Protocol of the Session on May 20, 2015

Mit dem gewählten Verfahren sind wir aber weniger zufrieden. Dass die Landesregierung einen Gesetzentwurf entwickelt oder - genauer gesagt - entwickeln lässt und diesen dann über die Fraktionen in den Landtag spielt, ist ausgesprochen bedenklich. Ja, es ist Usus und wird nicht nur in Schleswig-Holstein so praktiziert. Auf Bundesebene wird sogar gelegentlich das Vorbefassungsrecht des Bundesrats ausgehebelt. Hier bei uns wird jedenfalls die Anhörung der kommunalen und sonstigen Verbände umgangen.

Wenn eine Angelegenheit so eilig ist, dass man dieses Verfahren nicht einhalten kann, dann sollte man sich eher fragen, warum nicht der Landtag selbst aktiv wird. Wenn ihm dazu die nötigen Mittel fehlen - sei es in Form von Personal oder Geld -, dann müssen wir uns fragen, warum das oberste Organ der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein nicht genug Mittel hat, um derartige Anforderungen zu erfüllen.

(Wolfgang Kubicki)

(Lars Harms [SSW]: Sie können die Frakti- onsmittel erhöhen! Stellen Sie einen Antrag! - Hans-Jörn Arp [CDU]: Das ist ganz neu! - Weitere Zurufe)

Viel gravierender allerdings ist, dass erste und zweite Lesung nebst der abgespeckten Form einer Anhörung innerhalb einer Tagung erfolgen sollen. Wir haben ein solches Eilverfahren bereits im Januar-Plenum 2013 beim Sparkassengesetz abgelehnt, und wir bleiben auch jetzt dabei.

(Beifall PIRATEN)

Eine ordentliche Befassung der Ausschüsse einschließlich einer Anhörung zu Auswirkungen und Risiken eines Gesetzentwurfs ist unabdingbar. Das mag das Risiko steigern, dass zwischenzeitlich außerhalb einer Landesplanung Windkraftanlagen zugelassen werden müssen. Demgegenüber steht aber die Verpflichtung des Parlaments, sich ausgiebig und umfassend mit den Beratungsgegenständen auseinanderzusetzen. Diese wird in der Eile leider allzu schnell ignoriert.

Nicht nur die Landesregierung muss sich bei ihren Entwürfen von der Verfassungskonformität überzeugen, der Landtag ist genauso dazu verpflichtet. Das gilt bei einem Entwurf der Landesregierung vor allem dann, wenn der übliche Weg der Einbringung von Regierungsentwürfen nicht eingehalten wurde. Das gilt in der aktuellen Situation auch deshalb, weil im Falle der Verfassungswidrigkeit ein hinreichend effektiver Rechtsschutz für die betroffenen Personen nicht existiert. Allein die Verfahrensdauer sichert auch im Falle der Verfassungswidrigkeit die Landesplanung und verhindert dadurch möglicherweise die Durchsetzung bestehender Rechte.

Wenn dem Land aufgrund entgegenstehenden Bundesrechts keine Möglichkeit zur Absicherung der neuen Regionalplanung zur Verfügung stehen sollte, ist das ärgerlich. Es wäre arg bedenklich, wenn wir als Landesgesetzgeber dann in Kenntnis des fehlenden effektiven Rechtsschutzes ein möglicherweise verfassungswidriges Gesetz auf den Weg bringen.

(Beifall)

Hier bestehen Bedenken an der Verfassungskonformität, die es zu klären gilt. Herr Dr. Stegner, ich kann Sie beruhigen: Wir möchten nicht klagen.

Professor Becker hat erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des neuen Landesplanungsgesetzes mit Bundesrecht angemeldet. Ich will und kann abschließend nicht beurteilen, ob seine Auffassung

zutreffend ist. Aber wenn zwei renommierte und fachlich versierte Personen so konträre Standpunkte vertreten, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, eine richtige Anhörung im Parlament durchzuführen.

(Beifall PIRATEN und Oliver Kumbartzky [FDP])

Zur Klärung dieser Frage gibt es Anhörungen und natürlich den Wissenschaftlichen Dienst des Landtags. Für mich gehören dazu aber auch noch weitere Juristen. Natürlich steht es dem Landtag frei, der Rechtsauffassung von Professor Ewer zu folgen, aber erst nachdem er sich mit der Sache, mit beiden Auffassungen auseinandergesetzt und diese tatsächlich gegeneinander abgewogen hat.

(Beifall PIRATEN und FDP)

Ohne eine Anhörung werden wir den Gesetzentwurf Freitag ablehnen müssen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall PIRATEN und FDP)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man hört, dass es in der Windplanung rechtlich nicht zulässig ist, den Bürgerwillen zu berücksichtigen. Natürlich sind der Bürgerwille oder eine Entscheidung eines gewählten Gemeinderats manchmal anders zu bewerten als ein regelrechter sachlicher Grund. Trotzdem muss man sagen, dass in einer Demokratie der Bürgerwille oder die Entscheidung einer gewählten Kommunalvertretung eigentlich ein noch höheres Gut sein müssten als die rein sachliche Abwägung von rein sachbezogenen Ausschlusskriterien.

(Vereinzelter Beifall)

Der Bürgerwille und die Entscheidung der Kommunalvertretung sollten eigentlich immer einen gewissen Vorrang haben und so auch dazu führen können, dass jenseits von reinen Abwägungsparametern auch eine politische Entscheidung - legitimiert durch die Bürgerinnen und Bürger - erfolgen kann.

Das aktuelle Urteil verhindert dies ausdrücklich, und es wird möglicherweise schwer werden, hier eine vernünftige Nachfolgeregelung schaffen zu können. Jetzt sollen in den nächsten zwei Jahren die

(Torge Schmidt)

planungsrechtlichen Grundlagen neu geschaffen werden, die es nach Auffassung des SSW auch wieder ermöglichen sollen, dass der Bürgerwille beachtet wird. Ob dies angesichts des aktuellen Urteils so leicht machbar sein wird, wird die Zeit zeigen müssen. Jetzt müssen wir allerdings erst einmal handeln, um kurzfristig Wildwuchs zu verhindern.

Dabei hatten wir anfangs noch gedacht, dass die Planungsmöglichkeiten der Gemeinden relativ schnell genutzt werden könnten, um Wildwuchs zu verhindern. Aber wir sind hier schnell an Grenzen gestoßen. So kostet die neue Überplanung in der Kommune natürlich viel Geld, und dieses Geld muss ja nicht nur einmal ausgegeben werden, sondern mehr als tausendfach, weil wir in SchleswigHolstein so viele kleine Kommunen haben. Die Kleinteiligkeit des Landes ist hier wieder einmal ein Hindernis. Aber auch dass solche Planungen natürlich gemeindeübergreifend erfolgen müssen und man Planungen auch miteinander abstimmen muss, führt nicht gerade zu einer Erleichterung.

Auch hier hätte es beispielsweise in einem Amt von zehn Gemeinden zehn einzelne Planungen mit Ausschussberatungen und Anhörungsverfahren gegeben, die dann jeweils wieder mit den jeweils neun Nachbargemeinden hätten abgestimmt werden müssen. Neben den zehn Planungen hätte es allein dort in einer amtsweiten Planung weitere 90 Abstimmungsprozesse geben müssen, und manches Mal hätte man sich sicherlich auch über Amtsgrenzen hinweg absprechen müssen.

Dieses Beispiel zeigt, dass es kurzfristig kaum eine Chance gegeben hätte, hier schnell zu einer landesweit einheitlichen Lösung zu gelangen. Die Prozesse hätten in unserer kleinteiligen und oft ehrenamtlichen Struktur viel zu lange gedauert.

Meine Damen und Herren, deswegen war und ist es richtig, dass das Land nach einer kurzfristigen gesetzlichen Lösung sucht. Wir haben die Lösung glücklicherweise gefunden. Dabei ist klar, dass das Land hier rechtliches Neuland betritt. Aber es ist immer so, dass einer den ersten Schritt wagen muss, und das sind in diesem Fall wir.

Dabei ist der vorliegende Gesetzentwurf kein Windenergie-Verhinderungsgesetz, sondern dieser Weg ist mit der Branche und der kommunalen Ebene gemeinsam beraten worden. Wir wollen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass durch das Urteil kein Wildwuchs entsteht. Das sehen auch die Branche und unsere Kommunen so. Deshalb sind raumbedeutsame Windkraftplanungen für zwei Jahre nicht zulässig. Die bestehenden Anträge auf Wind

energieanlagen können weiter bearbeitet werden, und im Einzelfall können diese auch genehmigt werden.

Bei der Genehmigung von bestehenden Projekten gehe ich davon aus, dass die meisten Planungen ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden können. Bei einzelnen Projekten muss genau geprüft werden, ob diese umgesetzt werden können. Dies wird in einem rechtsstaatlich sauberen Verfahren erfolgen, und wir werden alle Projekte, die jetzt schon beantragt sind, in den nächsten beiden Jahren abarbeiten und meistens auch umsetzen können.

In dieser Zeit werden wir sukzessive neue Planungsvorgaben erarbeiten, die dann sicherlich Stück für Stück in die aktuellen Planungsverfahren einbezogen werden können. Am Ende werden wir eine Vielzahl von genehmigten Anlagen haben, ohne dass Wildwuchs entstanden ist, und dann werden wir in zwei Jahren ein neues Planungsrecht schaffen, das rechtssicher ist und hoffentlich auch Regelungen enthält, die Bürgerbeteiligung wieder möglich machen.

Die Windkraftplanung lebt gerade auch von der Bürgerbeteiligung. Deshalb ist es wichtig, hier neue gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Damit wir das erreichen können, gehen wir einen Zwischenschritt, der auch rechtliches Neuland und damit Risiko bedeutet. Das Risiko wäre aber ungleich höher, wenn wir jetzt gar nichts tun würden. Dann würden wir die vielen kleinen Gemeinden mit ihren Problemen alleinlassen und dem Wildwuchs von Windenergieanlagen Tür und Tor öffnen.

Verantwortliche Politik darf das nicht zulassen und muss handeln. Genau deshalb handeln wir als Koalition gemeinsam mit der CDU. Ich bin sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit, die wir als Koalition zumindest mit Teilen der Opposition gehabt haben. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Landesregierung hat Ministerpräsident Torsten Albig.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat beschreiten wir Neuland. Was wir tun, ist so in Deutschland noch nicht getan worden. Umso erfreulicher ist es, wie wir es miteinander tun, wie wir uns der großen Herausforderung

(Lars Harms)

stellen, die das Urteil des OVG für uns bedeutet, und versuchen, gemeinsam eine Antwort zu geben. Ich danke allen Landtagsfraktionen für die konstruktive Zusammenarbeit im Vorfeld, auch den PIRATEN, auch der FDP, die im Vorfeld, bevor wir uns auf dem Marktplatz befinden, alle konstruktiv mitgearbeitet haben, eine Lösung zu finden.

Herr Kubicki, wir haben dabei auch intensiv über die Frage der Eilbedürftigkeit gesprochen. Herr Kumbartzky war dabei, und ich danke auch für die konstruktiven Rückmeldungen zum Verfahren in den Gesprächen.

Warum glaube ich, dass wir auf § 35 des Baugesetzbuches zurückfallen? Wir fallen deswegen auf § 35 des Baugesetzbuches zurück, weil ich es für nicht aushaltbar halte - was das Urteil andeutet -, einfach auf die alte Grundplanung zurückzugehen. Die atmet exakt die Fehler, die das Urteil in den aufgehobenen Teilen kritisiert hat. Ich hielte es für völlig inakzeptabel, im Bewusstsein, rechtswidrig zu handeln und beschrieben bekommen zu haben, warum man rechtswidrig handelt, auf eine Raumplanung zurückzugehen, die genau die gleichen Abwägungsfehler zwischen harten und weichen Kriterien atmet.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das hätte man tun können, aber die Rechtsauffassung der Landesregierung - wir haben darüber auch in unseren Gesprächen berichtet - ist, dass wir dann gezwungen wären, sofort alle alten Raumplanungen aufzuheben, weil ich nicht ignorieren kann, was das Urteil sagt.

Dazu kann man unterschiedlicher Rechtsauffassung sein, das ist die Rechtsauffassung der Landesregierung. Ganz viele haben sich dieser Rechtsauffassung der Landesregierung zumindest einmal so sehr annähern können, dass sehr, sehr viel dafür spricht, dass es nicht gehen kann, dass die Exekutive in dem Wissen, dass die rechtliche Grundlage, die sie dann anwenden müsste, genauso rechtswidrig ist wie die aufgehobene, einfach weiter Winterplanungen im Land betreibt. Deshalb handeln wir, und deshalb glauben wir, dass dann § 35 Baugesetzbuch das geltende Regelwerk wäre. Damit hätten wir aber das, was wir miteinander Wildwuchs nennen, und das wollen wir nicht. Deshalb die Eilbedürftigkeit und deshalb jetzt das Handeln.

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Selbstverständlich.

Herr Ministerpräsident, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie es für einen Fortschritt in der parlamentarischen Demokratie halten, dass Gesetzesvorhaben dieser Art ohne ausreichende parlamentarische Befassung im System, also mit einer Anhörung nach der Einbringung, behandelt werden, dass das also dasjenige ist, was Sie präferieren? Ist Ihnen weiter klar, dass nach der Entscheidung des OVG die alte Regionalplanung gilt, dass sie sozusagen erst noch außer Kraft gesetzt werden müsste? Denn sie gilt jedenfalls bis zur Feststellung ihrer Unwirksamkeit. Ist Ihnen bewusst, dass ein Wildwuchs nicht zu befürchten wäre und deshalb die Eilbedürftigkeit, die Sie begründet haben, gar nicht gegeben ist?

- Herr Kubicki, die Gegenfrage, die ich nicht stellen kann, wäre, wenn ich sie Ihnen stellen würde, ob Ihnen klar ist, dass meine Rechtsauffassung, dass die Exekutive dann in dem Bewusstsein, auf einer rechtswidrigen Grundlage zu handeln, agieren müsste, zumindest genauso wenig abwegig ist wie das, was Sie beschreiben. Ich glaube, dazu würden Sie sagen: Ja, das ist mir klar. Ich verstehe, was Sie sagen, ich halte das aber nicht für richtig. Ganz viele teilen diese Auffassung, deshalb gehen wir diesen Weg.

Aber Sie würden mich falsch interpretieren, wenn Sie den Eindruck haben, dass ich das für einen Fortschritt der parlamentarischen Beratungen hielte, wenn wir immer so verfahren würden. Das ist nicht Ziel der Übung. Die Frage, die wir miteinander beantworten müssen, ist, ob wir sehenden Auges in eine Situation kommen wollen, wo die zentrale Regelgröße § 35 des Baugesetzbuches ist. Wollen wir in diese Gefahr laufen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein, das will keiner!)