Protocol of the Session on June 8, 2016

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/4249 (neu)

c) Windkraft mit den Menschen ausbauen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/4271 (neu)

Energiewende mit dem Bürgerwillen in Einklang bringen

Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/4297

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.

Mein Vorschlag zur Worterteilung: zuerst die Landesregierung mit der Regierungserklärung, dann die Fraktion der FDP als Antragstellerin zu b) und danach die Fraktion der CDU als Antragstellerin zu c), anschließend die Fraktionen nach Stärke. - Ich sehe, das findet Ihre Zustimmung.

Das Wort hat nunmehr Herr Ministerpräsident Torsten Albig.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ziemlich genau vor 30 Jahren hat die Katastrophe von Tschernobyl unter anderem radioaktives Caesium-137 freigesetzt. Caesium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Wir haben jetzt also gerade noch halb so viel strahlendes Caesium-137 wie zum Zeitpunkt des großen Unglücks im April 1986.

Damals haben wir alle mehr gebetet als tatsächlich gehofft, dass die Milch, der Salat, alles das, was wir essen, dass der Regen, der auf uns niederprasselt, nicht zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen.

Ich möchte Ihnen zu Beginn meiner Regierungserklärung noch einmal bewusst in Erinnerung rufen, dass Tschernobyl, dass Fukushima, dass das, was wir mittlerweile wissen über die Wirkung von CO2 auf unser Klima, die Erde verändert haben, weil wir durch das von Menschen emittierte CO2 die Erde verändern. Wegen Fukushima, wegen Tschernobyl und wegen der CO2-Emissionen haben wir uns bewusst dazu entschieden, die Energiewende als politische Antwort für die nächsten Generationen möglich zu machen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir wollen eine Antwort geben, die verantwortlicher ist als das, was Generationen vor uns getan haben. Wir wollen die Antwort im Dialog mit den Menschen, mit den Bürgerinnen und Bürgern finden - aber eben auch in Verantwortung vor den nächsten Generationen. Wer auf Atomstrom und auf fossile Brennstoffe verzichten will, dem bleibt nur eines, das Setzen auf erneuerbare Energien.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deswegen ist es nicht vermessen, wenn wir sagen, dass die Energiewende tatsächlich nichts weniger

(Präsident Klaus Schlie)

als ein Jahrhundertprojekt ist - ein energiepolitisches, ein industriepolitisches, aber wohl noch mehr ein gesellschaftspolitisches Jahrhundertprojekt, weil wir die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen und wie wir, Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren, komplett verändern. Dieses Jahrhundertprojekt hat für Schleswig-Holstein bereits ungeahnte Wachstumsperspektiven und eine hohe Wertschöpfung hervorgebracht. Allein über die EEGVergütung, die so oft in der Kritik steht, flossen im Jahr 2014 1,7 Milliarden € in unser Land. Viel Wind und neue Anlagen dürften im vergangenen Jahr die EEG-Vergütung auf über 2 Milliarden € angehoben haben.

Die Energiewende wird intensiv beobachtet - nicht nur bei uns, sondern weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Deutschland hat an einem windigen und sehr sonnigen Tag vor ein paar Wochen bereits 86 % seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien erzeugt. Das schaffen wir noch nicht an jedem Tag, jedenfalls nicht in Deutschland, aber wir sind auf dem Weg. Die Welt schaut auf Deutschland, auch und gerade auf Schleswig-Holstein, ob wir das miteinander hinbekommen, das heißt, ob wir den eingeschlagenen Weg weitergehen oder in die Fehler der Vergangenheit zurückfallen.

Schleswig-Holstein ist die treibende Kraft beim Umsetzen dieses großartigen Jahrhundertprojektes. Das ist eine beeindruckende Leistung, und darauf dürfen wir stolz sein.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich will aber nicht drum herumreden: Wir wissen, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir nachjustieren müssen. Wir müssen innehalten und überprüfen, ob jeder bisherige Schritt richtig war, ob die Richtung genau stimmt und die Geschwindigkeit die richtige ist. Dabei gilt es, die Fragen zu beantworten: Was haben wir bisher geschafft? Was sind die Herausforderungen, die vor uns liegen? Wie gehen wir gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern die nächsten Schritte? - Denn eines gilt nach wie vor: Die Akzeptanz für die Energiewende muss erhalten bleiben. Eine so bedeutende, großartige Umwälzung der Energie- und Industriepolitik, aber eben auch der Gesellschaftspolitik kann am Ende nie gegen die Menschen, sondern immer nur mit den Menschen in unserem Land erfolgreich sein.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Ja, wir müssen anerkennen, dass unsere Windplanung nach dem Urteil des OVG Schleswig grundsätzlich überarbeitet werden musste. Ja, wir sehen, dass wir den Ausbaukorridor strecken müssen. Wir werden nicht so schnell vorankommen, wie wir es noch im vergangenen Jahrzehnt miteinander geplant hatten - auch weil wir die Menschen auf dem Weg nicht verlieren wollen. Ja, wir sehen, es gab gerade vor der Jahrtausendwende, als wir noch keine geordnete Planung hatten, Wildwuchs. Es gibt Ecken im Land, wo ich die Menschen sehr gut verstehen kann, wenn sie sagen: Die Menge an Mühlen um uns herum bedrückt uns. Wir erkennen unsere Landschaft nicht wieder.

Ja, wir sehen: Nicht alle haben der Geschwindigkeit von Schleswig-Holstein folgen können. Der Netzausbau im Rest der Republik entspricht nicht dem, was wir erwarten. Das ist aber nicht das Problem unserer Windmüller, sondern das Problem derjenigen, die die Netze dafür zur Verfügung stellen sollten, aber - aus welchen Gründen auch immer - damit nicht im Zeitplan liegen.

Meine Damen und Herren, wir in Schleswig-Holstein haben - gemessen an dem Jahrhundertprojekt, das ich soeben beschrieben habe - Verantwortung für den Ausbau der erneuerbaren Energien und damit auch Verantwortung für unser Gemeinwesen übernommen.

Wo kommen wir in Bezug auf die Energiewende her? Wir in Schleswig-Holstein produzierten mit drei Atommeilern und ein paar konventionellen Kraftwerken 42 TWh Strom; das entsprach damals 300 % des schleswig-holsteinischen Stromverbrauchs. Die 42 TWh sind und bleiben das energiepolitische Ziel meiner Landesregierung. Ich hoffe davon gehe ich aus, wenn ich die Anträge richtig interpretiere -, es bleibt unser gemeinsames Ziel, dass wir diese gesellschaftliche Leistung erbringen. Das, was früher unter Nutzung der Atomkraft und unter Ausstoß von CO2 produziert wurde, soll künftig unter Nutzung der Sonne und der Biomasse, aber vor allem unter Nutzung des Windes produziert werden. Das ist unsere Antwort auf die Herausforderungen.

300 % des schleswig-holsteinischen Stromverbrauchs waren es damals. Wir haben in der Aufstellung alle miteinander nicht hinreichend berücksichtigt, dass dies in einer Gesellschaft, die immer mehr Energie verbraucht, wohl nicht mehr möglich ist. Deswegen ist es vernünftig, wenn wir sagen: 300 % - das überfordert uns vielleicht doch. Aber 42 TWh - das entspricht dem, was drei Atomkraftwerke geleistet haben - wollen wir als politisches Ziel nicht

(Ministerpräsident Torsten Albig)

aufgeben. Man kann es aufgeben, aber wir wollen es nicht aufgeben. Wir halten es für ein richtiges und notwendiges gesellschaftspolitisches Ziel. Deswegen halten wir daran fest und werden uns daran messen lassen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aber wir lernen auch bei der Energiewende - wir werden diese Feststellung noch deutlicher in den Mittelpunkt stellen -: Nichts ist ohne Preis! Wir hatten in der Zeit der Euphorie der Energiewende das Gefühl, wir könnten etwas in der Welt verändern, ohne dass dies auch mit negativen Folgen verbunden sein würde.

Doch, es gibt auch bei der Energiewende negative Folgen. „There is no lunch for free”, gilt auch hier. Deswegen ist es wichtig, den Weg, den wir weitergehen müssen, gemeinsam mit den Menschen zu gehen. Wir müssen gemeinsam mit ihnen die beste Lösung suchen. Es ist unsere Aufgabe, für die Energiewende zu werben, aber eben auch deutlich zu machen, dass wir Kompromisse eingehen müssen. Wir haben die Nachteile, die die Energiewende - auch die Windenergie - mit sich bringt, so gegeneinander abzuwägen, dass wir eine kluge, vernünftige Balance finden. Bei alledem dürfen wir nie vergessen, dass wir von Tschernobyl und Fukushima herkommen und auf diese Herausforderungen eine Antwort geben. Auch dies müssen wir immer mit erzählen.

Mit den Herausforderungen ist es übrigens nicht vorbei. Ich höre in Veranstaltungen oft: „Kommen Sie mir doch nicht immer mit Tschernobyl! Kommen Sie mir doch nicht immer mit Fukushima! Das ist Vergangenheit!“ - Nein, ist es nicht! Im Mai dieses Jahres habe ich gemeinsam mit dem Herrn Landtagspräsidenten Japan besucht. Dort haben wir gesehen, dass die Nutzung der Atomkraft ein großes Thema ist. In Japan wird darüber diskutiert, ob die Atommeiler wieder angeschaltet werden sollen. Es ist mitnichten so, dass die gesamte japanische Gesellschaft begeistert davon ist; das ist sie nicht einmal bis in die Spitzen der Politik hinein. Auch in Japan - dort haben die Menschen Fukushima unmittelbar erlebt - ist also die Frage zu beantworten, wie die Zukunft der Energiegewinnung aussehen soll.

Wir gehen in einen sehr schwierigen Dialog, in einen Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern. Beim Thema Netzausbau ist Robert Habeck überall im Land unterwegs, um sich der Diskussion zu stellen und sich mit allen Argumenten auseinanderzu

setzen. Unser Ziel ist es aber nicht, in jedem Gasthof dem nachzugeben, was dort die Mehrheitsmeinung ist, sondern wir wollen auch erklären, warum wir bestimmte Wege gehen müssen.

Wir sehen, dass wir heute, im Jahr 2016, auf dem Weg des Erklärens besser dastehen als viele andere deutsche Länder. Wir sind, was unsere Westküstenleitung angeht - 2019 ist das Ziel -, im Plan; andere sind es nicht. Wir sehen aber auch, dass uns das OVG-Urteil in unserer Zeitplanung zurückgeworfen hat. Die Richter haben für uns quasi die ResetTaste gedrückt und ein komplettes Neudenken der Windplanung erzwungen.

Wir tun das alle miteinander, auch auf Regionalkonferenzen. Über 3.000 Bürgerinnen und Bürger haben mitgemacht. Unsere große Aktion zur Bürgerbeteiligung ist Ausdruck dessen, dass wir zum Dialog über die Zukunft der Windenergie bereit waren und sind. Wir sind stolz auf diese Debatte, die übrigens keine leichte ist. Wir haben ordentlich Gegenwind gespürt, übrigens in beide Richtungen. Egal, in welche Richtung wir argumentiert haben, es gab immer Gegenwind. Wir sind in der Fachdebatte intensiv mit den Argumenten befasst und lassen insoweit auch nicht nach.

Dialog heißt aber nicht, dass wir uns der Beliebigkeit hingeben. Wir gehen in den Dialog mit einer klaren Richtung, einer klaren Wertvorstellung. Wir wissen, wo wir hinwollen. Dialog heißt, zum Teil gegensätzliche Belange und Schutzgüter in Einklang zu bringen und dies den Menschen so zu erklären, dass sie es nachvollziehen können. Die Menschen wollen sich ernst genommen und respektiert sehen. Dialog heißt nicht, widerstreitenden Interessen, je nachdem wer vor mir steht, beliebig nachzugeben. Das wäre kein Dialog, sondern Opportunismus.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir sind auf dem Weg zu einer verbindlichen Ausweisung von Vorranggebieten, abgeleitet aus rechtssicheren Kriterien. Am Ende dieses Prozesses - im Spätsommer werden wir uns im Kabinett damit befassen - muss die Entscheidung über folgende Fragen stehen: Was sind die Vorranggebiete? Wo gelten harte, wo weiche Tabukriterien, die eine Vorranggebietsausweisung verhindern?

Wie bekommen wir eine rechtssichere Planung, die für das ganze Land mit den gleichen Kriterien gilt? Wie viel Abstand brauchen wir, und wie viel Abstand können wir uns leisten, um unser gemeinsames energiepolitisches Ziel zu erreichen: 42 TWh?

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Man kann das herunterbrechen. Wenn wir beim Flächenverbrauch je Megawatt ordnungspolitisch ehrgeiziger sind - wir haben jetzt eher 4 ha je Megawatt -, wenn wir dies auf deutlich unter 3 ha bringen, indem wir auf Innovation hoffen, indem wir aber auch ordnungspolitisch darauf einwirken, werden wir für die 42 TWh und die dahinterstehenden 12,5 GW 2 % der Landesfläche benötigen.

Wer das nicht will, der muss sagen, dass er von dem energiepolitischen Ziel, Atomkraft zu ersetzen, abweichen will. Wer das will, muss eine Antwort geben, wie ich auf 2 % der Landesfläche komme, die dann mit Wind bespielt wird. Wer das will, der hilft uns nicht, wenn er einzelne Schutzgüterabwägungen opportunistisch oder populistisch gegeneinanderstellt,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

indem er so tut, als seien uns Naturschutzgüter wertvoller als der Schutz von Menschen. Dem ist nicht so.

Nehmen wir das Beispiel Seeadler. Das wird gern gebracht, um uns vorzuhalten, dass der Tierschutz für uns wichtiger wäre als der Schutz der Menschen. Warum bekommt der Seeadler 3.000 m Abstand und Menschen auf einem einsam gelegenen Bauernhof nur 400 m? Ist uns der Adler siebenmal mehr wert als der Mensch?

Nein, meine Damen und Herren, Sie wissen, dass das nicht so ist. Es geht immer darum, den angemessenen Schutzabstand für das jeweils schützenswerte Gut zu ermitteln. Bei einem Seeadler und einem einsam gelegenen Bauernhof habe ich unterschiedliche Beurteilungskriterien.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Beim Seeadler geht es um das Überleben einer seltenen Art, für das wir in Schleswig-Holstein - jedenfalls ist das meine Überzeugung; darüber kann man streiten - eine große Mitverantwortung haben.

(Lachen CDU und FDP)