Protocol of the Session on July 20, 2016

(Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Herr Kollege Lars Harms

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Polizeiausstattung in diesem Zusammenhang haben wir schon geredet und uns ausgetauscht. Ich denke, wir sind uns im Hohen Haus alle darüber einig, dass unsere Polizei bestmöglich ausgestattet werden soll und dass das immer das Ziel sein soll. Wenn es dort gute Ideen gibt, muss man diese auch ernsthaft diskutieren, egal welche Idee es ist.

Allerdings meine Damen und Herren, haben wir hier bei dem Antrag der FDP, der ein guter Antrag meines Erachtens ist, über den man auch im Ausschuss vernünftig debattieren kann, ein Problem: Anlass ist ein konkreter Fall in Würzburg. Und das Problem ist, wenn man von einem konkreten Fall beziehungsweise von einem Einzelfall, wenn man es so nennen will, auf allgemeingültige Lösungen

kommen will, dann wird es immer schwierig, weil wir nicht wissen, was das für eine Person war. War es der nette Flüchtling, der mit großem Glück hier zu uns gekommen ist, der integrationswillig war, der sich eine neue Zukunft aufbauen wollte, oder war es ein radikaler, menschenverachtender Mensch, der nichts anderes im Sinn hatte, als andere Menschen umzubringen? Wir wissen es nicht.

Deshalb kann ich aus diesem Fall auch keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen. Das ist erst einmal ganz, ganz wichtig. Ich kann nur überlegen, was mit den minderjährigen Flüchtlingen in Schleswig-Holstein passiert. Ich denke, da sind wir relativ gut aufgestellt. Wir haben etwas mehr als 2.000 minderjährige Flüchtlinge beziehungsweise Menschen, die als minderjährig gelten. Die meisten sind über 16 Jahre alt. Wir schicken sie in Praktika, wir geben ihnen Deutschkurse, wir versuchen, sie in einer Ausbildung unterzubringen. Das klappt auch sogar relativ gut für diese Menschen. Wir versuchen, sie in Familien zu integrieren und wir versuchen, das dezentral im ganzen Land zu erreichen. Im Prinzip ist das genau das, was auch dieser Mensch erfahren hat, über den wir hier reden, der diese fürchterlichen Taten vollzogen hat.

Trotzdem ist es meines Erachtens allgemeingültig und richtig so, wie wir mit diesen jungen Menschen umgehen, wie wir es versuchen hinzubekommen, dass diese Menschen hier eine Zukunft bekommen.

Ich denke auch - ich habe es eben angesprochen, dass diese jungen Menschen dezentral im ganzen Land untergebracht werden -, dass es grundsätzlich gut ist, Flüchtlinge auch dezentral im Land unterzubringen und die Wohnortzuweisung daran zu orientieren, wie man Menschen bestmöglich und individuell integrieren kann.

Wir haben aber auch einen Punkt zu fassen, bei dem wir uns selber fragen müssen, wie man Radikalisierung im Allgemeinen erschweren kann. Das gilt nicht nur für Flüchtlinge. Ich rede hier nicht nur über Menschen aus Afghanistan, ich rede auch über Leute aus anderen Gegenden, die zu uns kommen.

Da stellt sich schon das Problem: Wenn der Staat selber und wir als Bürger Schwierigkeiten haben, Menschen darüber aufzuklären, welche Gepflogenheiten wir hier haben, wie wir hier leben, mit welchem Wertegerüst wir leben, und dass diese Wertegerüste selbstverständlich auch zu akzeptieren sind, auch von Menschen, die zu uns kommen, dann wird es schwierig. Es kann nach meiner Auffassung keine Toleranz gegenüber Missachtung unserer Werte geben. Das ist ganz wichtig.

(Dr. Patrick Breyer)

(Beifall SSW und FDP)

Was sind beispielsweise Werte in diesem Zusammenhang? Zum Beispiel heißt das ganz banal: Frauen sind gleichberechtigt. Das würden wir alle unterschreiben; das sollten wir aber auch durchsetzen.

(Beifall SSW und FDP)

Das sollten wir auch hier bei uns tun.

Schulpflicht ist nicht verhandelbar.

(Beifall SSW, FDP und Uli König [PIRA- TEN])

Das ist auch nicht der Fall, wenn es um Schwimmunterricht für Schülerinnen geht.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!)

Ehen werden nicht arrangiert.

(Beifall SSW, FDP und Uli König [PIRA- TEN])

Das ist ganz klar ein Wert, den wir hier vermitteln müssen.

Meine Damen und Herren, Folgendes ist ganz wichtig - das ist vielleicht ein Punkt, der Auswirkungen auf die freitägliche Debatte haben wird -: Religion ist nicht Grundlage der Rechtsprechung.

(Beifall SSW, FDP und Uli König [PIRA- TEN])

Ganz wichtig ist: Die Scharia gilt nicht. Wir haben hier eigene Werte. Wir haben unser Grundgesetz und unsere Landesverfassung. Daran richtet sich alles aus.

(Anita Klahn [FDP]: Genau!)

Das müssen wir Menschen, die neu zu uns kommen, vermitteln. Wir müssen ihnen gegenüber deutlich machen, dass man gegen diese Werte nicht zu verstoßen hat. Nur dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir in der Lage, effektiv Radikalisierungsbestrebungen entgegenzuwirken. Das können wir nur tun, wenn wir selbst an unseren eigenen Werten festhalten.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Stefan Studt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier und heute bereits festgestellt, dass in ganz Deutschland und damit auch in Schleswig-Holstein der Terrorismus auf absehbare Zeit eine Gefährdung darstellt, wenngleich es - das habe ich betont - keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen gibt. Die taktisch-inhaltliche Vorbereitung der staatlichen Sicherheitsorgane im Land SchleswigHolstein und deren notwendige Ausstattung haben wir im vorigen Tagesordnungspunkt diskutiert.

Erlauben Sie mir nur noch drei klarstellende beziehungsweise erklärende Hinweise.

Ich habe von 500 Polizisten mehr an Bord gesprochen. Das gilt für die Zeit nach ihrer Ausbildung, also erst ab 2022.

Westen der Schutzklasse 4 - auch das ist angesprochen worden - haben wir auch im polizeilichen Einzeldienst im Bestand, allerdings nicht als AmMann-Ausstattung. Wir denken momentan darüber nach, wo und wie diese Schutzklasse bereitgestellt werden müssen.

Zuletzt mache ich einen Hinweis, Herr Dr. Breyer, zum Thema „TKÜ und Millionenaufwand“. Dieser Aufwand wäre auch in unserem Land notwendig, wenn wir unsere Anlagen entsprechend modernisieren. Das wäre wahrscheinlich ein viel höherer Aufwand, als wenn wir das in einer gemeinsamen FünfLänder-Aktion machen.

Meine Damen und Herren, ich weise nochmals darauf hin, dass die terroristischen Anschläge, die wir leider im Moment erleben müssen, zeigen, dass es auch wegen der unterschiedlichen und teils unvorhersehbaren Vorgehensweisen von Tätern nicht das eine fertige Konzept gibt, das den Bedrohungen begegnet.

Gerade die Situation der durch einen Jugendlichen verübten tragischen Tat in Bayern verdeutlicht, dass neben den optimalen Arbeitsbedingungen der staatlichen Sicherheitsorgane der Prävention mindestens eine gleichwertige Bedeutung zukommt.

Bereits seit April 2015 gibt es in meinem Haus das Landesprogramm gegen religiös motivierten Extremismus in Schleswig-Holstein, das Präventivprogramm „PROvention“. Hinzu kommen Mittel für Projektförderungen aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Umgesetzt wird dieses Landesprogramm vom freien Träger „Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein“. Das Team von PROvention berät Angehörige, Freundinnen und

(Lars Harms)

Freunde sowie Bekannte von Personen, die von Radikalisierung oder Extremismus betroffen sind. Auch Ausstiegswillige können das Beratungsangebot nutzen. Die Beratung erfolgt kostenlos, vertraulich sowie einzelfall- und lösungsorientiert. Darüber hinaus werden öffentliche Vorträge, Weiterbildungen und ein eigenes Jugendprojekt angeboten.

Die Radikalisierung insbesondere jugendlicher unbegleiteter Flüchtlinge soll zum Beispiel durch Fortbildungsveranstaltungen für das Fachpersonal in Flüchtlingsunterkünften oder für Lehrkräfte in den Schulen verhindert werden.

Die Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium beziehungsweise mit dem IQSH bildet einen Schwerpunkt in der Präventionsarbeit und findet bereits seit circa einem Jahr statt. Die enge Kooperation muss fortgesetzt werden. Sie wird auch fortgesetzt werden.

Auf den zunehmenden Bedarf der Beratungs- und Präventionsarbeit hat die Landesregierung schon reagiert: Das Landesprogramm wird weiter ausgebaut, weil wir sowohl Notwendigkeit als auch Bedarf sehen.

(Beifall SPD, SSW und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, speziell zur Radikalisierung von ausgereisten Dschihadisten wurden durch die Sicherheitsbehörden auch unter Beteiligung Schleswig-Holsteins bundesweite Studien angefertigt, aus denen Maßnahmenpakete zur Deradikalisierung entwickelt werden. Wichtig ist - da nehme ich gern die Anregung von Herrn Kubicki auf -, dass wir auch prüfen müssen, wie weit wir solche Untersuchungen von Landesseite gestalten. Darüber können wir uns gern im Innen- und Rechtsausschuss unterhalten.

Unstrittig stellt die frühzeitige Identifizierung radikalisierter Einzelpersonen die größte Herausforderung an die Sicherheitsbehörden dar. Auch wenn es sich um eine schmerzhafte Erkenntnis handelt, lassen sich solche Angriffe wie am Montagabend in Würzburg nur schwer verhindern.

Das bedeutet aber nicht, dass wir wehrlos sind. Vielmehr werden unsere Sicherheitsbehörden ihre Anstrengungen verstärken, radikalisierte Personen noch frühzeitiger zu erkennen. Das ist das Wesentliche. Das haben wir hier auch schon besprochen, um etwaige Anschlagsvorhaben möglichst noch in der Planungsphase aufzudecken und zu verhindern.

Dazu gehört vor allem eine verstärkte Beobachtung des Internets, aber auch eine konsequente Informa

tionsgewinnung mit den nachrichtendienstlichen Mitteln. Wichtig ist hierbei auch, das soziale Umfeld - sei es in den Familien, in der Schule und im Beruf - bei möglicherweise gefährdeten Personen besonders aufmerksam zu beobachten und diese Personen zu motivieren, sich in Verdachtsfällen vertrauensvoll an die zuständigen Sicherheitsbehörden oder Beratungsstellen zu wenden. Das gilt besonders für traumatisierte Flüchtlinge.

Unser Ziel ist, traumatisierten Flüchtlingen die Hilfe anzubieten, die sie brauchen. Dabei ist Fakt, dass insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgrund der speziellen Fluchtsituation einen höheren traumapädagogischen Betreuungsbedarf haben. Daher ist es erforderlich, den traumapädagogischen Qualifikationsfundus in den Jugendhilfeeinrichtungen weiter zu stärken. Das MSGWG hat deshalb am 24. Juni 2016 einen Workshop zum Thema „Traumatisierte unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer“ durchgeführt. Darin wurden mit Vertreterinnen und Vertretern von Trägern, Verbänden, Vereinen und Jugendämtern die aktuell bestehenden Aufgaben und Herausforderungen intensiv erörtert, insbesondere hinsichtlich der Betreuung und Versorgung von traumatisierten Jugendlichen.

(Beifall SPD, SSW und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Ergebnisse werden derzeit auf unterschiedlichen Ebenen bewertet. Nach der Sommerpause wird es - wieder unter Moderation des MSGWG ein weiteres Gespräch unter Beteiligung diverser Akteure der Krankenversorgung geben, um ein aktuelles Bild der psychiatrischen Versorgung gewinnen zu können. Ziel ist es, zügig ein Konzept zum Umgang mit traumatisierten unbegleiteten Minderjährigen vorzulegen. Bereits jetzt kann auf laufende Projekte im Bereich der psychiatrischen beziehungsweise der psychologischen Betreuung und Behandlung von Flüchtlingen verwiesen werden, die durch das Land gefördert werden: