Protocol of the Session on August 22, 2012

Die Energiewende ist eine der größten Infrastrukturmaßnahmen, die die Republik je erlebt hat. Innerhalb weniger Jahre wollen wir unsere Energieerzeugung auf erneuerbare Energien umstellen. Das ist mittlerweile Konsens quer durch die Gesellschaft.

Wenn uns diese Umstellung gelingt und wir beweisen, dass eine führende Industrienation wie Deutschland auf die gefährliche Atomenergie verzichten kann und keine neuen Kohlekraftwerke mehr benötigt, wird dies für andere Länder beispielgebend sein. Wir können so zum Toprunner werden und noch mehr als bisher zum Exportland für Umwelt- und Energietechnologien.

(Dr. Ralf Stegner)

Darum bin ich so froh, dass dieses Projekt hier bei uns nun in den Händen der Grünen, in den Händen von Robert Habeck liegt. Wir werden Ihnen beweisen: Wir Grünen können Infrastruktur.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir gestalten Infrastruktur aber nicht blind und technokratisch. Gerade wir Grünen sehen uns in drei Bereichen in einer besonderen Scharnierfunktion.

Als Bürgerrechtspartei sehen wir unsere Scharnierfunktion erstens darin, den Netzausbau in engster Abstimmung mit den Betroffenen anzugehen. Robert Habeck und auch seine Staatssekretärin Ingrid Nestle haben bereits vielfältige Gespräche mit Betroffenen geführt, wie auch meine Fraktion Gespräche mit den Netzbetreibern in den Regionen geführt und Veranstaltungen besucht hat.

Herr Callsen, Sie haben gerade bemängelt, diese Gespräche führten zu nichts beziehungsweise die Bündelung der Ressourcen bringe nicht so viel. Wir haben gerade in Quickborn erlebt, dass Jahre verstrichen sind, weil keine Moderationsgespräche stattgefunden haben. Erst kurz vor der Wahl hat sich der Kollege von der CDU dankenswerterweise eingeschaltet. Mittlerweile gibt es auch Gespräche mit der Frau Staatssekretärin, sodass vielleicht doch noch zu einer Lösung gefunden werden kann.

Wir müssen die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und vor Ort die besten Lösungen suchen: Wo kann eine Stromtrasse um eine Ortschaft herumgeführt werden? Wo können bestehende Eisenbahn- oder Kanaltrassen genutzt werden?

All dies muss sorgfältig, bürgernah und gleichzeitig schnell geschehen. Jahrelange Gerichtsprozesse bringen uns der Energiewende nicht näher. Wir setzen auf einen engen Dialog mit den Menschen und auf die Einsicht, dass wir die beschriebenen Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Sankt Florian und seine Prinzipien helfen uns nicht weiter.

Dass Netze eigentlich in die öffentliche Hand, in Bürgerhand gehören, entspricht ebenfalls unserer Grundüberzeugung. Dies gilt zuvorderst für die kommunalen Netze. Das Auslaufen von Konzessionsverträgen soll dazu genutzt werden, um deren Kommunalisierung voranzubringen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Die zweite Scharnierfunktion, bei der wir Grünen uns in besonderer Verantwortung sehen, betrifft den sozialen Aspekt. Die Energiewende und die soziale Frage dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es ist doch zynisch, dass diejenigen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien jahrelang blockiert haben, nun ihr Herz für die finanziell schlechter Gestellten entdecken und argumentieren, die Energiewende würde allein zulasten der Schwächeren gehen. Das ist mehr als unglaubwürdig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch selbstverständlich, dass auch in Haushalten, die Arbeitslosengeld beziehen, die Lichter nicht ausgehen dürfen. Aber vielleicht werden diese Lichter schon bald gegen hocheffiziente LEDs ausgetauscht, sobald diese so kostengünstig sind, dass sie auch beim Discounter über die Ladentheke gehen. Die Energiewende soll die Schere zwischen Arm und Reich nicht vergrößern. Dafür werde ich mit vollem Einsatz kämpfen. Das Verrückte ist doch, dass die steigenden Heizkosten - insbesondere auf der Basis von Öl - bei der Berechnung des Lebensunterhaltes berücksichtigt werden, die Strompreise aber aus dem Regelsatz zu zahlen sind. Das hat aber nichts mit der Energiewende zu tun, sondern mit dem Berechnungssystem.

Gerade auch bei den steigenden Strompreisen zeigt sich doch, dass Energiewende nicht nur einseitig mit dem Umschwenken auf Erneuerbare und dem Bau neuer Netze verbunden werden darf. Wir dürfen die anderen „E“ - die Energieeffizienz und das Energiesparen - nicht vergessen. Und ich möchte ein viertes „E“ hinzufügen: Ehrgeiz!

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Den vermissen wir zum Beispiel auch bei Umweltminister Altmaier und der Bundesregierung

(Beifall Abgeordneter Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

durch ihre Weigerung der Umsetzung der Effizienzrichtlinie der EU.

Gegen die Nöte der ärmeren Bevölkerungsteile sollen die von Altmaier vorgeschlagenen Energieberater und -beraterinnen helfen. Wie er das umsetzen will, steht in den Sternen. Den Vorschlag, den wir skeptisch, aber konstruktiv begleiten wollen, hilft jedoch nur begrenzt weiter. Denn was bitte soll ein Mensch, der Hartz IV bezieht, mit der Botschaft anfangen, sein Kühlschrank oder seine Waschmaschine verschlinge zu viel Strom, wenn nicht gleichzeitig eine Möglichkeit gegeben wird, Altge

(Eka von Kalben)

räte auch in Haushalten ohne oder mit wenig Einkommen auszutauschen?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneter Flemming Meyer [SSW])

Wie ist es zu erklären, dass die größten Energiefresser-Unternehmen immer noch mit Steuergeschenken belohnt werden? Die Privilegierung der stromintensiven Industrie bei der Stromsteuer, die Befreiung von der EEG-Umlage, die Befreiung von Nutzungsentgelten - das belastet den sogenannten kleinen Mann, den gefangenen Tarifkunden,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Das tun nicht die Erzeugungskosten für Erneuerbare. Dem Staat gehen so 2,3 Milliarden € jährlich verloren. - 2,3 Milliarden €! Davon könnte man jedem der viereinhalb Millionen Haushalte mit sogenanntem Hartz-IV-Einkommen einen Kühlschrank der Energieklasse A+++ schenken. Mit so einer Summe könnte man eine Abwrackprämie finanzieren, die wirklich der Umwelt hilft.

Wenn die Atom- und Kohlefreunde in den Regierungen von Bund und Land die Subventionen nicht so freigiebig ausgeschüttet hätten und lieber in die Erforschung von Erneuerbaren und Effizienztechnologien investiert hätten, wären die erneuerbaren Energien bereits viel weiter und damit kostengünstiger.

Aber wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen und prüfen, wie die ansteigenden Energiekosten sozial abgefedert werden können. Die Energiewende soll die ohnehin Schlechtergestellten nicht belasten.

Neben der transparenten Bürgerbeteiligung beim Netzausbau und bei der sozialen Frage sehen wir Grünen uns auch in einem dritten Bereich als Scharnier, und das ist die Umweltverträglichkeit des Energieumstiegs. Die langfristig positiven Effekte der erneuerbaren Energien sind unumstritten: weniger Risiko von Atomunfällen, weniger Strahlenmüll und weniger klimaschädliches CO2 durch Kohleverstromung.

Aber das gehört zur Ehrlichkeit dazu: Auch die Erneuerbaren haben Risiken und Nebenwirkungen. So manches Windrad mag einigen Menschen ein Dorn im Auge sein, die den freien Blick über ihr flaches Land gewohnt waren. Die drehenden Rotoren haben auch schon Opfer in der Vogelwelt gefordert. Die Zuleitungen zu den Offshore-Windanlagen im Wattenmeer sind eine Zumutung für den Nationalpark, und die Installation der Offshore-Anlagen stellt eine Belastung für Schweinswale dar.

Die aufgestellten Anlagen sind ein zusätzliches Risiko für die Schifffahrt. Können wir als Grüne das gutheißen? - Gutheißen nicht, aber wir werden uns dafür einsetzen, die schädlichen Auswirkungen zu minimieren. Marlies Fritzen hat zum Beispiel in der letzten Legislaturperiode bereits zum Schutz der Meeresumwelt einen Antrag eingebracht, die umweltverträglichen Bautechniken als Standard vorzuschreiben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneter Flemming Meyer [SSW])

Praktisch jede Energieerzeugung hat negative Effekte. Die Atomkraft hat ihre radioaktiven Strahlen und ihre tödlichen Hinterlassenschaften für Millionen von Jahren, die fossilen Energieträger heizen unser Klima auf, und auch die Erneuerbaren sind nicht folgenlos, wie eben schon beschrieben. Ich bin der Überzeugung, dass jede Generation von uns Menschen für die negativen Folgen ihrer Energieerzeugung selbst geradestehen muss. Die Energien von gestern werden die Generationen von morgen belasten. Noch unsere Ur-Ur-Urenkel werden ihre Gesundheit und ihren Geldbeutel belastet sehen durch unsere kurzsichtige und überhaupt nicht nachhaltige Energiepolitik der vergangenen Dekaden. Bei den Erneuerbaren wird es anders sein. Hier werden wir die Kosten und die Einschränkungen selbst tragen, und das halte ich für mehr als fair.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Energiewende ist ein gesellschaftliches Gesamtprojekt und muss mit der Ökologisierung der Wirtschaft insgesamt einhergehen, denn wir müssen bei der Umstellung auf Erneuerbare ja nicht nur an den Atomausstieg und an Elektrizität denken, die steigenden Ölpreise erinnern uns ständig schmerzlich daran, dass wir auch dem Ende des Ölzeitalters entgegengehen und deshalb unser Wirtschaften, unsere Mobilität und unsere Lebensgewohnheiten anders gestalten müssen.

Neben Verordnungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen wird es eben auch darauf ankommen, die Art und Weise zu ändern, wie wir leben. Dazu braucht man einen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage, was unsere Lebensqualität bestimmt. Das muss nicht immer mit Einschnitten oder mit Verbieten allen Genusses gleichgesetzt werden. Die Umwelt zu schützen, kann auch zu einem Mehr an Lebensqualität führen. Das kann nicht par ordre du Mufti passieren, sondern nur in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs.

(Eka von Kalben)

Die Energiewende muss kommen. Das ist seit vielen Jahren Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Aber warum sind wir nicht schon weiter? - Es bedurfte zweier Atomkatastrophen - einer in Tschernobyl und einer in Fukushima -, um die CDU zum Umdenken zu bewegen. Die Sünden der Vergangenheit, in der einseitig auf Kohle und Atom gesetzt wurde, holen uns jetzt ein und setzen uns unter diesen enormen zeitlichen Druck. Jeden Tag, den die Energiewende länger dauert, ist ein Tag mehr des sogenannten Restrisikos, ist ein Tag mehr, an dem verstrahlter Müll den kommenden Generationen vor die Füße gekippt wird, und ist ein Tag mehr, der uns von unseren Klimazielen entfernt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneter Dr. Ralf Stegner [SPD])

Es hat mich wirklich gefreut, als von CDU und FDP nach 30 Jahren - immerhin - die Botschaft ausging: Wir haben verstanden.

Die politischen Konsequenzen, die daraus in den folgenden Jahren abgeleitet wurden, ließen mich jedoch an der Aussage zweifeln. Wir haben verstanden? - Wie ist es dann zu erklären, dass der Solarindustrie wenige Jahre, bevor sie wirklich konkurrenzfähig werden konnte, die Luft abgeschnürt wurde? - Das wäre, als würde man einen Marathonläufer über die ganze Strecke anfeuern und ihn mit Bananen und Wasser päppeln, um ihm dann ganz kurz vor dem Ziel bei Kilometer 39 ein Bein zu stellen.

(Zuruf Abgeordneter Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich will nicht abstreiten, dass man über die Deckelung der Solarförderung diskutieren kann, aber doch nicht so, dass man damit einer Branche sämtliche Planungssicherheit nimmt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Wie ist es zu erklären, dass die FDP - wie am Montag deren hessischer Wirtschaftsminister Rentsch die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes fordert? - Am 28. August 2012 findet der Energiekipfel im Bundeskanzleramt statt. Die Vorstöße aus der FDP zum EEG lassen uns diesen Tag mit Bangen erwarten.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Na ja!)

- Außer Ralf Stegner.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie müssen auch die Artikel dazu lesen! Lesen bildet!)

Schwarz-Gelb hat jahrzehntelang die Verantwortung für die Energiepolitik in Bund und Land. Was mich wirklich ärgert: Jetzt stellen Sie sich hier hin, machen dicke Backen und kritteln bereits an der neuen Landesregierung herum.

(Christopher Vogt [FDP]: Jahrzehntelang? - Dr. Kai Dolgner [SPD]: Bereits gefühlte! - Zuruf Abgeordneter Christopher Vogt [FDP])