Protocol of the Session on June 19, 2015

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die ländlichen Räume in Schleswig-Holstein stehen vor vielschichtigen Herausforderungen. Das sind die demografische Entwicklung, die Sicherung der Grundversorgung und der dauerhafte Schutz der natürlichen Lebensräume und natürlich die Entwicklung von Wirtschaft und Infrastruktur. Das ist die große Herausforderung, und in dem vielen Geld liegt die große Chance Schleswig-Holsteins, Wege aufzuzeigen.

Für die ländlichen Räume sind die zentralen Orte mit einem Angebot der Grundversorgung von besonderer Bedeutung. Aber es sollen auch soziale Orte sein. Denn im Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Entwicklung der ländlichen Räume müssen die Bedürfnisse der Menschen stehen, die hier leben, wohnen und arbeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ihre Potenziale, ihren Ideenreichtum wollen wir fördern, und wir wollen ihrer Kreativität für die Gestaltung des Lebens im ländlichen Raum den nötigen Freiraum bieten. Dafür haben diese Fördermittel wirklich große Chancen.

Ein besonderer Schwerpunkt ist das Thema der Bildung. Der Minister hat es genannt. Wir wollen wenn möglich - die Schule im Dorf lassen. Der andere wichtige Aspekt ist die leistungsfähige Breitbandversorgung, denn die ist für das Leben und für das Wirtschaften im ländlichen Raum von be

sonderer Bedeutung. Und es ist gut, dass hier ELER-Förderungen und die Breitbandinitiative des Landes am gleichen Strang ziehen, um Wertschöpfung im ländlichen Raum zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen, neue Bildungsangebote zu konzipieren und die medizinische Versorgung zu sichern. Denn nur mit einer vernünftigen Lebensund Arbeitsperspektive - modern nach vorn ausgerichtet - werden die Menschen in ihrer Heimat bleiben oder den ländlichen Raum für sich neu entdecken. Da ist es gut, dass neben diesen ganzen Förderungen das alles Thema der Landesentwicklungsstrategie ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu den Chancen und Möglichkeiten der AktivRegion hat der Minister etwas gesagt.

Der Schwerpunkt des ELER liegt im Bereich der Landwirtschaft. Hier soll eine nachhaltige, standortangepasste Landbewirtschaftung unter Berücksichtigung von Umwelt-, Tier- und Gesundheitsschutz, eine Stärkung der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit, Herr Rickers, der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Betriebe und der Vermarktungseinrichtungen gefördert werden. Hier wird von der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein gesprochen.

Die heutige Form der intensiven Landwirtschaft - ich meine hier intensiv im Gegensatz zu extensiver Landwirtschaft - hat Auswirkungen auf die Ressourcen Boden, Wasser und Luft. Strukturvielfalt und Biodiversität sind deutlich zurückgegangen. Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik kommt in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ zu dem Ergebnis, dass es im Bereich Tierschutz, aber auch im Umweltschutz erhebliche Defizite gibt. In Kombination mit einer veränderten Einstellung zur Mensch-Tier-Beziehung führt dies zu einer verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung. Hier ist genau die Chance, die für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein eröffnet wird, und die Bauern vor Ort sehen das auch.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Landwirtschaftspolitik geht für uns über den eigentlichen Produktionsbereich hinaus und ist in wesentlichen Teilen Politik zur Entwicklung der ländlichen Räume. Machen wir uns nichts vor, das ist ein komplexes Geflecht von Wechselbeziehungen und gesellschaftlicher Erwartung. Gesellschaft und Landwirtschaft haben sich immer weiter voneinander entfernt, so weit, dass viele Menschen gar keine

Vorstellungen mehr davon haben, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Auf der einen Seite werden die idyllischen Bilder des ländlichen Lebens idealisiert, auf der anderen Seite erwartet der Verbraucher im Supermarkt die niedrigsten Lebensmittelpreise.

Und doch: Verbraucher und Verbraucherinnen entwickeln zunehmend ein Bewusstsein für Ernährung. Sie wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen, wie sie produziert werden und wie die Haltungs- und Schlachtbedingungen für die Tiere waren. Umfragen zeigen, dass unsere Gesellschaft auch bereit ist, dafür mehr Geld auszugeben. Das konnten wir heute gerade wieder in den „Kieler Nachrichten“ lesen. Bio-Produkte und Produkte aus der Region sind ein wachsender Markt. Auf diesem Weg wollen wir unsere Landwirte unterstützen, denn sie sind im Lebensmitteleinzelhandel einem immer größeren Preisdruck ausgesetzt.

In der letzten Woche wurde an der CAU die Johann-Heinrich-von-Thünen-Medaille verliehen. Der Festvortrag des Preisträgers hatte den Titel: „Agrarökonomie im Wandel der Zeit“. Er stellt fest, dass nach einer Phase autistischer Ökonomie eine Relativierung der reinen Lehre der Produktionssteigerung kommen muss.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist genau der Punkt, an dem wir stehen.

Es ist dieser Weg in eine nachhaltige Landwirtschaft, den wir mit Fördermitteln begleiten und gestalten. Dabei bedeutet Nachhaltigkeit, dieses oft genutzte und manchmal nicht komplex begriffene Wort, das gleichberechtigte Miteinander von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen. Es geht um die gesellschaftliche Förderung im Sinne des Gemeinwesens.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir wissen, dass Biodiversität in der Kulturlandschaft die gemeinsame Herausforderung ist. Wasserschutz, Klimaschutz, Naturschutz, Düngeverordnungen, Regelungen beim Pestizideinsatz - alles das ist nötig, um die gesellschaftliche Akzeptanz für die Landwirtschaft zu erhalten. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist doch die Voraussetzung für wirtschaftlich erfolgreiche Landwirtschaft.

Das alles geht nur mit der Landwirtschaft vor Ort. Nur mit der Landwirtschaft können wir gestalten. Dabei müssen wir die Gegebenheiten akzeptieren. Dithmarschen ist anders als Lauenburg und Feh

marn anders als die Elbmarsch. Deshalb müssen wir in den Bereichen Vertragsnaturschutz, Ackerrandstreifen, Bienenweide und Eiweißprogramm die regionalen Begebenheiten aufnehmen und eventuell an Förderaktionen anpassen.

Wir müssen Innovation und Forschung sichern. Von besonderer Bedeutung sind die europäischen Innovationspartnerschaften, die der Minister erfolgreich auf den Weg gebracht hat. Hier werden Produktivität und Nachhaltigkeit zusammen gedacht und zusammengebracht. Die Förderung der angewandten Wissenschaft, der Transfer von Forschungsergebnissen und Innovation sind die Impulse für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft.

Ich habe vor Ort Landwirte kennengelernt, die sich mit großem Interesse und durchaus mit Motivation und Freude auf diesen Weg machen wollen. Sie sehen zwar auch Probleme, doch sie haben auch Vorstellungen von Lösungsansätzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das, was uns in Schleswig-Holstein so wichtig sein muss, ist die enge Verbundenheit der Landwirtschaft mit der Ernährungswirtschaft. Das hängt alles zusammen, und daran hängt nach unserer Auffassung auch die Entwicklung des ländlichen Raums. Hier setzt diese neue Förderperiode Akzente. Wir brauchen eine in die ländlichen Räume eingebundene Landwirtschaft mit regionaler Veredlung und Weiterverarbeitung. Schon jetzt sind Produkte aus Schleswig-Holstein weltweit gefragt. Sie werden jedoch zu einem großen Teil immer noch als Rohware oder nur wenig verarbeitet exportiert.

Daher ist es richtig, die Fördermittel so zu verwenden, dass die Wertschöpfungskette noch stärker innerhalb des Landes zu etablieren ist. Wir brauchen Wirtschaftszweige und Unternehmen, die die bei uns produzierten Rohstoffe mit ihrer besonderen Qualität verarbeiten und für regionale Märkte bereitstellen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

„Regionaler Markt“ ist nicht das, was ich mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreiche, sondern die Regionalität müssten wir schon ein Stückchen weiter denken, und ich bin ganz sicher, dass uns das gelingen auch wird. Anerkannte Erzeugergemeinschaften und kleine und mittlere Unternehmen können Fördermittel beantragen.

Ein besonderes Thema sind die Schlachtkapazitäten. In Schleswig-Holstein gibt es immer noch zu

(Kirsten Eickhoff-Weber)

wenig davon. Diese Herausforderung müssen wir annehmen - für die Tiere, aber auch für die Landwirtschaft und für die Verbraucher, die wissen wollen, wo das Tier gezeugt, geboren, gemästet und geschlachtet und wo das Fleisch verarbeitet wurde. Wir müssen aber aufpassen; denn der Strukturwandel unter den Schlachtunternehmen schreitet weiter voran. In vielen Gesprächen, die ich geführt habe, wurde deutlich, dass große Sorge besteht, dass Schleswig-Holstein noch tiefer in den Konzentrationsprozess der fleischverarbeitenden Industrie gerät. Diese Sorge teilen wir; denn bei solchen Konzentrationen sind die landwirtschaftlich produzierenden Betrieben klar im Nachteil.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich bin jetzt auf den letzten Metern. - Wir wollen eine regional eingebundene, nachhaltig wirtschaftende, ressourcenschonende Landwirtschaft. Wir wollen eine zukunftsfähige Ernährungswirtschaft mit guter Arbeit und fairen Löhnen. Schleswig-Holstein muss mit Qualität in Verbindung gebracht werden. Vor allem auch für eine zukunftsfähige Entwicklung der ländlichen Räume brauchen wir eine nachhaltige Produktion, den Einklang von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen. Das muss im echten Norden zusammengehören. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Herr Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Wir haben noch nie so gut ausgebildete Landwirte mit so viel auch historischem Wissen draußen im Land gehabt. Gerade dieses Programm kann auf der Basis viel Gutes bewirken.

Auch ich weiß: Der eine oder andere Landwirt ist in Diskussionen höchst aufgeregt, der eine oder andere Umwelt- oder Tierschützer auch. Aber ich denke,

aufgrund des hohen Bildungsstands haben wir eine gute Chance, wirklich zu gestalten. Wir wissen ja aus Erfahrung, wie zielstrebig Bauern reagieren, wenn der Rahmen anders gesetzt wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

ELER, ZPLR, EPLR, GAK - das sind alles Floskeln. Man gewinnt den Eindruck, andere Kreise sollten diese agrarpolitische Diskussion nicht mit führen. Alle Agrarpolitiker sind in einer Debatte wie dieser versucht, mit Fachbegriffen und Buchstabenkürzeln nur so um sich zu werfen.

Einerseits führen wir hier eine agrarpolitische Debatte; denn die Förderung des ländlichen Raums ist gewissermaßen ein Kind der Agrarpolitik. Andererseits ist dies keine Fachdebatte. Das Thema geht weit über die Agrarpolitik hinaus und betrifft das ganze Land.

Schleswig-Holstein ist ländlich geprägt. Rund 97 % der Landesfläche - je nachdem, wo man die Stadtgrenzen sieht - sind ländlicher Raum, und 78 % unserer Bürgerinnen und Bürger leben im ländlichen Raum. Die Entwicklung dieses ländlichen Raums heißt Wirtschaftsförderung, heißt Infrastruktur, heißt Grundversorgung, heißt Bildungschancen, das bedeutet, die Lebensverhältnisse im ländlichen Raum gut zu gestalten. Ich denke, Schleswig-Holstein ist auch durch dieses Programm im Sinne der Zukunftsfähigkeit hervorragend aufgestellt.

Ich möchte einen Dank an den Minister und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und viele andere richten, die sich in den zähen Verhandlungen hervorragend geschlagen haben. Es hat lange gedauert. Mit diesem Programm für die ländlichen Räume werden in der kommenden Förderperiode immerhin 420 Millionen € EU-Mittel und 620 Millionen € Gesamtmittel ins Land kommen. Das ist mehr als jemals zuvor.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das muss man besonders vor dem Hintergrund sehen, dass die damalige Bundesregierung - es war auch schon Kanzlerin Merkel - bei den Verhandlungen zur mittelfristigen Finanzplanung der EU wenn ich es freundlich sagte, würde ich sagen - keine glückliche Hand hatte. Sie hat im Grunde ganz andere Interessen verfolgt. Das sehen wir daran, wohin die Mittel gegangen sind.

Wir profitieren jetzt bei der ELER-Förderung davon, dass eine Angleichung zwischen den Bundesländern stattfindet. Sie ist zwar noch nicht voll

(Kirsten Eickhoff-Weber)

ständig vollzogen, aber wir sind auf dem Weg. Uns kommt auch zugute, dass in einigen Bereichen die Fördersätze der EU angehoben werden, dass also weniger Landesmittel erforderlich sind, um diese Mittel zu aktivieren. Ohne dies - ich glaube, das ist ein offenes Geheimnis - wäre es schwierig geworden, ein Programm zu stricken, das einerseits die Möglichkeiten des EU-Fonds voll ausschöpft, andererseits aber auch keine zu großen Löcher in den Landeshaushalt reißt.