Protocol of the Session on September 22, 2016

Stellvertreterregelungen gibt es nur in den Bundesländern. Das ist an dieser Stelle aus der praktischen Erfahrung heraus auch sinnvoll. Eine Stellvertreterregelung sollte jedoch keiner Wahl zum ordentlichen Mitglied entgegenstehen oder Wahlzeiten begrenzen. Das Auseinanderfallen der Wahlzeiten hingegen war - wie schon gesagt - zum Start des Gerichts auch durchaus sinnvoll, soll künftig aber vermieden werden. Ein Nachrücken des Stellvertreters dient der Kontinuität der Arbeit des Gerichts. Nun wird eine größere Übersicht in der personellen Struktur erreicht werden können.

Der Ausschluss eines Nichtberufsrichters vom Amt des Gerichtspräsidenten war eigentlich sachlich nicht begründet. Wir wissen alle: Auch beim Bundesverfassungsgericht gibt es Menschen, die aus Wissenschaft und Lehre kommen und das ganz hervorragend gemacht haben, manche kommen sogar aus der Politik. Verfahrenssicherheit können an dieser Stelle natürlich auch die anderen Mitglieder des Gerichts gewährleisten. Schließlich bleiben drei Mitglieder zwingend Berufsrichter. Diese kleinen Änderungen von Verfassung und Gesetz kommen damit im Ergebnis zur Umsetzung der Ziele einer Stärkung der Unabhängigkeit des Gerichts und der Verbesserung seiner Arbeitsfähigkeit. Das wird die Beratung im Innen- und Rechtsausschuss sicherlich auch vereinfachen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, SSW und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der mit Mehrheit von vier Fraktionen und den Abgeordneten des SSW eingebrachte Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen das Ziel, die Wählbarkeit und Amtszeit für unsere Landesverfassungsrichterinnen und -richter in wichtigen Punkten den Regelungen anzupassen, die für das Bundesverfassungsgericht gelten. Ich finde, wir orientieren uns dabei an einem äußerst respektablen Vorbild, wie übrigens auch Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Der hohe Ruf des Bundesverfassungsgerichts steht außer Frage: Mit bahnbre

chenden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gerade in Rechtsbereichen, die Ihnen von der Piratenfraktion besonders lieb sind, die Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik maßgeblich geprägt. Man denke nur an das Volkszählungsurteil oder an das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung.

Die Verlängerung der Amtszeit auf jetzt zwölf Jahre dient der Stärkung der Unabhängigkeit des Richteramtes. Dazu ist schon Vieles und Richtiges gesagt worden.

Aber auch die jetzt von uns ermöglichte Wählbarkeit von Nichtrichterinnen und -richtern als Gerichtsvorsitzende orientiert sich am Vorbild des Bundesverfassungsgerichts. Weil Sie, Herr Kollege Breyer, in einer Pressemitteilung zu unserem Gesetzentwurf eine entsprechende Begründung vermisst haben, will ich diese gern jetzt nachliefern. Gerade bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten kommt es weniger darauf an, dass man klassische Prozessleitungsfähigkeiten und Erfahrungen aus dem Richterberuf mitbringt, zum Beispiel, wie man eine Zeugenvernehmung durchführt oder wie man die Sitzungsordnung auch in turbulenten Situationen aufrechterhält.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem Verfassungsrechtsstreit kommt es fast ausschließlich auf tiefe Kenntnisse im materiellen Recht an, vor allem auch im Verfassungsrecht. Solche mehr wissenschaftlich fundierten Kenntnisse bringen Professorinnen und Professoren in besonderer Weise mit. Es ist daher nicht einzusehen, dass die bisherige Rechtslage in Schleswig-Holstein gerade sie, die Wissenschaft, von diesem Amt ausschließt.

Als bestes Beispiel für eine herausragende Verfassungsgerichtpräsidentin, die niemals vor ihrem Amtsantritt auf einer Richterbank gesessen hat, möchte ich die am 10. September 2016 verstorbene Jutta Limbach nennen. Mit ihr verbinde ich auch ganz persönlich prägende Erinnerungen. Während meines Jurastudiums in Berlin habe ich viele rechtssoziologische Seminare bei ihr besucht. Sie hat mich im ersten Staatsexamen mündlich geprüft. Sie war eine wunderbare, ihren Studentinnen und Studenten menschlich immer zugewandte Frau mit wissenschaftlich exzellentem Ruf. Wie wenige andere hat sie später das Präsidentenamt am Bundesverfassungsgericht juristisch, aber auch menschlich geprägt.

Aber auch Professor Winfried Hassemer, langjähriger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat als Strafrechtsprofessor vor seiner Richtertätig

(Thomas Rother)

keit als Vorsitzender des Zweiten Senats niemals die Richterbank gedrückt. Herr Kollege Breyer, unter seinem Vorsitz hat der Zweite Senat die Fünfprozentklausel im Kommunalwahlrecht SchleswigHolsteins -

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das war ei- ne gute Entscheidung - Zuruf: Schlimm ge- nug!)

- Ja, eben, da sehen Sie einmal, was Professoren manchmal Gutes in einem Verfassungsgericht anrichten!

Auch Professor Ernst Benda, langjähriger Bundesverfassungsgerichtspräsident, war nie als Richter tätig. Unter seinem Vorsitz wurde zum Beispiel das Volkszählungsgesetz 1983 aufgehoben. Benda kreierte mit seinem Senat juristisch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Liebe Piratenfraktion, vielleicht sollten Sie sich vor diesem Hintergrund noch einmal gut überlegen, ob sie diese Regelung nicht doch auch mit unterstützen möchten. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Herr Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Vorfeld zur Einbringung des Gesetzentwurfs hat es intensiven Austausch zwischen den Fraktionen gegeben. Ich finde, dass der Kollege Daniel Günther, der Kollege Thomas Rother und insbesondere der Kollege Burkhard Peters erschöpfend begründet haben, warum wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben. Ich kann mir deshalb weitere Ausführungen ersparen. Das soll jetzt keine Arbeitsverweigerung sein, nicht, dass der Kollege Rasmus Andresen sagt: Jetzt macht er schon Arbeitsverweigerung. Nein, es ist einfach so: Ich kann kein Argument mehr hinzufügen. Ich bedanke mich insbesondere für die Rede des Kollegen Peters, und ich bin dafür, dass wir auch in der Ausschussberatung noch einmal den Versuch unternehmen, die PIRATEN davon zu überzeugen, einem sinnvollen Vorschlag zu folgen. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Piratenfraktion hat der Fraktionsvorsitzende Dr. Patrick Breyer das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst einmal ist klar, dass wir PIRATEN schon seit Langem eine Reform des Verfassungsgerichts anderer Art fordern, bei der Transparenz und Grundrechtsschutz im Mittelpunkt stehen. Denn das eigentliche Problem der Verfassungsrichterwahl bleibt doch, dass die Wahlkandidaten in engsten parteipolitischen Kreisen und nach Parteiproporz vorgeschlagen werden, statt in einem offenen Bewerbungsverfahren die am besten geeignetsten Personen auszuwählen. Unser Vorschlag, das zu ändern, ist in schriftlichen Stellungnahmen in der Anhörung unterstützt worden von Richterverbänden, von Anwaltsorganisationen und auch aus der Wissenschaft. Deswegen, Herr Dr. Stegner, bleibt unser Antrag bestehen, jede Verfassungsrichterstelle möge öffentlich ausgeschrieben werden. Darüber ist bis heute noch nicht entschieden. Aber ich denke, im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf sollten wir auch darüber entscheiden. Denn eine öffentliche Ausschreibung ist gut geeignet, uns auch auf Persönlichkeiten aufmerksam zu machen, die sonst vielleicht gar nicht ins Gespräch gekommen wären. Wir haben bei der Landesdatenschutzbeauftragten auch sehr gute Erfahrungen damit gemacht.

Die mit knapper Mehrheit gefällte Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über die Gültigkeit einer Landtagswahl zeigt, wie politisch sensibel die Arbeit des Verfassungsgerichts ist und warum jeder Eindruck eines parteipolitisch bestimmten Auswahlverfahrens verhindert werden muss.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Solange bei solchen Entscheidungen in der Presse von einem umgefallenen CDU-Richter zu lesen ist, ist der öffentliche Rückhalt für unser Gericht gefährdet. Das sollte nicht sein.

(Christopher Vogt [FDP]: Wir haben Presse- freiheit, Herr Breyer! - Zurufe Wolfgang Ku- bicki [FDP] und Lars Harms [SSW])

Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf der übrigen Fraktionen, der mit uns im Vorfeld nicht abgestimmt worden ist, ist in mehreren Punkten fragwürdig. Was den zuletzt angesprochenen Punkt angeht, ob der Präsident des Gerichtes Berufsrichter sein sollte: Burkhard Peters, es ist ja nicht so, dass

(Burkhard Peters)

das ohne Grund im Gesetz steht. Gerade bei ehrenamtlichen Richtern ist es doch sinnvoll, wenn der Präsident Erfahrung in der Verhandlungsleitung hat.

Aber der Kernpunkt ist, dass die geplante Verfassungsänderung ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Gerichts ist, Herr Kubicki, denn Sie wollen aus der Verfassung die Beschränkung der Wiederwahl rausstreichen. Das bedeutet, dass künftig eine einfache Landtagsmehrheit sogar eine unbegrenzte Wiederwahl einführen könnte. Da müssen wir doch aus der Lex Weichert lernen. Warum sollen wir das nicht in die Verfassung schreiben, was Sie jetzt regeln wollen, nämlich dass die Wiederwahl ganz ausgeschlossen werden soll?

Herr Kollege Rother, auch die Stellvertreterregelung, die Sie genannt haben, ist einfachgesetzlich, könnte also ebenfalls jederzeit einfachgesetzlich gestrichen werden.

Wenn Sie in diesen Punkten, an denen wir Probleme sehen, nachbessern, auch als Ergebnis der Anhörung, dann können wir gern darüber reden, ob wir den Gesetzentwurf unterstützen. Aber das Kernproblem bleibt, dass grundlegende Reformen im Bereich der Justiz noch ausstehen.

Zum Beispiel: Wann können die Schleswig-Holsteiner ihr Verfassungsgericht endlich auch bei Grundrechtsverletzungen einschalten? Stichwort: Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde. Das haben wir im Rahmen der Beratungen des Sonderausschusses Verfassungsreform vorgeschlagen.

Wann wird die Selbstverwaltung der Justiz eingeführt, Frau Justizministerin? Sie hatten ja den Mut, dazu einen Prozess anzuschieben. Nur wegen eines Streits zwischen zwei Richterverbänden dieses Vorhaben komplett aufzugeben, finde ich schade. Denn wir hätten hier mit Unterstützung des Parlaments ein Fenster gehabt, um bei diesem Problem Abhilfe zu schaffen. Wie Sie wissen, ist es in kaum einem anderen europäischen Staat noch möglich, dass die Gerichte von der Politik verwaltet werden. Das sollte eigentlich auch bei uns nicht so sein.

(Beate Raudies [SPD]: Verwaltet werden sie von der Exekutive!)

- Sie werden von der Exekutive verwaltet, ja - das ist richtig, Frau Kollegin -, aber unter Führung einer politischen Ministerin! Das ist einer unabhängigen Justiz als Dritter Gewalt im Staate nicht angemessen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist Demokratie! Was haben Sie denn für eine Vorstellung! Sie haben als Parlamentarier nichts gelernt, gar nichts!)

- Herr Kollege Dr. Stegner, es gibt Stellungnahmen des Europarates, die uns ausdrücklich dazu auffordern, diesen Punkt zu ändern.

Deshalb werden wir PIRATEN weiter auf die überfälligen Reformen drängen, diesen Gesetzentwurf konstruktiv weiter mit begleiten und darum bitten, dass in diesem Kontext eben auch über unseren Gesetzentwurf entschieden wird, Verfassungsrichterstellen öffentlich auszuschreiben, möglichst auch eine öffentliche Anhörung durchzuführen, so wie das bei sonst hervorgehobenen Stellen im Richterwahlausschuss in aller Sachlichkeit auch üblich ist. - Danke schön.

(Beifall PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inzwischen ist es normal, dass auch Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht hat. Seit 2008 gibt das Land seine verfassungsrechtlichen Fragen nicht mehr an das Bundesverfassungsgericht weiter, sondern es werden hiesige Strukturen genutzt. Das diente der Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Weitreichende und gute Entscheidungen, nicht zuletzt die Neuwahl des Parlamentes aufgrund des unzureichenden Ausgleichs der Überhangmandate, nahmen ihren Anfang in einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes. Das Gericht leistet hervorragende Arbeit und hat sich darum einen festen Platz in unserem Land erobert. Der Landtag ist dem Landesverfassungsgericht in Schleswig tief verbunden.

Fraktionsübergreifend haben wir einige Änderungen vorgeschlagen; auch um den Bundesregelungen zu entsprechen. Dabei bleiben wir dem Grundsatz treu, dass Verfassungsrichterinnen und -richter von einer Zweidrittelmehrheit des Landtages gewählt werden. Die Parteien sind auf diese Weise zu Verhandlungen und Kompromissen gezwungen. Keine Mehrheit kann ihren Kandidaten einfach so durchsetzen. Somit wird sich auch nie eine politische Richtung bei der Besetzung der Richterstellen allein durchsetzen können. Man ist immer wieder auf einen politischen Kompromiss angewiesen. Hier zeigt sich, dass ein Kompromiss nichts Schlechtes

(Dr. Patrick Breyer)

ist, sondern das Wesen der Demokratie an sich. Von diesem Grundsatz bin ich im Übrigen auch überzeugt. Deshalb werden wir von dem bestehenden Verfahren auch nicht abweichen. Gerade das, diese Art der Wahl durch den Landtag, ist allerdings den PIRATEN - das haben wir gerade eben auch gehört - ein Dorn im Auge.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die Wahl durch den Landtag ist aber das einzige Verfahren, das eine politische und eine innere Unabhängigkeit und Ausgewogenheit gewährt. Diese Unabhängigkeit und Ausgewogenheit wird durch das neue Verfahren weiter gestärkt werden. Eine öffentliche Ausschreibung, lieber Kollege Breyer, ist eine Schwierigkeit. Ich glaube auch nicht, dass das Landesverfassungsgericht mit normalen Gerichten vergleichbar ist, weil es sich hier um ein Verfassungsorgan handelt. Dieses Verfassungsorgan ist dem gesamten Volk gegenüber verpflichtet. Das steht vielleicht so nicht in der Verfassung, aber das ist Sinn und Zweck der Geschichte. Da muss man schon aufpassen, dass alle Strömungen aus dem Volk in ihm auch am besten abgebildet werden können. Daher ist es schon klug, dass vorher durch den Landtag ein Auswahlverfahren durchgeführt wird, dass man guckt, wie man diese Ausgewogenheit in einem gemeinsamen Beschluss - so, wie das hier Tradition ist - hinbekommt. Ich glaube nicht, dass es klug ist, ein Auswahlverfahren durchzuführen, mit dem man dann im Übrigen auch den ein oder anderen in seinem öffentlichem Ansehen beschädigen könnte.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Ja, selbstverständlich gern.

Bitte schön.