Protocol of the Session on September 11, 2014

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bin fest davon überzeugt, dass diese differenzierte Haltung und der Wunsch, zu helfen, auch etwas damit zu tun haben, dass wir eine ausgesprochen gute transparente und differenzierte Darstellung in der Presse haben. Hierfür bedanke ich mich recht herzlich bei Ihnen. Ich glaube, Sie tragen sehr dazu bei, dass die Gespräche vor Ort ganz anders geführt werden, als sie noch in den 90er-Jahren geführt wurden. Man schaut sich auch Einzelschicksale an. Sie schauen sich die Zahlen genauer an. Sie schauen, woher die Menschen wirklich kommen. Sie greifen nicht die üblichen Stammtischparolen auf, die man derzeit leider wieder aus Bayern hören muss. Sie schauen genau: Wer kommt zu uns? Wie kommen die Menschen zu uns? Welche Wege haben die Menschen zurückgelegt? Das hilft auch den Menschen vor Ort. Vielen Dank. Ich freue mich sehr, dass ein sehr gutes Zusammenspiel zustande gekommen ist.

(Serpil Midyatli)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ja, die Flüchtlingszahlen sind gestiegen. Ja, wir haben hier und da Probleme bei der Unterbringung. Es sind aber alle bereit, nach guten Lösungen für diese Menschen zu suchen, die sehr viel ertragen mussten, die auf der Flucht fast alles zurücklassen mussten und Familienangehörige verloren haben. Sie haben sehr viele schlimme Dinge erlebt.

Ich muss allerdings feststellen, dass es neben der großartigen Arbeit, die in diesem Land auch unter schwierigen Bedingungen geleistet wird, auch etwas gibt, wofür ich mich sehr schäme. Ich habe feststellen müssen, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CSU in Bayern Forderungen aufstellen, die wirklich unfassbar sind.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Ich meine dabei nicht das Leuchtturmprojekt der CSU die Pkw-Maut betreffend, sondern die Forderung nach Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich. Neulich sagte jemand: Die Kollegen haben wohl etwas gegen ihre österreichischen Nachbarn. Anders kann man es nicht verstehen. Nein, Kollege Seehofer, diese Art von Flüchtlingspolitik wollen wir hier in Schleswig-Holstein nicht. Sie wird niemandem helfen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Deutschland ist die leistungsfähigste Volkswirtschaft Europas. Es ist eines der reichsten und eines der organisiertesten Länder der Welt mit einer funktionierenden Verwaltung und einer Zivilgesellschaft. Die Grenzen dichtzumachen, wird niemandem helfen. Weiterhin stark belasteten Ländern wie dem Libanon, der Türkei, Jemen und Jordanien überlässt man nicht die Opfer von Flucht und Vertreibung im Nahen Osten. Wir alle haben uns um diese Menschen zu kümmern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen gern drei Daten nennen: 22. August 1992 RostockLichtenhagen, 29. Mai 1993 Solingen, 23. November 1992 Mölln; ich finde, dass wir uns diese Daten wieder in Erinnerung rufen sollen. Wenn Sie meinen, ich würde hier den Teufel an die Wand malen, dann sage ich: Nein, das tue ich nicht. Schauen Sie sich die Zahlen im neuesten BKA-Bericht an. Von 2012 auf 2013 sind die rechtsmotivierten Straftaten gegen Asylbewerberheime auf das Doppelte gestiegen. Pro Asyl hat jetzt gemeldet, dass bereits bis zum Juni in diesem Jahr 20 Anschläge auf Asylbe

werberheime verübt worden sind. Darunter waren 12 Brandanschläge.

Frau Kollegin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskussion so sachlich zu führen, wie wir das hier in Schleswig-Holstein machen, und die Menschen in den Vordergrund zu stellen, um ihnen zu helfen, ist gut. Die Diskussion einiger Innenminister kann ich nicht verstehen, und ich werde dies auch nicht verstehen.

(Anhaltender Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Frau Abgeordnete, ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit beendet ist.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Eka von Kalben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Rede, Frau Midyatli. Ich kann mich ihr in vielen Teilen anschließen. Ich werde wohl einiges aus meiner Rede weglassen und dafür anderes erwähnen. Sie haben bereits vieles genannt, was mir sehr am Herzen lag. Vielen Dank dafür.

Ich danke auch dem Innenminister und seiner Fachabteilung für diesen Bericht. Genauso danke ich den Kommunen und allen anderen Beteiligten, die sich konstruktiv eingebracht haben. Das Land steht vor einer gewaltigen Kraftanstrengung hinsichtlich der Unterbringung der Flüchtlinge, das machen die Zahlen aus dem Bericht deutlich. Die Ankommenden sind in Schleswig Holstein willkommen. Wir stehen zu unserer humanitären Verpflichtung, Menschen in Not aufzunehmen; wohl wissend, dass die Zahl der Krisenherde zunimmt und dass damit die Herausforderungen steigen werden.

Es ist wichtig, dass Flüchtlinge mittlerweile nicht mehr nur als Last und als lästig angesehen werden, sondern dass wir auch ihre Talente und ihr Potenzial sehen. In vielen Reden wird betont, wie wertvoll der Zuzug der Menschen auch für unseren Arbeitsmarkt sein kann. Die Integration von Flüchtlingen darf sich allerdings nicht nach der Wirtschaftslage in Deutschland richten. Es ist gut, dass das Ministe

(Serpil Midyatli)

rium dies ausdrücklich betont und nicht nur das Potenzial der Hochqualifizierten in den Blick nimmt, sondern auf Integration von Anfang an setzt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich will ergänzen: Natürlich ist es in dieser Situation, in der viele Flüchtlinge für uns auch wertvolle Arbeitskräfte sind, einfacher, gesellschaftliche Mehrheiten zu finden. Frau Midyatli hat es ausgeführt: Es ist erfreulich, dass die Stimmung in unserer Gesellschaft zurzeit sehr positiv ist. Wir wissen aber spätestens seit der Wahl in Sachsen und den Wahlergebnissen dort, zum Teil aber auch schon länger, dass diese Stimmung durchaus zerbrechlich ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Schleswig-Holstein ein klares politisches Signal geben und uns in der Frage des Umgangs mit den Flüchtlingen sehr einig sind, auch wenn es Diskussionen darüber gibt, ob das Konzept zu spät gekommen ist oder ob es das enthält, was sich die CDU wünscht. In der Grundausrichtung, nämlich dass Flüchtlinge hier willkommen sind, sind wir uns einig, und das ist wichtig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die aktuelle Situation in Neumünster, die Tatsache, dass Menschen ein bis drei Nächte im Zelt schlafen müssen, hat uns in dieser Woche aufgeschreckt. Mich hat dies im wahrsten Sinne des Wortes aufgeschreckt. Ich bin am Montagmorgen hingefahren und habe mir die Situation angesehen. Dort gibt es eine Aufnahmesituation, die nicht zu all dem passt, was wir unter Willkommenskultur verstehen. Die Flüchtlinge brauchen zuallererst ein Dach über dem Kopf, und zwar ein festes. Das Zeltlager darf sich nicht verfestigen.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Serpil Midyatli [SPD])

Nur wenige Jahre nach der Schließung der Einrichtungen in Lübeck und Flensburg sind wir nun wieder an dem Punkt, dass wir eine weitere Gemeinschaftsunterkunft oder eine Erweiterung der Einrichtung in Neumünster brauchen, vermutlich brauchen wir perspektivisch beides. Wir brauchen dies auch, um die Kommunen zu entlasten. Im letzten Jahr haben wir 5 Millionen € zur Sanierung der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster zur Verfügung gestellt. Wir wollten die Qualität der Unterkünfte verbessern. Jetzt reden wir notgedrungen vor allem über die Quantität. Die zunehmend rasant steigenden Zahlen erhöhen den Druck auf die Akteure. Wir dürften uns alle einig darin sein, dass die

Situation in Neumünster so, wie sie aktuell ist, nicht hinnehmbar ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Unterbringungsdruck spüren die Kommunen genauso. Sie sind es, die vor der Aufgabe stehen, dauerhaft genügend Wohnraum und Integrationshilfen zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen die konstruktive Zusammenarbeit aller Ebenen und viel Flexibilität und Engagement von Bauämtern, von Gemeinderäten, von den Finanzerverantwortlichen und von denjenigen, die sich in besonderem Maße um die Flüchtlinge kümmern, wie zum Beispiel dem Flüchtlingsbeauftragten und den vielen Ehrenamtlichen vor Ort.

Frau Midyatli hat es erwähnt: Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass sich vielerorts Runde Tische mit Menschen bilden, die sich um die Neuankömmlinge kümmern wollen. Diese Helferinnen und Helfer brauchen unsere Unterstützung. Die Netzwerke brauchen Koordination und professionelle Unterstützung. Hier kann und muss das Land Unterstützung leisten.

Frau Damerow, wir brauchen auch die Unterstützung des Bundes, zum Beispiel bei den stattfindenden Gesprächen mit der Bundeswehr. Das sind Zeitfaktoren. Das sind Dinge, die eine schnelle Lösung blockieren. Da die Ministerin Ihrer Partei angehört, bitten wir Sie um Ihre Unterstützung im Zusammenhang mit der Bundesregierung.

Meine Damen und Herren, wir Grüne haben uns immer für dezentrale Lösungen stark gemacht. Gemeinschaftsunterkünfte haben wir nach den Erfahrungen in Mölln abgelehnt. Und doch haben wir schon im letzten Haushalt 2 Millionen € zur Sanierung und zum Ausbau der kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte zur Verfügung gestellt. Auf dem ersten Blick scheint dies ein wenig schizophren zu sein. Bei aller Kritik gilt aber: Gemeinschaftsunterkünfte können dann, wenn sie professionell unterstützt werden und gut gemacht sind, in der Tat eine Art Orientierungshilfe bieten, in der Beratungsangebote zentral organisiert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verweildauer - wie zum Beispiel zurzeit in Neumünster - sehr kurz ist und wenn die Menschen direkt nach ihrer Flucht in die Gemeinden können. Es kann in diesen Fällen schwierig sein, gleich allein in einer Wohnung untergebracht zu sein. Insofern können Gemeinschaftsunterkünfte für eine Übergangszeit als temporäre Lösung in Kommunen und Kreisen sinnvoll sein.

(Eka von Kalben)

Wir werben in den Kreisen dafür, wie zum Beispiel im Kreis Pinneberg, wo überlegt wird, eine Gemeinschaftsunterkunft zu gründen, nicht an einer Stelle zentral eine große Unterkunft - vielleicht sogar noch irgendwo auf dem Dorf - zu bauen, sondern in den Mittelstädten an verschiedenen Stellen kleinere Gemeinschaftsunterkünfte zu bauen. Dies kann den Kommunen helfen, dauerhaften Wohnraum zu suchen. Es kann den Menschen helfen, und es kann auch den Ehrenamtlern helfen, Angebote zu machen. Ich glaube, eines ist klar: Das Dach über dem Kopf ist wichtig, wichtig ist auch das dauerhafte Dach in der eigenen Wohnung und in der eigenen Privatsphäre. Um dort aber wohnen zu können, braucht es Sprache, Sprache, Sprache.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Oliver Kumbartzky [FDP])

Wenn die Menschen nicht die Chance haben, unsere Sprache zu erlernen, dann ist es in diesem Land sehr schwierig, am Leben teilzuhaben, Einkaufen zu gehen, Behördengänge zu machen und zu arbeiten. Das hat nichts mit irgendeinem Leitbild oder etwas dergleichen zu tun, sondern das ist einfach faktische Realität. Es hat auch nichts mit dem alten Vorwurf zu tun, sie wollten alle nicht lernen, sodass wir jetzt eine Sprachverpflichtung einführen müssten. Fakt ist: Wir müssen die Angebote für die Menschen schaffen, damit sie die Möglichkeit haben, hier Sprachunterricht zu nehmen.

Frau Damerow hat es angesprochen: Wir wollen eine Anhörung und extra vom Innenausschuss aus auch eine Art Kongress auf Landesebene organisieren. Dazu gehört nicht nur das Thema kommunale Unterkünfte und „Dach über dem Kopf“, sondern da muss auch die Bildungsministerin mit ins Boot, was den Bereich der Sprache angeht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Der Bericht liefert eine wichtige Grundlage für diese gemeinsame Zusammenarbeit. Ich freue mich auf die weitere Beratung. Lasst uns nicht nur darauf schauen, was an Worten hier im Land, im Landtag und in der Regierung geschaffen wird, sondern lasst uns Taten beschließen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das in diesem Sinne gemeinsam auf den Weg bringen werden. - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Vielen Dank. - Für die Kollegen der FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor haargenau einem Jahr, im September 2013, hat der Landtag aufgrund eines Antrags aller Fraktionen Folgendes beschlossen. Ich zitiere:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, die Kommunen bei der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen aktiv zu unterstützen und in Zusammenarbeit mit den Kommunen ein kurzfristig wirkendes und dauerhaft einsetzbares Konzept zu entwickeln und fortzuschreiben, das die Unterbringung von Flüchtlingen in Schleswig-Holstein sicherstellt.“

Zwölf Monate später müssen wir in den Zeitungen lesen, dass in Neumünster ein Zelt mit 50 Schlafplätzen für Asylsuchende aufgestellt worden ist, weil die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes aus allen Nähten platzt. Man möge sich einmal für einen Moment vorstellen, dies wäre unter einer schwarz-gelben Landesregierung passiert. Die heutigen Koalitionsfraktionen würden dann ein politisches Spätsommertheater allererster Güte inklusive Mahnwachen vor dem Innenministerium und der Staatskanzlei aufführen,

(Beifall FDP und CDU)

anstatt sich verständnisvoll über die von dieser Entwicklung völlig überraschte Landesregierung zu äußern. Gegen einen Innenminister Klaus Schlie wären in einer solchen Situation mehrere rot-grünblaue Exorzistenbataillone aufmarschiert mit dem Ziel, ihn sofort ins politische Fegefeuer zu schicken.

(Heiterkeit und Beifall FDP und CDU - Klaus Schlie [CDU]) : Damals war der Justizminister zuständig!)

- Gegen den auch! Danke für die zutreffende Erinnerung, Klaus.

(Glocke der Präsidentin - Serpil Midyatli [SPD]: Das hier ist keine lustige Debatte!)