Meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne weitere Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel und der Gemeinschaftsschule Friedrichsgabe in Norderstedt. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich wegen eines Punktes zu Wort gemeldet, und zwar um den Kollegen von den PIRATEN zu verdeutlichen, was die anderen Parteien an Ihrem Habitus ein bisschen stört. Herr Kollege Breyer, Sie haben richtigerweise gesagt, es lohne sich, Ihnen zuzuhören. Das ist richtig. Aber es lohnt sich auch, uns zuzuhören.
Sie sind als neue Kraft mit einem Bild von Entscheidungsfindung in das Parlament gekommen, von dem Sie selber festgestellt haben, dass Sie diesem Anspruch in Ihrer eigenen Partei nicht genügen können, weil Menschen nun einmal Menschen sind. Wir haben mit gruppendynamischen Meinungsbildungsprozessen viel mehr Erfahrung als Sie. Das ist kein Vorwurf. Sie können doch jetzt, im Jahr 2014 nicht behaupten, dass alles, was Sie sich vorgestellt haben, wie ein Parlament funktionieren könnte, in Ihrer innerparteilichen Demokratie funktioniert, geschweige denn in einer parlamentarischen Demokratie.
Sie haben immer noch den Habitus, uns dies zu erklären. Sie setzen dabei eine gewisse Grundlegitimität Ihrer Argumente voraus. Allen anderen, die immer noch von einer übergroßen Mehrheit der Wahlbevölkerung gewählt werden, sprechen Sie dies ab. Es gibt Argumente gegen eine Fünfprozenthürde. Es gibt Argumente für eine Fünfprozenthürde. Nicht alle, die für eine Fünfprozenthürde sind, haben automatisch schlechte Argumente. Diesen Habitus vertreten Sie gern, aber andere tun dies auch. Dies stört tatsächlich.
Die repräsentative Demokratie, also die Parteiendemokratie, ist - ebenso wie die Fraktionsdisziplin nicht entstanden, weil bösartige Menschen sich zusammengesetzt haben, um zu überlegen, wie man das möglichst schlecht machen kann. Sie haben in
Ein Beispiel sind die Internetforen. Sie haben dies selbst bei Ihrer innerparteilichen Meinungsbildung feststellen können. Ich kann dies mehrfach zitieren. Dennoch halten Sie uns diese vor Augen und sagen, dies sei das Instrument der Bürgerbeteiligung. Ich sage Ihnen: Internetforen haben eine gewisse Berechtigung, jedoch ist dort weder der Stil besonders toll, noch sind diese Foren repräsentativ, denn sie erreichen nur eine gewisse Generation, nämlich die Zeitreichen.
Ein besonders komplexes Wahlrecht ist ebenfalls nicht unbedingt egalitär. Man kann kumulieren und panaschieren wollen, aber ich habe durchaus Sorgen: Manche Menschen können die Erststimme nicht von der Zweitstimme unterscheiden. Es besteht die Gefahr, dass man wieder die Zeitreichen und die gut Informierten gegenüber denjenigen überbemächtigt, die dies nicht sind.
Sie brauchen dies jetzt nicht zu widerlegen. Wir werden im Ausschuss darüber reden. Das Argument ist jedoch valide. Das Ganze ist nicht automatisch einem Machthunger der etablierten Parteien geschuldet. Das war der Ductus Ihres Kollegen Breyer. Wir können uns noch einmal darüber unterhalten. Ich lese auch auf Ihrem Pad darüber, wie er sich das vorstellt, Diäten mit der Bevölkerung auszuhandeln. Das werden Sie nicht abstreiten können, auch wenn Sie in dieser Debatte den Kopf schütteln.
Kollege Meyer, auch Ihre Argumentation war ein bisschen widersprüchlich. Wissen Sie, wo es die höchste Wahlbeteiligung gibt? - In den kleinen Gemeinden.
Darüber können wir eine Wette eingehen. Vergleichen Sie zum Beispiel Rendsburg mit Umlandgemeinden, zum Beispiel mit Stafstedt, der Gemeinde des Kollegen Neve. Die Wahlbeteiligung ist in den kleinen Gemeinden am höchsten. Deshalb ist Ihre Behauptung, dass die Größe der Gemeinden mit der Wahlbeteiligung korreliere, erst einmal empirisch
Damit gibt es keine weiteren Wortmeldungen. Für die Landesregierung hat jetzt Herr Ministerpräsident Torsten Albig das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung begrüße ich diese Debatte sehr. Ich begrüße es sehr, dass wir uns gemeinsam Gedanken darüber machen, woran es liegen kann, das der Demokratie zwar nicht die Demokraten, jedoch ein wenig die Unterstützer verlorengehen, die sich im Wahlakt immer wieder zur Demokratie bekennen. Etwas überhöht ist der Wahlakt das Hochamt der Demokratie. Dies erleben wir in der Tat nicht nur bei uns, sondern auch in den USA. Die Präsidentenwahlen sind, wenn wir dies richtig berechnen, bei einer Wahlbeteiligung von 40 %. Die Zahlen, die wir sehen, zeigen ja immer nur die der registrierten Wähler.
Es gibt Wahlen, zum Beispiel die Bürgermeisterwahlen, die eine Wahlbeteiligung von 25 % haben. Landtags- und Kommunalwahlen haben eine Wahlbeteiligung von 40 oder 50 %. Es ist nicht mehr so wie 1972, als es bei der Bundestageswahl eine Wahlbeteiligung von 91 % gab. Warum ist das so? Was bedeutet es für uns, wenn das so bleibt? Führt dies irgendwann zu einer Situation wie in Weimar, wo die Feinde der Demokratie Weimar zu Fall gebracht haben? Führt dies dazu, dass wir auf eine andere Art und Weise den Boden für Demokratie verlieren? Führt dies dazu, dass nach 60 Jahren Demokratie der Wert, den Demokratie hat, nicht mehr erkannt wird? Führt dies dazu, dass sie selbstverständlich, normal und - etwas härter formuliert langweilig und wenig schützenswert wird? Führt dies dazu, dass gefragt wird: Warum soll ich dort hingehen?
Die Debatte zeigt: Wir alle haben noch keine klare Analyse der Gründe, woran dies liegt. Bei allem Respekt, der Umstand, dass Parteien gegründet werden, ist ein Zeichen der Stärke von Demokra
tie, denn wir können Parteien gründen. Dort, wo man dies nicht kann, gibt es ein echtes Problem. Bei Unzufriedenheit ein Zeichen zu setzen und zu sagen, dann gründe ich eine eigene Partei, ist großartig. Wir sollten dies nicht als Defizit beschreiben, sondern als einen großen Erfolg von Demokratie, dass so etwas möglich ist und hoffentlich möglich bleibt. Am Ende haben Sie, anders als meine Partei, die sich nicht in einer Demokratie gründen konnte, sondern in einer Zeit kämpfen musste, Partei zu werden, als dies schwieriger war, ein Privileg. Es ist gut für Sie, dass dies anders ist.
Es soll keine Geringschätzung des Hohen Hauses sein, wenn ich sage, ich glaube, wir machen einen Fehler, wenn wir annehmen, dass das Gefühl der Menschen für Demokratie ganz fundamental davon abhängt, was gestern in eineinhalb Stunden im Rahmen unserer Haushaltsdebatte berichtet wurde oder heute in kleinen Auszügen in der Zeitung steht. Der Beitrag des Ministerpräsidenten wurde heute in der „sh:z“ in einem Halbsatz erwähnt. Menschen lesen dies, aber ich glaube, dies prägt sie nicht zentral in der Frage, ob sie zur Wahl gehen oder nicht.
Entscheidend ist auch nicht, ob wir hier manchmal härter oder weniger hart miteinander umgehen. Ich kann dies nur unterstreichen: Wenn Sie die Debatten hier mit denen in anderen Parlamenten vergleichen, dann überschätzen Sie die Härte hier ein wenig. Es wäre für alle ein bisschen fröhlicher und amüsanter, wenn die Auseinandersetzungen ein wenig lebhafter wären. Im britischen Unterhaus wäre es sehr langweilig, wenn dort so diskutiert würde wie hier bei uns. Es kann also ein bisschen mehr Schmackes in die Debatte, das schadet keinem. Die Debatten können dennoch respektvoll sein, aber sie dürfen hart und auch einmal bissig sein. Ich glaube aber, das ist nicht entscheidend. Die Menschen nehmen dies nur am Rande wahr.
Wir selbst sind Bürgerinnen und Bürger. Wenn wir für Demokratie werben, dann sollten wir fragen: Was erwarten wir eigentlich von den Menschen, von den Bürgerinnen und Bürgern in einer Demokratie?
Wir gehen nach draußen und sagen, alle Reaktionen seien eine Reaktion auf unsere Defizite, alles sei eine Reaktion auf unsere Fehler, alles sei ein Zeichen der Haltung, dass man sowieso nichts ändern könne. Diesen Satz höre ich besonders gern. Was genau heißt dies? Wählen die Menschen erst dann wieder, wenn wir Revolutionen haben, bei denen
die Hälfte der Menschen am Ende füsiliert werden? Dann könnte man natürlich etwas ändern. Das sollte aber nicht das Ziel sein, auch wenn wir dann eine hohe Wahlbeteiligung hätten. Wir müssen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier selbstbewusster nach außen gehen.
Es ist natürlich relevant, wie eine Regierung zusammengesetzt ist, wie sie zusammengesetzt war und wie sie einmal zusammengesetzt sein wird. Natürlich ist das von Bedeutung. Wenn wir alle das Lied singen, es sei irrelevant, ob die CDU regiere oder die SPD, es gäbe kaum Unterschiede, dann sage ich: Natürlich gibt es Unterschiede. Wir müssen diese Unterschiede nur besser beschreiben.
Es ist in der Tat unvorstellbar, dass es Lehrerinnen und Lehrer geben soll, die es unkeusch finden, wenn Politik in die Schule kommt. Ich hoffe, dass dieses Gerücht nicht stimmt. Es muss auch ein Gerücht sein, das ich unvorstellbar finde, dass es in diesem Land Zeitungen gibt, die vor Kommunalwahlen vier Wochen Karenzzeit haben. Das kann gar nicht sein. Das muss eine Fehlinformation sein, denn dann berichtet man nicht über Wahlkämpfe. Wenn es solche Zeitungen geben sollte, dann müssten diese sich fragen, was sie selbst dazu beitragen, dass die Leute dies komisch finden.
Das kann aber gar nicht sein, denn dann würde die Presse sich selbst als eigenständige Gewalt völlig missverstehen.
Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein guter Weg, den Sie hier gehen. Er findet durch uns jede Unterstützung. Am Ende sind es jedoch wir selbst: Gehen wir raus, und zwar als stolze Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Gehen wir auch als stolze Politikerinnen und Politiker hinaus. Erklären wir, dass das, was wir machen, Bedeutung und Relevanz hat. Oder verstecken wir uns für jede Diätendebatte und für jedes scheinbare Privileg, das sich dann, wenn man es genau ansieht, so darstellt, dass es gar kein Privileg ist? Schämen wir uns dafür? - Dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Leute sagen: Was seid ihr für ein komischer Haufen. Gehen wir hinaus, seien wir stolz. Dann entwickeln die Menschen auch ein richtiges Bild. Dies sollten wir zusammen stärker in den Blick nehmen.
Feiern wir Wahlen. Nicht jeder Raum, den wir betreten, sieht nach einer Feier aus. Wenn wir Wahlen feiern, dann lassen Sie uns den Menschen dies auch so beschreiben.
Mein letzter Satz: Amrum ist eine wahlplakatfreie Insel. Vor der Landtagswahl war ich ein paar Tage zum Entspannen dort. Ich bin dort zum Bäcker gegangen und habe Brötchen gekauft. Dabei habe ich die Bäckersfrau gefragt: Was für ein Gefühl haben Sie für die Landtagswahl? - Die Bäckersfrau hat geantwortet: Was für eine Wahl? Da muss man sich nicht wundern, dass das so ist, wenn man meint, dass das Aufstellen von Plakaten eine Verschmutzung des öffentlichen Raumes sei. Das Aufstellen von Plakaten ist die Ankündigung unseres Hochamtes, meine Damen und Herren. - Danke.
Die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um 2 Minuten überzogen. Diese Zeit steht nun auch allen Fraktionen zu. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Breyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben schöne Worte gefunden. Aber ich fürchte, dass wird nicht reichen, um die Ursachen des Problems anzugehen.
Ich möchte hier etwas klarstellen, weil in den vorangegangenen Redebeiträgen das aufgegriffen worden ist, was ich gesagt habe. Ich will niemandem von uns absprechen, subjektiv oder irgendwie generell aus unlauteren Motiven zu handeln oder nicht der Überzeugung zu sein, dass die Entscheidungen, die man trifft, richtig sind. Es kann auch niemand von uns PIRATEN sagen, dass alle Konzepte und Ideen, die wir gehabt und ausprobiert haben, auch wirklich funktionieren. Es stimmt also, dass auch wir falsche Wege gegangen sind.
Wenn wir aber Selbstkritik einfordern und dann aus Ihren Reihen hören, man habe doch das Vertrauen, es sei doch alles in Ordnung, dann nehmen Sie einfach die Fakten nicht zur Kenntnis. Fakt ist nämlich, dass nach Umfrageergebnissen nur noch 15 % sagen, sie fühlten sich von gewählten Repräsentanten gut vertreten. Ganz neu ist eine Umfrage aus
diesem Jahr, wonach 73 % sagen: „ Die demokratischen Parteien zerreden alles und lösen die Probleme nicht.“
Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?