Protocol of the Session on November 21, 2013

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Vorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abgeordnete aller Fraktionen dieses Landtags haben den Innenminister vor zwei Wochen auf einer Reise in den Balkan begleitet. Wir waren einen Tag in Bukarest und anderthalb Tage in Skopje. Wir sammelten Eindrücke aus Rumänien und Mazedonien, das eine ein EU-Land, das andere nicht. In beiden Ländern wollten wir insbesondere Informationen über die Situation der Roma einholen. Doch die offiziellen Stellen machten uns in erster Linie deutlich, welche Anstrengungen sie unternehmen, um die Grenzen abzuschotten, nach außen gegen Flüchtlinge, mit Schnellbooten, möglichst aus Deutschland, nach innen mit einem ausgefeilten Profiling-System, das dafür sorgt, dass jeder Roma, der mit einem Bus an die Grenze kommt, herausgefiltert werden kann; danach wird ihm womöglich sein Pass entzogen.

Es dauerte jedes Mal eine ganze Weile, bis unser Minister, Herr Breitner, mit einem Missverständnis aufräumte: In Schleswig-Holstein sind Flüchtlinge willkommen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und PIRATEN)

Wir wollen, dass diejenigen, die Schutz brauchen, die Möglichkeit haben, in dieses Land zu kommen. Damit sprach er für die gesamte Delegation, unabhängig von Partei und Funktion. Dieser Moment, in dem den Generälen auf der anderen Seite die Gesichtszüge entgleisten, gefiel mir. Das Bild, das Deutschland und Europa offensichtlich in die neuen Länder des Balkans tragen, gefiel mir nicht:

(Zustimmung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Macht alles möglich für sichere Grenzen; die Menschenrechte sind uns dabei völlig egal!

Meine Damen und Herren, die Reise machte aber auch deutlich, dass unsere Möglichkeiten in Schleswig-Holstein begrenzt sind. Wir können die Aufenthaltsrechte nicht festlegen. Wir können die Abschiebehaft nicht allein abschaffen. Wir können die Residenzpflicht nur begrenzt aufheben, und wir können das Arbeitsverbot für Flüchtlinge nicht aufheben, ganz abgesehen von den Bestimmungen von Schengen und Frontex.

Wir haben auch - das war eine wichtige Erkenntnis auf dieser Reise - nur wenige Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass die EU-Mittel oder die Entwicklungshilfemittel, die den Roma dort eigentlich zur Verfügung stehen sollen, dort, wo sie benötigt werden, auch wirklich ankommen.

Auch deshalb wollen wir ihnen hier Schutz geben vor Diskriminierung, vor Hunger und Kälte, wenn sie ihn brauchen, und zwar unabhängig davon, ob sie wieder zurückgehen wollen, wenn die winterlichen Temperaturen nicht mehr bedrohlich sind, oder nicht. Wir können - der Minister hat es bereits ausgeführt - diejenigen, die es zu uns schaffen, willkommen heißen.

Hätten wir über den Koalitionsvertrag auf Bundesebene zu bestimmen, wären viele Probleme gelöst: bundesweite Bewegungsfreiheit für alle Flüchtlinge, rechtlicher und faktischer Zugang zum Arbeitsmarkt von Anfang an - Serpil lächelt schon -, Unterstützung bei beruflicher Integration durch Sprach- und Integrationskurse, Fortbildung und erleichterte Anerkennung beruflicher Abschlüsse, keine Duldungen mehr.

(Serpil Midyatli)

Meine Damen und Herren, wir stehen für eine andere Flüchtlingspolitik, eine Politik, die Integrationspolitik und Flüchtlingspolitik zusammenbringt und bestehende Diskriminierung abschaffen will.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Ich habe letzte Woche eine syrische Familie besucht, die seit drei Wochen in Kiel ist. Ihre Zwillinge, drei Jahre alt, erleben das erste Mal in ihrem Leben eine Zeit ohne Kriegslärm, ohne Angst, auf die Straße zu gehen, ohne nachts von Bomben und Sirenen geweckt zu werden. Die Eltern wollen Deutsch lernen, arbeiten und hierbleiben. Der Mann ist Schlosser. Sie ist Lehrerin. Noch leben sie in einer Gemeinschaftsunterkunft.

Die Küstenkoalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, für menschenwürdige Unterkünfte zu sorgen: dezentrale Unterbringung vor Gemeinschaftsunterkünften.

Gleichzeitig aber wollen wir möglichst vielen Menschen Zuflucht gewähren, aus Gründen der Humanität, aber auch, weil wir Zuwanderung brauchen. Die Zuzugszahlen steigen, Wohnraum in den Kommunen ist knapp. Wir stehen scheinbar vor einem Dilemma: Qualität zulasten der Quantität oder umgekehrt. Für uns ist klar, Quantität und Qualität müssen Hand in Hand gehen. Das müssen wir beraten, wenn die Landesregierung das beantragte Unterbringungskonzept vorlegt.

Wir brauchen einen genauen Überblick über die Qualität der Unterbringung in unserem Land und ein schlüssiges Konzept, wie wir mit steigenden und fallenden Zugangszahlen umgehen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen hier auch auf die Erfahrungen des Flüchtlingsbeauftragten zurückgreifen. Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass wir nicht auf Druck der Masse die Qualität vernachlässigen. Deshalb muss für die Unterkunft in größeren Einheiten ein besonderer Standard für die Betreuung gelten: Beratung vor Ort, Sprachförderung, Kinderbetreuung. Das können positive Elemente sein, die wir verbindlich machen sollten.

Gleichzeitig müssen wir die Kommunen bei ihren Aufgaben unterstützen. Wir werden deshalb auch die Mittel zur Sanierung der Unterkünfte in Höhe von circa 2 Millionen € nicht nur für die Erstaufnahme in Neumünster, einer Landesliegenschaft, sondern auch für die kommunale Versorgung einsetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden uns in den Haushaltsberatungen für eine effektive Sprachförderung, insbesondere für Jugendliche an Berufsschulen, einsetzen.

Meine Damen und Herren, für uns ist Flüchtlingspolitik eine Frage der Haltung, einer Haltung, dass Flüchtlingspolitik auch in Zukunft etwas kosten darf und kosten muss. Unsere Haltung zur Flüchtlingspolitik in Schleswig-Holstein ist eine weltoffene und solidarische. Wir können stolz darauf sein. Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat die Abgeordnete Angelika Beer.

Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich für den Bericht von unserem Innenminister zu diesem Thema bedanken. Es ist ein wichtiges Thema. Sie haben eben den Kollegen Lars Harms fixiert, um nicht jemand anderen anzugucken. Vielleicht meinten Sie mich. Deswegen möchte ich an dieser Stelle sagen: In der Tat, wir haben sehr viel weiter gehende Vorstellungen und Forderungen als die, die in Ihrer Rede eben deutlich geworden sind.

Aber wir können Ihnen auch versichern, dass wir jeden Millimeter Verbesserung für einen Flüchtling mittragen werden. Denn nur der Weg dahin führt zum Ziel.

(Beifall PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich diesen Antrag der FDP gelesen habe, habe ich mir echt lange überlegt, was Sie damit erreichen wollen. Ich habe mich gefragt - Sie haben auf die Debatte in der letzten Plenarwoche im September hingewiesen -, ob die Debatte oder die Ausschussberatung - ich saß mit im Innenausschuss, als es um die Haushaltslage ging - und die Bundesratsinitiativen dieser Landesregierung nicht registriert worden sind.

Dann habe ich mir noch einmal die Fragestellung durchgelesen. Herr Kubicki, ich kann Sie, nachdem Sie gesprochen haben, jetzt besser verstehen. Dieser Antrag gab es wirklich nicht her.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

(Eka von Kalben)

Sie wollten einen Bericht über die rechtlichen Hürden zur Umsetzung von Maßnahmen. Ich habe mich entschieden, jetzt nicht über rechtliche Hürden zu diskutieren, sondern über die politischen Hürden - politische Hürden, die ganz bewusst in der Vergangenheit, aber auch heute noch aufgebaut und verschärft wurden -, weil niemand den Mut hat zu sagen, dass wir in Schleswig-Holstein, in Deutschland und in der ganzen EU einen radikalen Wechsel in der Flüchtlingspolitik wagen müssen, um nicht länger gegen unsere eigenen Grundwerte zu verstoßen.

(Beifall PIRATEN)

Lieber Herr Kubicki, liebe Kollegen von der FDP, diese Hürden haben Sie mit errichtet. Sie waren vier Jahre in der Verantwortung der Bundesregierung. Sie waren in einer Koalition und haben einer Politik des Innenministers Friedrich, die ich als Abgrenzungs- und Ausgangspolitik bezeichne, widerspruchslos die Hand gereicht.

(Beifall PIRATEN)

Trotzdem bin ich froh, dass wir diese Debatte heute haben. Ihr Antrag wird an einem Tag debattiert, der möglicherweise entscheidend ist für die Zukunft der Flüchtlingspolitik auch in Schleswig-Holstein, einmal weil genau in diesem Moment - deswegen fehlt er - Kollege Stegner die Verhandlungen zu diesem Bereich mit der CDU/CSU führt, zum Zweiten weil unser Bundespräsident - das sollte reichen zuzuhören - Joachim Gauck heute syrische Flüchtlinge im Lager Friedland besucht. Beides hat sehr konkrete Auswirkungen auf uns hier. Ich will das begründen.

Mittlerweile sind 10 Millionen - das sind fast mehr als die Hälfte - aller Syrerinnen und Syrer innerund außerhalb ihres Landes auf der Flucht. Die Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht. Der Winter hält Einzug, ja, in Damaskus schneit es auch, manchen mag das erstaunen. Es wird schwierig sein, dort in Zelten zu überwintern. Die Bereitschaft Deutschlands, lediglich 5.000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, steht nach meinem Verständnis in krassem Widerspruch zu jeder Humanität.

(Beifall PIRATEN)

Der Erlass, lieber Herr Breitner - wir haben das schon einmal diskutiert -, der aus Ihrem Haus kommt und der festhält, dass diese Kontingentflüchtlinge, dieser geringe Anteil in Höhe von 5.000, nur zu uns kommen darf, wenn Verwandte eine hundertprozentige Finanzierungsgarantie übernehmen, ist ein Stück Abschottungspolitik. Wenn

Sie sagen, das stimme nicht, das sei die Willkommenspolitik, dann sage ich Ihnen: Das ist für mich keine Willkommenspolitik, sondern der Beweis, dass wir eine Anerkennung in Richtung Bleiberechtspolitik brauchen, die weit darüber hinausgeht.

Frau Abgeordnete Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Abgeordneten von Kalben?

Ja, gern.

Frau Beer, ich möchte eine Bemerkung loswerden zu dem Punkt: Wir sind gerade mit der Koalition einig, dass wir genau diesen Erlass und die Verpflichtungsermächtigung ändern werden. Insofern wird Sie das hoffentlich freuen. Und wir werden insbesondere die Verpflichtung zur Krankenversicherung, die auch in anderen Bundesländern zum Teil schon herausgenommen wurde, aus diesem Erlass herausnehmen.

- Frau Kollegin von Kalben, das freut mich außerordentlich,

(Beifall PIRATEN)

wie viele andere von uns auch, die in der Flüchtlingsarbeit engagiert sind, gerade auch die Ehrenamtler.

Wir kennen junge Syrer, für die wir vielleicht das Bleiberecht erkämpfen können, die auch schon in Schleswig-Holstein sind. In einem Fall wird ein Bruder etwa in einem Flüchtlingslager in der Türkei aufgehalten. Für ihn gibt es keine Möglichkeit mehr, hierhin zu kommen, weil der Syrer, der bei uns jetzt sicher ist, die Finanzgarantie nicht geben kann.

Dass diese Änderung erfolgt, haben wir auch dem Flüchtlingsrat und dem Flüchtlingsbeauftragten zu verdanken. Allen möchte ich dafür danken. Es ist ein Schritt, der wirklich wichtig ist. Ich danke für die Information.