Protocol of the Session on December 9, 2020

Wenn ich aber rumgehe und frage, welche Regel bei uns gilt, wissen es viele Menschen nicht. Ich fände es spannend, wenn man hier im Haus einmal fragen würde, ob wir alle es ganz genau wissen.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD] - Heiterkeit)

- Wir können aber nicht Kai Dolgner mit einem Infostand auf jeden Marktplatz stellen. Das wäre total hilfreich, dafür müsste man aber Sie, Herr Dolgner, klonen.

(Heiterkeit und Zurufe - Widerspruch und Heiterkeit Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Es wäre führ ihn auch reichlich kalt.

Die Erwartungshaltung ist klar: Wir sollen regional reagieren, aber so einfache und klar verständliche Regelungen haben, dass sie gut kommunizierbar sind. Bei diesem Punkt haben Sie, liebe SPD, recht. Es wissen aber auch alle: Wir müssen noch besser erklären und kommunizieren. An der Stelle treffen wir uns dann inhaltlich.

Wir müssen schnell reagieren, weil die Zahlen sich ständig ändern, und gleichzeitig müssen wir Ruhe bewahren. Herr Koch hat es gesagt: Wir haben als Norddeutsche eine gewisse Ruhe ausgestrahlt, und das war bisher auch gut so. Gleichzeitig gehen aber die Zahlen durch die Decke. Das sind Dilemmata, in denen wir stecken, und mit denen wir umgehen müssen.

(Eka von Kalben)

Wir interpretieren täglich die Zahlen und müssen gleichzeitig schon gucken, was diese Zahlen für die Situation in zwei Wochen bedeutet. Die heutigen Zahlen sind die Ansteckungszahlen von vor zwei Wochen. Gleichzeitig sind die heutigen Zahlen die Zahlen, die wir im Hinblick auf die Zahl der zukünftigen Intensivbettenpatienten bewerten müssen. Auch diese Frage ist kompliziert und komplex. Das ist insofern nicht immer ganz einfach zu kommunizieren.

Wir kommen zu einem letzten Punkt, den ich gern ansprechen möchte, nämlich die bundesweit einheitlichen Lösungen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir einheitlich vorgehen sollten, und zwar vor allen Dingen aus zwei Gründen. Zum einen glaube ich, dass es das einzige ist, was die Menschen wirklich nachvollziehen können und damit auch leichter verstehen können. Zum anderen glaube ich, dass wir gerade über die Feiertage so viel Reiseverkehr und Mobilität im Land haben werden, dass es merkwürdig wäre, wenn man an bestimmten Stellen Ausnahmen macht und an anderen nicht.

Wir befinden uns jetzt in einer Situation, in der wir wieder starke Zuwächse haben. Wir müssen auf Expertinnen und Experten, auf die Menschen in den Pflegestationen und Intensivstationen hören und Herrn Günther die Botschaft mitgeben: Setzen Sie sich bei der Ministerpräsidentenkonferenz für einen klaren Lockdown - spätestens nach Weihnachten ein. Unsere Fraktion würde dies sehr unterstützen. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der festen Überzeugung, dass die Akzeptanz von schwierigen politischen Entscheidungen in einer Krise wie dieser dann besonders hoch ist, wenn effektive und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen

(Beifall FDP, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

und diese dann auch klar kommuniziert werden. Man kann und sollte sich natürlich auch immer korrigieren, wenn die Lage es erfordert, aber es wirkt eben nicht besonders souverän und überzeugend,

wenn bundesweite Vereinbarungen alle paar Tage teilweise im Tages- und Stundentakt - immer wieder verändert werden. Vor allem dann ist es schwierig, wenn es sehr überraschend geschieht. Ich glaube, das ist ein Punkt, über den man in der Tat sprechen muss.

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt CDU und SPD)

Die Menschen wünschen sich zu Recht mehr Verlässlichkeit, auch wenn das in einer solchen Krise natürlich nicht immer einfach zu gewährleisten ist. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Die Ministerpräsidentenkonferenz - bekanntermaßen kein Verfassungsorgan, sondern ein Abstimmungsgremium von Bund und Ländern, ein sehr wichtiges Abstimmungsgremium; aber die Entscheidung muss am Ende in den Ländern selbst getroffen werden - hatte sich Ende November 2020 nach umfangreichen Diskussionen in den Tagen zuvor auf ein Paket geeinigt. Man kann sagen, das sei nicht ausreichend gewesen, aber es gab ein Paket. Sieben Tage später wurde ziemlich überraschend der Zeitplan verändert. Man hatte sich vom 15. Dezember 2020 auf den 4. Januar 2021 vertagt, und die Verordnungen sollten einfach bis zum 10. Januar 2021 verlängert werden. Für Schleswig-Holstein hatte das ehrlich gesagt letztlich erst einmal keine allzu großen Auswirkungen, weil wir die Verordnung im Dezember sowieso ändern wollten und weil wir Hotels und Gaststätten für den Jahreswechsel wenig Hoffnung gemacht hatten. Aber man sollte auch beachten, dass das Infektionsschutzgesetz, das die gesetzliche Grundlage für die Verordnungen hier in den Ländern ist, für diese eine Laufzeit von vier Wochen vorsieht. Das kann man natürlich verlängern, das ist auch sinnvoll, aber das bereits im Vorhinein zu tun, ist doch etwas ungewöhnlich, um es einmal so auszudrücken.

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt SPD und Bei- fall Werner Kalinka [CDU])

Dann kam am letzten Wochenende eine Sondersitzung des Kabinetts in Bayern - am Nikolaustag, einen anderen Termin gab es wohl nicht -, und man verkündete neue Maßnahmen und forderte auch einen neuen MPK-Termin - am Sonntag vor Weihnachten -, den man erst am Mittwoch wieder gecancelt hatte. Ich glaube, das ist das Problem, über das man durchaus sprechen muss.

Aber wenn wir ehrlich sind und uns die Entwicklungen der letzten Tage anschauen, ist das alles auch schon wieder fast Schnee von gestern. Ich halte es für absolut notwendig, dass die bundesweiten

(Eka von Kalben)

Vereinbarungen zukünftig dennoch eine längere Halbwertszeit haben.

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt SPD und Bei- fall Werner Kalinka [CDU])

Angesichts der Dynamik erscheint mir auch eine MPK in den nächsten Tagen oder Anfang der kommenden Woche absolut sinnvoll.

(Beifall Oliver Kumbartzky [FDP], Dr. Mar- ret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Die Lage ist in Deutschland sehr ernst, auch in Schleswig-Holstein, und der Winter hat noch gar nicht richtig angefangen. Auch das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass die besonders betroffenen Länder wie Sachsen oder Bayern kurzfristig zu schärferen Maßnahmen übergehen. Ich muss sagen, ich finde das sogar in weiten Teilen überfällig. Bei einzelnen Maßnahmen wundert man sich als Schleswig-Holsteiner auch, dass diese dort erst jetzt ergriffen werden, zum Beispiel im Sport- und Kulturbereich.

Ich staune auch immer wieder - meine Vorliebe an der Stelle ist ja bekannt - über den bayerischen Ministerpräsidenten und seine breitbeinigen Auftritte. Dass er immer wieder fordert, es müsse bundesweit etwas geschehen, bevor er selber in Bayern handelt, erklärt sich mir nicht. Niemand hält diesen Menschen davon ab, in Bayern frühzeitiger einzugreifen. Es ist überfällig, dass er reagiert.

(Beifall FDP, CDU, SPD, SSW und verein- zelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, man hat bei der vorletzten MPK darüber gesprochen, dass man eine Hotspot-Strategie brauche. Das Problem ist: Man hat das nicht wirklich mit Leben gefüllt. Man hat gesagt, ab einer Inzidenz von 200 müsse irgendetwas passieren; aber was passieren muss, hat man nicht gesagt. Dementsprechend wurde da auch nichts gemacht. Das ist das Problem.

(Beifall FDP, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das holt uns jetzt bundesweit wieder ein, wenn wir ehrlich sind. Das ärgert mich auch massiv, um das deutlich zu sagen.

In Schleswig-Holstein ging das Infektionsgeschehen bis letzte Woche ganz langsam zurück, sodass wir rund drei Wochen unter dem berühmten Grenzwert der Siebentagesinzidenz von 50 pro 100.000 Einwohner lagen, dessen Überschreitung ein Bun

desland zum Risikogebiet macht. Aber in den letzten Tagen haben wir trotz des Teil-Lockdowns, der auch bei uns auf Dauer leider nicht die Wirkung entfaltet hat, die gewünscht war, eine negative Entwicklung, eine Überschreitung des Grenzwertes. Wir wissen noch immer nicht überall ganz genau, woran es liegt, wir können es aber erahnen, und es gibt auch deutliche Hinweise.

Ein Problem ist sicherlich, dass ein Teil der Bevölkerung nicht oder nicht mehr so diszipliniert ist, auch wenn sich die allermeisten Menschen weiterhin vorbildlich verhalten. Auf diesen negativen Trend in Schleswig-Holstein müssen wir in geeigneter Form reagieren. Das steht außer Frage.

Schleswig-Holstein wird gern von außen ein sehr lockerer Kurs angedichtet, was entweder Unkenntnis oder Unterstellung sein muss. Wir haben stets früh, umsichtig und möglichst zielgenau agiert. Das ist ein wichtiger Teil unseres bisherigen Erfolgs. Geografische Lage und Mentalität helfen uns sicherlich, aber sie sind eben nicht alles. Wir werden in Schleswig-Holstein konsequent bleiben. Einen Kontrollverlust, den wir in einigen Regionen beobachten müssen - das muss man mittlerweile so nennen -, wie zum Beispiel in Sachsen, wollen wir hier verhindern.

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, Beifall Werner Kali- nka [CDU] und Tobias Koch [CDU])

Am Wichtigsten ist und bleibt natürlich der Schutz der besonders verletzlichen Gruppen in unserer Gesellschaft. Wir brauchen in der Tat noch mehr Tests in den Heimen. Es steht außer Frage: Dort haben wir die schweren Verläufe, und dort haben wir auch einen Großteil der Todesfälle. Das kann uns nicht kaltlassen. Darauf müssen wir reagieren.

Wir nehmen die Hinweise aus der Wissenschaft gerade in Schleswig-Holstein mit dem Expertenrat und mit vielen Gesprächen auch hier im Landtag sehr ernst. Aber entscheiden müssen natürlich am Ende wir als politisch Verantwortliche selbst. Der Teil-Lockdown hat in vielen Regionen nicht den erhofften Erfolg gebracht und ist nicht nur deshalb keine überzeugende Dauerlösung. Das gilt vor allem für den Südosten der Republik, aber auch für uns.

Die enge Einbindung der Parlamente haben wir bisher in Schleswig-Holstein sehr gut hinbekommen. Das ist auch kein Orchideen-Thema, wie man den Eindruck haben kann, wenn man beispielsweise einige Journalisten, Experten oder teilweise selbsternannten Experten hört: Gerade in der Krise erhöht

(Christopher Vogt)

eine enge Einbindung der Parlamente die Akzeptanz von schmerzhaften Beschlüssen.

Meine Damen und Herren, ich will eines sagen: Transparenz bei einer Ministerpräsidentenkonferenz heißt für mich nicht, den Live-Ticker von „Bild-online“ zu füttern, sondern dass man sich vorher in den Parlamenten und transparent für die Gesellschaft eine Zustimmung geholt hat.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ganz entscheidend für die Akzeptanz sind auch angemessene Hilfen für unsere Unternehmen, die stark beeinträchtigt sind oder sogar geschlossen werden müssen, obwohl sie nicht für die Situation verantwortlich sind. Auf die zugegebenermaßen sehr üppigen November- und Dezemberhilfen mit einer Erstattung von 75 % des Umsatzes soll jetzt keine Januarhilfe folgen, sondern es soll die Überbrückungshilfe III geben, die dann nur noch Fixkosten erstattet und auf 200.000 € gedeckelt ist. Für viele mittlere Betriebe - das müssen wir deutlich sagen - ist das schwierig.

Noch schwieriger ist aber, dass der Bund die Abwicklung der November- und Dezemberhilfe einfach nicht auf die Reihe bekommt. Es kann nicht sein, dass es so lange dauert, dass man überhaupt einen Antrag stellen kann. Das ist immer noch nicht gelöst. Das gefährdet die Zahlungsfähigkeit vieler Unternehmen. Die Erhöhung der Abschlagszahlungen auf 50.000 €, die Herr Altmaier jetzt angekündigt hat, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber für viele Unternehmen leider nicht ausreichend. Da muss dringend noch einmal vonseiten der Bundesregierung nachgebessert werden.

(Beifall FDP, vereinzelt SPD und Beifall Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Immerhin scheint die mögliche Beteiligung der Länder, die von einigen Bundespolitikern gefordert wurde, zumindest medial jetzt erst einmal vom Tisch zu sein. Es würde auch unsere Leistungsfähigkeit überfordern. Wir haben uns bereits mit milliardenschweren Paketen an der Bewältigung dieser Krise beteiligt. Das sollte man in Berlin auch anerkennen.

Was wir alle dringend haben wollen, sind Perspektiven. Planungssicherheit ist in einer solchen Krise schwierig, aber dennoch erstrebenswert. Wir werden auch gleich über die Impfstrategie debattieren. Die Leopoldina hat gestern übrigens nicht nur einen kurzen, harten Lockdown über den Jahreswechsel

gefordert, sondern auch eine politische Einigung auf ein klares, mehrstufiges, bundesweit einheitliches System von Regeln.