sollen, um ausreichend Alternativen zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen zu schaffen. Denn darauf, meine Damen und Herren, sollten wir unseren besonderen Blick richten: Es muss in der Praxis ausreichend Möglichkeiten geben, die besonders einschneidenden Maßnahmen der Fixierung zu vermeiden.

Wir haben nunmehr, nach durchgeführten schriftlichen und mündlichen Anhörungen, an diesen beiden bedeutenden Gesetzentwürfen Überarbeitungen vorgenommen, die wir in Änderungsanträgen eingebracht haben; der Vorsitzende hat es schon erwähnt.

Zuletzt sei gesagt: Eine psychische Erkrankung ist etwas, was jedem von uns oder unseren Angehörigen zustoßen kann. Manchmal häufen sich völlig unerwartet solche einschneidenden Erlebnisse, sodass selbst der stärkste Charakter dem nicht standhält. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir während einer notwendigen Behandlung stets Artikel 1 unseres Grundgesetzes mit Leben füllen - ich zitiere -:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Ich bitte um Entscheidung in der Sache. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Bernd Heinemann das Wort.

(Minister Dr. Heiner Garg)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bedauerlich, dass der Minister nur zu seiner eigenen Rede hiergeblieben ist. Ich hätte es gern gesehen, wenn er auch an den Beratungen teilgenommen hätte. Aber sei‘s drum! Es war wahrscheinlich sehr wichtig.

(Jette Waldinger-Thiering [SSW]: Ja, sehr wichtig! - Zuruf Oliver Kumbartzky [FDP])

Corona macht das Leben vieler Menschen schwerer, als es ohnehin schon für sie ist. Psychische Störungen, Einsamkeit, Ängste, Sucht und Ausraster nehmen, jedenfalls im Moment, nicht gerade ab. Die Menge und die Qualität des Hilfebedarfs von psychisch massiv belasteten Menschen nehmen immer weiter zu; das kann man in jeder psychiatrischen Praxis sehen, die überläuft.

Von Zeit zu Zeit - und gerade jetzt - müssen wir unsere Verfassung bemühen; mein Kollege hat es schon deutlich gemacht. Es geht um unsere Würde um unser aller Würde. Dies müssen wir in den Mittelpunkt dieser beiden Gesetzesreformen stellen. Die demokratischen Parteien hier im Haus machen sich genau das immer wieder zu eigen, und das ist gut so. Dies gilt besonders für Menschen, die krank sind und ohnehin erhebliche Lasten tragen müssen.

Ein Rechtsstaat und Zwangsbehandlung - wie geht das vor dem Hintergrund unserer Geschichte und unserer Verfassung zusammen? Das Verfassungsgericht hat es uns in das Stammbuch geschrieben: Jeder Mensch entscheidet selbst, welche Hilfe er annimmt und welche Hilfe er nutzt. Kann er das nicht, weil seine Krankheit Selbstbestimmung nicht zulässt, so ist die Entscheidung deutlich stärker und dauerhafter richterlich zu ersetzen und muss immer wieder überprüft werden.

Wenn es um gravierend eingreifende Behandlungen mit Psychopharmaka oder mechanischer Fixierung gegen den Willen der Patienten geht, gibt es nur wenig Spielraum. Hier wurden die eindeutigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in den Gesetzen nun umgesetzt, wie es unser Gesundheitsminister gerade formuliert hat. Daraus folgt allerdings auch, dass die Personalausstattung ausreichend sein muss - ein wichtiger Punkt.

Zudem muss eine Kultur entwickelt werden, in der die Fixierung so selten wie möglich angewandt wird. Es darf nur das allerallerletzte Mittel sein und soll möglichst vermieden werden. Der Mensch ist frei und entscheidet gemäß seiner Einsichtsfähigkeit selbst, was für ihn gut und richtig ist. Das gilt

sicher nicht auf dem Geländer einer Hochbrücke oder nachweislich auf dem Weg dorthin, danach aber bald wieder.