Protocol of the Session on June 10, 2016

In Boostedt hatte die CDU die absolute Mehrheit der Stimmen gewonnen, aber diese Mehrheit war eben keine wirkliche Mehrheit: Die Mehrheit der Sitze in der Gemeindevertretung erhielt sie nicht. Den Wählerinnen und Wählern ist ein solcher Unfug überhaupt nicht zu erklären. Deshalb ist es richtig, dass wir nun eine Mehrheitsklausel bekommen, die dafür sorgt, dass die Mehrheit der Stimmen auch die Mehrheit der Mandate bedeutet.

Leider hat sich die Koalition nicht getraut, das Problem der Mehrheitsbildung umfassend anzugehen. Gerade deshalb bleibt das vorliegende Gesetz eine Enttäuschung. Der Wegfall der Sperrklausel auf kommunaler Ebene hat in vielen Kommunen zu enormen Problemen geführt.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Wo denn?)

Ohne eine Sperrklausel ist in vielen Fällen der Weg für Kleinstgruppierungen in die Kommunalparlamente offen. Die Umstellung des Berechnungsverfahrens von d’Hondt auf Sainte-Laguë/Schepers hat den Trend zur Zersplitterung zusätzlich verstärkt.

(Zurufe)

Ich weiß, dass viele hier im Haus das nicht wahrhaben wollen. Für die Kommunen ist die an vielen Stellen zu spürende Zersplitterung aber ein wirkliches Problem.

Eines müssen wir doch zur Kenntnis nehmen: Die vielen Kommunalpolitiker, die sich mit großem Einsatz vor Ort engagieren, tun dies ehrenamtlich, und sie investieren viel Zeit, um für ihre Gemeinde und ihren Kreis Politik zu gestalten. Eine zu breite Auffächerung der Vertretungskörperschaften erschwert das Gestalten aber zunehmend und macht es zum Teil auch unmöglich.

Entscheidungsprozesse werden dadurch unerträglich verlängert. Für diejenigen, die sich kommunalpolitisch engagieren, ist dies extrem frustrierend. Auch für die Bürgerinnen und Bürger ist kaum nachzuvollziehen, wenn Entscheidungen über wichtige Fragen nicht getroffen werden können.

(Minister Stefan Studt)

(Beifall CDU)

Demokratie braucht Entscheidungen und nicht das Verhindern ebensolcher.

Ich hätte mir bei der jetzigen Reform ein klares Signal für die politische Handlungsfähigkeit der kommunalen Entscheidungsstrukturen gewünscht. Leider konnten sich die Koalitionsfraktionen anscheinend nicht auf ein solches Signal einigen. Zwischen dem Kollegen Dolgner und mir hätte es wahrscheinlich funktioniert.

(Beifall CDU und FDP - Volker Dornquast [CDU]: Charmant, charmant! - Weitere Zu- rufe - Heiterkeit)

- Das klärt sich nach dem 7. Mai 2017.

(Heiterkeit - Unruhe)

Was den Vorschlag der PIRATEN angeht, Bürgerentscheide in Angelegenheiten der Ämter einzuführen, bleiben wir weiterhin bei unserer Ablehnung. Ihr Antrag entspricht ihrem konsequenten Schwarz-Weiß-Denken: Alles, wo Bürgerbeteiligung draufsteht, ist gut, und alles, wo es nicht draufsteht, ist schlecht.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Dazwischen gibt es bei Ihnen überhaupt nichts. In der Tat gibt es aber Formen der Bürgerbeteiligung, die dazwischen liegen. Ich merke einmal an: Wenn wir Bürger so beteiligen würden, wie Sie es fordern, dann müssten die Bürger ihre eigene Beteiligung eigentlich hauptamtlich ausüben.

Die Ämter gleichen in ihrer Struktur nicht den Kreisen und Gemeinden. Wie die Bezeichnung schon sagt, sind sie Verwaltungseinheiten, deren Struktur nicht auf Bürgerentscheide ausgelegt ist. Wenn Sie unbedingt Bürgerentscheide wollen, müssen sie aus meiner Sicht die Struktur ändern. Dafür haben Sie aber nicht die Mehrheit - Gott sei Dank.

(Lars Harms [SSW]: Es wäre aber richtig! - Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Allein der Aufkleber „Bürgerbeteiligung“ reicht eben nicht aus.

Leider wird es eine wirkliche Reform des Wahlrechts offenbar nicht geben, weil man sich nicht einigen konnte. Es ist trotzdem ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es hätte die Chance gegeben, die Handlungsfähigkeit der Kommunen für die Zukunft sicherzustellen. Leider wurde diese Chance von SPD, Grünen und SSW verpasst.

Wir stimmen aber natürlich der Verfassungsänderung zu. Dem Antrag der PIRATEN stimmen wir nicht zu. Unser Votum aus dem Innenausschuss ändert sich nicht. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und Dr. Heiner Garg [FDP])

Vielen Dank. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Kollege Dr. Kai Dolgner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann zunächst einmal sagen: Hätte die FDP nicht in der schwarz-gelben Koalition durchgesetzt, den Teiler zu ändern, dann hätten wir heute eine doppelt so hohe Eingangshürde. Also: Wer kennt die Sünde besser als der Sünder!

Wir beschließen heute einen Katalog von Änderungen im Wahlrecht, die, einzeln betrachtet, einem alle nicht sonderlich revolutionär vorkommen mögen. In vielen Punkten handelt es sich aber dennoch um einen praktischen Fortschritt. Da Wahlrechtsänderungen alle Parteien betreffen, ist es wichtig, dass der Gesetzentwurf nicht von der Regierung, sondern aus der Mitte des Parlaments erarbeitet wurde.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Natürlich sind die Wünsche unterschiedlich, so unterschiedlich wie die eben hier in den Zwischenrufen vertretenen Standpunkte. Ich bin den Kollegen und Kolleginnen aus der CDU dankbar, dass sie im Ausschuss eine artikelweise Abstimmung angeregt haben, sodass transparent wurde, wer welchen Teil für zustimmungsfähig hält und welchen nicht.

So gingen die Änderungen im Volksabstimmungsgesetz dem Kollegen Breyer erwartungsgemäß nicht weit genug.

(Beifall PIRATEN)

Den Kollegen von der CDU hingegen gingen sie schon zu weit. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wie macht man da einen Kompromiss, den alle tragen sollen? Bemerkenswert ist allerdings, dass die PIRATEN bei der Schlussabstimmung die Änderungen trotzdem mitgetragen haben und die CDU sich zumindest enthalten hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: So schlimm sind die Änderungen im Volksabstim

(Petra Nicolaisen)

mungsrecht gar nicht. Der Herr Kollege Breyer wird Ihnen wahrscheinlich gleich erklären, dass die Änderungen geradezu harmlos sind und sich gar nichts ändert.

(Beifall PIRATEN)

Da könnten Sie dem doch eigentlich zustimmen!

Einzig die FDP konnte sich nicht durchringen, irgendeinem Punkt zuzustimmen, auch nicht dem uneingeschränkten aktiven Wahlrecht für Menschen mit Behinderung. Das haben Sie abgelehnt. Oder dem Kostenausgleich für die Kommunen für die Mehraufwendungen: Das haben Sie im Ausschuss auch abgelehnt, ich weiß nicht, warum. Vielleicht war es bewusst, vielleicht unbewusst. Auch das können Sie heute noch ändern.

Zum ersten Mal wird in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in dieser Woche der pauschale Wahlrechtssauschluss von Menschen mit Behinderung, die eine gesetzliche Betreuung in allen Angelegenheiten haben, gestrichen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

- Lieber Kollege Breyer, ich wusste genau, dass das kommt. Aber glauben Sie mir: Wenn wir bei einigen Dingen einer Meinung sind, so bedeutet das nicht unbedingt, dass wir Ihnen gefolgt sind. In Nordrhein-Westfalen regieren die PIRATEN gar nicht mit!

(Zuruf Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

- Ja, aber sie regieren nicht mit, der Antrag kam von der Regierung! Herr Kollege Breyer, Sie erinnern mich manchmal an einen Menschen, der an einer vollbefahrenen Autobahn steht, immer winkt, sagt: „Weiterfahren!“, und glaubt, dass die Autos nur wegen ihm weiterfahren!

(Heiterkeit und Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Was wir wirklich von Ihnen übernommen haben, sind die dokumentenechten Stifte - das ist korrekt.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Was wir auch von Ihnen übernommen haben, war die Anregung, den Stichentscheid nicht nur im kommunalen Bürgerbeteiligungsrecht zu machen, sondern auch im Volksabstimmungsrecht einzuführen. Das ist richtig.

An dem Thema Wahlrechtsausschluss für Menschen mit Behinderung aber sind wir schon länger

dran. Schließlich hat sich Deutschland in der UNBehindertenrechtskonvention längst dazu verpflichtet. Seitdem wird auf Bundesebene, auch in der Großen Koalition, endlos geprüft, weil die Bedenkenträger, die weniger in der Politik als bei den ausführenden Stellen sitzen, das mit ihren Prüfungen auf die lange Bank schieben.

Wir haben gesagt: Wir haben uns verpflichtet. Die anderen Gründe haben wir im Ausschuss erörtert. Jetzt machen wir das erst einmal!

(Vereinzelter Beifall SPD)