Protocol of the Session on June 17, 2015

(Unruhe SPD)

Allein der Ruf nach einer Ombudsstelle wird es auch nicht richten.

Frau Ministerin, wir erwarten kein Bauernopfer, sondern wir erwarten echte Maßnahmen. Wir geben Ihnen die Gelegenheit, heute dazu Stellung zu nehmen und uns zu sagen, was Sie zu tun gedenken. Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU, der Abgeordnete Daniel Günther.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sind in der Tat Zustände, die einen sprachlos werden lassen: Strafsport, Beschimpfung, Essensentzug, sexuelle Beziehung zwischen einer

(Anita Klahn)

Schutzbefohlenen und einem Betreuer. Aber sprachlos macht uns auch, dass wir in dieser Situation eine Ministerin erleben, die ihre einzige Aufgabe darin sieht, zu vertuschen, zu verharmlosen und ihre eigene Verantwortung in diesem Bereich zu negieren. In einer Situation, in der wir über solche Zustände reden, macht die Ministerin nichts anderes, als sich selber aus der Verantwortung zu ziehen und peinlich darauf zu achten, dass keine Spur zu ihr zurückführt. Was für eine Verantwortungslosigkeit ist das, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Wenn schon in der Vergangenheit alles schief gelaufen ist, dann brauchen wir doch jetzt eine Ministerin, die offensiv nach vorn geht, die kontrolliert, die dem nachgeht, die Missstände aufklärt, und nicht eine Ministerin, die sich wegduckt und sich einzig und allein darum kümmert, dass bei ihr selber kein Schaden bleibt. Aber das ist das Muster dieser Ministerin. Es ist das Muster als Pinneberger Bürgermeisterin, und es ist das Muster in der Keimkrise: immer peinlich darauf bedacht, nie Bestandteil einer Meldekette zu sein. Es sind immer andere, die Verantwortung übernehmen müssen. Wofür haben wir eigentlich eine Ministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren?

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Ich sage an dieser Stelle: Wir als Parlament haben hier eine Kontrollfunktion. Das gilt übrigens nicht nur für die Opposition im Schleswig-Holsteinischen Landtag, sondern wir haben als Parlament insgesamt eine Kontrollfunktion.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In einer solchen Situation hat die SPD-Fraktion nichts anderes zu tun, als mit Nebelkerzen von dem Versagen dieser Landesregierung abzulenken. Ich zitiere einmal aus einer Presseerklärung des Kollegen Wolfgang Baasch:

„Die Konzepte, die sie“

„fordert, entsprechen genau dem, was sie jetzt beklagt. Damit wollen Günther und seine Kollegen nur davon ablenken, dass sie selbst Anhänger von gefängnisartigen Einrichtungen für verhaltensauffällige Mädchen, wie sie im ‚Friesenhof‘ betreut wurden, sind. Da tarnt sich die CDU mit einem liberalen Mäntelchen.“

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Ja, da klatschen Sie schon! Wer trägt denn im Moment die Verantwortung für diesen Friesenhof? Das ist doch Ihre Landesregierung. Die CDU regiert doch nicht. Das ist Ihre Verantwortung, die Sie im Moment haben.

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Ich lese Ihnen einmal vor, Herr Kollege Wolfgang Baasch, was Ihre Ministerin Mitte April für den Friesenhof angewiesen hat: Sobald ein vollständiges Entkleiden erforderlich ist, erfolgt die Kontrolle ausschließlich durch weibliche Betreuungskräfte und wird unter Angabe des Anlasses und des Ergebnisses der Kontrolle dokumentiert. Das wurde Mitte April 2015 angewiesen. Den Bewohnern wird ein Kontakt mit Dritten in den ersten acht Wochen nach ihrer Aufnahme in eine Camp-Einrichtung grundsätzlich untersagt. Um die kontrollierte Kontaktaufnahme der Bewohnerin zu Dritten zu behindern, kann Betreuungspersonal während des Telefonates zugegen sein. Ankommende Post, welche weder von Ämtern noch von Sorgeberechtigten stammt, wird in Gegenwart der Bewohnerin geöffnet und auf unerlaubte Inhalte geprüft. Das, was Sie jetzt öffentlich beklagen, hat die Ministerin selber, Ihr Sozialministerium, Mitte April 2015 mit dem Friesenhof verabredet.

Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass wir es hier auch mit Problemfällen zu tun haben und dass solche Maßnahmen im Einzelfall sicherlich auch einmal notwendig sein können. Aber das hat Ihre Ministerin zu einem Zeitpunkt zu verantworten, zu dem sie wusste, dass dort nicht genügend fachlich qualifiziertes Personal vorhanden ist, und zu dem sie gewusst hat, dass es dort sexuelle Übergriffe gegeben hat. All das hat sie zu diesem Zeitpunkt gewusst, und Mitte April unterschreibt das Sozialministerium eine solche Vereinbarung. Für diesen Vorgang hat die Ministerin doch politische Verantwortung. Das müssen Sie doch einmal mit untersuchen!

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich darf Sie an dieser Stelle sehr gern darauf hinweisen, dass in dieser Anordnung auch gestanden hat, dass sie zu dem Zeitpunkt, als die Vereinbarung geschlossen wurde - auf ministerielle Anweisung hin -, überhaupt nicht genügend weibliches Fachpersonal haben mussten. Sie hat in ihrer Vereinbarung Mitte April 2015 geschrieben, sie hätten Zeit bis Ende Juli 2015. Das heißt, Sie wussten, die

(Daniel Günther)

bekommen Geld für diese Arbeit, haben aber nicht genügend fachliches Personal. Das Ministerium unterschreibt: Ende Juli braucht ihr das erst. - Aber im Juni 2015 wird das Ding mit dieser Begründung dichtgemacht.

Das, was Sie dort gemacht haben, ist doch fadenscheinig. Das haben Sie nur getan, um Ihren Kopf zu retten, Frau Ministerin. Völlig unglaubwürdig!

(Lebhafter Beifall CDU, FDP und PIRA- TEN)

Herr Ministerpräsident, damit Sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen, sage ich das an der Stelle hier auch noch einmal: Sie tragen mit Ihrer Kabinettsumbildung einen erheblichen Teil Mitverantwortung dafür, dass sich Frau Alheit nicht mehr ausreichend um den Sozialbereich kümmert. Sie haben ihr zu viel Verantwortung übertragen, obwohl Sie wussten, dass sie das überhaupt nicht leisten kann. Soziales und Hochschulen in einem Ministerium - das ist vielleicht auch nicht zu bewerkstelligen. Wenn Sie jetzt in der Öffentlichkeit sagen: „Nach der Wahl machen Sie die nächste Kabinettsumbildung“, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie so weiter arbeiten - Sie haben es bei Frau Wende gesehen, wo Sie versucht haben, alles auszusitzen -, dann sage ich Ihnen: Sie müssen jetzt handeln! Nach der Wahl werden Sie dazu keine Gelegenheit mehr haben, Herr Ministerpräsident. Sie sind jetzt gefordert!

(Lebhafter Beifall CDU, FDP und PIRA- TEN)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte im Namen meiner Fraktion tiefes Bedauern gegenüber den Mädchen und jungen Frauen ausdrücken, die in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in Schleswig-Holstein betreut wurden und deren Würde und deren Wohl nicht an erster Stelle gestanden haben. So etwas darf es nicht geben. Wenn es um das Wohl von Kindern geht, gibt es keine Kompromisse. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen steht an erster Stelle. Das haben wir als SPD immer deutlich gemacht und mit unserem Engagement im Landeskinderschutzgesetz und in der Landesverfassung mit Artikel 10 auch gesetzlich verankert.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aus Einrichtungen des Friesenhofs haben das Landesjugendamt besonders 2014 vermehrt Beschwerden von Mädchen erreicht.

(Volker Dornquast [CDU]: 2014!)

- Ja, Herr Kollege: 2014, das habe ich gesagt. - Diesen Beschwerden und auch Beschwerden aus den Jahren zuvor sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesjugendamts mit unangekündigten Kontrollen nachgegangen. Sie haben die Einrichtung, so wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, beraten, und sie haben versucht, gemeinsam mit der Einrichtung Missstände zu beseitigen.

Nach § 45 Absatz 6 SGB VIII muss das Landesjugendamt nach Feststellung von Mängeln zunächst den Träger der Einrichtung über die Möglichkeit zur Beseitigung der Mängel beraten. Dies ist 2014 geschehen. Die Mängel wurden danach vermeintlich abgestellt. Nach einer unangekündigten Kontrolle im Jahr 2015 wurden jedoch wieder Mängel festgestellt.

Daher hat das Landesjugendamt als nächsten Schritt der Trägerin Auflagen erteilt. Diese hat die Trägerin beklagt. In diesem Klageverfahren einigte man sich auf eine Vereinbarung zur Betriebserlaubnis. Für das Landesjugendamt war klar, dass, wenn diese Vereinbarung nicht eingehalten werden sollte, der Entzug der Betriebserlaubnis erfolgen könnte. Daher wurde eine unangekündigte Kontrolle für den 1. Juni 2015 geplant. Das Sozialministerium hat deutlich gemacht, dass die Parallelität der Veröffentlichung der Probleme im Friesenhof in der Presse und der letzten unangekündigten Kontrolle Zufall war. Nach dieser Kontrolle wurde deutlich, dass der Friesenhof gegen die Vereinbarung verstoßen hat. Die Konsequenzen waren der Entzug der Betriebserlaubnis für zwei Einrichtungen der Friesenhof GmbH am 3. Juni 2015.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist also festzuhalten, dass das Landesjugendamt schon länger handelte und nicht der Eindruck entstehen kann, dass erst die Presse oder gar DIE LINKE in Hamburg den ganzen Fall aufgedeckt hätten. Eine gegenteilige Behauptung wäre falsch.

Man kann die Frage stellen, ob das Vorgehen des Landesjugendamts zu langwierig war und man die Einrichtung hätte früher schließen müssen. Darüber haben wir bereits in zwei Sitzungen des Sozialausschusses diskutiert. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass hier Änderungs- und Handlungsbedarf besteht.

(Daniel Günther)

Da aber Rechtswege eingehalten werden müssen, ist die Frage schwer zu beantworten, was man hätte tun müssen. Aus heutiger Sicht wäre eine frühere Schließung der Einrichtung wünschenswert und notwendig gewesen. Ich sage: Solche Einrichtungen haben in der Jugendhilfe nichts zu suchen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Sozialministerin will eine Aufarbeitung des Falls vornehmen und dabei auch die gesetzlichen Regelungen zur Heimaufsicht und zur Betriebserlaubnis der Heimaufsicht gemeinsam mit anderen Ländern einer Prüfung unterziehen. Das wurde übrigens gestern im Hamburger Jugendhilfeausschuss ebenfalls beraten und auch vom dortigen Sozialsenator Detlef Scheele angekündigt, mit dem gemeinsam man das sicherlich gut auf den Weg bringen kann.

Die Jugend- und Familienministerkonferenz hat bereits im Mai 2015 getagt und das diskutiert. Die Handlungsmöglichkeiten der Heimaufsicht sollen deutlich gestärkt werden. Das ist ein richtiger Weg; denn die Heimerziehung als Form der Hilfe zur Erziehung hat sich in den letzten 25 Jahren deutlich weiterentwickelt.

Als weitere Konsequenz bei der Aufarbeitung des Falls strebt Kristin Alheit eine Personalverstärkung in der Heimaufsicht des Landesjugendamtes an, nachdem der Vorgänger dort eingespart hat.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

In dieser Legislaturperiode wurde das Personal schon um zwei Personen aufgestockt. Für eine Verstärkung von unangekündigten Kontrollen bei 1.300 Einrichtungen ist jedoch mehr Personal notwendig.

Ich hoffe, dass diese Verstärkung trotz Personalabbaupfad gelingen wird. Auch die Personalausstattung der Facheinrichtungen muss überprüft werden. Fachlich gut qualifiziertes Personal ist das A und O in jeder Jugendhilfeeinrichtung. Diesen Anforderungen wurde der Friesenhof nicht gerecht. Verbindliche Regelungen zu einer angemessenen Personalausstattung sind daher unbedingt notwendig.

Des Weiteren soll die Zusammenarbeit des Landesjugendamtes mit den örtlichen und den entsendenden Jugendämtern zum Wohl der Kinder und Jugendlichen weiter verbessert werden. Bei der Aufarbeitung in den letzten zwei Wochen ist deutlich geworden, dass das System der Jugendhilfe ein Komplex mit vielen Akteuren ist. Für die Kinder

und Jugendlichen ist es jedenfalls wichtig, dass ihr Wohl im Mittelpunkt des Handelns der Jugendämter steht.