Protocol of the Session on December 12, 2013

Herr Albig schuldet uns PIRATEN und dem gesamten Landtag, noch mehr aber den Bürgerinnen und Bürgern in Schleswig-Holstein, alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass sich seine gesamte Landesregierung gegen die drohende Vorratsdatenspeicherung aller unserer Kontakte und Bewegungen stemmt.

(Beifall PIRATEN)

Das ist seine Aufgabe. Dafür wurde er gewählt. Er hat den Eid geleistet, Schaden von uns abzuwenden. Mit einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung droht der Totalschaden für unsere Freiheitsrechte. Er muss mit aller Konsequenz durchgreifen.

(Beifall PIRATEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich betonen, dass Herr Innenminister Breitner wie jeder andere Mensch auch ein Recht auf eine eigene Meinung hat.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich möchte keinen falschen Zungenschlag in die Debatte einbringen. Es geht nicht um die Frage Vorratsdatenspeicherung ja oder nein, sondern es geht um die Frage einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung über einen längeren Zeitraum. Es gibt eine Initiative dazu, das sogenannte Quick-FreezeVerfahren. Herr Innenminister, Sie dürften es kennen. Ich komme darauf zurück, weil mich etwas maßlos enttäuscht hat, da ich Sie - wie Sie wissen für einen vernünftigen Menschen halte und auch glaube, dass das Innenressort bei Ihnen in guten Händen liegt. Wir diskutieren hier im Hause eine Tatsache, die von fast allen hier - bis auf die in dieser Frage ewig Gestrigen -

(Volker Dornquast [CDU]: Na, na!)

- Ich habe doch gesagt, die in dieser Frage ewig Gestrigen.

(Zuruf Klaus Schlie [CDU])

- Auch die Union muss gelegentlich mit Wahrheit umgehen können, Herr Kollege Schlie.

(Beifall FDP)

Dass wir hier diskutieren und sich die regierungstragenden Fraktionen, die PIRATEN und die FDP sehr eindeutig gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aussprechen und dass Sie dann hier ins Plenum kommen und erklären, es sei alles gesagt, dazu müsste nichts mehr gesagt werden und damit den Eindruck erwecken, Sie teilten diese Meinung, wir aber anschließend von Ihnen eine öffentliche Erklärung erleben, die darauf hinausläuft, dies sei fachpolitischer Unsinn und Sie seien fachpolitisch völlig anderer Auffassung, das haut dem Fass den Boden aus.

(Beifall FDP, PIRATEN und vereinzelt CDU)

Ich erwarte von dem Innenminister dieses Landes, dass er dann, wenn er fachliche Bedenken hat, diese in diesem Haus äußert und nicht aus welchen Gründen auch immer schweigt, um anschließend mit Erklärungen in die Öffentlichkeit zu gehen, von denen ich glaube, dass er sie besser nicht gegeben hätte.

(Beifall FDP, PIRATEN und Rasmus Andre- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Zu erklären, dass diejenigen, die sich gegen die an- lasslose Vorratsdatenspeicherung wehren, und zwar aus gutem Grund, menschenverachtend seien, finde ich so skandalös, dass mir dafür die Worte fehlen. (Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Dass Sie Ihre fachpolitische Auffassung auch noch mit völlig falschen Argumenten unterfüttern, macht mich nahezu sprachlos.

(Beifall FDP, PIRATEN und Rasmus Andre- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will dies an einem einfachen Beispiel dokumentieren: Wenn Sie erklären, man könnte Kinderschändung durch Vorratsdatenspeicherung besser aufklären, dann frage ich, wo Sie leben. Ich bin seit 35 Jahren Strafverteidiger. Haben Sie schon einmal einen Fall erlebt, bei dem ein Kinderschänder anschließend sein Opfer anruft? - Ich noch nicht. Eine solche unsinnige Erklärung zu geben und populistisch mit den Emotionen von Menschen zu arbeiten, die Angst um ihre Kinder haben, finde ich unerhört.

(Beifall FDP, PIRATEN, SSW und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Damerow, wenn wir einen Vorgang haben, können die Daten eingefroren werden, aber nur dann, wenn wir einen konkreten Verdachtsfall ha

(Dr. Patrick Breyer)

ben. Sie können aber nicht die Daten von 82 Millionen Bundesbürgern flächendeckend über einen längeren Zeitraum mit der Maßgabe speichern, dass das gesamte Kommunikationsverhalten überwacht werden kann.

(Beifall FDP, PIRATEN, SSW, Peter Eich- städt [SPD] und Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Lieber Ralf Stegner, wenn Siggi Pop mit dieser maßlosen Erklärung, man habe den Überfall auf Utøya mit der Vorratdatenspeicherung besser aufklären können beziehungsweise dieses Verbrechen sei durch die Vorratdatenspeicherung aufgeklärt worden, kommt, dann ist dies sachlich falsch. Der Täter hatte sich ergeben. Was den Tatbestand angeht, so musste man diesen nicht mehr durch die Vorratsdatenspeicherung aufklären. Das allein zeigt jedoch, dass hier mit Emotionen in einer Art und Weise Politik gemacht wird, von der ich geglaubt hätte, rational denkende Menschen müssten sich solcher falschen Emotionen nicht bedienen.

(Beifall FDP, PIRATEN, SSW und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage es ausdrücklich, und ich weiß, dass ich eigentlich die Falschen öffentlich anspreche, weil ich weiß, dass wir in dieser Frage einer Meinung sind. Ich muss es aber tun: Wer - wie die Sozialdemokraten - eine Resolution begrüßt und die Menschen einlädt, in der es heißt, ein Mensch unter Beobachtung sei niemals frei und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung sei keine Demokratie mehr, was übrigens auch ein Satz ist, der sich in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit der ersten Vorratsdatenspeicherung wiederfindet, der darf sich öffentlich so nicht äußern.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Der darf auch nicht öffentlich dafür eintreten, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ins Feld geführt wird.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Ich bin Berufsgeheimnisträger. Ich will nicht, dass meine Kommunikationsdaten von der Exekutive überwacht werden. Ich habe nach § 53 Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht. Dieses wird unterlaufen, wenn meine Kommunikationsdaten gespeichert werden. Ich bin Abgeordneter dieses Parlaments. Ich will nicht, dass die Exekutive meine Kommunikationsdaten als Abgeordneter überwachen und auswerten kann. Man kann sagen, die Exekutive dürfe dies nicht, aber es ge

schieht trotzdem, wie wir es bei der NSA festgestellt haben. Die USA sind auch ein demokratischer Rechtsstaat. Trotzdem hält man sich dort gelegentlich nicht an die Gesetze. Wir wissen es auch von unseren Diensten, dass sie sich gelegentlich nicht an Gesetze halten, und wir wissen es auch von der Polizei, dass man sich dort gelegentlich nicht an die Gesetze hält. Ich will nicht, dass Bürger die Sorge haben müssen, dass diese Kommunikationsverbindung dann, wenn sie sich an mich wenden, identifiziert werden kann und dass es deshalb unterbleibt, dass diese Bürger ihre Rechte wahrnehmen.

(Beifall FDP, PIRATEN und SSW)

Ich kündige von dieser Stelle aus an - ich hoffe, dass ich auch noch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen dazu bewegen kann, das auch zu tun -: Wie beim letzten Mal werde ich als Abgeordneter dieses Landtages, als Person und als Rechtsanwalt gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Verfassungsgericht klagen, weil ich glaube, dass damit eine der Grundfreiheiten unseres gemeinsamen Zusammenlebens in einer Art und Weise verletzt wird, die ich nicht zu akzeptieren bereit bin. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Vielen Dank. - Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Thema Vorratsdatenspeicherung debattieren wir ja nicht zum ersten Mal in diesem Plenum. Dazu wurde vieles gesagt, auch von mir. Ich möchte das heute nicht alles wiederholen; denn das kann man bei Bedarf im Protokoll nachlesen. Außerdem bekomme ich auch nicht die Redezeit, die ich gerne hätte.

(Heiterkeit und Beifall SPD, PIRATEN und SSW)

Dass Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte mit Ermittlungserfordernissen kollidieren, ist nicht neu. Schließlich sind Grundrechte Schutzrechte gegen den Staat. Umso mehr finde ich die Äußerung des Bundesinnenministers, es gebe ein Supergrundrecht auf Sicherheit, doppelt bedenklich, vor allem für einen Juristen, muss ich ehrlich sagen.

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Schon eines der ältesten Rechte, das Habeas Corpus, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, hat dazu geführt, dass Verbrecher entkommen sind. Wer wollte das bestreiten? Das heißt, dieses Abwägungsproblem ist wirklich nicht neu.

Bei der Vorratsdatenspeicherung hat uns das Bundesverfassungsgericht den rechtsstaatlich möglichen Rahmen vorgegeben. Das bedeutet nicht, dass man ihn ausschöpfen muss; das bedeutet aber, dass man ihn ausschöpfen kann.

(Beifall PIRATEN)

Inwieweit er ausgeschöpft wird, unterliegt der Abwägung durch die Parlamente. Da gibt es zum Beispiel die Meinung von Herrn Dr. Bernstein, der bei der Abwägung von Sicherheit und Grundrechten stärker in Richtung Sicherheit neigt. Das habe ich auch immer anerkannt, wenngleich ich diese Auffassung nicht teile. Auf der anderen Seite gibt es die Auffassung von Herrn Dr. Breyer, der schon in dem Melderegister ein Problem sieht. Auch diesen Teil seiner Auffassung teile ich nicht, aber das ist legitim. Wir sollten also aufhören, wenn wir uns innerhalb des rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlich möglichen Rahmens bewegen, uns gegenseitig dunkle Motive zu unterstellen. Ich glaube, dies tut dem Parlamentarismus nicht gut.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Da hier auf den rechtsstaatlichen Rahmen hingewiesen worden ist, so kann ich Ihnen mitteilen, dass sich dieser eventuell gerade geändert hat. Eben gerade kam nämlich über den Ticker, dass der Generalanwalt beim EuGH die Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig hält.

(Vereinzelter Beifall SPD, PIRATEN und SSW)

Wir erwarten das Urteil erst in wenigen Monaten. Aber ich glaube, dadurch dürfte sich ein Teil der Debatten ein wenig verschieben.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage des Herrn Abgeordneten Dr. Patrick Breyer?