Protocol of the Session on October 16, 2015

Lassen wir einmal die Flüchtlingsströme und das, was sich daraus in zehn oder 15 Jahren möglicher

weise entwickelt, außer Acht. Es wird definitiv nicht funktionieren, weil wir die Frauen, die wir heute noch alle so fröhlich begrüßen und wir still dankbar sind, dass sie pflegen, in Zukunft deutlich stärker am Arbeitsmarkt brauchen. Dann sind sie schlichtweg nicht mehr in der Lage, neben der Vollzeitarbeit auch Vollzeit ihre Angehörigen zu pflegen.

Vor dem Hintergrund finde ich, wenn man Informationsoffensiven starten möchte - in welcher Form auch immer; Frau Pauls hat ja ein paar Beispiele genannt -, dass vor allem der Hinweis und das Ermutigen wichtig ist, viel mehr auf entlastende Tagespflegeangebote, Kurzzeitpflege, zurückzugreifen, die Angehörige während der anstrengenden ambulanten Pflegezeit entlasten, anstatt den Job von der Landesregierung zu fordern, den nach meinem Dafürhalten die Kostenträger hätten.

Ich weiß nicht, wie die Antragslage aussieht, ob in der Sache abgestimmt werden soll. Wir können beiden Anträgen in der Sache zustimmen. Das ist in Ordnung. Ich sage ganz ehrlich: Ich glaube nur nicht, dass die Maßnahme - es gibt eine Ausnahme, Frau Kollegin Bohn, da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht, das betrifft insbesondere das Demenzzentrum in Norderstedt; das, was Sie dazu mit Ausnahme ihrer Tüdeligkeit ausgeführt haben, ist vollkommen richtig -, neue Broschüren herauszugeben, richtig ist. Ich wünsche mir das eigentlich nicht, liebe Katja Rathje-Hoffmann.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Das habe ich auch nicht gesagt! Das steht da nicht so drin!)

- Ja, das weiß ich. Ich sage trotzdem: Ich wünsche mir keine neuen Broschüren aus dem Haus Alheit, sondern ich wünsche mir einen gemeinsamen Appell, insbesondere an die Verpflichtung der Kostenträger, hier nicht aus falscher Sparsamkeit ihrer Informationspflicht nicht ausreichend nachzukommen. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Katja Rathje- Hoffmann [CDU])

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Dudda von der Fraktion der PIRATEN.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das letzte Mal haben wir über die Pflege

hier im Zusammenhang mit der Pflegekammer gesprochen. Ich freue mich ausdrücklich, dass wir heute einmal über die wirklich Betroffenen an der unsichtbaren Front der Pflege sprechen können. Das sind die Angehörigen - in der überwiegenden Zahl. Wir werden noch etwas zu den Zahlen dazu hören.

Zum Thema Solidarität sagte der gute alte Seneca mal:

„Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Gewölbe, das zusammenstürzen müsste, wenn sich nicht die einzelnen Steine gegenseitig stützen würden.“

Ganz wesentliche Stützsteine in einer immer älter werdenden Gesellschaft sind diejenigen, die ihre Familienangehörigen pflegen. Sie leben Solidarität in vorbildlicher Weise, und ihre Lebensleistung wird in der Regel viel zu wenig geachtet. Gern nutze ich heute die Gelegenheit, diesen Menschen unseren Respekt auszusprechen.

Pflegende Familienangehörige sind in der Regel Frauen zwischen 50 und 75 Jahren, keine jungen Hüpfer, die sonst nichts zu tun haben, sondern Menschen, die ganz häufig einen Fulltime-Job haben und ihren persönlichen Pflegeauftrag 24 Stunden, jeden Tag in der Woche erfüllen und jeden Tag im Jahr im Einsatz sind. Das kann man gar nicht hoch genug würdigen.

Eine interessante Studie der Betriebskrankenkassen zeigt, dass dieses Leben auch nicht spurlos an den Menschen vorbeigeht. Im Schnitt sind diese Pflegenden um 19 % kränker als ihre weniger belasteten Mitmenschen. Sie leiden vermehrt unter Rückenschmerzen, sind anfälliger für Infekte. Jeder Sechste ist an einer depressiven Episode oder gar Depression erkrankt. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Zu den körperlichen Anstrengungen kommen oft unerwartet hohe psychische Belastungen hinzu.

Um Angehörige rechtzeitig unterstützen zu können, sind Ärzte und Apotheker wichtige Ansprechpartner. Herr Garg sagte es bereits, auch die Kostenträger müssen mehr als bisher mit ins Boot geholt werden. Die machen sich hier und da tatsächlich einen zu schlanken Fuß und sollten sich stärker engagieren, wenn sie denn glaubwürdig sein wollen.

Insgesamt wissen wir aber, dass die Informationsverbreitung schlecht ist, und mangelhafte Informationen beziehen sich sowohl auf die Unterstützungsangebote als auch auf die Hilfsmöglichkeiten, die die Pflegenden in Anspruch nehmen könnten,

wenn sie denn genug darüber wüssten. Wir wissen über dieses Problem aus den Reihen der Betroffenen, zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen, wo die Landesstelle Pflegende Angehörige sich entsprechend äußert. Das Sozialministerium bei uns weist auf seiner Homepage auf Informationen für pflegende Angehörige hin. Das DRK geht schon sehr viel mehr in die Tiefe. Die haben zwölf Pflegestützpunkte, auch schriftliche Informationen und ein PflegeNotTelefon. Allerdings bleibt es alles versprengt. So haben wir in Schleswig-Holstein - ich glaube, da sind wir uns auch alle einig - noch viel Luft nach oben, wenn es um die Optimierung von Informationen geht.

(Beifall PIRATEN)

Hier ist tatsächlich auch der Gesetzgeber gefragt. Neben der besseren Vernetzung und Verbreitung von Hilfsangeboten und Informationen kann er dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf weiter gestärkt wird, der unüberblickbare Dschungel an Gesetzen gelichtet und gegebenenfalls auch bürokratische Hürden abgebaut werden. Dafür sollten wir mit den fürsorglichen Angehörigen reden, ihre Probleme aufnehmen und dafür sorgen, dass Pflege zu Hause einfacher, besser und vor allem auch für die Pflegenden selbst gesünder wird.

Ich bin im Grunde vollkommen bei dem Antrag der CDU. Man kann aber auch nicht gegen den Antrag der SPD sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, über beide Anträge in der Sache abzustimmen, weil es hier auch darum geht, dass wir im Landtag ein Bekenntnis zur Leistung der Privatpflegenden, der familiär pflegenden Menschen, aussprechen. Wir können ihnen - ich sage es gern noch einmal - gar nicht genug für ihren Einsatz danken. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ob wir nun ganz speziell die Pflege von Angehörigen oder den allgemeinen Bereich der Altenpflege anschauen. Pflege ist und bleibt aus gutem Grund ein Dauerthema, denn die unterschiedlichen Prognosen sprechen eine ganz klare Sprache: Während die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigt, wird die Geburtenrate kaum Schritt halten.

(Wolfgang Dudda)

Inhaltlich mag man hier und da natürlich unterschiedlicher Meinung sein, aber die grundsätzliche Notwendigkeit, den Pflegebereich auf allen Ebenen weiter zu stärken, sehen wir alle. Zumindest werte ich den vorliegenden Antrag als Zeichen hierfür.

Sicher kennen wir alle jemanden, der entweder selbst pflegebedürftig ist oder einen Angehörigen pflegt. Jeder von uns wurde oder wird früher oder später mit diesem Thema konfrontiert. Kaum ein anderer Bereich muss uns deshalb so intensiv und dauerhaft beschäftigen wie die Pflege. Wir sollten also nicht nur als Landespolitiker, sondern auch ganz persönlich ein Interesse daran haben, hier die richtigen Antworten und tragfähige Lösungen zu finden.

Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des SSW gut und richtig, dass die CDU das Thema „Unterstützung von pflegenden Angehörigen“ hier platziert. Denn gerade diese Form der Pflege kann sehr anstrengend und belastend sein. Und ganz ohne Frage wollen wir pflegende Angehörige so gut wie möglich unterstützen und ihre Gesundheit fördern. Aber auch, wenn es der Antrag bereits andeutet, will ich eins noch einmal klar sagen: Wir verfügen hier in Schleswig-Holstein längst über entsprechende Angebote. Nicht nur hier, sondern auch mit Blick auf den Gesamtbereich Pflege arbeiten wir intensiv daran, bestehende Angebote auszubauen und bekannter zu machen. Wir unterstützen zum Beispiel die Pflegestützpunkte und die Arbeit des Kompetenzzentrums Demenz intensiv. Hier wird explizite Beratungs- und Vernetzungsarbeit für Angehörige von Pflegebedürftigen geleistet, inklusive der entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt in Zusammenarbeit mit dem PflegeNotTelefon.

Außerdem können wir feststellen, dass zunehmend auch Verbände, Selbsthilfegruppen, Krankenkassen oder auch zum Beispiel das UKSH Kurse für pflegende Angehörige anbieten. Hier werden unter anderem der Umgang mit Demenz, die Anwendung von Hilfsmitteln und der Umgang mit Inkontinenz sowie Informationen zur Ernährung und zum Sozialrecht vermittelt. Das zeigt doch deutlich, dass das Bewusstsein für die besonderen Belastungen der pflegenden Angehörigen nicht nur da ist, sondern auch, dass entsprechend gehandelt wird.

Und doch wird natürlich niemand ernsthaft behaupten, dass alle Hausaufgaben gemacht sind. Gerade weil aber so dicke Bretter gebohrt werden müssen, frage ich mich, ob die Zielrichtung der CDU in dieser Art hier so richtig formuliert ist. Denn bei allem

Potenzial für Optimierung, auch im Kleinen, müssen wir leider trotzdem Prioritäten setzen. Ob die bessere Verbreitung und Vernetzung von Informationen und Hilfsangeboten für pflegende Angehörige so weit oben auf der Liste stehen muss, will ich zumindest bezweifeln. Vielleicht sollte man eher auf Maßnahmen abzielen, wie es sie beispielsweise in Dänemark gibt. Frau Pauls hatte sie bereits angesprochen. Vielleicht sollten wir über solche Möglichkeiten nachdenken, denn dann würden wir Systeme finden, mit denen wir sämtliche Menschen, die einen Bedarf haben, auch erreichen können. Aber der Hinweis, der durch den Antrag gegeben worden ist, ist absolut richtig und wichtig. Den werden wir natürlich berücksichtigen, denn wir stehen unverändert vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern können. Genau das wollen wir auch tun. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile jetzt erneut für die Landesregierung Ministerin Kristin Alheit das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Stärkung der häuslichen Pflege ist seit Jahren erklärtes politisches Ziel in Schleswig-Holstein. Die Debatte macht deutlich, dass wir alle uns da auch wirklich einig sind. Dabei ist klar, dass die Stärkung der häuslichen Pflege nur gelingen kann, wenn man die, die da pflegen, die pflegenden Angehörigen, berät, begleitet und entlastet. Denn es sind die Angehörigen, die die Hauptlast der häuslichen Pflege tragen. Es ist auch festgestellt worden: Es sind fast immer die Frauen, die das tun. Dies ist seit Jahren ein wichtiges Thema auch in meinem Hause. Ich kann Ihnen versichern, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das wird auch so bleiben.

Darum richten sich ganz vielen im Land etablierte Maßnahmen und Angebote zum Thema Pflege explizit auch an die Angehörigen. Das gilt zum Beispiel für die Pflegestützpunkte, die hier schon vielfach erwähnt worden sind, die wir zusammen mit den Pflegekassen initiiert haben. Wir arbeiten weiter daran, dass in jedem Kreis, auch im Kreis von Birte Pauls, in jeder kreisfreien Stadt ein solcher Stützpunkt geschaffen wird. In 13 Kreisen und kreisfreien Städten ist das bereits der Fall. Wir ha

(Flemming Meyer)

ben das gehört. Das Land trägt immerhin ein Drittel der laufenden Betriebskosten.

Die Pflegestützpunkte beraten selbstverständlich auch die pflegenden Angehörigen über deren eigenen Unterstützungsbedarf. Pflegestützpunkte machen selbstverständlich Öffentlichkeitsarbeit, etwa mit Beiträgen in der örtlichen Presse oder dem Verbreiten von Informationsmaterial. Pflegestützpunkte arbeiten beispielsweise auch mit dem PflegeNotTelefon und dem hier schon erwähnten Kompetenzzentrum Demenz eng zusammen.

All das sind wichtige Informationskanäle, die die Menschen erreichen, denn - das will ich ganz deutlich sagen - es ist sicherlich so, dass Angebote immer wieder bekannt gemacht werden müssen. Sie fristen aber beileibe kein Mauerblümchendasein oder - um auf die vorherige Debatte zurückzukommen - sind nicht im Dornröschenschlaf, sondern sie werden von den Menschen durchaus wirklich wahrgenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz wichtig für die Vernetzung und landesweite Weiterentwicklung von Informationen und Beratungsstrukturen ist auch das Kompetenzzentrum Demenz. Das Kompetenzzentrum richtet sich neben den institutionellen Akteuren der Demenzarbeit auch an die ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen in den Kommunen. Es hat sich beispielsweise auch zur Aufgabe gemacht, mit den Akteuren vor Ort richtig konkrete Wegweiser für die Menschen mit Demenz und für deren Angehörige zu erarbeiten. Das sind Informationen über Hilfen und Angebote vor Ort. Für sechs Kreise sind diese Wegweiser bereits fertig. Für den Kreis Ostholstein und für Lübeck sollen sie noch in diesem Jahr erscheinen. Unser Ziel ist, dass bis Ende 2016 ein solches Informationsmaterial für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt vorgehalten werden kann.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere wichtige Beratungs- und Informationsmöglichkeiten bieten eben auch seit 1999 bereits das PflegeNotTelefon und seit dem Start im Februar 2011 das auf Initiative der damaligen Landesregierung gestartete Internetportal „Wege zur Pflege“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in der Pflegeversicherung ist die Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger zunehmend in den Fokus geraten. Wir haben seit dem Jahr 2009 einen Rechtsanspruch auf eine individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Pflegeberaterinnen und Pflegeberater der Pflegekassen. Es ist hier

schon erwähnt worden, wie wichtig dieses Signal ist und dass darauf vielleicht ein weiterer Fokus liegen sollte. Diese Beratungen sollen natürlich die Gesamtsituation erfassen, auch die Frage, wie Pflege durch Angehörige funktionieren kann.

Derzeit im Verfahren befindet sich das Pflegestärkungsgesetz II. Es soll den Anspruch auf Pflegeberatung eben noch einmal explizit auf den pflegenden Angehörigen zukommen lassen und um den sonstigen Personenkreis erweitern, wenn das der Wunsch des zu pflegenden Angehörigen ist und dem entspricht. Schleswig-Holstein hat sich gemeinsam mit NRW im Bundesratsverfahren dafür eingesetzt, dass die Beratung im häuslichen Umfeld auf Wunsch der Betroffenen nicht nur stattfinden kann, sondern dort auch stattfinden muss. Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag in ihren Gegenäußerungen zugestimmt. Auch das ist eine Maßnahme, die die Beratung besser macht, die bessere Unterstützung für die pflegenden Angehörigen zulässt und genau darauf abzielt. Das ist ein Thema, das die Landesregierung sehr, sehr ernst nimmt.

Dazu gehört selbstverständlich, dass man auch Verbesserungsmöglichkeiten aufgreift. Was ich allerdings ein bisschen schade finde, gerade auch an dem CDU-Antrag, ist, dass ein bisschen der Eindruck erweckt wird, die guten Angebote im Land verfehlten ihren Zweck, weil sie eher für sich selbst da seien als für die Betroffenen und diese auch gar nicht erreichten. Ich finde, das wird dem nicht gerecht, vor allem denen nicht, die sich in diesem Bereich so wahnsinnig engagieren. Das hätten der Antrag und die Stimmung hier im Hause gar nicht nötig gehabt.

Für die Landesregierung ist die Unterstützung pflegender Angehöriger eine dauerhafte Aufgabe von ganz zentraler Bedeutung, von moderner Pflegepolitik. Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist - das sehen wir, glaube ich, alle so; es versteht sich von selbst -, dass wir dabei immer die Menschen, um die es geht, tatsächlich erreichen. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe deshalb die Beratung.

(Ministerin Kristin Alheit)

Könnten Sie mir einmal ein Signal geben: Wollen Sie die Anträge beide überweisen oder über beide in der Sache abstimmen?