Zweitens. Warum gilt das tarifliche Entgelt nur beim Mindestlohn? Frau Heinold, Ihr Zitat, das Sie manchen Professoren- und Lehrerhaushalt kennen, der die Tariferhöhung von 5,6 % nicht zwingend nötig habe, ist unerhört. Das haben wir heute Morgen bereits festgestellt. Nicht nur, dass Sie damit den Grundsatz außer Kraft setzen, dass gute Arbeit auch gut bezahlt werden muss, nein, Sie unterstellen damit, dass die alleinerziehende Lehrerin mit zwei Kindern und alle anderen Beamten im Land in Saus und Braus lebten. So weit wie Sie kann man aus meiner Sicht von der Realität gar nicht entfernt sein. Sie sollten sich für diesen Satz nicht nur öffentlich entschuldigen, sondern Sie sollten auch einmal erklären, wie das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in Einklang zu bringen ist, für den jedenfalls der Kollege Stegner so heftig geworben hat.
Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, gehen mit wahrlich schlechtem Beispiel und sehr unglaubwürdig in dieser Frage voran, jedenfalls nach dem, was Sie vorhin in der Aktuellen Stunde als Argument gegen die
Übernahme des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst auch für die Landesbeamtinnen und Landesbeamten zum Besten gegeben haben. Insofern steht es Ihnen schlecht an, mit dem Finger auf die Opposition zu zeigen. Und es steht Ihnen noch schlechter an, Herr Kollege Tietze, wie Sie das getan haben, hier eine vermeintliche Politik der sozialen Kälte an die Wand zu malen.
Im Kern geht es um die Frage: Wie bekommen wir es hin, dass Arbeit ordentlich bezahlt wird, ohne erstens Arbeitsplätze dauerhaft zu gefährden, und zweitens dafür zu sorgen, dass Menschen, die acht Stunden am Tag fünf Tage in der Woche arbeiten, von dem, was sie verdienen, auch leben können? Dazu gibt es unterschiedliche Modelle, die eigentlich auch zwei unterschiedliche Grundansätze erkennen lassen. Das ist zum einen Ihr flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, und das ist zum anderen das auf Tarifautonomie aufbauende Konzept einer Lohnfindungskommission.
Ich glaube, wir haben hier in den vergangenen drei oder vier Jahren die Frage des gesetzlichen Mindestlohns hin oder her ausgiebig relativ polemisch diskutiert. Ich meine, es ist an der Zeit, gemeinsam mit den Gewerkschaften darüber ins Gespräch zu kommen und ernsthaft darüber nachzudenken, was langfristig die Tarifautonomie in Deutschland wieder stärkt, um die Lohnfindung dort zu belassen, wo sie in den letzten 50 Jahren war, nämlich bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern, die das jedenfalls aus meiner Sicht und auch aus Sicht meiner Fraktion - exzellent hinbekommen haben.
Ich verweise darauf, dass in den Ländern, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, zum Beispiel relevante Gruppen ausgenommen worden sind, etwa wie in den Niederlanden, nämlich alte Beschäftigte und ganz junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die dürfen nämlich einen Mindestlohn von etwas über 2 € erwarten.
Das ist etwas, was hier niemand möchte. Oder denken Sie an die Länder - das hören Sie dann nicht besonders gerne -, in denen es in der Tat Mindestlöhne gibt, etwa wie in Frankreich. Dort ist die Arbeitslosenrate mindestens doppelt so hoch als bei den Beschäftigten, von der Jugendarbeitslosigkeit ganz zu schweigen.
Ich sage Ihnen abschließend: Ich diskutiere mit Ihnen lieber über das richtige Instrument, Lohnsubventionen dauerhaft einzuschränken, als darüber, wie wir Massenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Den Gesetzentwurf der Koalition zur Mitbestimmung im öffentlichen Dienst begrüßen wir ausdrücklich. Er stellt eine sogar verbesserte Rückkehr zu dem dar, was üblich sein sollte, was hier auch einmal üblich war und hoffentlich bald wieder üblich ist.
Dass die Koalition diesen Entwurf auch zu diesem Zeitpunkt vorlegt, finden wir sehr mutig und gut; denn wir alle wissen, was in den nächsten Jahren auf den öffentlichen Dienst zukommen wird. Mit dem Personalabbau verbunden sind Dienststellenschließungen. Das braucht einen wirksamen Personalrat, um das sozial abzufedern.
Ich habe mit den Gewerkschaften gesprochen, die mir gesagt haben, dass sie mit diesem Entwurf einverstanden seien: In dem Wissen um die radikalen Personalveränderungen, die auf den öffentlichen Dienst in unserem Land zukommen, sind sie bereit, sich konstruktiv durch ihre Personalräte einzubringen. Um dies fachkundig tun zu können, organisieren die Gewerkschaften die Aus- und Fortbildung der Personalräte. Dafür braucht es die entsprechenden Freistellungen. Das wird Geld kosten. Dieses Geld muss das Land jedoch in die Hand nehmen, wenn es als Arbeitgeber auch bei der Mitbestimmung so vorbildlich sein will, wie es sich beim Mindestlohn zeigen will.
Nach unserer Auffassung werden sich die Kosten, die das Mitbestimmungsgesetz auslösen wird, im kommenden Jahr in sehr überschaubaren Größenordnungen halten. Der Wissenschaftliche Dienst hat ja auch bereits festgestellt, dass gar keine Mehrkosten entstehen. Der Mehrwert, der sich durch besser partizipierende und damit wohl auch besser motivierte Mitarbeiter ergibt, rechtfertigt diese Mehrausgaben allemal.
Wir fordern die Landesregierung aber auch auf, die sich aus dem Gesetzentwurf ergebende Mitbestimmung auch in dem Geist zu leben, der für ein echtes Miteinander von Arbeitgebern und Personal erforderlich ist. Nehmen Sie die Ideen ernst, und nehmen Sie auch die Sorgen der Personalräte auf, wenn
Gestalten Sie den Personalabbau gemeinsam mit den Beschäftigten. Ohne die Expertise und das Engagement der Beschäftigten wird der riesige Personalabbau kaum zu gestalten sein.
Vor diesem Hintergrund wiederhole ich mich gerne und sage, dass wir PIRATEN den Entwurf zum jetzigen Zeitpunkt ausdrücklich für gut halten und dass das Mitbestimmungsgesetz unsere Akzeptanz findet.
Wenn die Koalition den Geist des Mitbestimmungsgesetzentwurfes auf ihren Gesetzentwurf zum Mindestlohn übertragen hätte, könnten wir diesen Entwurf genauso gut mittragen und befürworten. Weil das nach unserer Auffassung jedoch nicht vollumfänglich geschehen ist, haben wir dazu einen Änderungsantrag vorgelegt. Er beinhaltet den Mindestlohn mit einer deutlich verbesserten Beteiligung der Beschäftigten.
Lassen Sie mich zunächst auf den Mindestlohn eingehen. Er ist ein gesamtgesellschaftliches Muss - da sind wir völlig beieinander -, an dem kein Weg vorbei führt. Es ist sehr wohl - anders als es der Entwurf der CDU-Fraktion erkennen lässt - die Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass die Menschenwürde auch für die Arbeit und deren Entlohnung uneingeschränkt gilt. Wer voll berufstätig ist, darf nicht unter der Armutsgrenze leben und auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein. Dieser Anspruch ist im öffentlichen Dienst genau so zu erfüllen wie auf dem freien Markt.
Nur so sind eine Existenz und eine gesellschaftliche Teilhabe in menschenwürdiger Weise möglich. Weil aber der Mindestlohn allein nicht die gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart und der Zukunft lösen kann, sehen wir PIRATEN ihn als Brückentechnologie an. Angesichts der sich umkehrenden Alterspyramide und des stetig weiter zunehmenden Abbaus von Arbeitsplätzen setzen wir uns für ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe ein,
das sich unter dem Oberbegriff „bedingungsloses Grundeinkommen“ im Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Wir wollen dies durch eine Enquetekommission des Bundestages prüfen lassen und dabei dann den besten Weg zur Umsetzung finden. Dies
Bis dahin befürworten wir also den Mindestlohn als Zwischenlösung. Aber auch für ihn wünschen wir uns die Beteiligung aller Betroffenen. Damit sind wir bei dem Punkt, den wir PIRATEN im Gesetzentwurf der Koalition durch unseren Änderungsantrag nachbessern wollen.
Was die Beschäftigungsverhältnisse angeht, erwartet uns gerade von der EU, was die Minijobs angeht, eine Rüge. Belgien beabsichtigt, gegen die Minijobregelung bei uns zu klagen. Wir sehen also, wie wichtig es ist, den Mindestlohn richtig zu entwickeln.
Wenn die Lohnentwicklung in unserer Gesellschaft so übel ist, dass der Staat durch ein Mindestlohngesetz eingreifen muss, dann ist natürlich auch dieses Gesetz streng betrachtet ein Eingriff in die Tarifautonomie. Solange die Ergebnisse der Tarifautonomie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die Notwendigkeit des Aufstockens durch menschenwürdige gerechte Löhne verhindern konnten, war es nicht nötig, sich Gedanken über ein solches Gesetz zu machen. Weil sich aber genau das in den letzten Jahren radikal zum Nachteil der Beschäftigten verändert hat, muss gehandelt werden.
Dieses Handeln muss sich daran messen lassen, ob es den Geist der Tarifautonomie lebt und umsetzt. Tut es das nicht, so beschädigt und schwächt es dieses bewährte Instrument der partnerschaftlichen und verantwortungsvollen Lohngestaltung. Dann ist ein Mindestlohngesetz unserer Auffassung nach sogar kontraproduktiv, wenn sich private Arbeitgeber daran orientieren, so frei, wie es die Landesregierung künftig tun können soll, Mindestlöhne festzulegen.
Diesen Mangel behebt unser Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Koalition. Die von uns vorgeschlagene Mindestlohnkommission befreit diesen Gesetzentwurf vom Verdacht, die Tarifautonomie aushebeln zu wollen und willkürlich Löhne gestalten zu können. Die Mindestlohnkommission entspricht dem Geiste nach der Konzertierten Aktion, die in den ausgehenden 60er-Jahren des vergangenen Jahrhundert praktiziert wurde. Der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller bezeichnete dies als „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“. An ihm saßen die Regierung, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände. In gemeinsamer Verantwor
tung sollten so die sozialen und wirtschaftlichen Probleme angegangenen werden. Das ist sogar erfolgreich gelungen.
Genau so sollte der Mindestlohn bei uns festgelegt werden. Die Landesregierung sitzt als Arbeitgeber fachkundig vertreten durch je einen Vertreter aus dem Finanzministerium und dem Wirtschaftsministerium und einem weiteren Vertreter - auf Augenhöhe gegenüber den Gewerkschaften, ergänzt durch von beiden Seiten zu bestimmende Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen. Geleitet werden soll dieses Gremium durch einen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam bestimmten weiteren Vertreter. Die anderen Inhalte unseres Änderungsantrags komplettieren diesen gedanklichen Ansatz, ohne den Grundansatz des Entwurfs der Koalition zu verändern.
Den vorhin von mir in Erinnerung gerufenen „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ brauchen wir in diesem Land auch an vielen anderen Stellen. An ihm müssen mehr Leute aus mehr gesellschaftlichen Gruppen sitzen als damals in den 60er-Jahren. Etwas mehr als ein Jahrzehnt, nachdem die Arbeitserlaubnis für die Ehefrau durch den Ehemann abgeschafft worden war, war das gesellschaftliche Bewusstsein noch nicht ausgeprägt genug vorhanden, dass Frauen auch an diesen Tisch geholt wurden. Dafür, dass Frauen hierzulande nicht selbstverständlich das gleiche Geld für gleiche Arbeit bekommen, müssen wir uns schämen. Die Fadenscheinigkeit von Argumenten erreicht ihre Schöpfungshöhe, wenn wir uns anschauen, wie arbeitgeberseitig begründet wird, warum Frauen für die gleiche Leistung weniger Geld als ihre männlichen Kollegen bekommen sollen. Das widerwärtigste Lohnsparalibi der Arbeitgeber unter vielen ist wohl, dass Frauen familienbedingt häufiger ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder unterbrechen.
Dieser Perversion der Lohngestaltung müssen wir genauso entschlossen begegnen, wie wir es heute bei dem fehlenden Mindestlohn tun. Es ist überhaupt schlimm, dass wir im 21. Jahrhundert noch über so etwas reden müssen. Aber wir müssen das tun. Die Spirale der genderbegründeten Schlechterbezahlung setzt sich in übelster Weise nach unten fort und erfasst ganz besonders diejenigen Frauen, die sich noch schlechter als ihre deutschen Kolleginnen dagegen wehren können: die Migrantinnen. Dazu haben wir auf der Veranstaltung des Flüchtlingsbeauftragten vor wenigen Tagen hier im Hause entsetzliche Zahlen gehört. Wenn es richtig ist, dass sich die gesellschaftliche
Stärke eines demokratischen Gemeinwesens daran zeigt, wie es mit seinen Schwächsten umgeht, bekleckern wir uns an der Stelle wahrlich nicht mit Ruhm.
Lassen Sie uns also alle gemeinsam dafür sorgen, dass Frauen nicht rechnerisch erst ab morgen oder ab dem 26. März eines jeden Jahres die Lohnhöhe ihrer männlichen Kollegen erreichen, sondern bereits am 1. Januar.
Je öfter wir diese Lohnungerechtigkeit öffentlich geißeln, umso weiter rücken wir Arbeitgeber, die sie praktizieren wollen, ins moralische Aus. Je höher der gesellschaftliche und moralische Druck wird, umso schwächer werden die Lohndiebe. Daran müssen wir uns alle beteiligen, wenn wir unserer Vorbildfunktion gerecht werden wollen - in Worten und in Taten.
Ich danke Ihnen - denen, die mir zugehört haben, und denen, denen ich das Gespräch durch mein Geräusch überbrücken konnte. - Tschüss.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden heute ein neues Mitbestimmungsgesetz beschließen, das den Beschäftigten wieder die Mitbestimmung gewährt, die nötig ist, um gute und sachgerechte Entscheidungen in den Verwaltungen ermöglichen zu können. Wir orientieren uns dabei an den Regelungen, die vor den Änderungen durch Schwarz-Gelb gegolten haben. Damit machen wir auch hier deutlich, dass wir das, was wir versprechen, auch einhalten. Gerade auch für die Wiederherstellung einer vernünftigen Mitbestimmung sind wir von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden, und noch vor Ablauf eines Jahres setzen wir dies nun um.
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, auf die Inhalte des neuen Mitbestimmungsgesetzes weiter einzugehen, denn wir haben diese Inhalte schon in der ersten Lesung hier im Landtag beraten. Dabei sind die Unterschiede schon deutlich geworden.