Protocol of the Session on February 18, 2016

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Irgendetwas in der öffentlichen Debatte in Deutschland läuft anscheinend falsch. Wir als Gesellschaft haben es im vergangenen Jahr hinbekommen, 1 Million Menschen in unser Land aufzunehmen - ohne dass es zu großen politischen Verwerfungen gekommen ist, ohne dass unsere Wirtschaft zusammengebrochen ist, ohne dass unsere

(Eka von Kalben)

Schulen nicht mehr wissen, wie sie Unterricht abhalten sollen, ohne dass es zu großen Aufständen gekommen wäre. Es ist nicht so, dass es keine Probleme gegeben hätte; es gab und gibt viele Probleme. Aber gemessen an der Größe der Herausforderung hat diese Gesellschaft auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass sie der Aufgabe gerecht geworden ist - als eine der wenigen Gesellschaften in Europa.

Dies müsste eine große Zeit für die Parteien sein, die für diesen Staat stehen. Das sind die Parteien, die in diesem Hohen Hause vertreten sind und debattieren. Diese Parteien müssten eigentlich an Zuspruch in der Bevölkerung gewinnen, weil sie zeigen, dass sie - bei allem Streit im Detail - Antworten geben können und sich weder verstecken noch in irgendeinen populistischen Unsinn fliehen. Wir müssten also erleben, dass die Volksparteien, die kleinen wie die großen, großen Zuspruch von der Bevölkerung erhalten.

Tatsächlich erleben wir, dass meine Partei in Umfragen vor den Landtagswahlen dramatisch verliert. Aber davon profitiert die Union nicht, und auch andere in diesem Parlament vertretene Parteien haben kaum Vorteile davon. Dagegen steigt eine Partei, die wir alle hier im Parlament nicht haben wollen, in den Umfragen auf hohe zweistellige Werte. Was genau läuft also schief in der Debatte in unserem Land?

Trotz aller Probleme, die wir zweifellos haben, können wir insgesamt doch eine Erfolgsgeschichte erzählen. Unsere Gesellschaft leistet etwas, was sie sich noch vor einem Jahr im Leben nicht zugetraut hätte.

Ich möchte das Problem festmachen an der Herausforderung, die heute schon formuliert wurde und um die es scheinbar geht - Herrn Günther hat es auch schon gesagt -: Wir müssen die Flüchtlingsfrage lösen. Das erwarten die Menschen von uns.

Wenn wir diese Frage falsch unterlegen und fragen, was die Flüchtlingsfrage eigentlich ist, dann - davon bin ich zutiefst überzeugt - bereiten wir das Feld für unsere Niederlage, für die Niederlage der Demokraten. Wenn die Flüchtlingsfrage tatsächlich wäre, wie es uns nachhaltig gelingt, dass nicht 1 Million, sondern nur noch 200.000 Menschen zu uns kommen, und wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern zeigen müssen, dass es nur noch diese 200.000 sein werden, dann werden wir an dieser Fragestellung scheitern. Denn es ist schlicht so das wissen wir alle, die wir hier sitzen und diskutieren -, dass wir als Gesellschaft diese Antwort auf

diese Frage nicht geben können. Die Antwort hängt nämlich davon ab, ob in Syrien Frieden herrscht, ob die humanitäre Situation in den jordanischen, libanesischen und irakischen Lagern akzeptabel ist und ob es europäische Solidarität gibt. Nicht beantwortet wird die Frage durch die Asylpakete I, II und III - oder welche Ordnungszahlen noch folgen werden. Wir wissen das, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich beteilige mich an den Debatten, aber insbesondere an der Suche nach Lösungen. Auch wenn ich nicht jeden einzelnen Punkt für richtig halte, wird das Asylpaket II nächste Woche den Bundesrat passieren. Es ist übrigens, wie Sie alle wissen, kein Zustimmungs-, sondern ein Einspruchsgesetz. Deswegen bedarf es auch nicht der Zustimmung des Landes Schleswig-Holstein. Alle Ministerpräsidenten haben in der Runde bei der Bundeskanzlerin zugesichert, nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen, obwohl viele Punkte im Detail von uns nicht mitgetragen werden können. Voraussetzung ist, dass das, was der Bundesinnenminister vorlegt, dem entspricht, was wir in der Runde vereinbart haben.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Es war jedenfalls so, dass man das gestern nicht hätte zurechtweisen müssen.

Wir haben Streit über die Frage der Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten; eine solche Regelung wäre zustimmungsbedürftig. Darüber wird im Sommer zu entscheiden sein. Die Aussage zu dieser Frage lautet: Wenn der Bundesaußenminister etwas vorlegt, was auch für die Koalitionsländer zustimmungsfähig ist, dann wird es wahrscheinlich auch die Mehrheit der rot-grünen Länder bekommen. Bisher ist nichts vorgelegt, was zustimmungsfähig ist, sodass nicht einmal das schwarzgrüne Land Hessen wird zustimmen können.

Die Debatte, die wir in diesem Zusammenhang führen, dreht sich um sehr wenige Menschen. Diese Debatte dreht sich um 30.000 Menschen aus den Maghreb-Staaten.

Wir hingegen diskutieren nun über 1 Million Menschen, die zu uns kommen. Bei 1.700 Menschen ringen wir um den Familiennachzug; das wiederum sind lediglich 1.700 Menschen von 1 Million, über deren Bedeutung wir für dieses Land nachdenken.

Was glauben Sie, welchen Eindruck die Menschen bekommen, wenn wir ihnen als relevante Flüchtlingsfrage nennen: Wie kann die Zahl der Flüchtlin

(Ministerpräsident Torsten Albig)

ge reduziert werden? Es gehe demnach darum, von einem Zuzug von 1 Million Menschen auf einen Zuzug von 200.000 zu gelangen. Wir diskutieren hier nun aber über eine Fallgröße von 1.700. Dann stellen wir nach Beschließen des Asylpakets II - unabhängig davon, ob es richtig oder falsch ist - fest: Wie über Anträge von 1.800 Menschen entschieden wird, ändert nichts am Gesamtzuzug. Die Menschen werden enttäuscht zurückweichen und sagen: „Die Politiker beantworten die selbstgestellte Frage nicht.“ Die Frage muss aber beantwortet werden. Man muss auch über solche Fragen reden.

Wir könnten es zur Flüchtlingsfrage machen, diese Menschen zu integrieren. Wenn wir das können und dadurch Vorbild für Europa werden, dann können wir wie keine andere Gesellschaft auf dieser Welt zeigen: Wir können die Flüchtlingsfrage mit Ja beantworten, meine Damen und Herren, weil wir die Menschen integrieren können. Wir zeigen das dieser Tage an dieser Stelle in diesem Land an so vielen Orten.

Wir stellen die falsche Frage. Die Menschen bekommen jeden Tag von uns gesagt, wir müssten den Zuzug auf 200.000 Menschen reduzieren, sonst breche Deutschland zusammen. Was sollen die Menschen denn dann tun? Das ist die Frage von Volksparteien, auch von meinen Parteikollegen in Berlin. Die Menschen verlieren den Glauben an uns, wenn wir ihnen nicht beschreiben, welchen Erfolg wir gerade bei den Einzelfragen im Detail haben. Was sollen die Menschen noch glauben, wenn wir unsere eigene Aufgabenstellung unterlaufen? Über unsere Erfolge weigern wir uns, als politische Klasse zu reden. Jeden Tag lese ich hingegen in der Zeitung, dass dieses Land zusammenbricht, wenn nicht bald irgendetwas passiert.

Ich prognostiziere: Das Asylpaket II - es wird nächste Woche beschlossen - wird an der Frage, ob sich eine weitere Million Menschen aus Syrien, aus den zusammenbrechenden Strukturen, auf den Weg machen, nichts, aber auch gar nichts ändern, weil es das Asylpaket II nicht vermag.

Ob unsere österreichischen Freunde täglich nur noch 80 Asylanträge bescheiden, wird an der Frage, ob die Menschen flüchten, überhaupt nichts ändern. Ob wir aber in der Lage sind, internationale Solidarität zu organisieren, ob wir die Bundeskanzlerin dabei unterstützen, mit aller Kraft Erfolg in Europa zu haben, ob wir Deutschland dazu bringen, Vorbild bei der Ausstattung internationaler Lager in Jordanien und im Libanon zu sein, das kann Antworten auf die Frage geben, wie viele Menschen flüchten.

Lassen Sie uns endlich beginnen, die Menschen, die zeigen, dass wir auf die Flüchtlingsfrage eine Antwort haben, in den Mittelpunkt zu stellen. Wir können die Frage lösen. Ich war vorgestern in der Wik und habe Franny Petersen-Storck, Lavanya Boesten und Ingeborg Achse sowie vielen anderen die kleine Plakette „Schleswig-Holstein hilft“ überreicht. Das sind drei Beispiele dafür, dass wir die Flüchtlingsfrage lösen. Menschen machen sich auf den Weg, streichen ein altes Haus an, sorgen dort für Wärme, Herzlichkeit, Zuwendung und machen Integration im Alltag erlebbar. Diese Menschen lösen die Flüchtlingsfrage.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Wenn wir über diese Menschen nicht beginnen zu berichten, meine Damen und Herren, und diese stärker in den Mittelpunkt unserer Debatte zu stellen, dann werden wir eine Niederlage erleben und unsere eigenen Gräber schaufeln.

Nichts wird kleingeredet. All die Probleme sind vorhanden. Aber das eigentliche Problem wird nicht hier im Landtag, wird nicht im Bundestag entschieden, sondern ist eine verrückt gewordene, zusammenbrechende Welt.

Den Menschen vorzugaukeln, wir hätten eine Antwort über ein Asylpaket, ist töricht. Denn die Menschen werden erleben, dass wir diese nicht haben. Dann folgen sie irgendwelchen Rechtspopulisten mit leichten Antworten.

Wir werden nicht verhindern können, dass es in unserer Welt Rassisten gibt. Diese gibt es in jeder aufgeklärten Gesellschaft. Wir müssen das als Demokraten ertragen und uns gegen diese mit aller Härte wenden. Wir können nur bei denjenigen werben, die anfällig sind, diese zu wählen. Wir können diesen die richtige Geschichte erzählen, von unseren richtigen Erfolgen berichten.

Sind folgende die richtigen Fragen: Bricht Deutschland gerade zusammen? Versagen wir gerade? - Ich sage Ihnen: Nein. Wir müssen einen großen Aussagesatz machen: Deutschland zeigt gerade - wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg - seine Stärken. Deutschland zeigt gerade, wofür Deutschland in Europa da ist, nämlich zu zeigen, dass man internationale Solidarität leben kann.

Wenn wir diese Geschichte nicht erzählen, dann ist all das, was wir gegen die AfD erzählen, völlig sinnlos. Lassen Sie uns endlich die richtige Geschichte erzählen. Dann werden wir auch Erfolg haben. - Danke.

(Ministerpräsident Torsten Albig)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, FDP, vereinzelt CDU und PIRATEN)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung. - Es ist beantragt worden, in der Sache abzustimmen.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 18/3880, abstimmen. Wer diesem seine Zustimmung erteilen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Abgeordneten der Piratenfraktion. Wer lehnt diesen Änderungsantrag ab? - Das sind die Abgeordneten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist gegen die Stimmen der Piratenfraktion der vorliegende Änderungsantrag mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Ich lasse abstimmen über den Antrag der Fraktion von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW, Drucksache, 18/3827. Wer diesem Antrag seine Zustimmung erteilt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Abgeordneten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Piratenfraktion. Wer lehnt diesen Antrag ab? - Das sind die Abgeordneten der FDPund CDU-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SSW sowie PIRATEN gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen.

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir gemeinsam eine weitere Besuchergruppe auf der Tribüne, und zwar die Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule Kronshagen sowie des Gymnasiums Elmschenhagen aus Kiel. - Herzlich willkommen im Kieler Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Stand und Fortführung der Exzellenzinitiative

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/3835

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dies einstimmig so beschlossen.

Ich erteile nun für die Landesregierung der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen heute zu berichten. Ende Januar hat die internationale Expertenkommission Exzellenzinitiative zur Förderung der universitären Spitzenforschung unter dem Vorsitz von Herrn Professor Dieter Imboden ihren Endbericht vorgelegt. Das ist ein guter Anlass, über die Bilanz und weitere Perspektiven der Initiative zu sprechen.

Die Exzellenzinitiative hatte bekanntlich das Ziel, die deutschen Universitäten für den schärfer werdenden nationalen, vor allem aber auch internationalen Wettbewerb zu stärken - mit Erfolg. Die Kommission bilanziert einen tiefgreifenden Veränderungsprozess der bundesdeutschen Hochschul- und Forschungslandschaft.

Heute ist Konsens, meine Damen und Herren, Hochschulen gezielt in den Bereichen, in denen sie ihre Stärken haben, zu fördern und weiter auszubauen. Es ist inzwischen selbstverständlich, hochschulübergreifend mit anderen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Das ist außerordentlich zu begrüßen. Ohne Spezialisierung, ohne Bündelung und ohne Vernetzung von Kompetenzen ist Spitzenleistung nicht möglich.

Auch hochschulintern hat die Exzellenzinitiative viel bewirkt. Fächer, die früher keinen Austausch untereinander pflegten, arbeiten heute miteinander und erweitern so das Spektrum ihrer Erkenntnis. Davon profitieren nicht nur die geförderten Leuchtturmprojekte sondern auch die Universitäten insgesamt. All dies ist auch für Schleswig-Holstein festzustellen.

Die beiden Exzellenzcluster „The Future Ocean“ an der CAU sowie „Inflammation at Interfaces“ an den Universitäten Lübeck und Kiel integrieren wissenschaftliches Potenzial in einer Breite und Tiefe, die vor der Exzellenzinitiative nicht vorhan

(Ministerpräsident Torsten Albig)

den waren. Geballte universitäre Spitzenforschung Ähnliches ist auch für die Graduiertenschule Human Development in Landscapes zu sagen. Sie hat eine enge universitäre und außeruniversitäre Kooperation generiert und die Geisteswissenschaften an der CAU erheblich gestärkt.