Protocol of the Session on July 22, 2016

„Gegenüber der ursprünglichen Eingangsformel der Verfassung stellt der hier diskutierte Änderungsvorschlag einen rechtspolitischen Rückschritt dar. Unseres Erachtens sollten sich verantwortungsbewusste Politiker nicht von religiösen Lobbygruppen unter Druck setzen lassen. Der ‚Glaube an Gott‘ gehört in den Privatbereich der Bürgerinnen und Bürger - nicht in die Verfassung eines modernen Rechtsstaates.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall FDP, PIRATEN, SSW und verein- zelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Professor Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, kritisiert wie folgt:

„Die Formulierung ‚und aus den Werten, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen Quellen ergeben‘ wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Sie operiert mit einem völlig unbestimmten Wertbegriff: So könnte etwa auch ‚die Befreiung der Welt von den Un- und Falschgläubigen‘ ein solcher Wert sein - und die Religionsgeschichte lehrt ja leider bis heute, dass so etwas vorkommt; der Begriff ‚Glaube an Gott‘ schiebt denjenigen, die nicht an Gott glauben einen Mangel zumindest einen negativen Sachverhalt zu, den sich selbstbewusste Menschen nicht zu Eigen machen können; die Vorstellung von den ‚anderen Quellen‘ unterstellt, dass Verfassungsgrundwerte wie Freiheit und Gleichheit der Legitimation durch eine ‚Quelle‘ bedürfen, was aber mit deren eigenständiger Evidenz und deren sich daraus begründenden Geltungsanspruch offensichtlich im Streit liegt.“

Auch dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall FDP, PIRATEN, SSW und verein- zelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie, sich an dem zu orientieren, was die Verfassungsväter und -mütter Europas vorgeschlagen haben, also den Vorschlag, den neun Abgeordnete unterschrieben haben, zu unterstützen und nicht einen, wie ich finde, faulen Kompromiss, der nur errichtet

(Wolfgang Kubicki)

worden ist, um die Machtfrage zu klären. Dafür ist die Verfassung in Schleswig-Holstein nicht da. Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, Lars Harms [SSW] und Ras- mus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir entscheiden heute tatsächlich über vier Varianten, wie sich unsere Verfassungspräambel formulieren ließe. Bleiben wir bei der jetzt gültigen, oder nehmen wir einen der drei Änderungsvorschläge an? - Das ist eine Grundsatzentscheidung.

Ich glaube, es ist eine Grundsatzentscheidung, bei der wir uns in den Zielen eigentlich gar nicht unterscheiden. Die Ziele, die genannt worden sind, teilen wir alle. Worüber wir streiten, ist die Frage: Was ist der richtige Weg, um diese Ziele zu erreichen? - Da möchte ich eines klarstellen: Die Debatte, die wir hier führen, ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, das ist Zeitverschwendung, der Landtag soll sich mal lieber um andere Dinge kümmern. - Es ist die originäre Aufgabe der Politik, sich auch Gedanken darüber zu machen, was die Menschen heute in unserer Gesellschaft zusammenhält, was sie verbindet, was ihnen Orientierung in Zeiten der Verunsicherung gibt. Wie kann man Ausgrenzungen am besten begegnen?

Wir PIRATEN haben ja eigentlich nichts anderes als diese Debatte, die jetzt hier in Gang gesetzt wurde, gewollt, als wir immer schon gefordert haben, Verfassungsänderungen, Änderungen des Grundlagenvertrages, des Gesellschaftsvertrages sollen dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden, und zwar genau, weil wir eine solche Debatte wollten, wie sie die Volksinitiative jetzt hier angestoßen hat.

Deswegen möchte ich mich bei der Volksinitiative bedanken, aber auch bei allen anderen, die sich an der Debatte beteiligt haben: Bei den Sachverständigen, die sich wirklich die Finger mit Stellungnahmen wundgeschrieben haben.

(Beifall PIRATEN, Lars Harms [SSW], ver- einzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich möchte auch ausdrücklich anerkennen, dass sich gerade die Verfasser des dritten Vorschlages, der zuletzt vorgelegt worden ist, bemüht haben, eine Brücke zu bauen. Sie haben sich bemüht, Kritikpunkte an den bisherigen Formulierungen zu beseitigen, was zum Beispiel die Lesbarkeit anging, was die Bezeichnung des Glaubens an Gott als universelle Quelle anging, was den Punkt anging, dass die Menschenrechte nicht mehr auftauchten. Dieses Bemühen möchte ich anerkennen.

Trotzdem kommt es jetzt darauf an, da der Tag der Entscheidung gekommen ist, auch die Ergebnisse dieser Diskussion, die wir angestoßen haben und die Rückmeldungen, die wir dazu bekommen haben, ernst zu nehmen. Da müssen wir feststellen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass vielfältige gesellschaftliche Gruppierungen und auch Religionsgemeinschaften, Religionsvertreter sowie unabhängige Expertinnen und Experten teils in sehr drastischen Worten deutlich gemacht haben, dass ihnen ebenso wie den Vertretern der Volksinitiative die Aufnahme des Gottesbezugs ein wichtiges Anliegen ist - dass ihnen die Verhinderung der Aufnahme eines Gottesbezugs ein sehr wichtiges Anliegen ist, um auch Schaden von unserem Land abzuwenden.

Lassen Sie mich das an vier konkreten Formulierungsbestandteilen des dritten uns vorliegenden Vorschlags festmachen.

Zunächst einmal möchte ich das an dem Satzteil zeigen: „Die Verfassung schöpft aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas.“ Es wurde schon angesprochen, dass uns Experten davor warnen, dass wir, wenn wir auf diese Art und Weise an das religiöse Erbe Europas anknüpfen, damit denjenigen Vorschub leisten könnten, die sich gern zu den Verteidigern des christlichen Abendlandes in der Absicht aufschwingen, Abgrenzung zu erreichen und auszugrenzen. So schreibt uns der islamwissenschaftliche Professor Dr. Berger von der Universität Kiel, das habe „eine ausschließende Wirkung auf Menschen …, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen.“

Die Giordano-Bruno-Stiftung, die der Kollege bereits zitiert hat, schreibt sogar von einem „europäischen Kulturchauvinismus“, der auch integrationspolitisch fatale Wirkungen habe.

Am Eindrücklichsten fand ich die neueste Stellungnahme, nämlich diejenige von der Türkischen Ge

(Wolfgang Kubicki)

meinde Schleswig-Holstein. Das sind diejenigen, die von solcher Ausgrenzungsrhetorik betroffen wären, von der wir hier sprechen. Sie warnt uns, dass einige Personen von einer geschlossenen europäischen Kultur ausgingen, deren Identität angeblich durch außereuropäische Einflüsse bedroht sei. Mit einer solchen Formulierung werde man ein kaum zu kalkulierendes Risiko eingehen - ich zitiere -:

„Die Formulierung verschafft extremistischen Gruppen eine ideologische Begründung und politische Legitimation innerhalb der Verfassung und ermöglicht ihnen damit ungeahnte Möglichkeiten der Polarisierung und der Spaltung.“

Das ist die Meinung der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein, die übrigens zum ersten Entwurf keine Meinung eingenommen und sich neutral verhalten hat, die jetzt aber zu dem neuesten Entwurf sagt, dass sie ihn ablehne.

Ich komme zum zweiten Satzteil in dieser Formulierung. Darin ist auch die Rede von den Werten, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen Quellen ergäben. Viele Gruppierungen haben uns dazu darauf hingewiesen, wie problematisch, unbestimmt und offen diese Formulierung sei, insbesondere bei der Frage, was Werte seien, die sich aus dem Glauben an Gott ergäben. Da werden viele Werte hergeleitet, die mit unserem Grundgesetz ganz klar unvereinbar sind. Ich weiß nicht, ob ich Beispiele nennen muss, aber es geht um Diskriminierung von Frauen, von Homosexuellen, um den Kampf gegen Ungläubige. Aus dem Glauben an Gott werden viele Werte hergeleitet, die unvereinbar sind mit unseren Wertevorstellungen. Und was sich gar aus anderen Quellen ergeben soll, ist völlig offen.

Deswegen schreibt zum Beispiel unser ehemaliger Landesrabbiner, Herr Rothschild: Diese Formulierung

„… ist entweder so vage, dass es bedeutungslos ist, oder so steif, dass es gefährlich werden kann.“

Ich finde bemerkenswert, dass der ehemalige Landesrabbiner das schreibt. Bereits zitiert wurde der Kieler islamwissenschaftliche Professor Dr. Berger - Sie alle kennen den Artikel in den „Kieler Nachrichten“ -, der schreibt:

„Diese Quellen werden in keiner Weise genannt. Es bleibt damit unklar, ob es sich hier um Kants Werke, die Altenburger Skatord

nung oder Hitlers ‚Mein Kampf‘ handelt. … eine Formulierung, die derart offen ist, ist unsinnig und einer Verfassung unwürdig.“

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Aber aus „Mein Kampf“ gehen die Werte hervor oder was?)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Günther, die Theologische Fakultät der Universität Kiel, die Sie zitiert haben, schreibt auch kritisch:

„Die Rede von ‚universellen Quellen gemeinsamer Werte‘ ist sicherlich Zeichen eines Kompromisses, der Ausdruck ist in seiner Bedeutungsweite aber sehr unspezifisch …“

Professor Dr. Kreß von der Theologischen Fakultät der Universität Bonn schreibt: Unterschiedliche religiöse Glaubensüberzeugungen auf einen Glauben an Gott zu reduzieren, übergehe Pluralismus von Glaubensüberzeugungen und sei sozialethisch unhaltbar. - Das heißt, es wird auch Kritik aus theologischer Perspektive an der Rede von einem einzigen Glauben an Gott geübt.

Hinzu kommt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sorge, dass eine solche Formulierung wie „der Glaube an Gott“ am Anfang der Präambel die Anhänger einer monotheistischen Religion nach Glaubensüberzeugungen sortieren, spalten und privilegieren kann. So schreiben uns etwa die laizistischen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen:

„Indirekt werden die übrigen Wertquellen abgewertet...“

Professor Dr. Kreß schreibt:

„Die Worte … wirken so, als ob nichtreligiöse Überzeugungen weniger gewichtig oder gehaltvoll wären.“

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, wir haben vereinbart, mit den Redezeiten relativ großzügig zu sein. Aber das war ich jetzt schon.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] blättert in den übrigen Seiten seines Manuskripts - Hei- terkeit)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die gemeinsame Brücke, die wir suchen, haben wir im Jahr 2014 gefunden. Deswegen lautet mein Appell an Sie: Lassen Sie uns den Schleswig-Holsteinern heute die Verfassung geben, die wir im Sonderaus

(Dr. Patrick Breyer)

schuss Verfassungsreform gemeinsam erarbeitet haben, die wir im Landtag mit überwältigender Mehrheit von mehr als 90 % von uns beschlossen haben, der auch nach einer repräsentativen Umfrage die meisten Schleswig-Holsteiner zustimmen, der die weitaus meisten unabhängigen Wissenschaftler und Stellungnehmenden zustimmen, die kurz und eindeutig ist, die die neutrale Tradition unserer Landesverfassung bewahrt, die auch im 21. Jahrhundert modern und zeitgemäß ist, in einer Zeit, in der religiöse Bindungen abnehmen, die nicht sortiert und spaltet, sondern die eint. Das ist diese Verfassung, die Sie hier sehen.

(Der Abgeordnete hält die Landesverfassung hoch)

Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN und FDP)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, möchte ich zumindest Folgendes vorausschicken: Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich ganz klar feststellen dass, egal was wir heute beschließen, kein Schaden für dieses Land entstehen wird.