Protocol of the Session on July 15, 2015

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa steht vor einer wichtigen Weichenstellung. Es geht um die Frage: Kommt es in immer mehr Bereichen zu einer Renationalisierung, zum Abbau der europäischen Integration, zu immer mehr nationalen Alleingängen und zu dem Versuch einzelner Mitgliedstaaten, sich abzuschotten, oder wird es gelingen, die europäische Idee wieder mit Leben zu erfüllen? Einer von vielen Punkten, an denen sich dies entscheiden wird, ist die Frage: Bleiben wir bei offenen Grenzen innerhalb Europas, oder kommt es wieder zur Einführung von Grenzkontrollen?

Meine Damen und Herren, die deutsch-dänische Grenzregion galt einmal als Muster für gelungene, für gelingende europäische Integration. Jetzt droht nach dem Regierungswechsel in Kopenhagen das, was wir bereits vor vier Jahren einmal erleben mussten, nämlich die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, die Rückkehr der Zollhäuschen und Kontrollstellen - und das alles nach dem Willen der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, die die neue Regierung auf Christiansborg durch ihre Stimmen parlamentarisch stützt. Eine Rückkehr zu Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Deutschland wäre ein fatales Signal. Noch ist unklar, in welcher genauen Form die neue dänische Regierung das veränderte Grenzregime gestalten will. Eines aber ist klar: Die Grenze soll in den nächsten Jahren nicht mehr so offen bleiben, so durchlässig sein, wie sie es bisher gewesen ist.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Rückschlag auch für die Bemühungen, die Grenzregion beiderseits der Grenze zu wirtschaftlich blühenden Landesteilen zu machen, Austausch und Zusammenarbeit dort zu fördern. Kaum vorstellbar ist etwa, dass die deutsch-dänischen Studiengänge der Uni Flensburg weiter prosperieren können, wenn die Studenten, die zweimal in der Woche nach Sønderborg fahren, Grenzkontrollen über sich ergehen lassen müssten. Noch weniger vorstellbar ist, dass die geplante Fehmarnbelt-Querung auf der dänischen Seite mit einer Kontrollstelle verbunden sein könnte, die unter Umständen in Zeiten des Hochbetriebs zu einem langen Rückstau im Tunnel unter dem Fehmarnbelt führen könnte. Selbst die Beschränkung auf rein „technische Kontrollmöglichkeiten“, wie das Scannen von KfzNummernschildern, wäre jedenfalls für uns in Deutschland eine Form staatlicher Überwachung, wie wir sie kaum hinnehmen könnten.

(Wolfgang Baasch)

(Beifall Torge Schmidt [PIRATEN])

Ob die Verbindungen zwischen den beiden Nachbarländern in Zukunft noch so genutzt werden können wie bisher, ist nach meiner Auffassung zu bezweifeln. Schon warnen dänische Bürgermeister aus Nordschleswig, dass sich die Pläne, die in Kopenhagen geschmiedet werden, möglicherweise wie bereits 2011 negativ auf Besucherzahlen auswirken könnten. So hat es jedenfalls der Venstre-Bürgermeister Herr Nielsen aus Varde kürzlich ausgeführt.

Fraglos wäre das ein Rückschlag für all die Bemühungen in der Vergangenheit, die deutsch-dänische Grenzregion zum Vorteil der Menschen auf beiden Seiten der Grenze voranzubringen. Deshalb, auch um ein Zeichen zu setzen gegen jene Kräfte, die in Europa an anderer Stelle auf Abschottung, auf neue Hürden und nationale Alleingänge setzen, fordern wir den Landtag auf, sich in einer Resolution klar zu einem Europa ohne Grenzen zu bekennen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Astrid Damerow das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet in diesen Tagen, in denen es in Europa wirklich sichtbar für jedermann um große Probleme geht, ausgerechnet jetzt müssen wir die Initiative der neuen dänischen Regierung zu verstärkten Grenzkontrollen zur Kenntnis nehmen. Die Europäische Union steht vor gewaltigen Herausforderungen, für deren Bewältigung es die Kräfte aller Europäer bedarf. Griechenland steht seit Wochen am Rande eines Staatsbankrottes - mit schweren Folgen für die dort lebenden Menschen. Diese Situation erfordert die Solidarität aller EUStaaten. Und es geht dabei nicht allein um Geld. Es geht um fehlendes, um verloren gegangenes Vertrauen und den Umgang miteinander. Kollege Klug hat es eben schon gesagt, es geht um die europäische Idee selbst.

Auch die Flüchtlingsströme, die sich als Folge von Krieg, Terror und Unterdrückung, aber auch von Armut und mangelnden Entwicklungschancen vom afrikanischen Kontinent nach Europa bewegen, sind eine weitere gewaltige Herausforderung für Gesamteuropa. Dieses Problem wird kein Land der

Europäischen Union allein lösen können. Wir brauchen die Solidarität aller - und ich betone das ausdrücklich: aller! - Mitgliedstaaten. Gerade bei dieser Diskussion geht es auch um unsere Grenzen.

Wir haben das hier schon häufiger diskutiert, allerdings mit einem anderen Duktus. Hier diskutieren wir meistens über die Sicherung unserer EU-Außengrenzen. Eine funktionierende Außengrenzensicherung ist aber auch unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen eines schrankenlosen Grenzverkehrs innerhalb Europas. Passiert dies nicht, wird sich der Ruf in den einzelnen EU-Staaten nach nationalen Grenzkontrollen weiter verstärken. Wir können das an mehreren Stellen beobachten.

Durch den freien Grenzübertritt und das freie Übertreten innereuropäischer Grenzen können die Menschen in unseren Ländern das Zusammengehen Europas konkret erleben. Dies zu ändern und wieder in nationalstaatliches Klein-klein-Denken zu verfallen, ist für uns nur schwer vorstellbar.

(Beifall Peter Lehnert [CDU], Rasmus An- dresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, gerade bei uns im Grenzraum zwischen Deutschland und Dänemark arbeiten wir seit Jahrzehnten daran, die Grenzen faktisch, aber auch in den Köpfen unserer Bürger, verschwinden zu lassen. Wir planen eine feste Fehmarnbelt-Querung zwischen Dänemark und Deutschland, das größte gemeinsame Bauprojekt zwischen unseren Ländern, das es bisher gab. Die konkrete Umsetzung läuft. Schleswig-Holstein arbeitet in allen Bereichen des Lebens eng mit unseren dänischen Nachbarn zusammen. Wir streben permanent einen Ausbau und die Kooperation durch Vereinbarungen, Verträge und den ständigen Austausch an. Ob Wirtschaft oder Kultur, Wissenschaft, Gesundheitsmaßnahmen, Sport, Ausbildungsmaßnahmen, Forschung oder Arbeit - in allen Bereichen gibt es einen engen Austausch.

Grenzkontrollen passen nicht dazu, und sie passen nicht in ein Europa, das weiter zusammenwachsen soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Im Mai 2011 haben wir genau diese Debatte hier im Landtag schon einmal geführt. Ein interfraktioneller Antrag hat die Einigkeit der Ablehnung solcher Grenzkontrollen untermauert. In den Redebeiträgen wurde schon 2011 vorgetragen, was auch heute unverändert gelten muss: Die freie Grenzüberschrei

(Dr. Ekkehard Klug)

tung im Schengen-Raum ist ein unverzichtbarer Wert eines geeinten, freiheitlichen Europas. Im Übrigen können wir die notwendige grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung auch mit den heute vorhandenen Mitteln durchführen. Wir können, dürfen und werden uns auch nicht in die Innenpolitik Dänemarks einmischen, aber wir bitten unsere guten dänischen Nachbarn und auch Freunde, ihren Weg zu überdenken.

Wir haben auch durchaus erfreut zur Kenntnis genommen, dass einige Bürgermeister bürgerlicher Parteien aus Dänemark die Grenzkontrollen ebenfalls bereits kritisiert haben.

Uns allen muss klar sein, dass wir die Probleme Europas nur gemeinschaftlich lösen können. Europa steht im Moment vor schwierigen Herausforderungen. Die Ausschussreise, die wir nach Brüssel hatten, hat uns das deutlich vor Augen geführt. Die Befürchtungen unserer Kollegen in Brüssel sind sehr, sehr konkret, was ein weiteres Auseinanderdriften Europas anbelangt. Ich finde, dann sind schärfere Grenzkontrollen oder überhaupt die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an europäischen Grenzen ein falsches Zeichen. - Ich bitte hier um Unterstützung der Resolution. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Birte Pauls das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch bei diesem Thema scheint die FDP nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. Ihre Verbindung nach Dänemark scheint sich auf veraltete Zeitungsartikel zu begrenzen. Ihre Kreativität leidet wohl auch unter dem, was Sie an anderer Stelle mit Recht ablehnen, nämlich permanente Grenzen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Sie uns hier einen wortgleichen Antrag aus dem Jahr 2011 vorlegen, den wir eigentlich alle schon beschlossen haben.

Natürlich begrüßt die SPD trotzdem und selbstverständlich das Ansinnen der SPD - Entschuldigung, der FDP -,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie können auch das Ansinnen der SPD begrüßen! - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist immer richtig!)

nämlich die Bedeutung offener Grenzen in Europa erneut zu betonen. Das kann man in der Tat und wahrscheinlich auch gerade in diesen Tagen nicht oft genug machen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Ich denke, wir alle waren erschrocken, dass es im Rahmen und als Folge der Folketingswahl in Dänemark im Juni erneut auf Druck der Dansk Folkeparti zu einer Diskussion um permanente Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze gekommen ist. Zwischenzeitlich jedoch hat sich die neue Venstre-Regierung unter der Führung von Staatsminister Lars Løkke Rasmussen zum Thema Grenzkontrollen allerdings positioniert. Der schriftlichen Regierungsgrundlage ist zu entnehmen: Man will eine markante Stärkung der Kontrollen im Grenzgebiet, und es wird eine neue Ausstattung und mehr Personal im Rahmen des Schengen-Abkommens und im Dialog mit den Nachbarländern geben.

Und damit erübrigt sich eigentlich Ihr Antrag.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Aber selbstverständlich beobachten auch wir die aktuellen Entwicklungen und schlagen deshalb vor, diesen Antrag an den Europausschuss zu überweisen, um ihn dort dann ausführlich miteinander zu diskutieren. Ich denke, dass unser Ansinnen dasselbe ist.

Wir verurteilen die Ansätze der Rechtspopulisten der Dansk Folkeparti, die Situation der Flüchtlinge zu missbrauchen, um diffuse Ängste in der Bevölkerung zu schüren, auf Schärfste.

(Beifall SPD, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Menschen verlassen nicht grundlos ihre Heimat. Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Diesen Menschen zu helfen, ihnen Schutz und Sicherheit zu bieten, das ist das humanitäre Gebot der Stunde - und nicht diese Situation schäbig zu nutzen, um gestriges nationalistisches Gedankengut zu verbreiten.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Wir wollen ein offenes und tolerantes Europa, ein Europa, in dem die Menschen sich frei bewegen können, ein Europa der Reisefreiheit, der Freizügigkeit und des Vertrauens. All das sind Errungenschaften, um die das Europa von heute lange kämpfen musste. All das sind keine Selbstverständlichkeiten, und es ist ein ewiges Ringen.

(Astrid Damerow)

Wie leicht das alles zu erschüttern ist, zeigen uns dieser Tage die Meldungen um Griechenland. Deshalb wollen wir den nationalistischen und ewig gestrigen Parolen der Rechtspopulisten auch keinen Raum bieten. Die deutsch-dänische Grenzregion hat doch in sehr vielen Köpfen gar keine Grenze mehr. Viele von uns denken, fühlen, leben und arbeiten in unserer gemeinsamen Region, einer Region, die durch Offenheit und Toleranz geprägt ist, Zweisprachigkeit, Minderheiten und Mehrheiten, kulturelle und geschichtliche Vielfalt, durch tägliches Hin und Her zur Arbeit und zum Einkaufen.

Besonders die zuletzt genannte Gruppe samt der Grenzhändler würde sich wohl sehr bedanken, wenn sie zukünftig wieder vor - wenn auch nur gefühlten - „Grenzbalken“ haltmachen und Wartezeiten einplanen müsste.

Wir lehnen eine weitere Ausweitung der Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze und ganz besonders permanente Grenzkontrollen deutlich ab. Wir wollen ein Europa ohne Grenzen und eine weitere Stärkung und Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Es ist wirklich gut, dass sich unsere Landesregierung bereits mit der neuen dänischen Regierung austauscht. Ich empfehle Ihnen übrigens auch, sich einmal mit Ihrer Schwesterpartei kurzzuschließen, damit Sie überhaupt wissen, was da so gedacht wird. Es gibt Zusagen, dass die unter der sozialdemokratisch geführten Regierung gemeinsam getroffenen Vereinbarungen für die Kooperation weiterhin Bestand haben. Das begrüßen wir außerordentlich. Denn nur so können wir unsere gemeinsame Region gemeinsam fitmachen für eine gemeinsame Zukunft. - Ich bedanke mich ganz herzlich.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Nationalismus gewinnt in Europa an Fahrt. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dem ohne Wenn und Aber zu widersprechen.

Die Politik von Dansk Folkeparti und vielen anderen rechtspopulistischen Parteien in vielen europäischen Staaten ist rassistisch und - die Kollegin

Pauls hat es angesprochen - spielt mit diffusen Ängsten. Die Debatte um die Grenzkontrollen, die in Dänemark jetzt wieder aufgekommen ist und auch im Wahlkampf eine Rolle gespielt hat, ist dafür Ausdruck. Der Wahlerfolg von Dansk Folkeparti hat aber auch andere Gründe, nämlich soziale Ursachen. Viele Dänen, gerade Dänen, die auf der anderen Seite der deutsch-dänischen Grenze leben, fühlen sich von der Entwicklung in ihrer Hauptstadt abgehängt und sind in den letzten Jahren Opfer von Sozialabbau geworden. Auch davon hat Dansk Folkeparti profitiert.

Doch unabhängig davon, wie man die dänische Wahl analysieren mag, müssen wir klar Stellung gegen die verschärften Grenzkontrollen beziehen, wie sie in Dänemark gerade diskutiert werden.

(Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])