Protocol of the Session on January 27, 2012

Herr Kubicki, für mich steht jedenfalls fest: Weder Sie noch DIE LINKE sind derzeit in diesem Land politik- und regierungsfähig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion des SSW hat Herr Kollege Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich eines klarstellen: Der SSW will Empfängern von Arbeitslosengeld II und Menschen mit ähnlich geringem Einkommen ganz sicher nicht das Recht auf soziale Teilhabe und Mobilität streitig machen. Für uns ist es eine absolute Selbstverständlichkeit, dass jedes Mitglied unserer Gemeinschaft einen faktischen Zugang zu Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe haben muss, wie es die Linken fordern. Nur setzt der vorliegende Antrag, der in identischer Form in anderen Bundesländern gestellt worden ist, auf der ganz falschen Ebene an.

In der Debatte um die Erhöhung der Regelsätze wurde von verschiedenen Seiten der viel zu geringe Regelleistungssatz für den Nahverkehr kritisiert. Jeder hier weiß, dass dieser die Kosten für eine Monatskarte bei Weitem nicht deckt. Hieraus muss wie in anderen Bereichen auch - die Konsequenz folgen, dass die Leistungen erhöht werden.

(Beifall des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Diese Forderung haben wir nicht nur damals gestellt, sondern wir halten sie natürlich auch nach der Minimalerhöhung im vergangenen Jahr aufrecht. Der SSW hält es für dringend notwendig, über dieses Thema eine intensive politische Diskussion zu führen. Wir hoffen, dass dabei am Ende eine spür

(Dr. Andreas Tietze)

bare Verbesserung der Situation von Arbeitslosengeld-II-Empfängern herauskommt.

Die Vorgaben sind eindeutig: Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2010 müssen auch Bildungs- und Teilhabebestandteile in die Berechnung der Regelsätze einfließen. Der enttäuschende Kompromiss, mit dem die Hartz-IVEmpfänger und ihre Kinder heute leben müssen, wird dieser Vorgabe nicht gerecht. So sind zum Beispiel die im Bildungs- und Teilhabepaket für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben vorgesehenen 10 € pro Monat und Kind schlicht und einfach viel zu wenig.

An diesem Problem muss sich ohne Zweifel etwas Grundlegendes ändern. Doch hier ist nicht das Land, sondern in erster Linie der Bund in der Pflicht. Auch wenn die LINKEN im vorliegenden Antrag zu Recht darauf hinweisen, dass letztlich das Land eine Verantwortung für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse trägt, schlagen Sie hier ganz einfach den falschen Weg ein. Denn wir müssen die Grundstrukturen ändern und nicht an den Symptomen herumdoktern. Mit dem landesweiten Sozialticket würde aber nur eine Sonderregelung geschaffen, anstatt die Ursachen des Problems zu bekämpfen.

(Beifall beim SSW)

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen, möchte ich noch einmal betonen: Auch wir halten die zu geringen Regelsätze für ein massives Problem. Aber dies zu ändern, ist eine Aufgabe, die so schnell wie möglich in Berlin erledigt werden muss.

Abgesehen davon, dass der Antrag an der falschen Stelle ansetzt, fällt es auch schwer, sich die konkrete Umsetzung einer solchen Regelung vorzustellen. Da ist zum einen die Frage, wie die landesweiten Sozialtickets genau finanziert werden sollen. Weil Vorschläge hierzu fehlen, kommt bei uns der Eindruck auf, dass es sich hier doch um einen reinen Symbolantrag handelt. Damit ist den Menschen, die im Leistungsbezug stehen und denen, die ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze haben, nun wirklich nicht geholfen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der kostenfreie Zugang zu kulturellen, sportlichen und sozialen Angeboten in der Praxis geregelt werden soll. Ich befürchte, dass hier ein enormer Verwaltungsaufwand nötig wäre, der - ähnlich wie im Fall des Bildungs- und Teilhabepaketes - viel Geld verschlingt, das bei den Bedürftigen selbst viel besser angelegt wäre.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Der SSW fordert eine spürbare Verbesserung der Situation von Menschen, die Transferleistungen beziehen oder ein ähnlich geringes Einkommen haben. Wir wollen eine Gesellschaft, die so eingerichtet ist, dass Ausnahmeregelungen und Zusatzlösungen wie das landesweite Sozialticket überflüssig sind. Selbstverständlich müssen den Leistungsberechtigten in dieser Gesellschaft umfangreiche soziale und kulturelle Teilhabemöglichkeiten eingeräumt werden. Natürlich haben alle Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht auf uneingeschränkte Mobilität und Zugang zu kulturellen, sportlichen und sozialen Angeboten. Doch mit diesem Antrag werden aus unserer Sicht die falschen Prioritäten gesetzt. Die drängendsten Probleme um das System Hartz IV werden so nicht gelöst.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich habe eine Wortmeldung zu einem Dreiminutenbeitrag und rufe nunmehr den Kollegen Heinz-Werner Jezewski auf. Er hat das Wort.

(Zuruf)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Arp, über das, was wir morgens so rauchen, unterhalten wir uns ein anderes Mal, glaube ich.

(Heiterkeit des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Flemming Meyer, vielen Dank, dass Sie jetzt die Reihe der Büttenreden unterbrochen haben und auf Argumente eingegangen sind. Das war wohltuend, und man konnte gut damit leben.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE], Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Ich hätte gut damit leben können, wenn wir aus der Ausschussberatung herausgekommen wären und genau das, was Kollege Meyer gesagt hat, als Ergebnis gehabt hätten: Wir stellen fest, die 15 €, die im Regelsatz vorhanden sind, reichen nicht für die Mobilität, die jedem Menschen zusteht. Wir als dieses Haus fordern geschlossen die Bundesregierung auf, den Regelsatz so zu ändern, dass es reicht.

(Flemming Meyer)

Das wäre ein Ausschussergebnis, mit dem ich hätte leben können.

(Zurufe der Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP] - Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine andere Baustelle!)

Ich will aber ein bisschen auf die Realität zurückkommen. Ich rede viel mit Menschen und auch mit Menschen, bei denen ich keine Hoffnung habe, dass sie mich beim nächsten Mal wählen, zum Beispiel mit den Wirtschaftsjunioren.

(Zurufe)

Ich bin zu den Wirtschaftsjunioren hingegangen vor einem Jahr oder vor anderthalb Jahren - und habe gesagt: Ich möchte gern die Gewerbesteuer in Flensburg erhöhen. Da haben die gefragt, warum. Da habe ich gesagt: Weil ich in Flensburg einen umlagefinanzierten ÖPNV haben möchte und als ersten Schritt dafür ein Sozialticket.

Dann habe ich denen erklärt, was ein umlagefinanzierter ÖPNV ist. Daraufhin haben einige von denen gesagt: Herr Jezewski, dafür würden wir eine Gewerbesteuererhöhung mittragen. Ein konkretes Projekt, das die Mobilität innerhalb des Kreises erhöht - dafür könnte man das mittragen.

(Zurufe)

Die waren sich auch nicht einig, aber es will schon etwas heißen, wenn solche Leute mit mir darüber so diskutieren.

Dann habe ich mit den Betreibern des ÖPNV darüber gesprochen, die alle gesagt haben: Dass ÖPNV Geld kostet, ist verkehrt - fragen Sie die einmal! Dass derjenige, der in den Bus einsteigt und das macht, was wir wollen, nämlich sich umweltfreundlich durch dieses Land zu bewegen, dafür bezahlen muss, sei verkehrt, sagen die.

Ich habe jetzt von Herrn Kumbartzky ganz viel über soziale Gerechtigkeit gehört. Ich frage mich jetzt, Kollege Kumbartzky, ob Sie es richtig finden, dass diejenigen, die Kinderwindeln kaufen, diejenigen mit ihrer Mehrwertsteuer subventionieren müssen, die günstig in Hotels wohnen. Finden Sie es richtig, dass in einer Kita-Sozialstaffel diejenigen, die gut verdienen, diejenigen unterstützen müssen, die wenig verdienen? - Ich finde das Erste falsch, das Zweite richtig. Darüber sollte man angesichts dessen, dass wir in unserer Bundesverfassung einer Eigentumsverpflichtung festgelegt haben, einmal nachdenken. Da steht deutlich: „Eigentum verpflichtet.“

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Natürlich sind Menschen, die viel haben, verpflichtet, denen zu helfen, die wenig haben. Die starken Schultern tragen mehr als die schwachen, jeder trägt so viel, wie er kann. Ich fände es gut, wenn wir dahinkämen - es wäre mein Wunsch, dass wir den Antrag in der Richtung diskutieren. Ob wir ihn dann so beschließen oder nicht, ist mir im Endeffekt wurscht. Aber ich wünsche mir die Diskussion darüber. Und die Lösung, die Flemming Meyer gerade genannt hat, wäre ein Ausweg aus dieser Diskussion, mit dem ich gut leben könnte.

(Beifall bei der LINKEN sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb rufe ich nun für die Landesregierung Herrn Minister Jost de Jager auf zu sprechen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht an die Adresse der Fraktion DIE LINKE: Wenn Sie wollen, dass sich dieses Haus ernsthaft mit Ihren Vorschlägen beschäftigt, müssen Sie auch in Ihre Anträge schreiben, was Sie wollen. Wir müssen zunächst einmal davon ausgehen, dass Sie das, was Sie vorlegen, auch tatsächlich beabsichtigen. Wenn Sie jetzt sagen, das sei alles gar nicht so gemeint, hätten wir uns diese Debatte in der Tat sparen können.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätten wir ohnehin,

(Heiterkeit bei CDU und FDP)

weil die kostenmäßigen Auswirkungen dieses Vorschlags bereits in einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jansen beantwortet worden sind. Wir haben dort mitgeteilt, dass, wenn man es in der Tat so machen würde, wie dort dargelegt wurde, das 74 Millionen € monatlich kosten würde. Wenn man das hochrechnet, umfasst das, was Sie mit Ihrem Vorschlag auf den Tisch legen - auch das steht in der Antwort auf die Kleine Anfrage, wenn ich das richtig in Erinnerung habe -, ein Kostenvolumen von etwa 900 Millionen €.

(Zuruf)

(Heinz-Werner Jezewski)

- Ja, genau!

Selbst wenn man das jetzt herunterzont - das kann man machen, man kann es auf bestimmte Einzugsbereiche herunterzonen -, landen wir immer noch bei Mehrkosten landesweit in Höhe von 120 Millionen €. Auch wenn Sie der Schuldenbremse am Ende nicht zugestimmt haben, ist sie gleichwohl Realität. Das ist oft so bei Ihrem Abstimmungsverhalten, dass Sie sich anders verhalten und Dinge trotzdem wahr werden. Das gilt auch für die Schuldenbremse. Wenn man diese 120 Millionen € erbringen wollte, müsste man sie irgendwo einsparen. Darüber sagen Sie nichts. Da sind Sie natürlich - das kann ich mir jetzt auch nicht ersparen - mitunter in guter Gesellschaft. Die Fraktion, die gleich neben Ihnen sitzt - die SPD -, hat auch mehr Forderungen, was den Haushalt anbelangt, und kann das auch nicht belegen. Da sind es 300 Millionen €.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Falsch! Sie ver- wechseln das!)

Insofern ist das alles schwierig. Aber, meine Damen und Herren von den LINKEN, ich sage Ihnen: Sie hätten von den Piraten lernen sollen.