Protocol of the Session on June 18, 2015

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Jetzt einmal zur Sa- che, Wolfgang! Das wäre etwas Neues! - Heike Franzen [CDU]: Es gibt ja nichts zur Sache! Es ist ja nichts da!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Frau Franzen kann man nichts recht machen. Die Ministerin könnte Frau Franzen sowieso nichts recht machen. Sie hat halt ihre vorgefertigte Meinung. Das hört man überall heraus, und das macht eine Sachdebatte immer schwierig. Nun gut, wir versuchen es noch einmal.

Ich will ein etwas längeres Zitat aus dem Koalitionsvertrag der rot-grün-blauen Regierung voranstellen, weil dies einen Gegensatz zur Vorgängerregierung deutlich macht. Im Koalitionsvertrag 2012 bis 2017 von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW heißt es:

„Wir werden das Gesamtkonzept ‚Alle Inklusive‘ mit allen Betroffenen zu einem Landesaktionsplan weiterentwickeln. Durch klare Organisationsstrukturen sollen mehr Transparenz und neue Handlungsspielräume geschaffen werden.

Leistungen zur Teilhabe müssen den Menschen folgen und nicht umgekehrt. Die mit dem SGB IX begonnene Vereinheitlichung des Rechts für Menschen mit Behinderung wollen wir für alle Leistungsträger, einschließlich der Sozialhilfe und der Pflege, fortsetzen. Wir werden prüfen, wie die Zu

ständigkeiten vereinfacht werden können, damit Menschen mit Behinderung Leistungen aus einer Hand erhalten.“

Das haben wir im Koalitionsvertrag formuliert. Kollege Habersaat, das klingt erstens nicht nur vernünftig, sondern ich weiß sogar, dass die Menschen, die daran gearbeitet haben, tatsächlich etwas damit verbinden. Sie haben damit nämlich verbunden, dass drei Jahre vorher Stillstand in dieser Frage war und dass es notwendig war, dies zu formulieren, weil Schwarz-Gelb in dieser Frage nichts getan hat. Genau das ist das Problem, nämlich dass wir dies heute aufholen müssen.

(Volker Dornquast [CDU]: Ihr regiert seit drei Jahren! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Entwe- der wir haben alles kaputtgemacht, oder wir haben nichts gemacht! - Weitere Zurufe)

- Das verdient Applaus, allerdings nur Eigenapplaus, denn viel mehr kann man damit nicht gewinnen. Es ist tatsächlich so, dass wir nach der Regierungsübernahme feststellen mussten, dass in diesem Bereich eine Wüste war und dass Strukturen erst wieder aufgebaut werden mussten.

Herr Abgeordneter Baasch, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Fraktionsvorsitzenden der Piratenfraktion Torge Schmidt?

Bitte schön.

Herr Kollege, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass die Vorgängerregierung daran schuld ist, dass ein Antrag, den wir in dieser Legislaturperiode beschlossen haben, nicht umgesetzt wird?

(Beifall Volker Dornquast [CDU] - Dr. Hei- ner Garg [FDP]: Sehr gut!)

Das ist eine sehr spaßige Frage. Es geht nicht darum, ob der Antrag so, wie Sie es gern haben wollen, umgesetzt wird, sondern dass in diesem Bereich überhaupt etwas gemacht worden ist, nachdem drei Jahre vorher nichts stattgefunden hat, wenn Sie einmal zuhören würden. Es ist ein Pro

(Heike Franzen)

blem, wenn man die Jahre nicht aus eigener Anschauung verfolgen kann. Es gab vorher im Bereich der Politik für Menschen mit Behinderung Fachforen. Das ist von der Ministerin geschildert worden. 2006 wurde mit dem Aufarbeiten dessen begonnen, wie man wohnen und arbeiten kann, wie man die Freizeit von Menschen mit Behinderung in diesem Land neu definiert. Das ist mit dicken Büchern dargestellt worden und mit Fachkonferenzen, die hier im Haus dazu stattgefunden haben, aufgearbeitet worden. Als dann die UN-Behindertenrechtskonvention die Berichterstattung verlangte, ist nichts gemacht worden. Dann ist daran nicht weiter gearbeitet worden. Genau diesen Stillstand haben wir 2012 vorgefunden, ihn aufgearbeitet und sind jetzt bei dem, was ich aus dem Koalitionsvertrag zitiert habe. Wir haben dies nicht formuliert, weil wir Lust hatten, ein paar Zeilen vollzuschreiben, sondern weil das eine gesellschaftliche Aufgabe war, die in Schleswig-Holstein nicht bearbeitet worden ist. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns heute sehr grundlegend an diese Frage heranmachen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Landesregierung setzt dieses Vorhaben konsequent um, und das Sozialministerium erarbeitet die Inhalte und die konkreten Umsetzungsmaßnahmen für einen Aktionsplan für Menschen mit Behinderung. Der uns vorliegende Zwischenbericht zeigt nicht nur die einzelnen Arbeitsschritte zu Erstellung des Aktionsplans für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein auf, sondern im Zwischenbericht wird auch ein detaillierter Zeitplan bis zur Fertigstellung des Aktionsplans im Frühjahr 2017 aufgezeigt. Dies bedeutet aber mitnichten, dass sich die schleswig-holsteinische Landesregierung oder gar das Landesparlament bis zur Fertigstellung des Aktionsplans aus der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe oder des Schwerbehindertenrechts verabschieden; ganz im Gegenteil.

Das Gedächtnis sollte reichen: So haben wir gerade in der letzten Landtagstagung mit einem Beschluss die Modernisierung des Teilhaberechts diskutiert und klar Position bezogen. Wir haben ein Bundesteilhabegesetz eingefordert, das für eine Modernisierung des Teilhaberechts steht und die Herauslösung der Leistungen für Menschen mit Behinderung aus dem Fürsorgesystem bedeutet. Es ist ein Teilhaberecht, das eine dezentrale trägerunabhängige Beratung zu allen Leistungsbereichen für Menschen mit Behinderung fordert. Es ist ein Teilhaberecht, das zur Abschaffung des Einkommensund Vermögensvorbehalts beiträgt. Es ist ein Teil

haberecht, das die Einführung eines Bundesteilhabegeldes und die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes mit der Einführung eines Budgets für Arbeit vorsieht. Das ist übrigens auch ein Bereich, an dem in Schleswig-Holstein sehr intensiv gearbeitet wird. Dies sind nur einige Stichworte des Beschlusses vom letzten Monat. Die Positionierung der schleswig-holsteinischen Landespolitik wird so noch einmal aufgegriffen.

Und wenn es darum geht, die Notwendigkeit eines landesweiten Aktionsplans für Menschen mit Behinderung mit dem Ziel zu begründen, die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung voranzubringen, bleibt festzuhalten, dass in den Artikeln 10 bis 30 der UNBehindertenrechtskonvention die einzelnen Menschenrechte aufgeführt werden, die das gesamte Spektrum menschlichen Lebens abdecken, angefangen vom Recht auf Leben über Bereiche wie Bildung, Arbeit, Beschäftigung, Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport, Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben und das Recht auf Meinungsäußerung und Zugang zu Information.

Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass ein Aktionsplan für Menschen mit Behinderung umfassend in alle gesellschaftlichen, öffentlichen und politischen Bereiche hineinreicht. Genau deshalb ist es notwendig, wie beschrieben, alle Ministerien und alle gesellschaftlichen Bereiche umfassend zu beteiligen. In der Sprache des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen liest sich dies so: Die Vertragsstaaten sollen sicherstellen, dass die gesetzliche Definition von Behinderung auf Bundes- wie auf Länderebene im Recht und in der Politik neu gefasst wird mit dem Ziel, sie mit den allgemeinen Prinzipien und Bestimmungen des Übereinkommens zu harmonisieren, insbesondere in Bezug auf Fragen der Nichtdiskriminierung und den vollständigen Übergang zu einem menschenrechtsbasierten Modell.

Dies allein macht die Komplexität der Berichterstattung und der Erarbeitung eines Aktionsplans für Menschen mit Behinderung deutlich. Der Landesregierung und der Ministerin für Soziales danke ich herzlich für den Zwischenbericht. Ich weiß, dass die nächste Berichterstattung im Jahr 2019 vorgesehen ist. Ich glaube, dass dann, wenn wir 2017 einen Prozess und einen Aktionsplan verabschiedet haben, Schleswig-Holstein bei der nächsten Monitoringrunde zum Aktionsplan auf der Ebene der Vereinten Nationen sicher deutlich machen kann, wie sich bei uns die Verwirklichung von Inklusion und

(Wolfgang Baasch)

des Menschenrechts für Menschen mit Behinderung entwickelt hat und sich gestaltet. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich im Namen meiner Fraktion bei unserer Sozialministerin für den vorliegenden Bericht. Eines ist mir von grüner Seite aus ganz wichtig: Alle Menschen haben dieselben Rechte. Menschen mit Behinderung haben genau dieselben Rechte wie alle anderen auch.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies nicht nur ein theoretisches Recht ist, sondern dass es auch in der Praxis ankommt, dass das Leben der Menschen nicht dadurch beeinflusst wird, dass sie eine Behinderung haben. Das ist der Grundsatz und der Kern der Aussage der UN-Behindertenrechtskonvention, und das gilt für alle Bereiche des Lebens. Diese wurden eben schon aufgezählt. Das gilt für die Bereiche Gesundheit, Arbeit, Bildung und Existenzsicherung.

In Schleswig-Holstein leben etwa 520.000 Menschen mit Behinderung, das sind 18 % der Bevölkerung. 320.000 von ihnen sind schwerbehindert. All diesen Menschen nützen ihre Rechte auf dem Papier nur dann etwas, wenn wir alle sie mit Leben und Farbe füllen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

In der Praxis sind diese Rechte leider nicht immer gewahrt. Gleichberechtigung auf dem Papier ist das eine, Gleichstellung im Alltag und im eigenen Leben ist das andere. Die Kluft zwischen diesen Bereichen ist oft viel zu groß, und wir müssen Brücken finden, um zwischen Theorie und Praxis eine echte Inklusion in Schleswig-Holstein zu finden.

Der Landtag hat 2013 die Landesregierung gebeten, einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg zu bringen; einen Plan, der zeigt, wie Schleswig-Holstein Inklusion leben will, einen Plan, der mit ganz konkreten Schritten Inklusion nach vorn bringt. Mit an

deren Worten, eine Art Kochbuch mit Rezepten dafür, wie wir in Schleswig-Holstein Inklusion mit Leben füllen wollen.

Zur Erstellung eines solchen Aktionsplans: Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich einmal den Aktionsplan aus Rheinland-Pfalz angeguckt hat. Das ist kein kurzer Plan, das ist wie ein kleines Buch geworden. Ich kann gut nachvollziehen, dass es umfangreiche Vorbereitungsarbeiten braucht. Alle Ressorts, alle Ministerien arbeiten zu. Dann gibt es einen umfangreichen Beteiligungsprozess. Auch das ist vom Kollegen Baasch eben deutlich angesprochen worden. „Nicht ohne uns über uns“ - einer der Grundsätze der Politik für Menschen mit Behinderung - wird hier vorbildlich eingehalten. Wir freuen uns sehr darauf, dass wir einen Aktionsplan bekommen werden. Die zweite Stufe des Verfahrens - das können wir hier heute ruhig ansprechen dauert natürlich, bis die Beteiligungsprozesse, die wir alle wollen, durchgeführt werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns Grünen ist wichtig, dass wir bei der Inklusion vorankommen. Am Ende zählen das Ergebnis und der gemeinsame Weg. Schneller würden wir uns alle wünschen, aber gut Ding will Weile haben. Oder anders gesagt: Am Ende wird alles gut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht am Ende. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler des Werner-Heisenberg-Gymnasiums aus Heide. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich danke Ihnen für den vorgelegten Bericht. Er ist leider ein weiterer Beweis für Ihre mangelnde Handlungsfähigkeit.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Ich danke an dieser Stelle ganz besonders der Kollegin Marret Bohn, die verstanden hat, worum es

(Wolfgang Baasch)

geht, und die deutlich beschrieben hat, was eigentlich gewünscht war. Frau Ministerin, in Grußworten formulieren Sie in schönen Sätzen, wie wichtig Ihnen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist. Das haben Sie auch eben wieder getan. Gemessen wird man aber immer an seinem Handeln.

Eigentlich haben es Ihnen die Koalitionäre doch recht einfach gemacht. Wenn Sie in Ihren eigenen Koalitionsvertrag schauen würden, könnten Sie in Zeile 1939 lesen:

„Wir werden das Gesamtkonzept ‚Alle Inklusive‘ mit allen Betroffenen zu einem Landesaktionsplan weiterentwickeln.“

Frau Ministerin, Ihnen liegt ein umfassender, ausformulierter Leitfaden vor. Was ist daraus geworden, außer dass Sie seit 2012 im Sozialdialog dazu diskutieren lassen? Konkrete Maßnahmen haben Sie nach meiner Kenntnis daraus nicht abgeleitet. Sie reduzieren sich darauf, die allen schon lange bekannte Ausgangslage zu beschreiben, retten sich in Verfahrensfragen und Ankündigungen.

„In einigen Bereichen wurden oder werden zurzeit bereits Vorüberlegungen für die Umsetzung der UN-BRK im Rahmen eines Landesaktionsplanes angestellt.“