Protocol of the Session on February 19, 2014

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für den Sachstandsbericht. Wir Grünen begrüßen die Initiative aus Ihrem Haus ausdrücklich

und aus vollem Herzen. Auch wir sind davon überzeugt, es ist keine juristische Wortklauberei, ob es in § 211 StGB heißt „der Mörder“ und in § 212 StGB „der Totschläger“, während in den meisten anderen Straftatbeständen des StGB die Handlungsweise oder die Handlung, also zum Beispiel eine Körperverletzung, ein Diebstahl oder eine Beleidigung, Ausgangspunkt der Bestrafung ist.

Wie Anke Spoorendonk dargelegt hat, ist die beschriebene unterschiedliche gesetzliche Beschreibung des Phänomens Kriminalität in den Tötungsdelikten des StGB ein Erbe aus der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte. Frau Kollegin Ostmeier wies auf den gleichen Zusammenhang hin. Ich zitiere das Papier des Deutschen Anwaltsvereins zur Reform der Tötungsdelikte vom Januar dieses Jahres. Dort heißt es: Die Formulierung der Mord- und Totschlagsparagrafen aus dem Jahre 1941 ist „penetrant nationalsozialistisch kontaminierte Mordkasuistik“.

Es wird bei dem Mörder das Normbild eines biologisch determinierten Menschen gezeichnet, der von vornherein mit moralisch extrem negativen Gesinnungsmerkmalen ausgestattet ist. Er ist von Natur aus mordlustig, triebhaft, habgierig, heimtückisch, grausam beziehungsweise handelt aus niedrigen Beweggründen. Die Tat ist letztlich nur Ausfluss und Bestätigung seines „Soseins“. Wer auf diese Weise gekennzeichnet ist, hat ein Leben in Freiheit für immer verwirkt. Bei den Nazis wartete der Strang.

Tatsächlich war die sogenannte Tätertypenlehre das Herzstück der nationalsozialistischen völkischen Rechtserneuerung, wie es damals hieß, und die ging von der Uni Kiel aus. Durch die Strafrechtsprofessoren Georg Dahm und Friedrich Schaffstein wurde sie ab 1933 entwickelt. Exemplarisch wurde sie neben § 211 StGB vor allem in der sogenannten Volksschädlingsverordnung von 1939. An das Urteil, ein „Volksschädling“ oder ein „Plünderer“ zu sein, wurde vor allem zum Ende des Krieges exzessiv die Todesstrafe geknüpft. In der barbarischen Sprache Freislers hieß das so:

„Bewusst hat der Gesetzgeber … das Bild des Plünderers“

- dafür kann man auch „Mörder“ einsetzen

„ganz einfach hingestellt, damit der Richter ihn ansehen kann und sagen kann: Das Subjekt verdient den Strang.“

Bekanntlich richteten Freisler und viele andere Nazi-Richter genau nach dieser Methode. Die Attentä

(Thomas Rother)

ter des 20. Juli und die Geschwister Scholl wurden von ihm in öffentlicher Verhandlung vor dem Volksgerichtshof genau so zu minderwertigen, moralisch unwertigen Menschen herabgewürdigt.

Der „Volksschädling“ und der „Plünderer“ haben das Ende der Nazi-Zeit in Gesetzesform nicht überdauert, der aus dem gleichen Ungeist stammende „Mörder“ und „Totschläger“ im StGB aber sehr wohl.

Natürlich hatte auch die „völkische Rechtserneuerung“ und ihre Tätertypenlehre ein Vorbild. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten die Kriminologen Cesare Lombroso und Enrico Ferri die Lehre vom „deliquente nato“, also dem geborenen Verbrecher. Der war nach Ansicht der Forscher an bestimmten körperlichen Merkmalen verlässlich zu erkennen, zum Beispiel an besonderen Schädelformen oder an zusammengewachsenen Augenbrauen. Spezifische Merkmale sollten sogar erkennen lassen, zu welcher besonderen Deliktform ein entsprechend aussehender Mensch gleichsam naturgesetzlich neigen würde. Noch heute kann man in Turin die gruseligen Exponate mumifizierter Köpfe von Hingerichteten anschauen, die Lombrosos Thesen stützen sollten.

Auch die andere fürchterliche geistesgeschichtliche Verirrung des 19. Jahrhunderts, die Rassenlehre des Arthur de Gobineau, die letztlich in den Nürnberger Rassegesetzen und in Auschwitz mündete, basierte maßgeblich auf der fatalen Grundannahme, dass es - wie bei der Tätertypenlehre - vor allem biologische, vom Einzelnen nicht zu beeinflussende Determinanten sind, die über das Schicksal, den Wert und das Lebensrecht eines Menschen entscheiden.

Vor diesen Hintergründen oder - besser gesagt Abgründen ist das jetzt von der Justizministerin eingeleitete Unterfangen einer Wortlautbereinigung der §§ 211 und 212 StGB alles andere als unwichtig oder abwegig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Es wird höchste Zeit, dass wir das Strafgesetzbuch von diesen grauenhaften Relikten der Nazi-Zeit befreien.

Natürlich hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH trotz oder sogar entgegen dem Wortlaut des Mordparagrafen nach 1949 für eine rechtsstaatliche Urteilspraxis bei Tötungsdelikten gesorgt. Dies ist aber kein hinreichender Grund dafür, in geschichtsvergessener Be

harrlichkeit das Erbe von Georg Dahm und Roland Freisler im StGB zu bewahren.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Als Initialzündung für eine umfassende Reform der Tötungsdelikte im Strafgesetzbuch hat die Initiative aus dem Hause Spoorendonk schon jetzt dazu geführt, dass nach mehreren vergeblichen Anläufen die in Lehre und Rechtsprechung dringend geforderte Gesamtreform der Tötungsdelikte im Strafgesetzbuch wieder auf der Tagesordnung steht. Dafür gilt der Justizministerin unser ausdrücklicher Dank. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die regierungstragenden Fraktionen haben mit ihrem Antrag überraschend Justizministerin Spoorendonk nunmehr die Möglichkeit gegeben, über ihre Bundesratsinitiative zur Wortlautbereinigung der §§ 211 und 212 StGB im Plenum zu berichten. Vielleicht hätte es auch ein Berichtsantrag im Innen- und Rechtsausschuss getan.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Doch was beinhaltet dieser Vorschlag eigentlich? Es soll lediglich eine sprachliche Überarbeitung der §§ 211 und 212 StGB geben. Dabei handelt es sich, genauer gesagt, um die beiden Begriffe Mörder und Totschläger, die nach den Plänen der Justizministerin Spoorendonk gestrichen werden sollen. Von ihren Fachkollegen - darauf hat Frau Spoorendonk hingewiesen - ist dieser Vorschlag auf der Justizministerkonferenz im vergangenen Herbst lediglich einstimmig zur Kenntnis genommen worden.

In den „Kieler Nachrichten“ vom 15. November 2013 sagte die Justizministerin zu dem bescheidenen Resultat ihres Vorstoßes:

„Die Diskussion mit meinen Amtskollegen hat deutlich gemacht, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob eine reine Wortlautbereinigung von einer inhaltlichen Debatte zu trennen ist.“

(Burkhard Peters)

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, dass die Justizministerin in puncto Bundesratsinitiativen offenbar mit zweierlei Maß misst. Noch in der letzten Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am 12. Februar 2014 hat die Ministerin der CDU-Fraktion für eine Bundesratsinitiative zum Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften eine Absage erteilt, weil diese schlicht keine Erfolgsaussichten hätte. Es hieß, dass das Stimmungsbild eindeutig gewesen sei.

Dass ein ablehnendes Stimmungsbild die Ministerin jedoch grundsätzlich nicht von der Einbringung, zumindest nicht von eigenen Bundesratsinitiativen abhält, deutete sie bereits im November 2013 an. Am 14. November 2013 sagte sie in der „taz“, dass sie, auch wenn sie keine Mehrheit für ihren Vorschlag in der Fachkonferenz erhält, in jedem Fall eine Bundesratsinitiative starten will - ich zitiere -:

„Auch wenn es keinen Spaß macht, mit fliegenden Fahnen unterzugehen … Aber es ist mir wichtig, die Debatte neu zu eröffnen.“

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ja, dazu kommen wir noch. - Seit geraumer Zeit führen Fachleute einen intensiven Diskurs über eine Überarbeitung, eine Reform des Strafrechts. Insbesondere die Ausgestaltung der §§ 211 und 212 StGB sind Gegenstand heftiger und bisweilen recht unsachlicher Auseinandersetzungen. Bundesjustizminister Maas befasst sich seit Anfang Februar dieses Jahres mit dieser Thematik und hat angekündigt, dazu eine Expertengruppe einzusetzen. Dabei sollen unter anderem auch die Mordmerkmale auf den Prüfstand. Dass jetzt auf Ansinnen des Bundesjustizministers Fachleute zusammen beraten, ob und wie Anpassungen erforderlich sind, begrüße ich ausdrücklich. Denn eine reine Wortlautänderung ist Semantik und nichts anderes. Frau Ministerin, ich hätte mir von Ihnen den Mut gewünscht, bei der Neuformulierung den Begriff der „Heimtücke“ herauszunehmen.

(Beifall FDP)

Wenn man von nationalsozialistischem Unrecht sprechen kann, dann in diesem Feld.

Lediglich das Streichen bestimmter Reizwörter wird der Gesamtkritik und dem Reformbedarf des Strafrechts nicht gerecht; es ist schlicht zu oberflächlich.

Es darf eben nicht nur das einzige Argument sein, dass die betreffende Formulierung aus der NS-Zeit

stammt - übrigens ein Totschlagargument, wenn man sich mit der Reform von Inhalten beschäftigen will.

Die Ankündigungen des Bundesjustizministers Maas haben nun Justizministerin Spoorendonk erneut auf den Plan gerufen. Am 11. Februar 2014 hat die Ministerin ihre eigene Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, bezeichnenderweise einen Tag, bevor sie im Ausschuss der CDU-Fraktion keinerlei Hoffnung für deren Bundesratsinitiative attestierte.

In der Medien-Information des Ministeriums für Justiz, Kultur und Europa vom 11. Februar 2014 heißt es:

„Es freut mich, dass unsere Argumente im Bund auf fruchtbaren Boden gefallen sind und der Bundesjustizminister nun ankündigt, sich für eine Reform der Paragrafen zu Mord und Totschlag einzusetzen.“

Man muss sich an dieser Stelle die Frage stellen Herr Kollege Dr. Stegner, auch Sie kennen das -, ob die Initiative für eine reine Wortlautbereinigung sinnvoll ist, während Expertenrunden in Berlin zeitgleich inhaltliche und auch sprachliche Neuerungen für das Strafrecht insgesamt erörtern. Da es sich bei der Bundesratsinitiative weder um eine inhaltliche Auseinandersetzung noch um einen konstruktiven Beitrag zur Reform des Strafrechts handelt, ist diese meines Erachtens völlig überflüssig. Sie werden erleben, dass das im Deutschen Bundestag - wenn es denn den Deutschen Bundestag überhaupt erreichen sollte - keinerlei sofortige Umsetzung finden wird, sondern die dortigen Experten darauf bestehen werden, dass es zu inhaltlichen Änderungen insgesamt kommen muss.

Ich bin der Auffassung - ich akzeptiere, dass das für die Koalitionsfraktion wichtig ist; Artikel 1 der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung ist immer vorn -, dass Schleswig-Holstein sich mit dieser Initiative blamiert - und das völlig zu Recht.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Frau Ostmeier hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass in § 252 StGB vom „Räuber“ die Rede ist. Es gibt also eine Reihe tätertypbezogene Merkmale, beispielsweise auch das Merkmal der Verwerflichkeit bei der Nötigung, beispielsweise auch das Merkmal der Rücksichtslosigkeit in § 315 c StGB. Wenn man eine vernünftige Reform möchte, dann muss man das Strafgesetzbuch insgesamt anpacken, ansonsten sollte man es lassen, oder man macht sich lächerlich.

(Wolfgang Kubicki)

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch auf etwas anderes eingehen. Wir haben eine Reihe von Sonderdelikten, bei denen wir tätertypbezogene Merkmale haben: „Wer als Arzt …“, „Wer als Amtsträger …“. Auch das sind alles tätertypbezogene Merkmale. Auch hier muss man sich die Frage stellen, ob die Beschreibung des Tatbestandes nicht ausreicht. Also entweder macht man eine komplette Reform, oder man lässt es. Ansonsten handelt es sich um nichts anderes als Semantik.

Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen, weil ich das mittlerweile nicht mehr hören kann - auch wenn ich die Motivation verstehe: Ich halte es nicht mehr für erträglich, sachliche Argumentation immer damit zu unterfüttern, dass, wer Ihnen so nicht folgen wolle, nationalsozialistisches Unrecht rechtfertige. Es gab einmal einen BKA-Präsidenten Herold - ein SPD-Mann -, der ein völliger Anhänger der Tätertypauffassung war, er folgte dem Kriminologen Armand Mergen und hatte die Vorstellung, dass man mit der Erfassung von Gesichtsbildern von Menschen feststellen kann, wer Täter ist und wer nicht.

Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, Herr Kollege Dr. Stegner - Sie als damaliger Innenminister -, müssen wir uns doch auch fragen: Was ist denn die Rasterfahndung eigentlich anderes als die Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen, die dazu führen sollen, jemanden als potentiellen Täter zu identifizieren?