Protocol of the Session on September 4, 2014

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Bertrand Russell hat gesagt:

„Wer wirklich Autorität hat, wird sich nicht scheuen, Fehler einzugestehen.“

Insofern will ich gern einräumen, dass unser Politikwechsel in der Bildungspolitik nicht frei von administrativen Fehlern war. Das ist so, und Sie dürfen sicher sein, dass mich das mehr ärgert als Sie. Fest steht aber auch: In der Sache können sich die Ergebnisse sehen lassen.

Sie stehen gegen eine fortschrittliche, moderne und soziale Bildungspolitik. Wir von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sehen darin das Fundament unserer Regierungskoalition.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Wir hatten schon Debatten und eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema, und nun haben wir auch noch eine außerordentliche Sitzung. Es ist Ihr gutes Recht, diese zu beantragen. Ich meine aber, wir hätten darüber auch in der kommenden Woche sprechen können. Das hätte uns Zeit für Sacharbeit gegeben, und der Landtag hätte zugleich Geld gespart. So bleibt diese Sondersitzung leider überflüssiges Theater Ihrerseits.

Ihr Versuch, die Geschlossenheit und Entschlossenheit dieser Koalition zu testen, ist uns allerdings sehr willkommen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ihre Anträge, die sich formal gegen den Ministerpräsidenten und die Bildungsministerin richten, sind in der Sache unbegründet, im Stil niveaulos. Bei solchen Anträgen muss man keine Gegenanträge stellen; es reicht völlig, sie abzulehnen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie lange noch, Herr Dr. Stegner?)

Meine Fraktion von der SPD - und ich bin ganz sicher, unsere Koalitionspartner Grüne und SSW auch - wird Ihre Anträge in namentlicher Abstimmung entschlossen und geschlossen zurückweisen. - Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Eka von Kalben.

(Unruhe)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte seit der Sommerpause verläuft bisher genau so, wie ich es erwartet habe: Die Opposition feuert aus allen Rohren - nicht jeder Treffer sitzt, Herr Koch -, und wir, die regierungstragenden Fraktionen, weisen die Anschuldigungen zurück. Nichts daran ist überraschend. Es gehört zu den erwartbaren Szenarien von Politik. Das schließt meine Fraktion und die Grünen insgesamt selbstverständlich mit ein. Es gibt politische Rituale. Wir alle kennen sie. Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode den Rücktritt des Kollegen Klug gefordert.

Tatsächlich knüpft die heutige Sondersitzung an Debatten an, die wir bereits vor dem Sommer geführt haben, zu denen es eine umfassende Akteneinsicht gab, zu denen es eine ausführliche Befragung im Bildungsausschuss gab. Seitdem gibt es in der Sache für uns keine neuen Erkenntnisse.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Neu ist, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat. Lassen wir die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit machen. Mehr ist zur faktischen Sache nicht zu sagen. In Wahrheit erwartet auch niemand von der Opposition, dass wir hier heute oder ich hier etwas anderes sage. Weil dem so ist, erschließt sich mir auch der Sinn der außerordentlichen Sitzung nicht. Denn dass es so eine Sitzung gibt, soll nicht dem Erkenntnisinteresse dienen, sondern den eigenen Spielregeln der Politik.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die übergeordneten Fragen, die politischen Fragen jenseits des konkreten Falles, eingehen, denn die sind in der Tat bemerkenswert. Nach all den Skandalen und Rücktrittsforderungen - auch der Grünen - in Personalien wie Wulff oder Haderthauer muss ein Politiker zurücktreten, wenn ihm etwas vorgeworfen wird, ohne dass der Vorwurf nachgewiesen ist. Wie hoch sind die moralischen Ansprüche, denen wir Politiker und Politikerinnen gerecht werden müssen, und gilt die Unschuldsvermutung auch für die Ministerin?

Die Bevölkerung hat hohe moralische Ansprüche an uns. Das lässt sich nicht leugnen. Es ist ein Anspruch, der leicht mit der Unschuldsvermutung in Konflikt gerät. Politiker und Politikerinnen dürfen gar nicht erst in Verdacht geraten.

Ich kann diesen Anspruch nachvollziehen. Unsere Entscheidungen betreffen die Menschen im Land. Deshalb haben wir alle eine besondere Verantwortung. Deshalb haben die Menschen einen hohen Anspruch an unser Handeln.

Minister und Ministerinnen sind oberste Dienstherren und Dienstdamen, Glaubwürdigkeit ist ihr höchstes Gut. Sie sind schlichtweg darauf angewiesen, dass man ihnen glaubt.

Die Debatte um Bildungsministerin Wara Wende beschreibt dieses grundsätzliche Spannungsverhältnis. Politiker müssen zum einen über jeden Zweifel erhaben sein, zum anderen kann ihre Glaubwürdigkeit durch Vermutungen leicht beschädigt werden. Wir müssen uns die Frage stellen, wie bei allem berechtigten Anspruch an Anstand und Moral auch

(Dr. Ralf Stegner)

Politiker und Politikerinnen geschützt werden können.

Ich begrüße es, dass sich der Ministerpräsident hier dem hohen Gut der Unschuldsvermutung verpflichtet fühlt. Es ist gut, dass er seine Kabinettskollegin nicht fallen lassen will.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sein Verhalten versucht, die Rituale der Politik zu durchbrechen. Das ist der Grund dafür, dass meine Fraktion diese Haltung unterstützt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten muss die Opposition den gleichen Ansprüchen genügen. Wir streiten hier seit Wochen intensiv über Personalfragen. Herr Kubicki und Herr Callsen, Sie legen jedes Wort auf die Goldwaage. Sie skandalisieren. Sie benutzen Worte, die sicher auch zu missbilligen wären. Herr Callsen, wer sitzt zum Beispiel auf einer Anklagebank? Ich frage Sie: Machen Sie durch Ihre Wortwahl nicht genau das, was Sie uns vorwerfen? Sie drücken sich um die politische Verantwortung im Land. Das ist nicht unsere Vorstellung von Oppositionsarbeit.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Nun noch einmal konkret zur Sache. Sie haben dem Ministerpräsidenten in der Pressekonferenz der letzten Woche vorgeworfen, das Parlament belogen zu haben. Der Antrag selbst spricht ebenfalls davon. Definiert ist Lüge so: Eine Lüge ist eine Aussage, von der der Lügner weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der oder die Empfänger sie trotzdem glauben. Lüge unterstellt also Täuschungsabsicht.

(Beifall CDU und FDP)

Deshalb sind wir hier im Haus auch vorsichtig mit diesem Vorwurf. Er gilt zu Recht als unparlamentarisch.

Vieles, was in der Hitze der Debatte gesagt wird, was in freier Rede vielleicht unsauber formuliert ist, stellt sich häufig genug als falsch heraus, aber Lüge ist bewusste Täuschung. Sie verwenden diesen unparlamentarischen Begriff sehr bewusst. Die Schlagzeilen sind Ihnen sicher. Sie wollen, dass der Landtag die Aussagen des Ministerpräsidenten wahrnimmt und verurteilt, dass der Landtag diese missbilligt.

Mit Verlaub, der Lügenvorwurf ist hanebüchen, und ich weise ihn entschieden zurück.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sie verweisen doch immer auf das Ausschussprotokoll, ich meine jenes aus dem Bildungsausschuss vom 26. Mai 2014. Viele von Ihnen waren - wie ich - während dieser Sitzung anwesend. Schon damals haben Sie den Ministerpräsidenten mit Ihrem Lügenvorwurf konfrontiert, bei exakt der gleichen Faktenlage. Damals wie heute wollten Sie seine Erklärung nicht hören. Als er sagte „mitgewirkt“, hat er gemeint: Frau Wende saß nicht mit am Tisch, als die Entscheidung gefällt wurde.

(Lachen und Zurufe CDU und FDP)

All das hat niemand bestritten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von FDP und CDU: Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, frage ich mich, weshalb wir die Aussage des MP, hier würde mit Dreck auf Menschen geschmissen, allen Ernstes missbilligen sollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sein Duktus ist teilweise hart, ja. Ich muss ihn nicht immer teilen, sicher. Aber ist der Lügenvorwurf nicht viel härter, ist es nicht viel härter, den gleichen widerlegten Vorwurf immer und immer wieder zu wiederholen? Was ist das denn? Sauber ist das jedenfalls nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Mit diesen Vorwürfen erreichen Sie nichts anderes als Verdrossenheit und Resignation - nicht bei uns, sondern dort draußen bei den Menschen, die wir hier vertreten.

(Zurufe Hans-Jörn Arp [CDU] und Johannes Callsen [CDU])

49 % Wahlbeteiligung in Sachsen - so weit ist es bei uns glücklicherweise noch nicht. Aber Politiker- und Politikverdrossenheit hat etwas mit falsch handelnden Politikern und Politikerinnen zu tun - keine Frage -, aber genauso mit denjenigen, die nicht müde werden, Flecken auf den Westen anderer zu suchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Kubicki, Sie haben in der Zeitschrift „Die Zeit“ viel Persönliches über Ihre Erfahrungen 1993 im Zusammenhang mit der Deponie Schönberg gesagt. Sie haben von dem gewaltigen Druck gespro

(Eka von Kalben)

chen, unter dem Sie standen. Sie haben davon gesprochen, dass Ihnen das eine Lehre gewesen sei. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: