Protocol of the Session on March 23, 2017

„Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di …) fordert die Landesregierung in Schleswig-Holstein auf, die Bedingungen für Praktikantinnen und Praktikanten im Landesdienst unverzüglich zu überprüfen und Missstände abzustellen. Die Kleine Anfrage der Piratenfraktion im Landtag hat ergeben, dass in Schleswig-Holstein offensichtlich seit 2014 Hunderte von Praktikanten bis zu sechs Monate beschäftigt wurden, ohne ihnen eine Vergütung zu zahlen. Wie die Antwort der Landesregierung auf eine Piratenanfrage zeigt, verfügten über 100 der unbezahlten Praktikanten sogar über eine Berufsausbildung oder einen Studienabschluss.“

Wörtlich heißt es hier:

„‚Hier werden junge Menschen systematisch als voll ausgebildete Arbeitskräfte in unbezahlten PraktikantInnenverhältnissen eingesetzt und kaschieren damit den Mangel an Personal an vielen Stellen - das zum Nulltarif, da ist der Weg zur Ausbeutung sehr kurz‘, so Jochen Penke, zuständiger Landesfachbereichsleiter von ver.di Nord.“

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Schleswig-Holstein ist sonst - das finde ich positiv an anderer Stelle so etwas wie ein Trendsetter geworden, wenn es darum geht, dass gute Arbeit gut bezahlt wird. Mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz wurden von hieraus bundesweit vorbildliche Standards gesetzt, die auch wir gut gefunden haben.

(Ministerin Kristin Alheit)

Gerade vor diesem Hintergrund können wir überhaupt nicht verstehen, warum diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen zum Jagen getragen werden müssen, wenn es um diejenigen geht, die den geringsten Arbeitsschutz bei uns genießen.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Der Hinweis darauf, dass man sich im bundesweiten Kontext zu bewegen habe und nichts Eigenständiges ändern könne, entlastet hier die Landesregierung überhaupt nicht. Sie ist ja auch an anderer Stelle nicht so zimperlich, wenn sie aus dem Konsens von Bund und Ländern ausscheidet. Ich erinnere zum Beispiel an den Abschiebestopp.

Außerdem ist es so, dass auf Bundesebene bereits geöffnete Türen eingerannt werden können. Ein Blick auf die bereits im Jahre 2011 verfasste Praktikanten-Richtlinie hilft hier weiter. Darin findet sich unter anderem auch unsere Forderung nach einer Aufwandsentschädigung von mindestens 300 € monatlich und die zeitliche Befristung von Praktika.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Das Rad muss also nicht neu erfunden werden. Es steht zur Montage am Wagen bereit. Es muss uns doch zu denken geben, wenn sich aus der Studie der DGB-Jugend aus dem Jahre 2011 ergibt, dass sich nur 17 % der befragten Praktikanten angemessen bezahlt gefühlt haben. Diese Unzufriedenheit kann nicht losgelöst davon betrachtet werden, dass Praktikanten in der tagtäglichen Arbeitsplanung als Arbeitskräfte und nicht als Praktikanten verplant werden. Die ja auch von der SPD-Bundestagsfraktion angestrebte Beweislastumkehr an dieser Stelle wird - wie vieles aus unserem Antrag - natürlich einen Bürokratieaufwand auslösen und erfordern; das steht auch für uns außer Frage. Aber da muss die Frage erlaubt sein: Gesellschaft oder - an dieser Stelle - Schleswig-Holstein, wie hältst du es mit dem Schutz der Schwachen und derjenigen, die ohne Lobby sind?

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Wir fragen auch: Wie qualifizieren wir unsere Gesellschaft dazu, auch morgen noch international wettbewerbsfähig zu sein?

Tatsächliche und gute Praktika ergänzen das Studium und die Berufsausbildung. Sie können aus guten theoretischen Kräften noch bessere praktische machen. Das braucht unser Land und nicht einen verdeckten Billiglohn am Arbeitsmarkt.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Beim Hineinschnuppern in die Arbeitswelt dürfen sich die Praktikanten nicht länger an der Nase herumgeführt fühlen. Das ist für uns eine Frage des sozialen Anstandes. Die müssen die öffentlichen Arbeitgeber vorbildlich beantworten, wenn sie denn ihre Glaubwürdigkeit, insbesondere in Bezug auf das Mindestlohn- und Tariftreuegesetz, überhaupt haben wollen.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Ich bitte um Zustimmung in der Sache, zumindest aber darum, dass man sich dazu bekennt, dass der Status, den wir entdeckt haben, in der Zukunft geändert wird. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Meine Damen und Herren, wir kommen zur weiteren Beratung. Der Redner für die CDU-Fraktion ist der Herr Abgeordnete Hans Hinrich Neve.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Praktika sind unverzichtbar, um sich einen Eindruck vom Berufsbild und vom beruflichen Alltag zu machen. Das Schülerpraktikum ist ein Hineinschnuppern in einen Betrieb oder auch in eine Verwaltung und dient der Berufsfindung. Allerdings sind Praktika für den jeweiligen Betrieb oder für die Verwaltung auch mit Aufwand verbunden. Gleiches gilt auch für Pflichtpraktika, die im Rahmen eines Studiums erforderlich sind. Dass der Bezug zur Praxis wichtig ist, beweist die duale Berufsausbildung in Deutschland. Dafür werden wir weltweit bewundert. Dies vorweg.

Nun zum Petitum des Antrages der PIRATEN. Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder mit Studienabschluss sollen vom Land nicht mehr als Praktikanten, sondern als bezahlte Arbeitskräfte beschäftigt werden, und es soll ein jeder Praktikant eine angemessene Vergütung von mindestens 300 € erhalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist denn dar- an angemessen?)

Freiwillige Praktika sollen zumindest auf maximal drei Monate begrenzt werden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, in der letzten De

(Wolfgang Dudda)

batte zu diesem Thema hatte ich schon ausgeführt, dass die Hürden für Praktikumsplätze nicht zu hoch gesetzt werden sollten. Ansonsten können junge Menschen wichtige Erfahrungen nicht mehr sammeln. Entscheidend ist vielmehr, bezogen auf das vorgelegte Petitum, ob das Praktikum ein Hineinschnuppern in einen Betrieb darstellt oder Ähnlichkeiten mit einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz hat. Das ist das Entscheidende. Jeder Praktikant - ob mit oder ohne Berufsausbildung - ist frei in seiner Entscheidung, ob er ein Praktikum unter den jeweiligen Bedingungen durchführen möchte. Die Dauer eines Praktikums und die inhaltliche Ausgestaltung der Tätigkeiten müssen Praktikanten und Betriebe im Vorwege vereinbaren. Den dazu gültigen Rahmen hat der Gesetzgeber bereits auf den Weg gebracht.

Ihre Vorschläge führen aber dazu, dass die Bedingungen und Hürden für die Betriebe und Verwaltungen noch höher sind. Mir berichten mittelständische Unternehmen bereits jetzt, dass sie unter den von Ihnen aufgezeigten Umständen nicht mehr bereit sind, weitere Plätze zur Verfügung zu stellen. Das geht also zulasten der Verfügbarkeit von Praktikumsplätzen. Das, liebe Freunde von den PIRATEN, wollen wir nicht.

Steht nicht der Ausbildungs- und Lernzweck im Vordergrund, sondern die Arbeitsleistung, dann ist das kein Praktikum. Dann ist das schlichtweg kein Praktikum, und dann gelten andere arbeitsrechtliche Regelungen. Das gilt aber auch für die Dienststellen des Landes Schleswig-Holstein.

Die CDU sieht hier keinen weiteren Regelungsbedarf. Ihr Antrag ist aus unserer Sicht wirtschaftsfeindlich und praxisfern. Er dient nicht dem Erhalt von Praktikumsplätzen. Deshalb werden wir Ihren Vorschlag ablehnen. - Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Mitglieder Senioren-Union Ostholstein. Das sind Gäste des Abgeordneten Sönnichsen. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen der Berufsorientierung bietet auch das Land Schleswig-Holstein eine Vielzahl von Praktikumsplätzen an. Interessierte junge Menschen können auf diese Weise die vielseitige Arbeit in der Landesverwaltung und in den Landesbehörden näher kennenlernen. Praktika sind ein wichtiger Bestandteil der Berufsorientierung. Schülerinnen und Schüler können dort erste Einblicke in den Arbeitsalltag eines Berufes ebenso wie in die Qualifikationsanforderungen für einen Beruf erlangen. Die Beschäftigung von Praktikantinnen und Praktikanten durch das Land erfolgt auf der Basis der Praktikanten-Richtlinien der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.

Dabei sind Praktika keine Arbeitsverhältnisse. Die Praktikantinnen und Praktikanten leisten somit keine reguläre Arbeit, sondern der Erwerb von praktischer Erfahrung und der Einblick in die Praxis stehen im Vordergrund. Dies unterscheidet sie deutlich von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. In der Praktikanten-Richtlinie wird dabei empfohlen, freiwillige Praktika auf die Dauer von längstens drei Monaten zu beschränken.

Dies hat sicherlich auch seinen Grund darin, dass bei freiwilligen Praktika über drei Monaten Gesamtdauer nach dem Mindestlohngesetz der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen wäre. Allerdings sind Jugendliche unter 18 Jahren, Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung, vom Mindestlohngesetz ausgenommen. Das ist ein Punkt, der in der bundesweiten Diskussion über die Weiterentwicklung und die Höhe des Mindestlohngesetzes dringend aufgegriffen werden sollte und der meiner Meinung nach einer dringenden Änderung bedarf. Überhaupt: Viele Ausnahmen beim Mindestlohn machen so eine Regelung nur löchrig. Ich glaube, das Mindestlohngesetz muss in der Zukunft noch entschieden verbessert werden.

(Vereinzelter Beifall SPD)

In der Praktikanten-Richtlinie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ist zudem bereits vorgeschrieben, dass bei freiwilligen Berufs- oder studienbegleitenden Praktika nicht zuvor ein Praktikumsvertrag bestanden haben darf. Damit werden Kettenpraktika mit einem und demselben Ausbildungsbetrieb verhindert. Es ist müßig, darauf hinzuweisen, dass die überwiegende Zahl der Praktika innerhalb von drei Monaten abgeleistet wird.

Dies macht sehr deutlich, dass es durch die Praktikanten-Richtlinie der Tarifgemeinschaft deutscher

(Hans Hinrich Neve)

Länder sehr wohl ein Regelungswerk für die Praktika gibt und dass dieses auch in SchleswigHolstein konsequent angewendet wird. Es bleibt also festzuhalten: Für die geforderten Schutzvorkehrungen und Mindeststandards für Praktika, so wie sie die Fraktion der PIRATEN gefordert hat und einfordert, gibt es keine Notwendigkeit.

Aber der Ansatz, sich mit dem Thema guter Arbeit für Praktikanten vor allem in der freien Wirtschaft generell zu beschäftigen, wird geteilt. Wir brauchen faire Regeln für faire Praktika. Dazu gehören zum Beispiel: keine Ausnahmen vom Mindestlohn und vor allem auch die Struktur, dass Betriebsräte und Gewerkschaften bei Praktika entschieden beteiligt werden müssen. Dies zu ändern, dafür haben Sie unsere großen Sympathien. Das wäre schön, wenn Sie das mitgehen würden.

Neben den schon beschriebenen freiwilligen Praktika für junge Erwachsene gibt es die Praktika für Jugendliche während der Ausbildung, dem Schulbesuch oder für diejenigen, die ein Studium absolvieren und die maximal drei Monate dauern dürfen. Pflichtpraktika, die in einer Schul- oder Studienordnung vorgeschrieben sind, sind Pflichtpraktika und fallen derzeit auch noch nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn. Auch das wäre es wert, darüber noch einmal nachzudenken und zu diskutieren.

Was den Antrag des Kollegen Dudda anbelangt, dieses noch einmal in den Ausschuss zu überweisen: So weit waren wir schon. Es hätte -

(Widerspruch CDU)

- Natürlich war das schon im Ausschuss! Wir haben sogar im Wirtschaftsausschuss darüber diskutiert.

(Zurufe CDU)

- Wir haben sogar im Wirtschaftsausschuss angeboten, in einer Sitzung am 5. April 2017, die man hätte durchführen können, dieses Thema wieder aufzugreifen. Dies war Ihnen nicht genug.

Ich bin dafür, heute darüber abzustimmen. Wir werden diesen Antrag ablehnen.