Protocol of the Session on March 22, 2017

Drittens. Viele der vom Friesenhof angewandten sogenannten pädagogischen Methoden sind untragbar. Dieses Gefährdungspotenzial hat sich im Friesenhof zulasten der betreuten Kinder und Jugendlichen ausgewirkt. Jugendliche brauchen klare Grenzen, aber Taktiken wie extremer Strafsport, der selbst bei der Bundeswehr verboten ist, überschreiten diese Grenzen ganz eindeutig und haben für mich keinen Platz in Einrichtungen.

(Beifall CDU, FDP, PIRATEN)

Gleiches gilt für den falschen Umgang des Friesenhofs mit den Grundrechten der Bewohnerinnen. Kinder und Jugendliche wurden stundenlangen Gruppensitzungen ausgesetzt, in denen die Betreuten auch intimste Details der eigenen Biografie vortragen mussten.

Ich weiß nicht, liebe regierungstragenden Fraktionen, welche Vorstellung Sie von Erziehung und Betreuung haben. Für mich muss sie jedenfalls erziehend und fördernd wirken und darf nicht demütigend oder traumatisierend sein.

(Zuruf Peter Eichstädt [SPD])

Dass die Heimaufsicht angesichts dieser Zustände nicht den Widerruf der Betriebserlaubnis in die Wege leitete, sondern bloß eine inhaltlich unbestimmte Auflagenverfügung erließ, ist für uns nicht hinzunehmen.

(Beifall CDU)

Spätestens im Oktober 2014 war ersichtlich, dass das Wohl der betreuten Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung erheblich gefährdet war. Zu diesem Zeitpunkt war die Einrichtung bereits mehrfach beim Landesjugendamt auffällig geworden. Wir sind überzeugt, dass ein entschiedeneres Vorgehen der Heimaufsicht nicht nur im Rahmen des rechtlich Möglichen gelegen hätte, sondern auch dazu geeignet gewesen wäre, das Leid der Mädchen zu verkürzen. Es wäre sogar ihre Pflicht gewesen. Leider hat das Ministerium im Fall Friesenhof zu zaghaft und ängstlich gehandelt, was auf die mangelhafte Organisation des Hauses zurückzuführen ist.

(Beifall CDU)

Bereits im Oktober 2013, also noch einmal ein Jahr früher, gingen die Sachbearbeiter davon aus, dass es zu massivem Fehlverhalten in den Einrichtungen gekommen ist, und sie haben ein unmittelbares Vorgehen gegen den Friesenhof für notwendig erachtet. Doch es passierte leider nichts. Das von den Sachbearbeitern geforderte Vorgehen wurde von

(Katja Rathje-Hoffmann)

der Referatsleiterin unter Hinweis auf das Prozessrisiko und etwaige Schadenersatzforderungen weitestgehend ausgebremst.

Eine Referatsleiterin muss das gesamte Spektrum der entscheidungserheblichen Tatsachen berücksichtigen und darf sich nicht von der eigenen Unsicherheit leiten lassen. Dass dies über Jahre ungehindert geschehen konnte, ist darauf zurückzuführen, dass Hausspitze und Abteilungsleitung in der Aufsicht versagt haben. Es hätte im Rahmen der Ausübung der Dienstaufsicht nicht allein auf die Berichte der Referatsleiterin vertraut werden dürfen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Bemerkung der Frau Abgeordneten Dr. Bohn?

Dann hat die Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Das gilt aber nur, wenn die Zeit angehalten wird; denn die wird mir jetzt knapp.

Das machen wir wie immer in diesen Fällen.

Frau Kollegin, könnten Sie freundlicherweise dem Plenum sagen, wie viele Stunden vergangen sind zwischen dem Zeitpunkt, zu dem nach unseren Unterlagen die Hausspitze Kenntnis hatte, und der Schließung der Einrichtung des Friesenhofs?

Das ist ja ein ganz anderer Fall; das betrifft den Teil der Schließung. Ich habe den ja auch extra vorgezogen.

- Ja, genau.

Das ging recht schnell.

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Es hätte im Rahmen der Ausübung der Dienstaufsicht nicht allein auf die Berichte der Referatsleite

rin vertraut werden dürfen. Es hätte vielmehr stichprobenartig überprüft werden müssen, ob die Strukturen der Heimaufsicht ausreichend sind, um die übertragenen Aufgaben zu erledigen. Doch anstatt die Heimaufsicht inhaltlich und strukturell zu überwachen, wurde hauptsächlich das Personal erweitert.

Ich bin froh, dass wir all diese Fehler durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufdecken konnten. Aber das reicht natürlich noch nicht. Damit sich Vorfälle wie im Friesenhof nicht wiederholen, muss das bisherige Vorgehen überdacht werden, und es müssen mit den festgestellten Ergebnissen Verbesserungen für die Zukunft erreicht werden. Für mich ist es ein Unding, dass es den Sachbearbeitern einer Landesbehörde freigestellt ist, auf welche Art und Weise sie die Akten führen. Wir haben nur Teilaspekte oder Teilakten der Verwaltungsabläufe untersuchen können. Doch bereits die uns zugesandten Akten waren eine reine Katastrophe.

Bevor eine erneute Personalerweiterung vorgenommen wird, müssen die gesamten Abläufe im Landesjugendamt analysiert und optimiert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich die bestehenden Fehler in den Abläufen nicht verfestigen.

Zum anderen müssen wir uns dafür einsetzen, dass das SGB VIII anforderungsgerecht angepasst wird. Das haben wir fraktionsübergreifend bereits in einer vorherigen Sitzung beschlossen.

Die Untersuchung des Friesenhofs hat uns deutlich gezeigt, dass auch die Person des Trägers in den Fokus der behördlichen Prüfung gestellt werden muss. Deshalb muss das Merkmal der Zuverlässigkeit des Trägers zu einem gesetzlichen Kriterium für den Betrieb einer Einrichtung im SGB VIII gemacht werden.

(Beifall CDU und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

Für eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Heimkinder in Schleswig-Holstein dürfen wir uns jedoch nicht nur allein auf die Änderung des SGB VIII beschränken. Die Untersuchung hat sehr deutlich gemacht, dass vonseiten der Jugendämter ein starkes Bedürfnis nach Einrichtungen besteht, die schwierige Kinder und Jugendliche aufnehmen, wobei jeder von uns sicherlich eine andere Definition hat, was eigentlich schwierig ist.

Der vom Untersuchungsausschuss angehörte Gutachter Professor Dr. Schwabe spricht in dieser Hin

(Katja Rathje-Hoffmann)

sicht von einer unheilvollen Allianz zwischen dem Friesenhof und den belegenden Jugendämtern. Diese suchen - so hat es meine Kollegin eben schon gesagt - oft händeringend nach Einrichtungen, die ihnen schwierige Jugendliche abnehmen, die sonst keiner mehr haben will. So einem Vorgehen vonseiten der Jugendämter und Duldung durch die Heimaufsicht müssen wir aktiv begegnen.

In der nächsten Legislaturperiode sollte sich der Schleswig-Holsteinische Landtag daher mit der Frage beschäftigen, ob für die Zielgruppe der schwer erreichbaren Jugendlichen spezialisierte Einrichtungen in eigener Trägerschaft geschaffen werden müssen. Dies hätte den Vorteil, dass für die Kinder und Jugendlichen mit dem größten Betreuungsbedarf pädagogische Angebote geschaffen werden, die unabhängig von marktwirtschaftlichen Erwägungen sind. Von einem respektvollen Umgang mit den Friesenhof-Kindern können wir nach der Zeugenvernehmung der jungen Menschen überhaupt nicht mehr sprechen. Das war für uns eindeutig.

Umso mehr war ich geschockt, als ich Ihre Bewertungen gelesen habe. Es ist für mich unverständlich, was Sie dazu veranlasst hat, das Leid der betreuten Kinder und Jugendlichen derart zu relativieren und herunterzuspielen. Es ist kaum zu glauben, dass Sie die Nachtkontrollen nicht als Kindeswohlgefährdung ansehen. Und es ist auch kaum zu glauben, dass Sie den verhängten Strafsport ab 4 Uhr morgens, der eindeutig über das Leistungsvermögen der Mädchen hinausging, nicht als Kindeswohlgefährdung ansehen. Genauso sehen Sie auch die Strafen ,,Essensentzug“ und ,,bewusste Monotonie“ nicht als Kindeswohlgefährdung an.

Warum sind die Postkontrollen, die bewusste Verletzung des Postgeheimnisses, auf einmal keine Kindeswohlgefährdung mehr für Sie? Und auch die vorsätzliche und bewusste Erniedrigung der Mädchen relativieren Sie. Was ist das für ein Signal, das Sie hier an die Schützlinge aussenden? - Ich sage Ihnen: Es ist ein fatales.

(Beifall CDU)

Ihre Relativierung der Vorgänge ist ein weiterer und nachträglicher Schlag ins Gesicht der Mädchen. Anstatt die Aussagen der ehemaligen Bewohnerinnen ernst zu nehmen, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass es nicht festgestellt werden konnte, ob das Wohl der Kinder gefährdet war. Wie können Sie dieses Ergebnis formulieren, wenn die Mädchen uns doch die Vorgänge detailliert und glaubhaft geschildert haben?

Sie zweifeln hier die Glaubwürdigkeit derjenigen an, die den Mut hatten, von ihren Erlebnissen zu berichten. Das Leid der Kinder herunterzuspielen und auszublenden, nur um den eigenen politischen Schaden zu minimieren, das ist zynisch, meine Damen und Herren.

Frau Abgeordnete, achten Sie bitte auf die Zeit!

Ja, ich komme jetzt zum Schluss.

Ich bleibe dabei: Die Behandlung der Mädchen im Friesenhof war eindeutig kindeswohlgefährdend. Für die Zukunft müssen wir gewährleisten, dass sich der Fall Friesenhof nie wiederholt. Die festgestellten Kindeswohlgefährdungen dürfen wir nicht relativieren. Das haben die Kinder des Friesenhofs nicht verdient. - Danke schön.

(Beifall CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, bevor wir fortfahren, möchte ich Sie bitten, mit mir gemeinsam Neumitglieder der FDP auf der Tribüne zu begrüßen. Herzlich willkommen im Kieler Landeshaus.

(Beifall und Heiterkeit)

Ja, es sind natürlich auch noch andere Menschen auf der Tribüne. Auch Ihnen und euch sage ich herzlich willkommen.

Wir fahren nun fort. Dazu erteile ich der Frau Kollegin Beate Raudies von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich inhaltlich mit den Ergebnissen des Ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und dem Abschlussbericht auseinandersetze, möchte ich den Vorsitzenden des Ausschusses, Frau Ostmeier und Herrn Weber, meinen Dank aussprechen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Beide Vorsitzenden haben durch ihre Arbeit wesentlich dazu beigetragen, dass der Ausschuss trotz der Kürze der Zeit, der Vielzahl der zu hörenden Zeugen und des Umfangs des vorliegenden Beweismaterials - die Frau Vorsitzende hat das sehr aus