Protocol of the Session on June 9, 2016

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schere zwischen Arm und Reich - auch dieser Satz wird immer wieder wiederholt; leider ist er immer noch

(Dr. Ralf Stegner)

richtig - klafft immer weiter auseinander, auch in der Altersversorgung. Zunehmende Altersarmut ist sozialpolitischer Sprengstoff für diese Gesellschaft. Da teile ich ganz ausdrücklich das, was der Kollege Stegner am Ende seiner Rede gesagt hat.

Für uns Grüne spielt beim Thema Rente die Generationengerechtigkeit eine große Rolle. Wir müssen immer versuchen, die Waagschale auf gleicher Höhe zu behalten, was die Beitragszahlerinnen und die Beitragszahler und die Rentenempfängerinnen und die Rentenempfänger angeht. Es ist nicht einfach. Deswegen begrüße ich auch, dass hier deutliche Worte zur Steuerfinanzierung der Rente gefunden worden sind.

Wir Grüne sind für eine Garantierente. Wobei ich da nur sagen kann: Bei uns heißt das Garantierente, in anderen Parteien heißt das anders. Auch da ist es wichtig: Wie hoch ist die Rente? Was haben die Bürgerinnen und Bürger im Alter zu erwarten, zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben, wo sie nur noch sehr begrenzt Einfluss darauf nehmen können, wie ihre Lebensbedingungen sind?

Wir brauchen ein Dreisäulenmodell - auch da sind wir dicht beieinander. Neben der gesetzlichen Rente brauchen wir eine betriebliche und eine private Altersvorsorge, es muss staatliche Anreize geben, und wir müssen uns auch dringend noch einmal über die Auswirkungen der Riester-Rente unterhalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja!)

Das ist so, wie es derzeit im Raum steht, alles sehr, sehr kritisch zu sehen - um es einmal vorsichtig zu formulieren.

Was wir Grüne nicht wollen, ist eine Begünstigung der Besserverdienenden. Was wir nicht wollen, ist eine weitere Verschiebung des Themas, und was wir auch nicht wollen, ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Da sind wir beieinander. Darüber freue ich mich sehr.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen mit Ihnen im Sozialausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD, SSW und Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Für die Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Wolfgang Dudda das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich danke der FDP-Fraktion ausdrücklich für ihren Antrag. Es ist unmöglich, in fünf Minuten dezidiert komplett auf den neunseitigen Antrag einzugehen. Ihn zur Beratung in den Sozialausschuss zu geben, ist sicherlich das Beste, was man damit machen kann.

Ich will eine Bemerkung der Kollegin Bohn aufgreifen, die beim Thema Rente vom sozialen Sprengstoff sprach. Ich erinnere an den Artikel von Tim Höttges in der „Zeit“ im Januar. Er hat in einem Interview gesagt, wenn wir das BGE, das bedingungslose Grundeinkommen, nicht als Sedativum einführen, damit die Bevölkerung nicht auf die Barrikaden geht, dann tun wir uns keinen guten Dienst. Ich möchte kein BGE als Sedativum für eine Bevölkerung, die ruhig gehalten werden soll, sondern ich möchte, dass die Bevölkerung sicher und sozial leben kann und von daher nie auf die Idee kommen würde, so auf die Barrikaden zu gehen, wie Herr Höttges das beschrieben hat. In diese Richtung verstehe ich auch den Antrag der FDP.

Das gibt mir die Gelegenheit, über das Thema Leistungsgerechtigkeit zu sprechen. Da bin ich beim Kollegen Stegner. Diese Leistungsgerechtigkeit führt zu einem Weg, der am Ende garantiert nicht an einer Bürgerversicherung unter Einsatz von Steuermitteln vorbeigeht.

Ich möchte gern beschreiben, warum das so ist. Das Rentenresultat eines 45 Jahre arbeitenden Menschen wird von ihm garantiert nicht unter Leistungsgerechtigkeit verbucht. Davon bin ich fest überzeugt. Denn sein Einkommen reicht zumeist gerade aus, um über die Runden zu kommen. Dass der Punkt, wer in der Lage ist, Kapital ins Alter zu transferieren, teilweise bei uns bestraft wird und damit leistungsfeindlich ist, geht damit einher. Aber das Einkommen eines Normalverdieners reicht zumeist - wenn überhaupt - nur dazu aus, um über die Runden zu kommen. Wenn am Monatsende etwas übrig bleibt, ist es momentan nicht möglich, davon nachhaltig noch private Altersvorsorge zu betreiben.

Im Übrigen macht er noch etwas anderes, von dem auch diejenigen profitieren, die sich am solidarischen System nicht beteiligen, er zahlt nämlich in die Krankenversicherung ein. Das ist ein solidarisches System, in dem Privatpatienten im Wartezimmer des Arztes den Kassenpatienten, die das bezahlen, die lange Nase zeigen und einen Termin an ihnen vorbei bekommen. Anders als in der gesetzli

(Dr. Marret Bohn)

chen Krankenversicherung bekommt der Privatversicherte, wenn er gesund geblieben ist, mehrere Monatsbeiträge zurück. Das sind Dinge, von denen ein gesetzlich Versicherter nur träumen kann, die er dann aber wahrscheinlich auch nicht nachhaltig in einer Rentenversicherung anlegen könnte. Allein der Betrag im Jahr 2014 an Erstattung für Privatpatienten lag bei 1,4 Milliarden €. Das ist Geld, über das sich auch gesetzlich Versicherte gefreut hätten.

Einen Punkt finde ich toll, Herr Garg, Ihr Dachdeckerbeispiel gefällt mir viel, viel besser als das Ihres Parteivorsitzenden Lindner. Der hat gesagt, irgendwann wird vielleicht aus dem Dachdecker, der auf dem Dach steht, derjenige, der die Drohne steuert, die das Dach vermisst oder für die jungen Kollegen Material nach oben bringt. Eine Drohne steuern im Dachdeckerbetrieb kann man durchaus auch noch mit 64 Jahren. Das ist insofern zutreffend, als es heute schon Drohnen mit Stahlseilen und Haken gibt, die nennen sich Kran. Für die Zusatzversorgungskasse des Dachdeckergewerbes - jetzt wird es interessant - werden mit dem seit dem 1. Januar 2016 gültigen Tarifvertrag Teile des tariflich garantierten 13. Monatsgehalts verwendet. Das heißt, da wird schon in das 13. Monatsgehalt eingegriffen, um die Zusatzversorgungskasse zu decken. Der vereinbarte Mindestlohn für einen Dachdecker liegt bei 12,05 € - ohne Zuschläge -, der Tariflohn liegt bei 17,64 €. Beim ersten Beispiel kommen wir auf 1.800 €, beim zweiten Beispiel auf 2.680 €. Letzteres führt zu einem Rentenanspruch von 1.153 €.

So etwas kommt dabei heraus, wenn sich nur die Drohnen an einem Rentensystem beteiligen und nicht alle. Deshalb bin ich dafür, eine Bürgerversicherung zu haben, so wie Herr Stegner das beschrieben hat, inklusive Einsatz von steuerlichen Mitteln. Ansonsten haben wir keine Leistungsgerechtigkeit.

Das Thema ist viel zu ernst, sich dem jetzt nicht zu stellen. Denn die Alterspyramide, so wie sie auch vom Kollegen Jasper beschrieben wurde, zwingt uns dazu, jetzt zu handeln. Vor dem Hintergrund ist der Antrag zur richtigen Zeit gekommen und braucht seine Beratung im Sozialausschuss. - Ich danke Ihnen.

(Beifall PIRATEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wie eine Gesellschaft diejenigen Bürgerinnen und Bürger finanziell absichert, die im Alter nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern, ist eine grundlegende Frage der Gerechtigkeit. Jede Bundesregierung hat dazu andere Antworten gefunden. Unabhängig von der Partei ging es immer darum, bislang benachteiligte Gruppen in das System zu integrieren. Das war beispielsweise der Fall, als die Erziehungsleistung der Mütter und Väter bei der Rentenberechnung berücksichtigt wurde. Die Anerkennung der Pflegeleistung steht dagegen noch aus. Wenn wir uns allerdings immer wieder über die angemessene Berücksichtigung einzelner Gruppen unterhalten, stützen wir ein System, das an sich überholt ist. Das ist das Paradoxe: Die Politik dreht an den Stellschrauben und verstellt damit den Blick auf die gesamte Maschine.

Es ist kein Geheimnis, dass sich der SSW schon seit Langem für einen Systemwechsel in der Alterssicherung ausspricht. Das deutsche System der Altersvorsorge weist Lücken auf und ist im Kern ungerecht. Und es ist ein großer Verdienst des vorliegenden Antrags, dass er viele Probleme konkret anspricht - so die Konsequenzen lückenhafter Erwerbsbiografien, die ungenügende Absicherung der Selbstständigen und der sogenannten Solo-Selbstständigen sowie die undurchsichtigen Angebote der privaten Versicherungswirtschaft. Das Rentensystem ist sehr kompliziert. Das ist die Folge immer neuer Reparaturbemühungen, die dem System immer neue Nebensysteme beschert haben. Ein normaler Beitragszahler blickt da überhaupt nicht mehr durch.

Eines tut dieser Antrag allerdings nicht, und zwar stellt er nicht die Frage nach der Gerechtigkeit des Systems, das Lohn für Lebensleistung verspricht, aber die Definition dessen, was Lebensleistung ist, nach Kassenlage entscheidet. Ohne gute aktuelle Verdienste sinken nämlich die Rentenpunkte. Das haben die Finanzkrisen gezeigt. So einfach ist das. Da kann man sich ein Leben lang angestrengt haben, zum Schluss zählt doch nur, was die aktuellen Beitragszahler einzahlen. Das ist meiner Meinung nach der falsche Weg.

Man muss also den Mut finden, neue Wege zu gehen, ohne gleichzeitig das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu erschüttern. Ich sehe auf Sicht keine Alternative zu einer Bürgerversicherung, die alle Erwerbstätigen und alle Einkommensarten einbezieht, also auch die Beamtinnen und Beamten.

(Wolfgang Dudda)

Steuerfinanzierte Alterssicherung ist gerecht, weil es die Lasten auf alle Schultern verteilt und das meiste davon auf die breitesten Schultern.

Wer allen Ernstes einem Erwerbstätigen, der Mindestlohn verdient, noch eine private Zusatzabsicherung aufbürdet, vertritt meiner Meinung nach ein zutiefst ungerechtes System. Denn selbst bei aller Informiertheit können viele Erwerbstätige sich Investitionen in ihre Alterssicherung schlichtweg nicht leisten. Sie geben ihr Geld aus und haben kaum etwas auf der hohen Kante. Die Bürgerversicherung ist darum für mich die einzige zukunftssichere Altersvorsorge, die diesen Namen auch verdient.

Bis zur Umsetzung der Bürgerversicherung müssen sich alle gesellschaftlichen Kräfte dafür einsetzen, dass das Niveau der Rentenversicherung nicht weiter abgesenkt wird. Das Risiko der Altersarmut steigt in den letzten Jahren enorm. Den Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik sollte eine ausreichende Grundrente und nicht nur eine Grundsicherung auf Hartz-IV-Niveau garantiert werden können.

Ich plädiere auch dafür, dass der vorliegende Vorschlag eingehend im Ausschuss beraten wird. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann hat jetzt die Landesregierung das Wort. Es spricht die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit.

Danke sehr, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Schutz vor Armut im Alter, eine Alterssicherung, die der Lebensleistung gerecht wird und ein würdevolles Auskommen ermöglicht; ich glaube ganz fest, dass dies für die Menschen im Land ein herausragendes Thema mit einer sehr großen Bedeutung ist. Ich finde, der Verlauf der Debatte eben hat bestätigt, wie das geschehen kann und wie dabei Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gesichert werden können. Darüber kann und muss gestritten werden, wobei auch heute deutlich geworden ist: Nicht nur unterschiedliche fachliche Ansätze, sondern vor allem unter

schiedliche Verständnisse von Gesellschaft, Verantwortung und Solidarität treffen hierbei aufeinander.

Ich glaube, das kann in einem gewissen Umfang auch gar nicht anders sein, wenn wir hier darüber debattieren. Dennoch warten die Menschen darauf, dass es Ergebnisse und ganz konkrete Resultate gibt und dass es keinen Streit um seiner selbst willen gibt. Insofern scheint es mir angesichts der bekannten Kompetenzverteilungen im Bereich der Alterssicherung offensichtlich, dass der Antrag sinnvollerweise eher im Bundestag als im Landtag hätte gestellt werden müssen. Darauf, warum das der FDP vielleicht nicht möglich war, ist aber schon jemand anders eingegangen.

Ich finde auch, dass es ganz spannende Aspekte gibt, die der Antrag aufgreift. Dies betrifft die Entwicklung von Sicherungsmodellen für einen strukturell veränderten Arbeitsmarkt ebenso wie die Frage, in welchem Umfang die bestehenden Säulen der Altersvorsorge entwickelt und gestärkt werden müssen. Dies geschieht im Antrag allerdings aus einer Perspektive und einer Schwerpunktsetzung heraus, die, das möchte ich für die Landesregierung ganz klar sagen, aus unserer Sicht so nicht nachvollzogen werden kann und zum Teil auch fragwürdige Akzente setzen. Es ist zum Beispiel unstrittig, dass das traditionelle dauerhafte Vollzeitarbeitsverhältnis eben nicht mehr in dem Umfang besteht und in Zukunft bestehen wird, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Ich darf zu dem euphorischen Ausblick des Antrags, eine Arbeitswelt, die Freiheit und Flexibilität in jeder Lebenslage bietet und Selbstverwirklichung ganz neu ermöglicht, sagen: Dies zeigt meiner Ansicht nach, dass der Antragsteller vielleicht einen anderen Ausgangspunkt hat als die Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Dies gilt meiner Erfahrung nach auch für die Lebenswirklichkeit vieler hart arbeitender Selbstständiger.

Ebenso wird das Thema kapitalgedeckte Zusatzversicherung in der Wahrnehmung ganz vieler Menschen nicht erst durch das aktuelle Zinsniveau skeptisch gesehen. Ich erinnere an den Kollaps USamerikanischer Pensionsfonds in der Finanzkrise 2008. Das Vertrauen in private Vorsorgeprodukte ist dadurch massiv geschädigt worden, und ich finde, das dürfen wir in dieser Debatte nicht ausblenden.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Ja, da kann durchaus geklatscht werden!

(Flemming Meyer)

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Im Übrigen ist es nicht so, wie es im Antrag behauptet wird, nämlich dass das normative Bild eines unbefristeten Vollzeitangestelltenverhältnisses jede sozialpolitische Debatte prägt. Richtig ist, dass diese Beschäftigungsform in der Regel nach wie vor Grundlage für eine existenzsichernde Alterssicherung darstellt. Die Frage, wie angesichts der sich verändernden Arbeitswelt und der auch gewollten anderen Berufsbiografien eine gute Kombination von Sicherheit und Flexibilität hergestellt werden kann, wird anderenorts schon sehr viel länger diskutiert. Ich will nur ganz kurz auf das durch das Bundesarbeitsministerium organisierte aktuell laufende gesamtgesellschaftliche Programm, auf den Dialog zum Grünbuch Arbeiten 4.0, verweisen. Dabei geht es um die umfassenden Chancen und Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt von morgen und auch um die Gestaltung einer generationsgerechten Alterssicherung.

Wer das ein bisschen verfolgt hat, der weiß, dass dies ein ganz spannender partizipativer Ansatz ist, der sowohl die Funktionsperspektive der Sicherungssysteme einbindet als auch die unterschiedlichen Zielgruppen anspricht, auf sie zugeht und nach deren Erfahrungen, Anforderungen und Ideen fragt. Dieser Prozess ist übrigens auch bei der ASMK ganz präsent und wird dort begleitet. Wenn wir die ASMK in diesem Jahr hier bei uns austra

gen, werden wir dies mit auf der Agenda haben. Wir sind ja das vorsitzende Land.

Nicht nur vor diesem Hintergrund kann ich für die Landesregierung feststellen: Wir beteiligen uns an der von Ihnen aufgegriffenen Debatte, aber es hätte dieses Antrags nicht bedurft, damit wir dies tun. Wir werden diese Fragen weiter diskutieren. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag mit der Drucksachennummer 18/4217 an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.