Protocol of the Session on March 24, 2017

Ein- und ausgehende Post muss auf verbotene Gegenstände wie Geldscheine, SIM-Karten oder auch Drogen kontrolliert werden können. Ich sage Ihnen, es gibt die Möglichkeit, Drogen auf Papierträgern in die JVAs einzuschmuggeln. Bei LSD ist es be

(Wolfgang Kubicki)

kannt, aber auch Amphetamine lassen sich lösen und in Löschpapier in die JVA einschmuggeln. Dass Kontrolle erforderlich ist, ist also - das sagt einem der gesunde Menschenverstand - völlig klar. In der Vollzugspraxis zeigt sich dies jeden Tag aufs Neue. Es ist wohl wenig überraschend, dass Inhaftierte sehr viel Erfindungsreichtum an den Tag legen, um an Dinge zu kommen, die im Knast einfach nichts zu suchen haben.

Dieses Kontrollieren auf verbotene Gegenstände umfasst aber nicht das Durchlesen des Briefes. Das gilt ausdrücklich für die Post von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Natürlich darf die JVA dort nicht mitlesen. Sie darf aber auch diese Briefe unter bestimmten Voraussetzungen auf verbotene Gegenstände kontrollieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, muss man dafür die Briefe immer öffnen? Meines Erachtens nicht. Den Brief öffnen und in den Umschlag schauen, selbst wenn der Brief nicht gelesen wird, ist schon ein sehr weitgehender Eingriff in das Recht der Gefangenen, ungestört mit Volksvertretungen und noch mehr mit Verteidigern und Verteidigerinnen kommunizieren zu dürfen.

Angesichts des Grundrechtsschutzes, des Briefgeheimnisses aus Artikel 10 GG, darf - anders als es der Wortlaut des § 49 Absatz 2 suggeriert - im Rahmen einer Auslegung dieser Vorschrift im Lichte der Verfassung eine Öffnungskontrolle meines Erachtens nur dann stattfinden, wenn es Hinweise dafür gibt, dass der Brief tatsächlich verbotene Gegenstände enthält,

(Beifall PIRATEN, Tobias Koch [CDU] und Wolfgang Kubicki [FDP] - Zuruf: Das war ja hier nicht der Fall!)

oder wenn bei eingehender Post begründete Zweifel an der Absendereigenschaft bestehen.

Bevor es zu juristisch wird: Was heißt das in der Praxis? Vor einer Öffnung der Sendung müssen mildere Maßnahmen vorgenommen werden. Das kann ein händisches Abfühlen des Briefes sein, um harte Gegenstände festzustellen, die üblicherweise nicht in Briefumschlägen zu finden sind.

Nach meiner Kenntnis wird in der JVA Lübeck zur Eingangskontrolle von Paketen ein Röntgengerät benutzt. Die Nutzung dieses Gerätes wäre auch im Rahmen der Briefkontrolle ein milderes Mittel. SIM-Karten oder Geldscheine würden dort auffallen, letztere bekanntlich am Silberfaden, der in jedem Geldschein vorhanden ist.

Die Öffnung der Post zur Kontrolle auf verbotene Gegenstände in Gegenwart des Inhaftierten darf somit, vor allem bei Verteidigerpost und bei Post aus Parlamenten, keinesfalls eine Regelmaßnahme sein, sondern nur die Ultima Ratio darstellen. Bei der Absenderkontrolle müssen konkrete Hinweise vorliegen, die zum Beispiel darauf hindeuten, dass ein gefälschter Stempel „Verteidigerpost“ oder „Landtag“ benutzt wurde; auch so etwas hat es gegeben. Ein solcher Verdacht kann auch in der Person des Inhaftierten begründet sein. Genauso wird das vor Ort in der Regel aber auch gehandhabt. Das stellt die Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Kubicki klar. Das stellte der Bericht des Staatssekretärs Schmidt-Elsaeßer im Ausschuss klar, und das stellte hier und heute auch die Justizministerin noch einmal deutlich klar. Das bedeutet aber auch Arbeit für die Bediensteten. Wir müssen aufpassen, den Bediensteten vor Ort keine unzumutbare Aufgabe aufzubürden, zum Beispiel komplizierte Rechtsauslegung im Einzelfall betreiben zu müssen.

Im baden-württembergischen Gesetz - darauf, Herr Kollege Kubicki, bezog sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011, die Sie zitiert haben - heißt es eigentlich ganz gut und klarstellender für die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender: Schreiben von Verteidigern oder aus Parlamenten dürfen auf verbotene Gegenstände untersucht werden, ohne sie zu öffnen. - Das ist die Grundlage für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewesen.

Im Rahmen der weiteren Bearbeitung des Themas rege ich an, den Bediensteten in den JVAs eine ermessensleitende Klarstellung bei der Rechtsanwendung vor Ort an die Hand zu geben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN, SSW und Wolfgang Kubicki [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Piratenfraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Wolfgang Dudda das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechtslage ist eindeutig, von Herrn Gubitz in der „taz“ vom 8. März auf den Punkt gebracht und hier auch mehrfach von den Kollegen Kubicki und Peters zitiert worden. Es kommt darauf an, dass es

(Burkhard Peters)

konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass etwas eingeschmuggelt werden soll. Nach der Kommentierung von Herrn Professor Gubitz war hiervon nichts ersichtlich. Das ist klipp und klar der Fall. Es sind ja grundsätzlich alle Briefe aufgemacht worden, und dies wurde auch eingeräumt. Was die Verteidigerpost angeht, so haben mich so viele Informationen erreicht, dass man grundsätzlich davon ausgehen muss, dass alle Verteidigerpost geöffnet wird. Auch das ist im Grundsatz nicht zulässig.

(Beifall PIRATEN)

Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass Herr Gubitz unverdächtig ist, gegen die Landesregierung zu arbeiten. Er war immerhin der Rechtsbeistand vieler Zeugen im Untersuchungsausschuss und ist von daher als Experte anerkannt. Juristisch - dies wurde auch schon mehrfach angeführt - ist die Frage schon lange vom Bundesverfassungsgericht geklärt. Das will ich nicht weiter ausführen.

Ich möchte es auch deshalb nicht tun, weil dies hier nicht zu einem Streit für Juristen werden soll. Denn es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass es die Landesregierung in Stellungnahmen für legitim erklären will, dass wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, anlasslos dem Generalverdacht unterfallen, wir würden den Gefangenen, in Briefen getarnt, unerlaubte Gegenstände in die JVA schicken. Genau das heißt es nämlich, wenn die Landesregierung über ihren Staatssekretär, Herrn Schmidt-Elsaeßer, verlautbaren lässt, standardmäßige Kontrollen von Abgeordnetenschreiben auf verbotene Gegenstände seien rechtlich zulässig.

(Beifall PIRATEN)

Was rechtlich zulässig ist, ist das eine. Aber man muss es nicht anwenden. Vor diesem Hintergrund bin ich für den Hinweis des Kollegen Peters dankbar, dass man einen Handlungsleitfaden erstellen sollte, der verhältnismäßig und ordnend eingreift.

(Beifall PIRATEN)

Die Justizmitarbeiter sollen derzeit nach Auffassung der Landesregierung nicht nur die Verteidiger, sondern auch uns verdächtigen, illegal Geldscheine, SIM-Karten, Drogen oder Nagelfeilen an die Gefangenen zu schicken. Damit nicht genug. Verdächtig sind nach dieser Lesart auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die Richter des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Menschenrechtsausschuss, die Vereinten Nationen sowie die Mitglieder des Ausschusses gegen Folter, um nur einige zu nennen - wir wissen, dass Post des Bun

desverfassungsgerichts geöffnet worden ist -, und das alles anlasslos.

Das Öffnen eines meiner Briefe, der aus sage und schreibe zwei Blatt Papier bestand, soll erlaubt sein. Da soll nicht einmal ein Abtasten genügen, abgesehen davon, dass auch dies schon eine Überwachung meines Schreibens wäre, die nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes unzulässig ist.

Als ich im vergangenen Jahr die Begründung zu dem damals debattierten Strafvollzugsgesetz gelesen habe, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass mit diesem Gesetz ein derart weitreichender Generalverdacht gegen Landtags- und Bundestagsabgeordnete oder Verfassungsrichter begründet werden sollte,

(Beifall PIRATEN und Wolfgang Kubicki [FDP])

der das anlasslose Öffnen von deren Schreiben erlaubt. Im Gegenteil. Für mich war danach völlig klar, dass es der einzige Sinn dieser Norm sein sollte, die Post der dort genannten Stellen von der grundsätzlich stattfindenden Kontrolle auszunehmen.

Der Wille des Gesetzgebers - dies wurde hier eben angesprochen - ist bei der Auslegung einer Norm mitentscheidend. Gesetzgeber ist das Parlament, nicht die Landesregierung, und mein Wille als Teil dieses vielzitierten Gesetzgebers war es ganz sicher zu keiner Zeit, ein derart weitgehendes Misstrauen gegen zum Beispiel Verfassungsrichter, Abgeordnete, EU- und UN-Institutionen, aber auch Verteidiger gesetzlich festzuschreiben.

(Beifall PIRATEN)

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dies einer oder eine von Ihnen ernsthaft in Erwägung gezogen hat, als er oder sie sich mit dem Gesetz und dessen Begründung befasst hat.

Als ich von den hier in Rede stehenden Vorfällen in der JVA gehört habe, war ich erschrocken. Dass meine Recherchen die erhobenen Vorwürfe bestätigten, hat mich ebenfalls schockiert. Dass dies aber alles auch noch mit Rückendeckung der zuständigen Justizministerin geschieht, macht mich schlicht und ergreifend fassungslos. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass die Juristen in diesem Ministerium verfassungsgerichtliche Rechtsprechung mit einer mehr als eigenständigen Interpretation einer landesgesetzlichen Norm für unbeachtlich erklären.

(Wolfgang Dudda)

Frau Ministerin, es ist löblich, dass Sie sich gerade dann vor Ihre Mitarbeiter stellen, wenn diese Fehler gemacht haben. Ihnen aber rechtsfreie Räume zu attestieren, die sie sich rechtswidrig genommen haben, geht unter keinem Gesichtspunkt. Wie wollen wir es so schaffen, die Gefangenen davon zu überzeugen, nach ihrer Haft ein gesetzestreues Leben zu führen? Ganz aktuell lernen sie, dass die Geltung von Gesetzen einzig davon abhängig ist, wie viel Macht man besitzt. Der Glaube an den Rechtsstaat, bei dem Gesetze für alle und allen voran auch für den Staat selbst gelten, wird so nicht gestützt.

Deshalb bitte ich Sie: Sorgen Sie dafür, dass verfassungsrechtliche Grundsätze wieder in der Form Einzug halten, wie es Herr Peters beschrieben hat, indem nämlich vorgegeben und normiert wird, wann etwas passiert, und zwar nur bei konkretem Anhalt oder Verdacht. Denn es ist zu befürchten: Wenn das toleriert wird, werden auch noch andere Dinge toleriert.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines sagen. Ich möchte mich bei Ihnen allen für die stets kollegiale Zusammenarbeit in allen Ausschüssen, in denen ich war - im Innen- und Rechtsausschuss, im Sozialausschuss und im Untersuchungsausschuss „Friesenhof“ -, bedanken. Bis auf einen Nachmittag war ich hier in 51 Plenartagungen sehr gerne und sehr stolz, Mitglied dieses Landtags zu sein.

Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und machen Sie es besser als bisher.

(Beifall PIRATEN, CDU und SPD)

Die Landesregierung meldet sich noch einmal zu Wort. Ich erteile es der Justizministerin Anke Spoorendonk.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich will die Diskussion nicht in die Länge ziehen und auch keine weitere Diskussion eröffnen. Aber ich muss mich dagegen wehren, wenn von Herrn Abgeordneten Dudda gesagt wird, dass es hier rechtsfreie Räume gibt. Das geht so nicht.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte auch noch einmal deutlich machen, dass Sichtkontrolle nicht per se heißt, dass Post geöffnet wird. Wer das glaubt, hat es missverstanden.

Der Herr Abgeordnete Peters hat dankenswerterweise schon geklärt, worauf sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezog, nämlich auf das Landesstrafvollzugsgesetz Baden-Württemberg.

Ich bitte, sich zu vergegenwärtigen, was ich vorhin gesagt habe: dass es nie anlasslose Sichtkontrolle und gegebenenfalls Öffnung von Post gibt - nie! und dass im Einzelfall viele Aspekte eine Rolle spielen. Auch die Identität des Gefangenen spielt eine Rolle, meine Damen und Herren. Dies ist nicht der richtige Ort, um das auszuführen, es gibt aber ganz klare Aspekte, die dann dazu führen, dass gesagt wird: Ja, hier muss genauer hingeschaut werden.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank. - Jetzt gibt es weitere Dreiminutenbeiträge. Zunächst hatte sich Herr Kollege Breyer gemeldet, dem ich als Erstem das Wort erteile. Er gehört der Piratenfraktion an.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der heutigen Debatte muss ich sagen: Es hat sich gelohnt, dass mein Kollege Wolfgang Dudda das Öffnen von Briefen in Justizvollzugsanstalten thematisiert und kritisiert hat. Denn es ist keineswegs so, dass von vornherein alles richtig gelaufen wäre. Vielmehr haben Sie Ihre Meinung geändert.

Ich erinnere mich sehr wohl an die Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses, in der der Herr Staatssekretär noch vertreten hat, es sei stichprobenartig erlaubt, auch Abgeordnetenpost und Post des Petitionsausschusses, von Gerichten und so weiter zu öffnen. - „Stichprobenartig“ heißt: ohne Anhaltspunkte. Heute haben Sie, Frau Ministerin, hier vertreten, dass ein Öffnen nur zulässig sei, wenn sich wirklich Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass ein verbotener Inhalt enthalten sein könnte. Wenn ich Sie insoweit richtig verstanden habe, dann haben wir einen Fortschritt erzielt. Somit war es richtig und wichtig und hat sich gelohnt, dies zu thematisieren.

Auch nach dem, was Sie sagen, Herr Kollege Peters, bleibt allerdings die Frage: Wenn es denn so ist, dass konkrete Anhaltspunkte Voraussetzung für ein Öffnen sind, wo waren denn diese Anhaltspunkte im Fall der Briefe meines Kollegen Wolfgang