Protocol of the Session on April 24, 2013

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Selbstverständlich.

Herr Ministerpräsident, darf ich Ihre bewegenden Worte dahin gehend verstehen, dass diese Regierung auf die sozialistischen Partner in Frankreich und Nantes zugeht, um sie davon zu überzeugen, damit aufzuhören, dass dieser Müll, der die künftigen Generationen zum Aussterben bringen wird, in Frankreich nicht mehr produziert wird?

(Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

- Herr Kubicki, Sie dürfen meine Worte dahin gehend verstehen, dass diese Regierung glaubt, dass es irgendjemanden geben muss, der als Vorbild vorangeht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Diese Regierung möchte das sein. Ich kann Sie nur herzlich auffordern mitzugehen.

Ich weiß, auch angesichts der jungen Menschen, auch der, die heute hier sind, ist es eine Zumutung, eine solche Diskussion zu führen, eine Zumutung, gesagt zu bekommen: Da habt ihr nun den Müll, und seht die nächsten Millionen Jahre zu, was ihr damit macht, passt schön darauf auf, er wird nie wieder verschwunden sein! Dieser Zumutung aber müssen wir uns stellen. Ich jedenfalls will meinen Kindern nicht sagen, dass wir als Gesellschaft gemeinsam auch hier nicht in der Lage waren, dieses Kapitel zu schließen, gemeinsam als Gesellschaft eine Antwort darauf zu geben. Und es reicht eben nicht aus, die Antwort zu geben: Hauptsache, es ist nicht bei mir. Ich kann in Deutschland nicht 16-mal eine Antwort organisieren, die heißt: Nein, nicht bei mir! 16-mal Nein führt nicht zu einem Ja in Deutschland. Wir brauchen gemeinsame Antworten auf die Fragen: Wie sieht das neue Endlager aus? Wo ist es? Halten wir es als Gesellschaft aus? Genauso brauchen wir Antworten auf die Fragen: Was machen wir bis dahin mit dem Müll, den wir haben? Wo soll er lagern?

Ich begrüße es sehr, dass der Bundesumweltminister - in diesen Stunden tagt das Bundeskabinett von CDU/CSU und FDP genau zu dieser Frage - das Endlagersuchgesetz auf den Weg bringt, weil der Grundansatz genau der richtige ist. Wir müssen eine befriedende Lösung und eine Antwort auf die Frage finden: Wo kommt das Zeug endgültig hin?

Ich begrüße es und verstehe es, dass auf diesem Weg auch die Frage gestellt wurde: Was passiert in Gorleben bis dahin? Gorleben war bisher Zwischenlager. Über 100 Castoren sind dort eingelagert. Ich kann nachvollziehen, dass diejenigen, die das in Gorleben so lange haben ertragen müssen, sagen: Wenn wir Teil dieses Prozesses sein sollen, wenn wir mit auf eine weiße Karte kommen, auf die auch alle anderen denkbaren Orte kommen, bitten wir darum, dass wir für die noch ausstehenden Lieferungen von Castorbehältern nach Deutschland nicht auch noch weiter Zwischenlager sind.

Die Menschen dort haben schon viel ertragen. Es gehört zu einem fairen Kompromiss, zu sagen: Wir müssen für die 26 Castoren, die mit mittel- und hochradioaktivem Atommüll noch kommen werden, gemeinsam eine andere Lösung finden. Das, was das Bundeskabinett jetzt tut, ist richtig. Der Kompromiss zwischen Bund und Ländern ist rich

(Ministerpräsident Torsten Albig)

tig. Meine Landesregierung unterstützt die dazu notwendigen weiteren Schritte. Dazu gehört, dass wir eine Antwort auf die Frage geben: Wo genau werden die 26 Container hingebracht? Zwischen 2015 und 2017 werden diese aus Großbritannien und aus Frankreich zurückkommen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Viel Spaß!)

Das sind 26 Container mit Müll, den es schon gibt. Im Zusammenhang mit diesen reicht das Pflegen einer politischen Rhetorik, die von Opportunismus getrieben wurde, nicht aus. Es reicht nicht zu sagen: Lieber Gott, lass das an meinem Land, an meinem Ort, an meinem Quartier vorbeigehen, lass diese Dinge irgendwo anders hingehen. Meine Politik beschränkt sich nicht darauf, wie Sankt Florian zu sagen: Der Nachbar soll ruhig, ich will aber nicht. Ich glaube, Politik, die verantwortlich ist und die sich ihrer Verantwortung stellt, muss Teil von Lösungen sein wollen. Sonst funktioniert sie nicht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Verantwortung heißt: Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag leisten. Jeder muss prüfen, jeder muss sich prüfen. Wir hier, aber auch andere Parlamente in anderen Regionen, müssen uns fragen: Wie kann ich Teil von Lösungen sein? Wir haben heute in Deutschland 13 denkbare Zwischenlager an Kernkraftwerken. Wir haben dort insgesamt rund 1.600 Stellplätze für Castoren. Wir haben heute noch an keinem dieser Standorte eine Genehmigungslage. Die Genehmigungslage liegt bisher nur in Gorleben vor. Sie muss geschaffen werden. Es besteht jedoch überhaupt keine Notwendigkeit, neue Lager zu schaffen, weil wir in Deutschland ausreichende Kapazitäten haben. Wir brauchen auch nirgendwo Abklingbecken, da sich das entsprechende Sicherungskonzept 2006 grundlegend geändert hat.

Wir wissen, dass das Bundesamt für Strahlenschutz die Behörde ist, die die Genehmigungen und die rechtlichen Voraussetzungen schaffen muss. Sie muss das tun. Wenn dies nicht gelingt, dann ist Gorleben der einzige Ort. Das, was die von Ihnen getragene Bundesregierung gerade heute beschließt, sagt aber: Gorleben soll es nicht sein. Wir können das akzeptieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das steht im Ge- setz nicht drin!)

Wir können es akzeptieren, dass Bundesminister Altmeier, die Bundeskanzlerin und auch die Führung der FDP sagen: Das ist ein guter Weg, den wir

gehen, weil er Solidarität breiter fasst und sagt: Sankt Florian kann nicht das Handlungsprinzip von Politik sein, sondern Verantwortung muss das Handlungsprinzip von Politik sein.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Regierung hat für Schleswig-Holstein die Bereitschaft erklärt, Teil einer gemeinschaftlichen Lösung zu sein. Wir wollen ein ergebnisoffenes Endlagersuchgesetz,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das wollen wir auch!)

bei dem Gorleben ein Teil ist. Daher akzeptieren wir die Einschränkung für das Zwischenlager Gorleben. Wir haben in der Tat etwas gesagt, das ungewöhnlich ist. Wir verstecken uns nicht hinter dem nächsten Busch und warten darauf, dass irgendjemand anders den Kopf heraushält. Wir sind politisch in der Lage, zu sagen: Das, was wir leisten können, wollen wir leisten; gemeinsam mit BadenWürttemberg haben wir das getan. Ich erwarte von anderen das gleiche.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Sehr gern.

Herr Ministerpräsident, Sie haben gerade einen Punkt angesprochen, der für mich sehr wichtig ist, nämlich die Lastenverteilung. Sie haben gesagt: Jedes Land, das geeignete Kapazität hat, muss eine Beteiligung prüfen. Darf ich dies dahin gehend verstehen, dass eine faire Lastenverteilung, wie sie im Antrag der Koalitionsfraktionen vorgesehen ist, nicht gegeben ist, wenn Länder wie NordrheinWestfalen oder Hessen, die über entsprechende Zwischenlager verfügen, aus nicht zwingenden politischen Gründen sagen: „Wir machen nicht mit“? Heißt das, dass Sie einer Regelung nicht zustimmen werden, die besagt, dass wir Atommüll anteilig aus Ländern übernehmen, die aus politischen Gründen nicht bereit sind, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen?

(Ministerpräsident Torsten Albig)

- Herr Abgeordneter, ich komme sofort darauf. Das ist noch Teil der Regierungserklärung. Ich teile aber Ihre Auffassung, dass es nicht ausreicht, zu sagen: Wir tauschen Gorleben durch Brunsbüttel, und das war’s. Das ist kein fairer Lastenausgleich. Es braucht mehr. Bitte gestatten Sie mir jedoch, dies im Zusammenhang zu erläutern.

Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein hat seine Bedingungen auch durch den Energiewendeminister sehr klar formuliert, und zwar von Anbeginn. Bereits am 24. März 2013 haben wir eindeutige Forderungen aufgestellt. Seither steht unsere Position unverändert und stringent. Wir fordern erstens eine klare Lastenverteilung zwischen den Ländern, an deren Kraftwerkstandorten eine vorübergehende Zwischenlagerung infrage kommt. Dazu gehört aber auch, und das ist mir sehr wichtig, dass wir über die Lasten nachdenken, die wir verursachen würden, wenn wir anteilsgenau Castor-Transporte durch Deutschland organisieren nach dem Motto: Dieses Kraftwerk hat einen Anteil von 0,5, wir müssen also eine entsprechende Verteilung auf alle 13 Standorte vornehmen. Auch das ist eine Last, über die nachgedacht werden muss. Ich kann verstehen, dass ein Bundesumweltminister und ein Bundesamt für Strahlenschutz sagen: Es gibt Orte wie Unterweser oder Brunsbüttel, die allein durch ihre Zugänglichkeit diese Last minimieren. Das wird eine Rolle spielen.

Zweitens. Es muss sicher sein, dass aus den Zwischenlagern keine Endlager werden. Dafür sind sie weder genehmigt noch geeignet. Die Betriebsgenehmigungen für vorhandene Zwischenlager dürfen nicht verlängert werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Drittens. Wir bestehen auf einer vollständigen Freistellung aller damit verbundenen Kosten wie Transportsicherung und Lagerung. Der Bund muss auch die sicherlich notwendigen Polizeieinsätze und die Kosten, die damit zusammenhängen, übernehmen und dafür aufkommen.

Von der Zusage, diese Prämissen zu erfüllen, haben wir unser Angebot abhängig gemacht, Teil einer Lösung sein zu können. Ich freue mich, dass die Regierungsfraktionen dies mit ihrem Antrag heute noch einmal untermauern. Das ist der richtige Weg. Wir sind in unseren Prämissen gegenüber dem Bund klar. Mir scheint, der Bundesumweltminister hat dies verstanden. So, wie ich es wahrnehme, bemüht er sich sehr, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen. Das, was heute im Bundeskabinett

passiert, wird ebenfalls ein Schritt in diese Richtung sein.

Wer aber glaubt, dass ein Land, in dem drei Atomkraftwerke stehen, sich total verweigern könnte und auf Gorleben verweisen kann, argumentiert moralisch fragwürdig und macht es sich zu leicht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Unver- schämt!)

Schon vor etwas mehr als zwei Jahren hat Herr Abgeordneter Magnussen an dieser Stelle etwas gesagt, was ich in der Grundposition nicht teile, was aber in der Ableitung richtig ist. Herr Magnussen sagte: Wer drei Kernkraftwerke in seinem Land hat, muss natürlich auch den Transport von Kernbrennstoffen und Reaktorstäben ermöglichen.

Ich teile nicht die Position, die dazu führt, aber ich teile die Konsequenz: Wenn ich mit einem Weg begonnen habe, dann muss ich in der Konsequenz diesen Weg auch zu Ende gehen und mich den entstandenen Folgen stellen. Halte ich mich nicht daran, dann bin ich widersprüchlich und mache nur opportunistische Politik. Sie wissen, allein rechnerisch entfallen etwa fünf der in Rede stehenden 26 Castoren auf die Atomkraftwerke in unserem Land. Es stehen aber bereits jetzt auch Castoren mit Atommüll aus Schleswig-Holstein unter den mehr als 100 Castoren in Gorleben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die können wir ja zurücknehmen!)

Die Forderung, dass jedes Land nur vor seiner eigenen Haustür kehren sollte, ist politisch nicht meine. Sie entspricht auch nicht der von uns erwarteten Übernahme von Verantwortung. Verglichen mit den Hunderten von Castoren, die es in Deutschland bereits in Zwischenlagern oder an den drei Zentrallagern gibt, reden wir mit den noch ausstehenden 26 über eine verhältnismäßig kleine Menge, so schwer uns konkret vor Ort auch jeder einzelne Transport fallen wird.

Ich glaube auch, dass die Qualität der Debatte eine völlig andere ist als die Qualität der Debatte, die wir über Endlager und Zwischenlager geführt haben, als wir diese Atomtechnik möglich machen wollten. Damals ging es darum, dass sie der Schlüssel dafür sei, die Tür in das Atomzeitalter zu öffnen. Heute ist sie der Schlüssel in der Tür, um das Atomzeitalter abzuschließen. Wir wollen diesen Raum zuschließen, und deshalb brauchen wir den Schlüssel.

(Ministerpräsident Torsten Albig)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir brauchen eine gesellschaftliche Akzeptanz dieser Lösung. Es wird nie - weder in Brunsbüttel noch anderswo - eine Akzeptanz geben, bei der die Menschen uns sagen: Wir finden es klasse, dass das bei uns passiert. Das wird niemals passieren. Es kann nur eine Akzeptanz geben, die darauf beruht, dass die Politik die Verantwortung angenommen hat, zu erklären, warum wir gemeinsam solche schweren gesellschaftlichen Kompromisse ertragen müssen. Diese Akzeptanz haben wir sicherzustellen. Wenn es uns nur darum ginge, jeweils vor Ort die individuellen Interessen zufriedenzustellen, dann entspräche das nicht der weiteren Verantwortung, die wir haben.

Ich weiß, wie schwer das in Brunsbüttel ist; ich weiß, was der Bürgermeister mit uns gemeinsam in dieser Debatte auszuhalten hat. Aber wir sind diejenigen - und deswegen sind wir gewählt und nur deswegen -, die erklären müssen, warum wir es gemeinsam halten müssen und wie wir es so machen, dass die Lasten auf mehreren Schultern liegen.

Castoren einzulagern und den Müll, den wir haben, aufzunehmen, das ist eines der letzten Kapitel der unrühmlichen Atomgeschichte. Und wir haben dieses Kapitel gemeinsam zu schreiben. Das wollen und werden wir tun, meine Damen und Herren.

Dazu gehört, dass wir auch vom Bund erwarten und verlangen, dass bei der Sicherheit nicht das kleinste Zugeständnis gemacht wird zulasten Bürgerinnen und Bürger. Für eine mögliche Zwischenlagerung in Schleswig-Holstein haben Sicherheitskriterien deshalb die höchste Priorität. Wir verlangen von der Bundesregierung ein ganz klares Bekenntnis zur Anerkennung dieser höchsten Sicherheitsstandards.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)