Protocol of the Session on May 21, 2015

Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen nicht vor. - Dann hat jetzt für die Landesregierung der Herr Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie, Reinhard Meyer, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bürokratiemonster geht um. Wenn ich meinen Lebenslauf betrachte, dann muss ich gestehen: Ich stehe spätestens seit Ende 1994 unter Bürokratieverdacht, weil ich seitdem für die Verwaltung arbeite.

Meine Damen und Herren, Sonntagsreden zum Bürokratieabbau sind populär. Auch ich stelle in Veranstaltungen fest, dass das Auditorium klatscht, wenn man den einfachen Satz hinzufügt: „Und wir sind für mehr Bürokratieabbau.“

(Beifall im ganzen Haus)

- Sie sehen, es funktioniert.

(Zuruf CDU: Da haben sogar die Sozialde- mokraten geklatscht!)

Über die Vorteile der Bürokratie reden wir zu wenig.

Transparente, nachvollziehbare Verfahren, die für alle gelten, tragen übrigens auch zur demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns bei. Wir reden noch zu wenig über die Bedeutung sicherer Verfahren und über eine gut funktionierende Bürokratie als Standortvorteil; dies wird übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit anerkannt.

Wir wissen, dass die Verwaltung, die Bürokratie, ein Imageproblem hat. Sie alle kennen die berühmten Beamtenwitze. Aber Verwaltungsexperten schaffen Rechtsschutz und Rechtssicherheit.

Meine Damen und Herren, wir wollen mehr als einen Nachtwächterstaat. Das sage ich sehr deutlich.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Alle Beamten müssten jetzt eigentlich klatschen.

(Christopher Vogt [FDP]: Haben sie doch! Die SPD-Fraktion und die GRÜNEN! - Zu- rufe von der CDU - Glocke Präsident)

Es ist schon Dialektik pur, wenn hier auf der einen Seite - zu Recht! - politische Forderungen nach Stärkung des Naturschutzes, des Verbraucherschutzes, der Arbeitnehmerrechte und der Bürgerbeteiligung aufgestellt werden und auf der anderen Seite gleichzeitig mehr Bürokratieabbau verlangt wird. Politische Regulierung und Deregulierung - das funktioniert so nicht. Wenn wir über Bürokratieabbau ernsthaft reden wollen, brauchen wir eine ehrli

(Flemming Meyer)

che Debatte. Das erfordert, um es ehrlich zu sagen, das ständige Bohren dicker Bretter. Einfache Programmsätze helfen uns an dieser Stelle nicht weiter.

Nichts anderes - ich sage das sehr deutlich - hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung hier im Mai 2013 gemeint.

(Christopher Vogt [FDP]: Doch!)

Der Bericht der Landesregierung auf Drucksache 18/1103 aus dem September 2013, der Ihnen vorliegt, zeigt die Schritte auf, die die Landesregierung definiert hat: erstens Vorschriften aufheben, vereinfachen und zusammenfassen, zweitens Verfahrensabläufe vereinfachen, drittens E-Government ausbauen.

(Christopher Vogt [FDP]: Was ist daraus ge- worden?)

In dem Bericht steht auch, dass ein Standardkostenmodell für das Land Schleswig-Holstein vom Aufwand her nicht sinnvoll erscheint.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wie toll das doch alles ist!)

- Ich habe nicht behauptet, dass die Welt toll sei. Sie sollten das nicht lächerlich machen, Herr Dr. Garg. Es geht einfach darum, eine ehrliche Debatte darüber zu führen. Mir reicht es nicht aus, wenn Anträge nur kurze Formulierungen enthalten, die für sich genommen vielleicht gut klingen; sie müssen in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden. Wir müssen über diese Dinge reden, aber immer dann, wenn es für Schleswig-Holstein passt.

Es ist übrigens noch nicht darauf hingewiesen worden, dass das Land sehr abhängig von Bundes- und von EU-Recht ist. Hier wird suggeriert, dass wir vieles auf Landesebene regeln könnten; ohne eine Änderung von Bundes- oder EU-Recht können wir das aber nicht. Auch darüber müssten wir dann eine Debatte führen.

Deswegen ist es ein gutes Signal, wenn der Bundeswirtschaftsminister ein Bürokratieentlastungsgesetz vorlegt, das vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommt.

(Beifall Uli König [PIRATEN])

Aber ich sage auch: Das Prinzip „eins rein, eins raus“ - übrigens kein sinnvolles Ergebnis für den Hamburger SV am Wochenende - ergibt im Bund Sinn, aber nicht im Land. Wir haben hier nicht diese Vielzahl von Gesetzesvorhaben wie auf Bundesebene. So viel zu dem Antrag der CDU-Fraktion.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Gerne.

Bitte schön.

Herr Minister, Sie haben es so dargestellt, als hätten wir auf Landesebene nur sehr wenige Einflussmöglichkeiten. Wenn ich mir die Gesetzgebung auf Bundesebene anschaue, dann stelle ich fest, dass in jedem Gesetzentwurf der Bundesregierung ein Abschnitt „Bürokratielasten“ enthalten ist; der Normenkontrollrat hat eine entsprechende Evaluierung vorgenommen. Ich muss feststellen, dass die überwiegende Mehrzahl der Gesetze auch Pflichten enthält, die bei den Unternehmen Aufwand verursachen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gesetze, die wir hier verabschieden - meist mehrere in jeder Tagung -, für die Unternehmen überhaupt nicht mit Belastungen beziehungsweise Pflichten einhergehen. Warum also meinen Sie, dass es von vornherein sinnlos sei oder sich nicht lohne, auch bei Gesetzentwürfen auf Landesebene darauf zu schauen, welche Belastungen der Wirtschaft damit verbunden sind?

Herr Dr. Breyer, wie so häufig haben Sie etwas behauptet, was ich nicht gesagt habe. Erstens habe ich gesagt, dass das Eins-rein-eins-raus-Prinzip wegen der im Vergleich zum Bund weitaus geringeren Zahl an Gesetzesvorhaben wenig Sinn ergibt.

Zweitens macht das Standardkostenmodell - dazu können Sie in die Drucksache aus dem September 2013 schauen, das ist das Standardkostenmodell für das Land - vom Aufwand her im Vergleich zum Bund wenig Sinn.

Drittens steht - um Ihnen an einer Stelle auch zuzustimmen - in Kabinettsvorlagen immer auch die Rubrik „Kosten für die Wirtschaft“. Da geht es natürlich auch um Belastungen. Wir schauen uns das bei Vorhaben der Landesregierung sehr genau an.

(Minister Reinhard Meyer)

(Christopher Vogt [FDP]: Da steht immer „keine Belastungen“!)

- Nein. Da steht nicht immer „keine“. Das müssen Sie dann lesen.

Jetzt komme ich zum FDP-Antrag. Herr Vogt, ich will Sie zwischendurch auch einmal loben.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Noch einer!)

- Das wird ganz schlimm! - Im FDP-Antrag sind natürlich Dinge enthalten, über die wir reden sollten, etwa die Aufbewahrungsfristen. Bei den Aufbewahrungsfristen sage ich sehr deutlich, dass Sie das mit der rechtlichen Lage harmonisieren müssen,

(Jette Waldinger-Thiering [SSW]: Genau!)

nicht dass Sie damit noch die Steuerhinterziehung erleichtern. Aber darüber muss man diskutieren.

Die Genehmigungsfiktion - wenn eine Behörde einen Antrag nicht innerhalb einer bestimmten Frist bearbeitet hat - ist etwas, worüber man sehr ernsthaft diskutieren sollte.

(Beifall PIRATEN, Dr. Heiner Garg [FDP] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Dokumentationspflichten. Insofern stimme ich Ihnen zu. Aber das, was sie in Nummer 6 zum Tariftreuegesetz fordern, geht fehl. Wir fordern in unserem Tariftreuegesetz, über das ich noch nicht gehört habe, dass sich die Wirtschaft groß über den bürokratischen Aufwand beklagt hat -

(Lachen Christopher Vogt [FDP])

- In der Praxis nicht! In der Theorie, aber nicht in der Praxis. Beim Thema Mindestlohn gibt es dort nämlich reine Selbsterklärungen. Das, was sie dort fordern, zum Beispiel die Nachweise über die ILOKernarbeitsnormen, wird schon heute nach Vergabeverordnungen von denjenigen gefordert, die Gewinner im Vergabeverfahren sind. Das, was sie dort fordern, wird also praktisch schon umgesetzt.

Meine Damen und Herren, Hauptziel des Wirtschaftsministeriums ist natürlich die Kostenentlastung von kleinen und mittleren Unternehmen. Deswegen sind wir ständig in Kontakt mit der Wirtschaft. Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, dass wir den Dialog zum Bürokratieabbau intensivieren, insbesondere mit der Wirtschaft. Ich sage aber auch: Ich möchte klare Vorschläge von der Wirtschaft haben und nicht immer nur über das Thema Mindestlohn und Sonntagsfahrverbot reden. Übrigens empfehle ich, über die Auswirkungen des Mindestlohns einen Artikel in einem Blatt, das un

verdächtig ist, der Sozialdemokratie nahezustehen, nämlich im „Handelsblatt“ vom 4. Mai 2015, mit einer schönen Überschrift: „Mindestlohn lässt Arbeitsmarkt kalt“. - So viel zu diesem Thema. Denn einige wollen ja immer noch etwas zu diesem Zusammenhang sagen.

Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung wollen an die Wirtschaftsverbände und die Kammern die Bitte richten, uns konkrete Vorschläge zu machen, die vor allem in Landeshoheit - also bei dem, was wir bewirken können - umsetzbar sind. Wir wollen diese Vorschläge sammeln, mit der Wirtschaft in einen Dialog treten, dies im Kabinett diskutieren, es konkretisieren und hier im Landtag mit Ihnen diskutieren, damit wir weitere Vorschläge aufnehmen können, die tatsächlich Bürokratie im Land Schleswig-Holstein reduzieren können. Aber ich sage eines: Wir alle sind gefordert. Denn wer über Bürokratieabbau redet, der muss festhalten, dass das heute schon eine ständige Aufgabe der Verwaltung ist. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)