Protocol of the Session on May 22, 2015

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung. Erkrankt ist Frau Abgeordnete Barbara Ostmeier. Wir wünschen ihr von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Altenholz. Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Vor einem Monat erschütterte uns die Nachricht vom Tod von 700 Flüchtlingen im Mittelmeer. Beim Versuch, mit Booten über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, ertranken die Menschen, die von skrupellosen Schleusern auf kaum seetüchtigen Booten zusammengepfercht wurden. Dieses traurige Ereignis, obwohl es erschreckend genug, ist nur ein kleiner Teil der Tragödie, die sich im Mittelmeer an der Grenze zur Europäischen Union täglich wiederholt und facettenreich immer neue Grausamkeiten mit sich bringt, wo Menschen über Bord geworfen werden und ihnen hohe Schleuserprämien abgepresst werden.

Kriege, politische Verfolgung, Perspektivlosigkeit und letzten Endes unermessliche Gewalt zwingen immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und einen gefährlichen Weg auf sich zu nehmen; einen Weg, der für viele von ihnen den Tod bedeutet oder bedeuten kann.

Es muss das Ziel Europas sein, diesem Leid ein Ende zu setzen. Dazu müssen wir einerseits daran arbeiten, diesen Menschen hier bei uns ein menschenwürdiges Überleben zu sichern und eine neue Perspektive zu ermöglichen, ihnen andererseits aber auch in ihrer eigenen Heimat Chancen für ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Und wir müssen die kriminellen Machenschaften von Terror und Gewalt - auch der Schleuserbanden - bekämpfen. Vor allem aber dürfen wir dem Leid und der Not der Flüchtlinge nicht tatenlos zusehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir alle fühlen mit den Angehörigen der Opfer, die oft nicht einmal vom Tod ihres geliebten Menschen wissen. Ich bitte Sie nun, einen

Moment innezuhalten im Gedenken an die Opfer der Katastrophe im Mittelmeer vom 20. April 2015, stellvertretend für alle Opfer auf der Flucht vor Terror und Gewalt. Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Opfer erhoben haben.

Meine Damen und Herren, die Opfer, derer wir eben gedacht haben, sind Teil einer Entwicklung, der sich Europa, Deutschland und Schleswig-Holstein stellen müssen. Wir wollen heute über die Herausforderungen diskutieren, die die Frage eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen direkt an uns als Parlament stellen und damit unsere Verantwortung berühren.

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Plenardebatte und rufe Tagesordnungspunkt 42 auf:

Mehr Flüchtlingsschutz in Europa!

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/2970 (neu)

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/3031

Noch mehr Flüchtlingsschutz in Europa!

Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/3018

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass der Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 18/3018, durch die Mitantragstellung zum gemeinsamen Antrag seine Erledigung gefunden hat. Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Bilder der Katastrophen, die uns mittlerweile fast täglich erreichen und derer wir eben gedacht haben, können wir die Bestürzung über das Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer gar nicht stark genug zum Ausdruck bringen. Mittlerweile ist dies ein Stück weit trauriger Alltag in Europa.

Der Ministerpräsident hat zu der Flüchtlingspolitik in Schleswig-Holstein hier am 18. Februar 2015 ge

sagt: „Wir werden die Herausforderungen meistern. Nicht in erster Linie, weil wir reich genug sind, sondern weil wir … offen, barmherzig und dem Menschen zugewandt“ sein wollen.

Um Humanität geht es, was die Hilfe angeht, nämlich darum, dass man Flüchtlingspolitik mit humanitärer Haltung und nicht aufgrund von KostenNutzen-Kalkulationen anstellt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dieser Anspruch muss für Europa gelten. Hier wird viel zu viel über Zahlen und Instrumente einer Festung Europa diskutiert und viel zu wenig über die Menschen. Sie, die Menschen, müssen aber im Mittelpunkt stehen. Weltweit sind über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie sind übrigens fast immer auf der Flucht vor Verfolgung, Diskriminierung, Gewalt durch Bürgerkriege, Hunger und Naturkatastrophen und nicht, weil sie irgendwo anders die Sozialsysteme besser finden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Der Schutz der Menschen, die vor Krieg, politischer Verfolgung oder anderen nicht zumutbaren Lebensbedingungen aus ihren Heimatländern nach Europa fliehen, muss absolute Priorität vor Maßnahmen zur Sicherung der EU-Außengrenzen haben. Das ist unsere feste Überzeugung. Jeder kann sich in die Lage versetzen, wie es ihm selbst gehen würde, wenn er mit seiner Familie und seinen Kindern so leben müsste, dass man von Gewalt, von Hunger und von Katastrophen bedroht ist. Da muss man sehr viel Mut haben, sich auf den Weg zu machen. Viele tun das. Wir sollten sie nicht auch noch in einer Form diskreditieren, wie das zum Teil auch in diesem Land in der politischen Auseinandersetzung geschieht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die europäische Flüchtlingspolitik braucht einen Kurswechsel. Einige Ansätze sind von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vorgetragen worden. Wir finden das gut. Ich wünsche mir die Offenheit in allen Mitgliedstaaten, diese nun konstruktiv und mit dem Willen, die Humanität in den Mittelpunkt zu stellen, aufzugreifen.

Wir haben die Aspekte, die wir wichtig finden, in unseren Antrag aufgenommen.

Erstens. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Das ist der Teil, in dem wir über Solidarität reden. Wir dürfen Missstände anderswo nicht einfach

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

hinnehmen. Die wenigsten Menschen wollen ihre Heimat verlassen.

Zweitens. Wir müssen daran mitwirken, dass der letzte Ausweg auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben nicht darin besteht, sich auf solche Boote zu begeben. Diejenigen, die unseren Schutz benötigen, müssen Europa erreichen können. Auf exterritoriales Gebiet oder in Drittstaaten ausgelagerte Grenzkontrollen führen dazu, dass viele Menschen ihren Weg nach Europa nur unter lebensgefährlichen Umständen oder gar nicht finden können. Auch das ist ein Problem, um den wir uns kümmern müssen.

Drittens. Die extrem ungleiche Verteilung der Flüchtlinge in Europa ist nicht in Ordnung. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union - ich betone: alle - sind in der Pflicht, bei Aufnahme- und Anerkennungsverfahren zusammenzuarbeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wer über Fluchtursachen redet, darf auch nicht verschweigen, dass es besser wäre, wenn wir die Milleniumsziele bei der Entwicklungszusammenarbeit erreichen würden, statt weiterhin in Rekordhöhe Waffen in Krisenländer oder in Länder, in denen Diktaturen herrschen, zu exportieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

Wir brauchen eine Pflicht zur Seenotrettung. Es muss der Grundsatz der Nichtzurückweisung gelten. Diejenigen, die Menschen retten wollen, dürfen nicht kriminalisiert werden. Wir müssen anknüpfen an das, was mit „Mare Nostrum“ begonnen worden war. Das ist doch das Minimum dessen, was geleistet werden muss.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Angelika Beer [PIRATEN])

„Dublin II“ funktioniert nicht. Es ist ungerecht, ineffizient und bedarf der Veränderung. Wir müssen die nationalen Egoismen bei diesem Thema überwinden.

Ich füge hinzu - auch wenn manche das nicht gern hören und manche Konservative sich darauf beschränken -: Ja, man muss auch etwas gegen die Schlepper tun. Sie nehmen Zustände, wie wir sie erleben, in Kauf. Sie sperren Menschen ein. Sie führen keine humanitären Aktionen durch. Das sind Kriminelle, gegen die man etwas tun muss. Wenn man das sagt, muss man gleichzeitig hinzufügen, dass wir legale Wege eröffnen müssen, auf denen

diese Menschen nach Europa kommen können. Beides gehört zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Europa ist ein Einwanderungskontinent. Neben der humanitären Verpflichtung gegenüber den Menschen, die in Not sind, brauchen wir Menschen, die zu uns kommen, wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen. Europa wird kleiner, andere Teile der Welt werden größer. Auch wenn ich überhaupt nicht dafür bin, über dieses Thema anhand ökonomischer Kriterien zu diskutieren, muss ich doch sagen, dass ich froh bin, dass in der Europäischen Union mittlerweile anerkannt wird - das Europäische Parlament hat gestern darüber diskutiert -, dass Europa keine Zukunft hat, wenn wir uns gegen andere abschotten. Die Menschen werden weiterhin zu uns kommen, wenn wir die ungleiche Verteilung von Arm und Reich in der Welt nicht angehen. Wir als Teil des reichen europäischen Staatengebildes haben die Verpflichtung, darauf hinzuwirken.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich weiß, wir im Kieler Parlament können nicht die Probleme dieser Welt lösen. Aber wir können einen Beitrag dazu leisten. Wie wir zu dem Thema stehen, zeigt sich daran, wie wir mit den Menschen, die zu uns kommen, umgehen. Wir müssen unsere Stimme erheben, damit Veränderungen herbeigeführt werden. Wir leben in einem reichen, großen Deutschland. Vor Jahrzehnten sind Menschen vor der Diktatur, die damals bei uns herrschte, geflohen. Angesichts all dessen haben wir eine besondere Verpflichtung, anderen Menschen auf der Welt zu helfen. Wir haben die Pflicht, Solidarität zu üben und Menschen, die in Not geraten sind, beizustehen. Das ist unsere gemeinschaftliche Verantwortung über Parteigrenzen hinweg. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Abgeordnete Astrid Damerow.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bewältigung der weltweiten Flüchtlingskrise ist eine der größten Herausforderungen auf in

(Dr. Ralf Stegner)

ternationaler und auf europäischer Ebene, aber speziell auch eine innenpolitische Herausforderung für uns in Deutschland. Was sich wenige Flugstunden von uns entfernt abspielt, ist eine Katastrophe. Menschen fliehen vor Tod, Misshandlung und Unterdrückung. Wir wissen um die Tragödien im Mittelmeer; der Opfer haben wir vorhin gedacht. Die Bilder, die uns erreichen, sind schockierend, ja entsetzlich. Wir müssen feststellen, dass die bisherigen Maßnahmen leider nicht den Erfolg gebracht haben, den wir erwartet hatten.